August Marahrens

August Friedrich Karl Marahrens (* 11. Oktober 1875 in Hannover; † 3. Mai 1950 in Loccum, Niedersachsen) war Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.

Kirchlicher Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Grabkreuz auf dem Friedhof vom Kloster Loccum

Marahrens war bis Ende 1902 Alumnatsinspektor in Goslar. 1903 übernahm er eine Pfarrkollaboratur in Hannover. Dort wurde er 1905 Zweiter Schlossprediger und Konsistorialassessor. 1909 wechselte er als Studiendirektor an das Predigerseminar Erichsburg bei Northeim. Danach war er bis 1922 Superintendent in Einbeck. Nach seiner Tätigkeit als Generalsuperintendent von Stade wurde er 1925 Landesbischof.

1925 bezog Marahrens seinen Dienstsitz im Loccumer Hof in der Altstadt von Hannover.[1] Am 31. Oktober 1928 (Reformationstag) wurde er als Abt des Klosters Loccum eingeführt.

Marahrens war während der Zeit des Nationalsozialismus eine der zentralen Gestalten des Kirchenkampfes. Anfangs vorsichtig lavierend, stellte er sich bald entschieden auf die Seite der Bekennenden Kirche und suchte den Einfluss der Deutschen Christen (DC) in der hannoverschen Landeskirche zurückzudrängen. Bereits 1933 lehnte er den von Adolf Hitler bevollmächtigten Wehrkreispfarrer Ludwig Müller aus sachlichen wie auch persönlichen Gründen ab; er hielt bis zuletzt an Friedrich von Bodelschwingh als Gegenkandidaten fest.

Ab 1924 war August Marahrens Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission. Von 1933 bis 1935 war er Leiter des aus der Arbeitsgemeinschaft entstandenen Volksmissionarischen Amtes I. Ab 1935 hatte er die Geistliche Leitung des Volksmissionarischen Amtes II inne, aus dem 1937 das Amt für Gemeindedienst wurde. Von 1933 an war er Mitglied und ab 1935 Vorsitzender des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents, gleichzeitig seit 1934 Vorsitzender der Kirchenführerkonferenz der DEK und bis 1936 Vorsitzender der Bekennenden Kirche. Mitglied des geistlichen Vertrauensrates der DEK wurde er 1939.

Telegramm des Geistlichen Vertrauensrates vom 30. Juni 1941
Gesetzblatt der DEK 7/1941

Wegen seines kritischen Kurses wurde er auf dem Höhepunkt des Kirchenkampfes in Hannover durch Beschluss des deutsch-christlich dominierten Kirchensenats am 5. Dezember 1934 für abgesetzt erklärt und an seiner Stelle im Februar 1935 der Vorsteher des Kirchensenats, Superintendent Felix Rahn (Sievershausen), zum Bischof ernannt. Marahrens konnte sich aber letztlich durchsetzen. Der von Marahrens seinerseits abgesetzte frühere geistliche Vizepräsident des Landeskirchenamts und Präsident des aufgelösten Landeskirchentags Gerhard Hahn forderte ihn auf, sich vor dem (von der Landeskirche nicht mehr anerkannten) Landeskirchentag zu rechtfertigen. Marahrens berief am 26. Februar 1935 eine geschlossene amtliche Kirchenversammlung in die Marktkirche in Hannover ein, in der er die ihm ergebenen Geistlichen der Landeskirche hinter sich scharen konnte. 1937 gehörte er zu denen, die Die Erklärung der 96 evangelischen Kirchenführer gegen Alfred Rosenberg[2] wegen dessen Schrift Protestantische Rompilger unterzeichneten. Beim Reichsinnenminister protestierte er 1939 gegen die Verbringung Martin Niemöllers in das Konzentrationslager und unterzeichnete die Magna Charta des Einigungswerkes. Marahrens war am 30. Juni 1941 Mitunterzeichner eines Telegramms, das der Geistliche Vertrauensrat der DEK an Hitler schickte, unmittelbar nach Beginn des Feldzuges gegen Russland. Darin heißt es unter anderem: „Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Land gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengange gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf. [...] Die Deutsche Evangelische Kirche [...] ist mit allen ihren Gebeten bei Ihnen und unseren unvergleichlichen Soldaten, die nun mit so gewaltigen Schlägen daran gehen, den Pestherd zu beseitigen.“[3]

Für in die Konzentrationslager verbrachten Juden wollte sich Marahrens jedoch nicht einsetzen. Im Januar verfasste der württembergische Bischof Theophil Wurm 1943 einen Protestbrief gegen die Ermordung der Juden. Darin bezog er deutlich Stellung: „Aus religiösem und ethischem Empfinden heraus muss ich in Übereinstimmung mit dem Urteil aller positiven christlichen Volkskreise in Deutschland erklären, dass wir als Christen diese Vernichtungspolitik gegen das Judentum als ein schweres und für das deutsche Volk verhängnisvolles Unrecht empfinden. Das Töten ohne Kriegsnotwendigkeit und ohne Urteilsspruch widerspricht auch dann dem Gebot Gottes, wenn es von der Obrigkeit angeordnet wird.“ Marahrens, dem das Schreiben vorgelegt wurde, konnte sich mit dieser Position nicht identifizieren und verweigerte der Protestnote seine Unterschrift. Wurm wandte sich daher im Januar 1943 selbst mit seinem Protest an Reichsinnenminister Wilhelm Frick.[4] Im gleichen Monat, am 19. Januar 1943, wandte sich auch Marahrens an Frick, indem er unter anderem folgende vom Rassismus geprägte Sätze schrieb: „Die Rassenfrage ist als völkisch-politische Frage durch die verantwortliche politische Führung zu lösen. Sie allein hat das Recht, die notwendigen Maßnahmen zur Reinerhaltung des deutschen Blutes und zur Stärkung der völkischen Kraft zu treffen.“[5] Nach dem missglückten Attentat auf Hitler erklärte Marahrens im Wochenbrief vom 24. Juli 1944: „Der verbrecherische Anschlag, der dem Leben des Führers galt, ist [...] durch Gottes Gnade abgewendet.“[6]

Roderich Wahsner zufolge war Marahrens als „glühender Nationalsozialist“ u. a. dafür verantwortlich, dass das der Diakonissenbewegung gehörende Hannoveraner Henriettenstift zu „einem Tummelplatz für NS-Veranstaltungen“ wurde und „die Diakonissen das Führerbild aufhängen und verehren mussten, dass also das Hakenkreuz für sie an die Stelle des Kreuzes trat.“[7]

Auf Drängen der Briten wie der Bischöfe Hans Meiser, Theophil Wurm und Stimmen aus der Ökumene trat er am 15. April 1947 zurück. Bis heute ist die Amtsführung von August Marahrens als Bischof zur Zeit des Dritten Reiches umstritten, weil ihm teilweise eine zu starke Anpassung an den NS-Staat vorgeworfen wird. Kritisiert wurden unter anderem seine bedingungslose Anerkennung der staatlichen Obrigkeit, seine Haltung gegenüber den ausgegrenzten „nichtarischen“ Christen, also jüdischer Herkunft, und ein „Hirtenbrief“ nach dem Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944: „Ordnen wir an [dass ...] im Kirchengebet der Gemeinde [Hitlers ...] gedacht wird: ‚Von Grund unseres Herzens danken wir Dir [sc. Gott], daß Du unseren Führer bei dem verbrecherischen Anschlag Leben und Gesundheit bewahrt und ihn unserem Volk in einer Stunde höchster Gefahr erhalten hast. In Deine Hände befehlen wir ihn. Nimm ihn in Deinen gnädigen Schutz! Sei und bleibe Du sein starker Helfer und Retter! Walte in Gnaden über den Männern, die in dieser für unser Volk so entscheidungsschweren Zeit an seiner Seite arbeiten. Sei mit unserem tapferen Heere! Laß unsere Soldaten im Aufblick zu Dir kämpfen! [...] In tapferem Vordringen [sei] ihr Geleiter! [... Laß] aus der blutigen Saat des Krieges eine Segensernte erwachsen.‘“[8]

Weitere Tätigkeiten und Ämter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

August Marahrens war von 1928 bis 1950 Abt des Klosters Loccum. Ab 1933 war er Mitglied und ab 1935 Vorsitzender des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonvents. Ab 1934 war Marahrens Vorsitzender der Kirchenführerkonferenz der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) sowie zwischen 1934 und 1936 Vorsitzender der Bekennenden Kirche der DEK. Ab 1939 war er Mitglied des geistlichen Vertrauensrates der DEK.

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Zu Luthers Botschaft an die heutige Jugend seines Volkes, Gedanken und Lesefrüchte, aus Das Erbe Martin Luthers und die theol. Forschung, Leipzig 1928, 382–403
  • Reichsreform! – und die Kirche? In: Evangelische Wahrheit 24, 1932/1933, 37-4
  • mit Wilhelm Flor, Hugo Hahn: Um eine Lutherische Kirche deutscher Nation. Göttingen 1934, S. 8 ff.
  • Im Heiligtum Gottes. Predigt des Landesbischofs von Hannover, Abt zu Loccum D. Marahrens vor Vertretern der Gemeinden Südhannovers – auf Grund einer Nachschrift gedruckt, Göttingen 1934
  • Ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten: 1. Kor. 2.2., Predigt vom 28. Juni 1935 in der Marktkirche in Hannover zum 10-jährigen Bischofsjubiläum, Göttingen [1935]
  • Zur Lage der Kirche. Die Wochenbriefe von Landesbischof D. August Marahrens 1934–1947, 3 Bde., hg. von Thomas Jan Kück, Göttingen 2009.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Paul Fleisch: Landesbischof D. Marahrens. In: Lutherische Kirche, Heft 20, 1935, S. 353–356.
  • Walter Ködderitz: D. August Marahrens. Pastor pastorum zwischen zwei Weltkriegen, Hannover 1952.
  • Eberhard Klügel: Die lutherische Landeskirche Hannovers und ihr Bischof 1933–1945, Hannover 1964.
  • Kurt Schmidt-Clausen: August Marahrens, Landesbischof in Hannover. Wirklichkeit und Legende, Hannover 1989.
  • Hans Otte: Marahrens, August. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 16, Duncker & Humblot, Berlin 1990, ISBN 3-428-00197-4, S. 100 f. (Digitalisat).
  • Gertraud Grünzinger: MARAHRENS, August. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 5, Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-043-3, Sp. 738–745.
  • Inge Mager: August Marahrens (1875–1950), der erste hannoversche Bischof. In: Heinrich W. Grosse, Hans Otte, Joachim Perels (Hrsg.): Bewahren ohne Bekennen? Die hannoversche Landeskirche im Nationalsozialismus. Hannover: Lutherisches Verlagshaus 1996, S. 135–151.
  • Hans Otte: Ein Bischof im Zwielicht. August Marahrens (1875–1950). In: Heinrich W. Grosse, Hans Otte, Joachim Perels (Hrsg.): Bewahren ohne Bekennen? Die hannoversche Landeskirche im Nationalsozialismus. Lutherisches Verlagshaus, Hannover 1996, S. 179–221.
  • Heinrich Grosse: Niemand kann zwei Herren dienen – Zur Geschichte der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Blumhardt Verlag, Hannover, 2. Auflage 2010, ISBN 978-3-932011-77-1.
  • Eike Christian Hirsch: August Mahrahrens (1875–1959) ... In: Persönlichkeiten, die unsere Geschichte geprägt haben, Broschüre, hrsg. von den VGH Versicherungen, [o. O., o.D], S. 24f.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Waldemar R. Röhrbein: Loccumer Hof. In: Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein und andere (Hrsg.): Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2009, ISBN 978-3-89993-662-9, S. 413f.
  2. Friedrich Siegmund-Schultze (Hrsg.): Ökumenisches Jahrbuch 1936–1937. Max Niehans, Zürich 1939, S. 240–247.
  3. Heinrich Grosse: Niemand kann zwei Herren dienen – Zur Geschichte der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. 2. durchgesehene Auflage. Hannover 2008, S. 157
  4. Zit. nach Begegnung & Gespräch, Nr. 144, Oktober 2005. Online auch unter http://lbib.de/pdf_dateien/bug144online.pdf
  5. Zitat und Nachweis bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? 2. aktualisierte Auflage, Frankfurt 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 391.
  6. Zitiert nach Peter Hammerschmidt: Die Wohlfahrtsverbände im NS-Staat. Die NSV und die konfessionellen Verbände Caritas und Innere Mission im Gefüge der Wohlfahrtspflege des Nationalsozialismus. Opladen 1999, S. 8.
  7. Roderich Wahsner: Rezension zum Titel „Rechtsschutz und Arbeitsrecht in der evangelischen Kirche“ (Schilberg, Arno). In: Arbeit und Recht, Jg. 1995, Heft 5, S. 190.
  8. "Anordnung" der ELLkH vom 21. Juli 1944 zur Ergänzung des Kirchengebets. In: Kirchliches Amtsblatt für die ELLkH Jg. 1944. Im Kirchenarchiv Hannover. Wieder bei Günter Brakelmann & Manfred Keller Hgg., mit Beitr. v. Ulrich Heinemann u. a.: Der 20. Juli 1944 und das Erbe des deutschen Widerstands. Lit, Münster 2005, ISBN 3825885615, S. 86 – Siehe auch: Wie lange noch, Herr Landesbischof? Hannoversche Presse v. 21. Februar 1947