Auschwitz ist die Antwort
Dass die Friedensbewegung weniger eine Bewegung des Friedens als viel mehr eine Manifestation des „massenhaften Antiamerikanismus“ — „eng verwoben mit Antisemitismus“ — war und ist, hat Heribert Schiedel in seinem Beitrag „Warum ich auf keine Friedensdemo ging“ differenziert ausgeführt und damit eigentlich alles gesagt. Markus Kemmerling konnte in seiner Antwort die zentrale Aussage von Heribert Schiedel nicht entkräften. Vielmehr zeigt er in seinem Beitrag „Kritisieren, nicht denunzieren“ ungewollt, in welchem Zustand die Bewegung ist: Es fällt kein einziges Argument für die Sinnhaftigkeit der Demos, sondern durchaus Kritik an diesen, und dennoch ertönen lauter Angriffe und Übertreibungen. Wenn nun sogar Menschen, die der Friedensbewegung eigentlich kritisch gegenüberstehen, zu solchen heftigen Reaktionen fähig sind, wie muss es dann erst um die TrägerInnen der Bewegung selbst stehen?
Wie weiters die Weigerung, — in der Frage Irak- Krieg: dagegen oder dafür — Standpunkt zu beziehen, immer noch aufrechterhalten werden kann, wie das in dem Beitrag „Fähnchen im Kopf“ von Günter Hefler zum Ausdruck kommt, ist mir ebenso schleierhaft wie sie mir verwerflich erscheint. Die Fakten sprechen jetzt schon eine zu deutliche Sprache: Der Krieg im Irak ist eine Chance und obwohl wir noch nicht wissen, ob diese auch im Sinne der leidgeplagten Bevölkerung genützt werden wird, steht jetzt schon fest, dass die Menschen im Irak über Husseins Verschwinden froh sind.
„Natürlich hat auch dieser Krieg viel Tote gebracht,“ sagt Nareman Darbandi, Aktivist der PUK, gegenüber der ÖKOLI Wien und bringt damit alles auf den Punkt. „Aber wer spricht von den vielen Toten, die es gegeben hätte, wäre Saddam weiter an der Macht geblieben?“
Für mich war die Frage, ob nun ein Krieg zum Sturz von Saddam Hussein geführt werden sollte oder nicht, von Anfang an eine ziemlich klare Angelegenheit. Nicht nur für die Menschen im Irak war und ist der Krieg eine Chance, sondern auch für die gesamte Region: eine Chance für Israel, für Palästina, eine Chance auf eine veränderte Sicherheitslage und damit auf Frieden im Nahen Osten. Doch dass die Friedensbewegung „auch oder vor allem eine Bewegung gegen Israel“ ist, auch das hat Heribert Schiedel in seinem Beitrag ausgeführt.
Aber abgesehen davon — wie überzeugend ist eine Demonstration gegen den Irak-Krieg, wenn sich ExilirakerInnen daran nicht beteiligen, wenn also jene Menschen, um deren Wohl es vorgeblich geht, für die sich sogar menschliche „Schutzschilder“ mit ihrem Leben einsetzen, lieber zuhause bleiben?
An den Demonstrationen hatte sich einmal mehr gezeigt: Die, um die es angeblich geht, sind gewollter Weise und ungewollter Weise ausgeschlossen. Das passiert regelmäßig hierzulande und ist offenbar noch nie ein Grund gewesen, politische Inhalte zu hinterfragen. Zum Beispiel die Kundgebungen zum 9. November im Gedenken an die Pogromnacht 1938. An der „traditionellen“ Kundgebung am Aspangbahnhof treffen sich alle möglichen Gruppen, jüdische Organisationen sind keine dabei. Auch hier frage ich mich: Wie überzeugend ist eine Kundgebung, die der Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden gedenkt, wenn diese daran nicht teilnehmen? In dem einen Fall fehlt das klare Bekenntnis zur Existenz Israels und die eindeutige Verurteilung islamistischer Terroranschläge, im anderen Fall ein klares Bekenntnis für eine Verbesserung der Situation für die irakische Bevölkerung und eine eindeutige Verurteilung des Diktators Saddam Hussein.
Was hätte das aber bedeutet für die Friedensbewegung, was hätte sie tun, sagen, postulieren müssen, um es exilirakischen Organisationen möglich zu machen, an den Demonstrationen teilzunehmen? Sie hätte wohl ihre Inhalte überdenken und sie letzdich entsorgen müssen.
Und dann ist da noch was. „Wenn die Friedensdemonstrantinnen Krieg in jedem Fall ablehnen, dann wären sie wohl auch dagegen gewesen, dass die USA Europa vom Nationalsozialismus befreien,“ sagt Nareman Darbandi.
Ich kann Amerika nicht hassen. Amerika ist das Land, in dem meine Verwandten in Frieden und Freiheit leben konnten und können, es ist das Land, in dem jüdisches Leben in seiner ganzen Vielfältigkeit existieren, sich entwickeln und verändern konnte und kann. Aber Hauptsache die linken Nachkommen der TäterInnen können Amerika weiterhin hassen, gegen jeden Krieg unter allen Umständen demonstrieren, gedankenlos gegen Israel hetzen oder — die etwas abgemilderte Form von abwehrhafter Geschichtsbewusstseinslosigkeit — eine weinerliche Ich-bin-ja-so-im-Dilemma-Haltung einnehmen.
Das ist ja auch viel einfacher. Denn: Geschichtsbewusstsein bedeutet, Auschwitz eine Relevanz zu geben im Heute und Jetzt, heißt historische Tatsachen wie die sechs Millionen nicht beliebig aus- oder einzublenden, heißt zu erkennen, dass es in diesem Land kein Zuhause gibt, nur eine handvoll vertrauenswürdiger Menschen, heißt Abschied nehmen von Menschen und Gruppierungen, die kein Problem haben, aus Gründen der massenwirksamen Verständlichkeit komplizierte politische Zusammenhänge zu vereinfachen und möglichst viele Menschen zu binden, auch wenn diese Rechtsextreme sind, heißt Abschied nehmen von Menschen und Gruppierungen, mit denen man sich früher wohl zu fühlen glaubte. Auschwitz eine Relevanz zu geben im Heute und Jetzt heißt zu brechen: mit dem Land der TäterInnen und der Kontinuität des Antisemitismus in seinen vielen und ständig neuen Erscheinungsformen. Auschwitz ist kein Reflex. Auschwitz ist die Antwort. Wer von Gewalt(kritik) redet, darf von Auschwitz nicht schweigen.