Heft 4-5/2006
März
2006

Der Umgang mit der NS-Geschichte nach 1945 in Garsten

Der Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten

Die Nazis wurden noch im Mai 1945 zu verschiedenen Arbeiten herangezogen. Sie mussten Schützengräben zuschaufeln, die vom Volkssturm gegraben worden waren. Im KZ Mauthausen hatten sie die Toten zu begraben, die dort nach der Befreiung als Folge der unmenschlichen Behandlung starben. Die Frauen mussten die Zimmer reinigen, welche die Nazi-Jugend benützt und schlimm verwüstet hatte. [1] Es gab auch Selbstmorde von ehemaligen Nationalsozialisten. [2]

Zwei Lehrer der Volksschule Garsten wurden wegen ihrer Parteizugehörigkeit zur NSDAP, (einer war sogar seit 1936 illegal dabei) aus dem Schuldienst entlassen. Oberlehrer Karl Fritsch, den die Nazis 1938 wegen seiner österreichischen Gesinnung gemaßregelt und versetzt hatten, kam 1945 wieder nach Garsten. [3]

1946 wurde im Gemeinderat die „Heimathilfe“, ein Spendenaufruf an die ehemaligen Nationalsozialisten beschlossen. „Durch die Spende sollen besonders die ehemaligen Nationalsozialisten bezeugen, dass sie gewillt sind am Wiederaufbau mitzuarbeiten und als Sühne sollen sie einen wesentlichen Bestandteil ihres Vermögens opfern.“ Die Spende sollte einen Monatsgehalt oder 2% des Vermögens betragen. Weniger belastete Nazis, die wenig Einkommen und eine große Familie zu versorgen hatten, sollten weniger zahlen. Gezwungen sollte aber niemand dazu werden. [4] Einer der Gemeinderäte meinte: „Die keine Parteigenossen waren, soll man human behandeln, aber die wirklichen Parteigenossen, die die Schuld an unserem Elend haben, die solle man schon tüchtig heranziehen.“ Ein anderer schlug vor, dass auch die Sozialisten beim Sammeln mitgehen müssten, da es sonst den Anschein habe, „als wenn die Sozialisten den Nazis helfen wollten.“ [5]

Angefragt wurde im Gemeinderat auch, „ob es nicht möglich wäre an Stelle der Nazis, die noch dem Jagdkonsortium angehören“, eigene Leute dort hineinzubringen. [6]

Offensichtlich waren einige Garstner Nationalsozialisten in Anhaltelagern untergebracht, u.a. der ehemalige Amtsleiter der Raiffeisenkasse Garsten Norbert M. [7] in Glasenbach. Bürgermeister Lenzenweger erwähnte, dass verschiedene Ansuchen um Freigabe dieser Nationalsozialisten vorlägen, eine Weiterleitung derzeit aber keinen Sinn hätte, da sie unerledigt wieder zurückgeschickt würden. [8]

Mitte September 1946 wurde eine Liste von zehn Geschäften, Gewerbebetrieben und Gaststätten, die unter das Verbotsgesetz fielen, erstellt. Bei manchem wurde von der Strafe abgesehen, andere wurden geschlossen. Ein Gasthaus, dessen Sperre beschlossen wurde, soll früher Treffpunkt der illegalen Nazis gewesen sein. Ein Gemeinderat meinte dazu: „Wir müssen uns vor Augen halten, was die Nazis alles verbrochen haben und was sie mit uns gemacht hätten, wenn sie gesiegt hätten.“ [9]

1947 mussten die Gemeinden Vereine auf ehemalige Nationalsozialisten überprüfen. [10] Die Einschätzung eines Berichtes der Bezirkshauptmannschaft Steyr über die Amnestie von ehemaligen Nationalsozialisten dürfte auch auf Garsten zutreffen: „Die Amnestie für die Nationalsozialisten wurde in der Bevölkerung freudigst begrüßt, im Allgemeinen wird aber darüber wenig gesprochen.“ [11]

Im Oktober 1946 fand vor dem Volksgericht Linz ein Prozess gegen fünf ehemalige Werkschutzleute der Steyr-Werke statt. Sie waren der Quälerei und Misshandlung von Häftlingen der Strafanstalt Garsten bei der Arbeit angeklagt. Ein Garstner aus Unterdambach wurde dabei zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. [12]

Gedenktafel nur für Bereiter

Am 16. März 1946 wurde in der Pfarrkirche Garsten eine Trauerfeier für den ehemaligen Direktor der Strafanstalt Othmar Bereiter abgehalten. Er wurde 1938 von den Nationalsozialisten ermordet. Die Pfarrchronik beschreibt ihn als gerechten, aufrechten Mann, der nur die Pflicht kannte. „Er war sehr entgegenkommend allen gegenüber und gewinnend in seinem ganzen Wesen; als überzeugter Katholik wusste er beispielgebend seine religiösen Pflichten zu erfüllen; er gab unerschrocken das beste Beispiel. Alle hatten Achtung vor ihm.“ [13] Im Stiegenhaus der Strafanstalt wurde anschließend eine Gedenktafel enthüllt. Je ein Vertreter des Justizministeriums, des Landes und der Bezirkshauptmannschaft Steyr hielten Ansprachen. Die Aufschrift auf der Gedenktafel lautet: „Er gab sein Leben für Österreich.“ [14]

1962 gab es einen Auftrag des Justizministeriums zur dokumentarischen Erfassung der NS-Opfer unter den Justizbeamten der Strafanstalt Garsten. 1975 fand eine Kranzniederlegung bei der Gedenktafel von Bereiter statt, ebenso 1980 aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums des Staatsvertrages und 2001 zur Feier „150 Jahre Strafanstalt“. [15]

Das Schicksal von Assistent Paul Fessler blieb bis zum Jahre 2006 im Dunkeln. Er kam nach Dachau und wurde 1940 im KZ Buchenwald ermordet. [16] Weder eine Gedenktafel in der Justizanstalt noch eine Erwähnung in der Festschrift „150 Jahre Justizanstalt Garsten“ erinnert an ihn.

Errichtung des Kriegerdenkmals

Am 15. Juni 1958 wurde am Platzl das neu errichtete Kriegerdenkmal für die Gefallenen und Vermissten des Zweiten Weltkrieges eingeweiht. An einer etwas abgesenkten, runden Mauer, die zum Platzl hin geöffnet ist, sind die Steintafeln mit den Namen angebracht. Ein mehrere Meter großes Kreuz soll die Gedenkstätte weithin sichtbar machen. Ursprünglich wollte man dafür die Friedhofskapelle renovieren und umgestalten. Ein Teil der Garstner Bevölkerung, die der Kirche nicht so nahe standen, wollte das Denkmal aber nicht in einer abseits gelegenen Kapelle haben, sondern mitten im Ort, „damit die Fremden es sehen“. [17] Die Kosten beliefen sich auf 150.000 Schilling, die durch Sammlungen und Spenden aufgebracht wurden. [18]

Zu Allerheiligen wird jährlich ein Gedenken gehalten und Kränze niedergelegt. Neuerdings gibt es Überlegungen der Gemeinde, das Denkmal an einen anderen passenden Ort zu verlegen.

Lagergemeinschaft Garsten

Anlässlich der 40. Wiederkehr des Anschlusses Österreichs an Hitlerdeutschland kam es im März 1978 in der Strafanstalt Garsten zu einem Treffen ehemaliger politischer Häftlinge und Widerstandskämpfer in Garsten. Neben Josef Übinger, Alois Straubinger und Franz Föttinger nahm auch Raimund Zimpernik an diesem Treffen teil, der das Ziel verfolgte, eine Dokumentation über seine Haftzeit in Garsten zusammenzustellen. [19] Besichtigt wurde auch Zelle 7, in der ein Teil der Anwesenden inhaftiert war. Josef Kellner gab einen Überblick über die politische Tätigkeit in der Wäscherei unter der Leitung von Franz Haider. [20]

Entschädigung von Garstner Zwangsarbeitern

Im Jahr 2000 wurde von der Bundesregierung der österreichische „Versöhnungsfonds” ins Leben gerufen, um freiwillige Zahlungen aus Österreich an Opfer der NS-Zwangsarbeit zu leisten. Es war von vornherein klar, dass die Zahlungen für die Betroffenen weder das erlittene Unrecht noch die verlorenen Jugendjahre „wieder gutmachen“ können. Umso wichtiger war es, diese Geste von Anerkennung und Solidarität seitens der jüngeren Generation den Opfern respektvoll und im Geiste aufrichtiger Freundschaft anzubieten. Weltweit haben insgesamt rund 132.000 Personen diese Geste aus Österreich angenommen. [21] Bei 16 Anträgen an den Versöhnungsfonds war als Grund „Inhaftierung in der Strafanstalt Garsten“ angeführt. Es handelte sich um sieben Österreicher, sieben Tschechen, einen Griechen und einen Italiener. Der Italiener Carlo M. wurde knapp nach seinem 21. Geburtstag wegen Desertion verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im November 1944 kam er nach Garsten. [22] Die sieben Österreicher waren alle wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu Strafen zwischen einem Jahr und drei Monaten bis lebenslang verurteilt. Es handelte sich um Kommunisten, die im Rahmen der Roten Hilfe Hilfsgelder für die Familien verurteilter KP-Mitglieder gesammelt hatten. Jede KP-Tätigkeit wurde als „Hochverrat“ angesehen, da sie den NS-Staat ablehnten und für ein unabhängiges Österreich kämpften. [23] Ein politischer Garsten-Häftling schrieb 2002 nach Erhalt seiner Entschädigungszahlung:

… die Erinnerung an diese Zeit ist in mir nach wie vor lebendig. Mein großer Wunsch für folgende Generationen ist daher, dass ihnen solch ein Zeitabschnitt mit politisch diktierter und geduldeter Unterdrückung – Menschenverachtung – Intoleranz gegenüber anderen erspart bleiben soll. [24]

Geschichtliche Aufarbeitung erst nach 60 Jahren

Blättert man die Publikationen über Garsten durch, so kann man vieles über die Geschichte des Stiftes finden, über die kunst- und kulturgeschichtliche Bedeutung der Kirche, über die Auflösung und Umwandlung in eine Strafanstalt und die Entwicklung der Gemeinde nach dem 2. Weltkrieg. Die dreißiger Jahre und die Zeit des Nationalsozialismus wurden bisher meist ausgelassen oder nur mit ganz wenigen Sätzen erwähnt. Bei der Jubiläumsschrift „1000 Jahre Garsten“ im Jahre 1984 sah man die Zeit noch nicht gekommen, auch diesen Teil der Ortsgeschichte zu behandeln. [25] Auch in der Zeittafel der Festschrift „150 Jahre Justizanstalt Garsten“ fehlt diese Zeit gänzlich. Erwähnt wird aber das Schicksal des Strafanstaltsdirektors Othmar Bereiter, der kurz nach dem Anschluss von der Gestapo ermordet wurde. [26]

Im neuen Buch „Garsten. Lebenswerte Gemeinde zwischen Tradition und Aufbruch“ konnte 2006 ein 13-seitigen Artikel über die NS-Zeit in Garsten veröffentlicht werden. [27] Im November 2005 wurden die ersten Forschungsergebnisse anlässlich der Eröffnung der Weihnachtsbuchausstellung und als Beitrag zum Gedenkjahr 2005 in der Öffentlichen Bibliothek der Pfarre Garsten vorgestellt. Es war der erste Vortrag über die NS-Geschichte von Garsten. Insgesamt zehn Organisationen fungierten als Veranstalter. Aufgrund des großen Interesses musste der Vortrag von der Bibliothek der Pfarre in den Pfarrsaal verlegt werden. Mehr als 140 Personen hörten den Ausführungen interessiert zu. Auch in den Medien fand diese Veranstaltung große Resonanz. [28]

Im Herbst 2006 erscheint das Buch Schwere Tage – dunkle Zeiten. Die NS-Zeit in Garsten 1938-1945. Waltraud Neuhauser und Karl Ramsmaier zeichnen darin die Entwicklung des Nationalsozialismus in Garsten von den 1930-iger Jahren bis 1945 nach. Neben dem Jahr 1934, dem Anschluss 1938 und dem Widerstand wird auch die Pfarre und Justizanstalt Garsten behandelt. Zusätzlich geben Erzählungen von Zeitzeugen und viele Fotos Einblick in die Geschehnisse dieser Zeit.

Um den Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim finanziell abzusichern, rief das Land OÖ. die Stiftung Hartheim ins Leben, an der sich viele Institutionen und Privatpersonen beteiligen. Auch die Gemeinde Garsten unterstützt diese Stiftung finanziell.

Am Garstner Friedhof wird 2007 auf Betreiben des Mauthausen Komitees Steyr eine Gedenkstele zur Erinnerung an jene zehn Garstner, die in der Euthanasieanstalt Hartheim ermordet wurden, aufgestellt werden. Es handelt sich um körperlich und geistig Behinderte, die damals als „lebensunwertes Leben“ angesehen wurden.

[1Pfarrchronik Garsten, Eintrag 1945.

[2Gendarmeriechronik Garsten, Eintrag 16. Juni 1945.

[3Chronik der Volksschule Garsten, Teil 3, Rückblick über die Zeit von Februar–Mai 1945, 7.

[4Gemeindearchiv Garsten (Gemeinderatsprotokolle), Sitzung vom 10. Februar 1946.

[5Gemeindearchiv Garsten (Gemeinderatsprotokolle), Sitzung vom 2. März 1946.

[6Gemeindearchiv Garsten (Gemeinderatsprotokolle), Sitzung vom 30. März 1946.

[7OÖLA, Landesgericht/Sondergerichte, Sch 196 (Vg 8 Vr 629 /47).

[8Gemeindearchiv Garsten (Gemeinderatsprotokolle), Sitzung vom 30. März 1946.

[9Gemeindearchiv Garsten (Gemeinderatsprotokolle), Sitzung vom 16. September 1946.

[10OÖLA, Landesregierung/ Präsidium, MF 817 Nr. 39510.

[11OÖLA, Landesregierung/Präsidium, MF 907, Nr.10211, Bericht der BH Steyr, 23. Juni 1948.

[12Steyrer Zeitung Nr. 21, 13. Oktober 1946, 2.

[13Pfarrchronik Garsten, Eintrag 1946.

[14Broschüre „Sprechende Steine“, 11; siehe auch Gedenktafel in der Justizanstalt Garsten.

[15Strafanstalt Garsten, Personalakt Othmar Bereiter.

[16Auskunft der Gedenkstätte Buchenwald, 22. Juni 2006, Nummernkarte der Häftlingsschreibstube (9132 und 2380; Veränderungsmeldung vom 24. Mai 1938; Fragebogen der Effektenkammer; Veränderungsmeldung, 11. Juni 1940; Auskunft des Magistrates der Stadt Wien, Wiener Stadt- und Landesarchiv, MA 8–A 2128/2006, 3. Mai 2006; Auskunft der KZ-Gedenkstätte Dachau, 6. Juni 2006; vgl. auch Standesamt Weimar II Buch 1390/40.

[17Pfarrchronik Garsten, Eintrag 1958.

[18Ebd.

[19Zimpernik, Raimund, „Der rote Strähn“, Bad Ischl 1995.

[20Auskunft von Otto Treml, 19. Mai 2006.

[22Rafetseder, Hermann, NS-Zwangsarbeits-Schicksale während der NS-Zeit. Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds, Rohfassung vom Juli 2006 (erscheint 2007), darin: Garsten: Strafanstalt mit Außenkommandos Steyr und Ternberg, o.S.

[23Ebd.

[24Zit. bei. Rafetseder, NS-Zwangsarbeits-Schicksale, o.S.

[251000 Jahre Garsten, Jubiläumsschrift zur 1000-Jahrfeier der Marktgemeinde Garsten, Steyr 1984.

[26Festschrift „150 Jahre Justizanstalt Garsten“, hg. von der Justizanstalt Garsten, Garsten 2001, 12-14.

[27Karl Ramsmaier/Waltraud Neuhauser, Schwere Tage – dunkle Zeiten. Die NS-Zeit in Garsten 1938-1945, in: Garsten. Lebenswerte Gemeinde zwischen Tradition und Aufbruch, Garsten 2006, 55-68.

[28Tips, 2. November 2005, 1 u. 3; Steyrer Rundschau Nr. 44, 3. November 2005, Oberösterreichische Nachrichten — Lokal, 2. November 2005, 27; Kronen Zeitung, 6. November 2005, 36; Grünkern. Informationsblatt der Grünen Garsten, Nr. 28, Dezember 2005, 1f.

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