Aghet und Österreich
Als nach 1945 die NS-Verbrechen von der Weltgemeinschaft international verurteilt wurden, gab es viele Initiativen, auch den Völkermord an den ArmenierInnen, der durch die Jungtürken im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges begangen wurde, zumindest als solchen anerkennen zu lassen. Die zumeist armenischen Initiativen führten teilweise auch zum Erfolg. Im Laufe der Jahre haben einige Länder wie Schweden, Italien, Russland, Griechenland, Frankreich und auch das Europaparlament den Völkermord an den ArmenierInnen als solchen anerkannt.
Österreich, welches während des Ersten Weltkrieges immerhin mit den Osmanen verbündet war, verweigert kategorisch die Anerkennung des Genozids. Und das, obwohl die österreichischen Staatsarchive voller zeitgenössischer Zeugnisse von k.u.k. Diplomaten sind. In diesen wird das Massaker minutiös und oft als vorsätzlich geplantes und durchgeführtes beschrieben. Diese hauseigene Beweislast macht es umso unverständlicher, dass die Republik den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts nicht anerkennen will. In Gesprächen mit den Beauftragten des Menschenrechtsausschusses des österreichischen Parlaments waren die VertreterInnen der verschiedenen Fraktionen der Meinung, dass die schrecklichen Ereignisse in den Jahren 1915-1918 im Sinne der UNO Konvention Völkermord waren (SPÖ), dass die Menschenrechtsverletzungen niemals verjähren (FPÖ), aber alle Einwirkungen von Außen kontraproduktiv sind (ÖVP). Man soll nicht in den Vergangenheitsbewältigungsprozess eines anderen Landes (ÖVP), bzw. nicht in die innertürkischen Verhältnisse eingreifen (SPÖ). Nur die Grünen gaben von sich, dass es eine historische Verantwortung Österreichs sei — gerade im Hinblick darauf, dass die Republik der Nachfolgestaat eines Verbündeten der Osmanen ist und somit auch eine bestimmte Rolle gespielt hat —, den Völkermord anzuerkennen.
Wenn wir uns mit den obgenannten Argumenten befassen — das Statement der Grünen ausgenommen —, sehen wir, dass sie nur Ausweichfloskeln sind. Aussagen wie „Die Einwirkungen von Außen sind kontraproduktiv“ oder „in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes nicht eingreifen zu wollen“ können in einer Zeit militärischer Interventionen im Namen der Menschrechte auch nicht anders gesehen werden. Auch damals, 1915, hat man sich in Wien nicht in die inneren Angelegenheiten des Verbündeten einmischen wollen. Und schon damals empfanden gerade jene, die vom Genozid wussten, diese Nichteinmischung als falsch. Im Krieg gab es scheinbar weder Möglichkeit, noch die Macht den Völkermord an den ArmenierInnen aufzuhalten. Was aber sind heute die Gründe, deretwegen Österreich von der Anerkennung des Völkermords Abstand nimmt? Zum anderen Argument, „dass man nicht in den Vergangenheitsbewältigungsprozess eines anderen Landes eingreifen soll“, ist folgendes zu sagen: Es findet ein solcher in der Türkei heute nicht statt! Im Gegenteil, einige türkische HistorikerInnen, wie Tanek Akcam, der seine Dissertation darüber geschrieben und sich auch weiters dazu geäußert hat, mussten für ihr Engagement ziemlich büßen. 1996 erschien in Hamburg sein Buch „Armenien und der Völkermord“, in dem er anhand türkischer Dokumente den Beweis des Völkermordes antrat — inzwischen ist Tanek Akcam in der Türkei in Abwesenheit, nach § 359 des neuen türkischen Strafgesetzbuches, als „Verräter der Heimat“ verurteilt worden.
Eines der Argumente des österreichischen Außenministeriums besagt, dass man „die Schatten der Vergangenheit zerstreuen und die Völker versöhnen soll“. Es können jedoch nicht durch die „Zerstreuung der Vergangenheit“ Probleme gelöst und somit Versöhnung unterstützt werden! Der Völkermord von 1915 hat Auswirkungen auf das Bewusstsein des armenischen Volkes, er ist ein Trauma, und solange dieser Völkermord seitens der TäterInnengesellschaft nicht aufgearbeitet wurde, belastet er jegliche Versöhnungsbestrebungen. Was kann aber der Grund hinter all diesen Scheinargumenten der österreichischen PolitikerInnen sein, die sich mehrheitlich gegen eine Anerkennung des Genozids durch die Republik aussprechen? Liegt es daran, dass Österreich seinen wichtigen wirtschaftlichen und politischen Partner Türkei nicht vergrämen will? Durch solch ein politisches Kalkül in Zusammenhang mit einem Genozid bleiben Begriffe wie Menschenrechte oder Menschlichkeit nur Teile von Phrasen, und Leitsätze wie „Völkermord schonungslos aufzeigen“ oder „Völkermord darf nicht verjähren“ verlieren ihre Glaubwürdigkeit. Aber vielleicht ist die Furcht in der österreichischen Politik, diese heikle Frage zu thematisieren, zu groß.
Selbst Frankreich — wie die Türkei NATO Mitglied — kann seinen türkischen Verbündeten „schonungslos“ auf die nicht erfüllte Geschichtsaufarbeitung hinweisen, den Völkermord an den ArmenierInnen anerkennen, trotz massiven Drucks der türkischen Diplomatie und Öffentlichkeit. Die Türkei kann es sich nicht leisten, allen Ländern und Regierungen gegenüber eine feindselige Politik einzuschlagen, die den Genozid thematisieren. „Wenn wir Französisch verbieten, werden wir dann Englisch verbieten, wenn die USA oder Großbritannien ein ähnliches Gesetzt verabschieden?“ steht sinngemäß in der türkischen Zeitung „Milliyet“. Und von den Versöhnungsphantasien des österreichischen Außenamtes kann noch lange nicht gesprochen werden, trägt doch die nicht gemeinsam aufgearbeitete Vergangenheit auch zur Feindschaft zwischen der Türkei und Armenien und somit zur Instabilität des Südkaukasus bei. Die in Wien angesiedelte OSZE bemüht sich zwar in der Region um Frieden und Stabilität, stößt dabei jedoch immer auf die gleiche Barriere, stößt dabei immer auf den Genozid. Da waren ÖsterreicherInnen aus vergangenen Tagen schon mutiger, wie Franz Werfel mit seinem 1933 veröffentlichten Roman „Die Vierzig Tage des Musa Dagh“. Es gibt immer zahlreicher werdende türkische Intellektuelle, die sich eine Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit ihres Landes wünschen, trotz aller Gefahren und juristischer Hürden, und die es inzwischen geschafft haben, Werfels Roman in der Türkei erscheinen zu lassen. Die Eingliederung der Türkei in die EU hängt unter anderem davon ab, inwieweit die Türkei die Menschrechte respektiert. Nur durch eine erfolgreiche Aufarbeitung der Vergangenheit kann sie ein Zeichen für Demokratie und Rechtsstaat setzen. Somit stellt der Völkermord an den ArmenierInnen gerade diesbezüglich eine Sackgasse dar. Und als Partner der Türkei sollte Österreich mithelfen, einen Ausweg aus dieser Sackgasse zu finden, statt fadenscheinige Ausreden zu produzieren.