Yoram Kaniuk
Beiträge
Context XXI, Heft 8/2003 — 1/2004

„Wohlsein nach Schandtaten“

Der Antisemitismus der Gruppe 47
Dezember
2003

Wie deutsch waren die Stars der deutschen Nachkriegsliteratur? Als Ingeborg Bachmann 1952 in Niendorf an einer Tagung der Gruppe 47 teilnahm, notierte sie in ihr Tagebuch: „Am zweiten Abend wollte ich abreisen, weil ein Gespräch, dessen Voraussetzungen ich nicht kannte, mich plötzlich denken (...)

Yoram Kaniuk (2008)

Yoram Kaniuk (hebräisch יוֹרָם קַנְיוּק Jōram Qanjūq; geb. 2. Mai 1930 in Tel Aviv; gest. 8. Juni 2013 ebenda) war ein israelischer Schriftsteller, Maler, Journalist und Theaterkritiker.

Im Mittelpunkt seines Schaffens standen das Verhältnis zwischen dem Judentum und Israel und die Auseinandersetzung mit der Shoah. Er galt als Vorläufer der Literatur der «zweiten Generation», in der Kinder von Überlebenden die Traumata ihrer Eltern verarbeiten.[1]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kaniuks Vater, Mosche Itzchak, stammte aus der galizischen Kleinstadt Tarnopol, studierte an der Universität Heidelberg und lebte nach seiner Auswanderung nach Palästina zunächst in Degania Alef. Dort heiratete er. Yoram Kaniuks Mutter kam 1909 als Kind aus Russland ins osmanische Palästina, wurde Lehrerin und Schulinspektorin und verfasste Lehrbücher. Die Eltern zogen in das Kinderdorf Givʿat ha-Moreh in der Jesreelebene, bevor Kaniuks Vater als Sekretär in den Dienst Meir Dizengoffs in Tel Aviv trat. Mosche Kaniuk war erster Geschäftsführer des Tel Aviv Museum of Art. In seinem autobiografischen Roman Das Glück im Exil erzählt Yoram Kaniuk später vom Leben der Eltern und seinen Erfahrungen als Kind zweier gegensätzlicher Charaktere, wobei er vor allem die Mutter als überwiegend kalt und abweisend beschreibt.[2]

Kaniuk verließ im Alter von 17 Jahren das Gymnasium Tichon Hadash in Tel Aviv, um Palmachkämpfer unter dem Kommando Jitzchak Rabins zu werden.[1] Er diente später auf einem Schiff, das Holocaust-Überlebende nach Israel brachte. Er wurde 1948 im Palästinakrieg verwundet und lebte danach zehn Jahre in New York. 1961 kehrte er nach Israel zurück.[1]

Kaniuk veröffentlichte siebzehn Romane, sechs Bände mit Kurzgeschichten und vier Kinderbücher. In Israel blieb seinen Büchern lange der Erfolg versagt, während sie im Ausland in zwanzig Fremdsprachen übersetzt publiziert wurden. Erst in seinen späten Jahren erfuhr er auch in seinem Heimatland Anerkennung als wichtiger Vertreter der hebräischen Gegenwartsliteratur. Die Universität Tel Aviv verlieh ihm im Jahr 2011 die Ehrendoktorwürde.[3]

Sein bekanntester Roman, Adam Hundesohn (1968), erschien 1989 in Deutschland.[4] Er wurde 2008 von Paul Schrader unter dem Titel Adam Resurrected verfilmt. Als Kaniuk an Krebs erkrankte, übernahm der Berliner Nachtklubbetreiber Rolf Eden die Behandlungskosten. «Er hat mir damit das Leben gerettet», erklärte Kaniuk in der 2011 erschienenen Dokumentation The Big Eden.[5]

Zu seinen Lebzeiten verfügte Kaniuk, statt einer Beerdigung seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.[6]

Rechtlicher Status als Israeli[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Mai 2011 reichte Kaniuk eine Petition beim israelischen Innenministerium mit der Bitte um Änderung seines Religionstatus im Pass von «Jude» in «keine Religion» ein. Er begründete dies damit, dass sein Kind und sein Enkelkind jeweils einer jüdisch-christlichen Ehe entstammten und daher den Eintrag «keine Religion» im Pass trügen und er selbst aus Solidarität mit ihnen denselben Status beanspruche.[7] Zudem wolle er nicht Bürger eines «jüdischen Iran» sein und nicht dem angehören, was heute als «Religion Israels»[8] bezeichnet werde. Im Oktober 2011 entschied ein Verwaltungsgericht im Sinne Kaniuks, sodass er fortan zwar als Nationalität die Bezeichnung «Jude» im Pass trug, aber keinen Eintrag in der Rubrik «Religion» hatte. Hunderte Israelis folgten diesem Beispiel. Die Löschung des Eingtrags der Religionszugehörigkeit wird seither in Israel umgangssprachlich als «hitqanjeq» (hebräisch לְהִתְקַנְיֵק ‚sich verkaniuken‘) bezeichnet.[7][9]

Werke (in deutscher Übersetzung)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verfilmungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Yoram Kaniuk: Galizien in Wien. In: Gabriele Kohlbauer-Fritz (Hrsg.): Zwischen Ost und West. Galizische Juden und Wien. Jüdisches Museum der Stadt Wien, Wien 2000, S. 8–20 (Kaniuk über seinen Vater in Wien)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Yoram Kaniuk – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Stefana Sabin: Spiegelgalerie der Ängste – Zum Tod des israelischen Schriftstellers Yoram Kaniuk. In: Neue Zürcher Zeitung. Nr. 131. Zürich 10. Juni 2013, S. 42.
  2. An der Seite der Direktoren Karl Schwarz, Jenő Kolb und zuletzt Chaim Gamzou.
  3. Ehrendoktoren der Universität Tel Aviv
  4. Andreas Platthaus: Eine Ausnahme in seiner Generation. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2013, abgerufen am 12. Juni 2013.
  5. Elmar Krekeler: Geld haben heißt Frauen haben. In: Welt. 8. Dezember 2011, abgerufen am 25. September 2021.
  6. Spiegel-Autor hpi/Agence France-Presse: Gefeierter israelischer Autor: Yoram Kaniuk ist tot. In: Der Spiegel, 9. Juni 2013.
  7. a b Mazal Mualem: Israeli Author Yoram Kaniuk Asks Court to Cancel His 'Jewish' Status – Earlier request to Interior Ministry was turned down, with Kaniuk explaining in his petition that he does not wish to be part of a 'Jewish Iran' or belong to "what is today called the religion of Israel." In: Haaretz. 15. Mai 2011, abgerufen am 31. Juli 2023 (englisch).
  8. Im Hebräischen Bezeichnung für die jüdische Religion; „Israel“ hier im Sinne von „israelitisch“.
  9. Gershom Gorenberg: A Jew of No Religion – An Israeli novelist gets a legal writ of divorce between Jewish ethnicity and religion. In: The American Prospect. 19. Oktober 2011, abgerufen am 25. September 2021 (englisch).