Revolutionäre Spinner

Revolutionäre Spinner: Wie deutsche und öster­reichische Grüne nach Tripolis pilgerten und sich von Gaddafi sponsern ließen

Zeitgeschichte. Wie deutsche und öster­reichische Grüne nach Tripolis pilgerten und sich von Gaddafi sponsern ließen

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Vor Missbrauch wird gewarnt. Das gilt auch für Träume von der Erfüllung der menschlichen Möglichkeiten und einer besseren und gerechteren Gesellschaft. Unter Linken, die bei den Grünen eine Zeit lang eine neue Heimat fanden und die heute auf die Pension zugehen, finden sich nicht wenige, die von Muammar Gaddafi, der jetzt den Endkampf ausruft, einst schwer begeistert waren. Nicht schnöde Geschäftsanbahnung zog sie in die Wüste, nicht strategische Erwägungen, wie sie Bundeskanzler Bruno Kreisky anstellte, der bei öffentlichen Auftritten mit Gaddafi seine Abscheu kaum verbergen konnte, sondern Revolutionsromantik. Die Haltung zu Gaddafi sorgte für gehörige Konflikte bei der Entstehung der grünen Parteien, war Bestandteil ihrer Grabenkämpfe.

Der verklärte Blick auf den libyschen Revolutionsführer dominierte in den neuen sozialen Bewegungen, der Friedensbewegung und Anti-Atomkraft-Bewegung Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre. Berichte von den seltsamen Gepflogenheiten des Diktators, der seine Gäste in Fantasieuniform zum Gebet in der Wüste empfing, Diplomaten und Journalisten stundenlang warten ließ, um sie dann in rauschhaften Monologen von seiner „Universaltheorie“ zu überzeugen, irritierten nicht weiter. Das „Grüne Buch“, Gaddafis Version einer Synthese von Islam und Marxismus, wurde damals, auch als Hörkassetten in Englisch, an linke und alternative Vereine in Österreich verteilt. Von Gaddafis antiimperialistischen Phrasen, seinen Zeremonien, seiner Unterstützung von Befreiungsbewegungen quer über den Erdball waren viele angetan. In der Auflösung der Institutionen und ihrer Ersetzung durch Revolutionskomitees, in der Politik durch Volkskongresse sahen sie ihre basisdemokratischen Sehnsüchte verwirklicht. Vom Parteienstaat hielten die linken Träumer selbst nicht viel.

Als Gaddafi im März 1982 von Bruno Kreisky in Wien empfangen wurde und im Hotel Imperial residierte – er hatte damals noch nicht den Tick, seine Prunkzelte und Kamele mitzubringen –, waren die Erwartungen weit gespannt. Die Manager der verstaatlichten Voest antichambrierten für Aufträge, Vertreter der Bauernschaft für den Export Tausender Stiere nach Libyen. Die Linken aus dem Dunstkreis der Grünen waren einer Einladung Gaddafis in ein Wiener Ringstraßenhotel gefolgt, um Authentisches von der Revolution zu hören. Sogar deutsche Grüne waren angereist: Alfred Mechtersheimer, der heute bei der rechtspopulistischen Pro-Köln-Bewegung mitmischt, und der Grünpolitiker Hubert Kleinert, der in seiner Parteigeschichte später selbstkritisch feststellte, dass sich die Grünen anfangs einseitig auf die Seite der „arabischen Massen“ schlugen, was ihnen in jenen Jahren in Israel nicht ganz zu Unrecht den Ruf der „Kinder Hitlers“ eingebracht habe.

Gaddafi-Propaganda.
Im Frühjahr 1983 flog eine Delegation der deutschen Grünen unter der Führung von Otto Schily mit Grünen aus Südtirol und dem Österreicher Fritz Zaun nach Tripolis und wurde von Gaddafi empfangen. Zaun, heute Leiter der Grünen Bildungswerkstatt in Niederösterreich, ist die Erinnerung daran etwas peinlich. Er sei „kritischer zurückgekommen als hingefahren“, sagt er. In jenen Jahren habe er sich sein Unbehagen mit „anderer Kulturkreis, andere Traditionen“ schöngeredet.

Bei einer groß angelegten Konferenz zu seiner „Universaltheorie“ im selben Jahr, wieder mit österreichischen und deutschen Revolutionstouristen, verkündete Gaddafi: „Die Grünen sind die Alternative für Europa.“ In Österreich wurde daraufhin das „Grün-alternative Monatsmagazin“ („MOZ“) gegründet, von Anfang an mit libyschen Geldern finanziert, was angeblich nicht alle Mitarbeiter wussten. Die Geschäftsführung von „MOZ“ stellten der Österreicher Sepp Auer und Abdul Ghani Elmani, ein Palästinenser mit libyschem Pass, der sich schon seit geraumer Zeit bei Grünbewegten umgetrieben und Kontakte geknüpft hatte.

Im Juli 1984 erschien die Nullnummer der „MOZ“: ein aufwändig gestaltetes Hochglanzmagazin von 80 Seiten. Zur Hälfte bestand das Monatsmagazin aus Fotoreportagen. Elegische Texte über Bergarbeiter, Kärntner Slowenen und kulturgeschichtliche Themen wechselten sich mit Interviews mit den Protagonisten der entstehenden grünen Bewegung ab, die durch die Besetzung der Hainburger Au einen rasanten Aufschwung erlebte. Inserate gab es praktisch keine.

Bald tauchten erste Medienberichte auf, wonach „MOZ“ ein Gaddafi-Propagandaableger sei. Der „Kurier“ veröffentlichte das Faksimile einer Banküberweisung über fünf Millionen Schilling von Libyen an „MOZ“. Der damalige Baugewerkschafter Josef ­Hesoun behauptete daraufhin, auch die Au-Besetzer würden von Gaddafi finanziert, was Kreisky als „Unsinn“ abtat. Dass Geld an die Grünen fließe, hielt jedoch auch Kreisky für eine ausgemachte Sache. „Gaddafi hat kein Hehl daraus gemacht, dass er die grüne Bewegung in Europa unterstützt. Und wenn er sagt, er unterstützt sie, dann heißt das, dass er Geld für sie gibt“, sagte Kreisky in einem Interview mit „MOZ“ im Jänner 1985. Er selbst hatte Gaddafi im Dezember 1984 auf Mallorca getroffen, und Zeitzeugen meinen, dass die Gelder an die Grün-Alternativen in der „MOZ“ daraufhin etwas spärlicher geflossen seien.
Im Jänner 1985 gestand Geschäftsführer Auer in einem Leitartikel: „,MOZ‘ hat Unterstützung aus Libyen bekommen. Wir glauben, dass eines der wesentlichen Merkmale der neuen grün-alternativen Bewegung Ehrlichkeit und Offenheit ist.“ Man habe sich das Geld „direkt in Libyen unter Umgehung offizieller, diplomatischer und bürokratischer Kanäle besorgt“. Ehemalige Mitarbeiter berichten, einmal im Monat sei ein Libyer mit einem Koffer voller Bargeld gekommen.

Lob für Hitler.
Im September 1985 veröffentlichte „MOZ“ ein Interview mit Gaddafi, in dem er die Friedensbewegung und die Grünen als „die einzige Hoffnung für diese Welt“ pries. Im selben Interview lobte er auch Adolf Hitler, der „bis zu einem bestimmten Punkt eine nationale Pflicht zu erfüllen hatte“. Nur der Krieg sei ein Fehler gewesen. Am Ende forderte Gaddafi „alle guten Juden (in Israel, Anm.) auf, mit der Auswanderung nach Europa und in die arabischen Länder zu beginnen“ – er wolle sie ja nicht vernichten. Die antisemitischen Ausritte regten im Milieu der Links-Alternativen niemanden auf, ebenso wenig wie Passagen aus Gaddafis „Grünem Buch“ über die Frauen: „Meist zart, hübsch, neigen zum Weinen und Erschrecken.“ Oder Berichte von Säuberungswellen in Libyen, Killerkommandos in Europa und die Unterstützung von Terroraktionen.

Anfang 1986 stand die Zeitschrift vor dem Konkurs. Ein paar Monate später erschien sie wieder, in neuem Layout, in schlichterer Aufmachung, mit einer Verlagsleitung, die nur noch von Libyern besetzt war. Linke Grüne, wie Hannes Hofbauer und Andrea Komlosy, die in Wien ihre Machtbasis hatten, aber im Lauf der Zeit ausgeschlossen oder an den Rand gedrängt wurden, schrieben weiterhin regelmäßig für „MOZ“, auch der links-alternative Ali Gronner, einst Gründungsmitglied der Grünen und Bundesgeschäftsführer der Alternativen Liste Österreichs. 1992 trat er aus.

Gronner war das erste Mal im Jahr 1984 einer Einladung nach Tripolis gefolgt. Insgesamt war er 20- bis 25-mal dort gewesen, zuletzt im Jahr 2004. „Ich bin heute ein ­Zerrissener. Es ist schlimm, dass das ­Regime auf Demonstranten schießen lässt, aber kann man den Medienberichten trauen?“, fragt er.

Er habe bei seinen Besuchen „einen durchwegs guten Eindruck von Libyen gewonnen“, erinnert er sich. Als Oppositioneller dort habe man „sicher kein besonders schönes Leben, aber das hat man auch nicht in der Türkei“. In den späten achtziger Jahren, als unter dem Deckmantel des MOZ-Verlags libysche Geschäftsleute in Österreich beträchtliche Mengen brisanter Chemikalien kaufen wollten, die für Giftgasproduktion hätten verwendet werden können (der Gesellschaftsvertrag der „MOZ“ war inzwischen auf „Export und Import aller Waren“ erweitert worden), waren die frei schwebenden Linksgrünen noch immer nicht von ihrer Revolutionsromantik geheilt. In dieser Zeit wurden in Libyen Schulen und Lehrer abgeschafft. (Gaddafi: „Jeder, der sich berufen fühlt, soll den Kindern was beibringen.“)

Mit der FPÖ nach Tripolis.
Berichte von ­einer Giftgasfabrik in Libyen verwiesen die revolutionären Spinner ins Reich „imperialistischer Propaganda, verbreitet von ­Reagan-hörigen Journalisten“. Den Handel mit Chemikalien fanden sie für einen grün-alternativen Betrieb allerdings auch „mehr als unpassend“, wie es in einem Intern hieß. Jochen Hippler, schon damals Mitarbeiter der deutschen Grünen, schrieb in „MOZ“: „Wenn die Libyer C-Waffen hätten, was wäre so schlimm daran?“

Ihre ideologische Verbohrtheit war bar jeder Vernunft, und doch befanden sie sich gewissermaßen im Mainstream der kaufmännischen Interessen. Bei Geschäften mit Libyen waren auch Gaddafis Gegner nicht wählerisch. Anlässlich der Revolutionsfeierlichkeiten 1989 in Tripolis spielte die Voest-Blasmusikkapelle zu Ehren des Diktators auf. Der ehemalige FPÖ-Bundesgeschäftsführer Harald Göschl begann 1988, Handel mit Libyen zu betreiben, und hielt das „Grüne Buch“ mit dem FPÖ-Programm für „vereinbar“. Der ehemalige freiheitliche Justizminister Harald Ofner folgte einer Einladung Gaddafis zu einer Konferenz. In den Flugzeugen nach Tripolis saßen nun linke Grüne gemeinsam mit freiheitlichen Funktionären, woran sich Gronner heute „mit Schauern“ erinnert.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling