Streifzüge, Heft 30
März
2004
2000 Zeichen abwärts

Alles was Recht ist

Der Kaprun-Prozess endete, was im Übrigen nicht unerwartet war, mit Freisprüchen. Niemand ist schuld am Unglück, das über hundertfünfzig Menschen das Leben kostete. Was ebenso nicht unerwartet kam, war der allgemeine Aufschrei; es kann von den Hinterbliebenen nicht akzeptiert werden, dass niemand verantwortlich gemacht und zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Was uns interessiert, ist aber der Grund für diesen Aufschrei: Was ist mit den Leuten geschehen, dass sie nicht mehr ein Unglück akzeptieren können?

Was mit ihnen passiert ist, war die bürgerliche Sozialisation. Hineingeboren in eine Gesellschaft, die im Grunde alles für möglich hält (unter der Einschränkung, es sei ausreichend finanzierbar), aufgewachsen in einer Gesellschaft, die alles herleitbar von Naturgesetzen und daraus abgeleiteten menschlichen Gesetzen hält, tätig in einer Gesellschaft, die ein jedes für den Schmied seines Glücks hält und alle anderen für die Schmiede seines Unglücks, können diese Leute die Katastrophe nur als Verschulden sehen, sei es eigenes oder fremdes, sei es auch nur die mildeste Form der Fahrlässigkeit.

Dass irgendwer an irgendetwas schuld sein muss, namhaft gemacht werden kann und in der Folge zur Rechenschaft gezogen wird, gilt als eine der Errungenschaften der bürgerlichen Vergesellschaftung. Sie hat zwar zum Tod von Monarchen geführt, damit aber sofort auch ihre Beschränktheit aufgezeigt.

Wenn wir nun sehen, wie nach Schuldigen gesucht wird, wenn uns glauben gemacht wird, dies würde der Trauer und Verletzung der Hinterbliebenen ein Ende setzen, was soll das nun für eine Welt sein?

Der Aufschrei, es gäbe keine Gerechtigkeit, das Urteil sei eine Schande, verweist auf zweierlei: auf eine Gesellschaft, die, wenn nur ein guter Grund genannt wird, alles erträgt, was ihr zugemutet wird, und auf eine Gesellschaft, die sich der Sünde der Hybris schuldig macht: die im Wahn lebt, alles sei machbar, jeder Fehler sühnbar und alles Geschick Menschenwerk.

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