World Wide Literature
Oktober
1995

Das Wohnen des Sammlers

Sammeln verdankt sich wie Kunst, wie jede produktive Leistung, unter anderem einem Mangel. Das früh Entbehrte kommt als Wunsch nicht zur Ruhe, und wer etwas von dem Vermißten später sich beschaffen kann, muß dennoch nicht daran satt werden.

Ich glaube es nicht, daß jemand beschließt, irgend etwas zu sammeln, ich rede hier allerdings von einem libidobesetzten Sammeln, nicht von einem Anhäufen von (Kunst-)Gegenständen für Ausstellungen oder als Geldanlage und zur Kapitalvermehrung.

So eine einfache und zugleich komplizierte Sache, wie es das Wohnen ist, wird bestimmt von Notdurft (dem Platz für Essen, Schlafen, Schutz vor Hitze und Kälte) bis hin zur ausgetüftelten Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse. Neben der ökonomisch definierten Schiene entscheidet die Psychostruktur des Bewohners, ob er asketisch karg oder in üppiger Fülle wohnt.

Wer in der Kindheit auf eines der beiden Muster geprägt wurde, z.B. von armseligen Dingen beengt gewohnt hat, wird vielleicht als Erwachsener, der es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hat, von schöneren, kostbaren Dingen eingeengt wohnen, und auch die Umkehr (beim Verarmten) ist leicht vorstellbar, daß der einmal von vielen schönen Dingen Umgeben sich dann mit vielen billigen Gegenständen umgeben wird.

Seltener scheint mir das Vertauschen von karg zu üppig und umgekehrt: daß jemand, der an eine karg eingerichtete Wohnung gewöhnt ist, diese sich plötzlich vollräumt.

Gewiß ist: der reiche und selbstbewußte Sammler wird seine Schätze mit Stolz und Vergnügen herzeigen und z.T. in einem Depot lagern, sein Wohnen wird von seiner — geachteten — Sammlertätigkeit nicht beeinträchtigt sein. Der arme Sammler armer Dinge (Bierdeckel, Gläser, Zeitschriften etc.) schämt sich eher seiner Leidenschaft, in seinem Milieu wird ja jede Abweichung rascher verspottet, je kleiner seine Wohnung und je mehr seine Marotte ausufert, umso seltener wird er Leute in seine Wohnung einlassen.

Ich habe Wohnungen von Sammlern kennenlernen dürfen, die so vollgeräumt waren, daß ihre Bewohner nur noch auf engstem Raum sich retten konnten. Ein Maler, der inzwischen Mönch geworden ist und alle seine Schätze dem Kloster vermacht hat, hatte Thonet-Sessel übereinandergestapelt, einige Räume der großbürgerlichen Wohnung voll mit Porzellan, Bildern und edlen, dem Vergammeln preisgegebener Möbeln waren nicht mehr betretbar. Ein Büchersammler, ein kauziger alter Musiker, hatte sich ebenfalls auf ein Zimmer zurückgezogen und konnte zwischen seinen Zeitschriften und Bücherstapeln nur noch sehr reduziert hausen, gegessen wurde in der Wohnung seiner Ex-Frau oder im Lokal.

Eine Sammlerin von Jugendstil und Art deco stapelt ihre Schätze in die Höhe, ißt mit ihrem Lebensgefährten in einem kleinen Eckchen in der Küche, um beim Schnitzelschneiden mit den Ellbogen nicht eine Gallé-Vase umzustoßen, und hält sich vornehmlich bei Tandlern, auf Flohmärkten und in Gasthäusern auf.

Warum nehmen Menschen, die beim Einkaufen ihre libidinösen Höhepunkte haben, durch Vollstopfen ihrer Wohnungen solche Unbequemlichkeiten in Kauf? Vieles Gekaufte wird, meine ich, aus Trägheit behalten, nicht weil das einmal Angeschaffte eine permanente Lustquelle darstellt.

Die Depressiven, die unter Sammlern häufig anzutreffen sind, trösten und erfrischen sich mit einem neuen Kauf und lassen das Gekaufte liegen wie unerledigte Briefe und anderes.

Der planvolle, zwänglerische Sammler, der irgendwelche Komplettierungen sich imaginiert, den vollständigen Zeitschriften-Jahrgang, das Kaffee-Service, das sechste Stamperl, den zweiten Band, etc., stillt sein Begehren am Fund des fehlenden Stückes, das ihm eine klargefügte Ordnung verheißt.

Ich zähle mich selbst zu den unechten Sammlern, denen es ums Finden und Kaufen geht.

Oft habe ich schon am Heimweg vom Tandler, mit meinen Schätzen im Plastiksackl, Zeitschriften oder Halstücher an zufällig begegnende Bekannte verschenkt, nur von wenigen Hüten, Kleidern, Schmuckstücken fiele es mir schwer, mich zu trennen. Da ich aber ungleich mehr einkaufe, als ich abgebe, hat sich sowas wie eine chaotische Sammlung — wie von selbst — gebildet. Sammlungen wachsen wie Hühneraugen, irgendeinen Schmerz oder Druck mildernd/abpolsternd, die Verlegenheit, mit der ein Sammler seine Wohnung einem vermeintlich gesunden Nichtsammler präsentiert, ist echt und heuchlerisch zugleich. Einmal ist es peinlich, ein nicht allgemein akzeptiertes Suchverhalten (wie es Alkoholtrinken oder Kartenspielen ist) dem sogenannten Gesunden einzubekennen, heuchlerisch das Jammern über den Mangel an freiem Bewegungsraum, nicht weil er dem Sammler so sehr abgeht, sondern weil man einer allgemeinen Auffassung, daß man dergleichen zu beklagen hätte, Tribut zahlt.

Das Entsetzen des Gastes vor seiner vollgehängten Behausung, einem mit Papieren und Büchern über und über belegten Eß-, Lese-, Arbeitstisch, glaubt man verbal beschwichtigen zu müssen, daß man schon all das Angesammelte aufzuräumen und zu reduzieren sich vorgenommen hat. Neben der Beruhigung des Besuchers will man sich nicht als völlig meschugge präsentieren und vielleicht gar noch einbekennen, in diesem scheinbaren Chaos ohnedies alles Wichtige zu finden, und — was der größte Skandal ist — sich in all der Kramuri auch noch wohl zu fühlen.

Ebenfalls schwer fällt es mir, Papier wegzuwerfen, solange es nicht beidseitig vollgekrakelt ist. Als Kind und Jugendliche habe ich die im Haushalt zu findenden Schmierpapiere, Rechnungen, Briefe, Kuverts mit Zeichnungen bedeckt — im Krieg war Papier nicht im Überfluß verfügbar — und obgleich ich jetzt froh bin, wenn ein Text endlich maschinengeschrieben da ist und die Handschrift weggeworfen werden kann, bleiben Zwischenstufen, Angefangenes, Briefe, die ich begonnen, aber nicht fertiggestellt habe, noch zu beantwortende Briefe, Zeitungsausschnitte etc. noch lange in seitlich aus- und abrutschenden Stößen liegen, in denen sich auch mitunter Bücher und Zeitschriften versteckt haben, die anläßlich größerer Suchaktionen ein Abtragen und Umschichten erforderlich machen.

Freilich kostet dieses Suchen Zeit und Kraft und ist lästig, die größeren Probleme haben meine seltenen Gäste mit den Anblicken des Chaotischen, mit dem sie sich vermutlich selbst im Kampf befinden, schwankend, wieviel sie sich gestatten sollen, davon zuzulassen.

aus KLEIDERFLUG (Edition SPLITTER)