MOZ, Nummer 51
April
1990

Der 12. Mai

Stellen wir uns vor (ich schreibe diesen Kommentar am Tag vor den DDR-Wahlen), die SPD (Ost) bietet der Allianz Ost (Demokratischer Aufbruch, DSU, CDU) ein ‚Bündnis der nationalen Verantwortung‘ an, eine grosse DDR-Koalition. Vielleicht wird, zum Zwecke der Spaltung und Teilbefriedung der Opposition, das Angebot auf den rechten Flügel des Neuen Forums erweitert. Die SPD (West) will nicht, daß die SPD (Ost) allein für die absehbaren Schweinereien in der (noch) existierenden DDR verantwortlich ist: Massenarbeitslosigkeit, Rücknahme der Bodenreform und Kapitalisierung staatlichen und genossenschaftlichen Bodens, Demontage sozialer Sicherheiten, knüppelharte Repression gegen Widerstand innen, Beteiligung an imperialistischen Raubzügen in aller Welt (eine wesentliche Bedingung des ersehnten BRD-Reichtums).

Das Modell Ost könnte, einige Voraussetzungen in der BRD sprechen dafür, die Vorbereitung für ein vergleichbares Modell West sein: eine große Koalition von SPD und CDU, Lafontaine würde zwar auf die gesamtdeutsche Kanzlerschaft verzichten, die aber ist ihm sowieso nicht sicher. Die SPD wäre endlich wieder in der Regierung, dorthin, wo es sie mit Brandts HurraNationalismus und Lafontaines liebevoller Rücksichtnahme auf Kapitalinteressen so hemmungslos zieht. Würden statt der geplanten Bundestagswahlen gleich gesamtdeutsche Verhältnisse geschaffen, ob über die direkte Annektion der DDR nach §23 Grundgesetz (Beitritt) oder über das Konstrukt einer ach so demokratisch scheinenden verfassungsgebenden Versammlung als einem Zwischenschritt, wäre noch ein Problem erledigt: alle Oppositionsgruppen in West und Ost gerieten unter die 5% Hürde. Einzige Freude vielleicht: die FDP auch. Ein strammer deutscher Marsch ins Zwei-Parteien-System. In den USA hat das die Linke bis zur Unwirksamkeit parzelliert.

Die Bedrohten jedoch scheinen sich ihrer Bedrohung kaum bewußt. Haben sie doch Schwierigkeiten, herauszufinden, wozu sie überhaupt noch gebraucht werden. Ein Teil der Linken und GRÜNEN benutzt das angebliche Scheitern des realen Sozialismus, der keiner war, sondern ein nicht-kapitalistischer Zustand, sich erleichtert in die bürgerliche Anpassung zu unterwerfen und damit das barbarischste System zu unterstützen, das gegenwärtig Mensch und Natur malträtiert, den Kapitalismus. GRÜNE Realos melden aus der DDR stolz Vollzug: es sei gelungen, den GRÜNEN in der DDR jeden „linken Bazillus“ auszutreiben. Massivste Einmischung, gezuckert mit Personal Computern und anderer materieller Hilfe, denunzierte jeden Bündniseinsatz mit anderen linken Gruppen, außer den Frauen.

Skrupellos machen sich „Realos“ und „Aufbruch“ (um Ralf Fücks und Antje Vollmer) in einem nun offen eingestandenen Machteroberungsbündnis in den bundesdeutschen GRÜNEN daran, auch die restlichen Linken aus der Partei auszugrenzen. In Hamburg gründen ihre Anhänger einen GRÜNEN Spalter-Landesverband gegen den Landesverband der GRÜNEN, die GAL. Einigen Realo-AbgeordnetInnen der GAL mißfiel ein Mitgliederbeschluß für die Unabhängigkeit der DDR. Auf der nächsten Bundesversammlung soll das miserabelste Wahlprogramm aller GRÜNEN Zeiten durchgesetzt werden: keine NATO-Kritik, keine radikale Ökologie-Position, kein Konflikt mit dem Kapital, keine sofortige Stillegung aller Atomanlagen.

Realos und Aufbruch haben keine andere Perspektive mehr als rosa-grüne Regierungsbeteiligung um jeden Preis, und damit haben sie tatsächlich überhaupt keine Perspektive mehr. Die objektiven Voraussetzungen für rosa-grün sind erledigt.
Die SPD braucht DIE GRÜNEN nicht mehr für eine Regierungsmehrheit. Dafür gibt es längst wieder die FDP oder die große Koalition. Zentrale Punkte ihrer politischen Existenzberechtigung haben DIE GRÜNEN selbst aufgegeben: die Parteilichkeit für die Erniedrigten und sozial Verelendeten und politisch radikale Ökologie zum Beispiel. Und DIE GRÜNEN selbst haben auf die SPD hin fehlorientiert und dieser eine erneuerte Legitimation verschafft. Je mehr DIE GRÜNEN in den kommenden Monaten in eine existenzielle Krise geraten werden, desto mehr wird es die Bereitschaft prominenter Realos geben, sich persönlich zu retten: Schilys Freundeskreis in der SPD wird größer werden.

Während also der Imperialismus trunken vor Begeisterung Siege feiert, während die Vernichtung der ökologischen Grundlagen menschlicher Existenz die nächste Stufe erreicht, während das Leben für Millionen Menschen kein bißchen Würde und Glück verspricht und sich immer mehr vor Hunger, Ausbeutung und Vernichtung auf der Flucht befinden, ist die gesamtdeutsche ökologische Linke sich selbst ihr bester Feind. DIE GRÜNEN, das wichtigste politische Projekt der Opposition seit vielen Jahren, werden in der Hauptsache von innen zerstört. Die bundesdeutsche Radikale Linke, vorsichtiges Forum zur Diskussion autonomer, feministischer, linker GRÜNER, sozialistischer und kommunistischer Positionen, bräuchte vermutlich noch zwei Jahre, bis sie ein qualifiziertes Forum sein könnte. In der DDR üben sich — nach jahrzehntelanger Einheitspartei-Herrschaft vielleicht verständlich — fast alle RadikaldemokratInnen, ÖkologInnen, FeministInnen in Ausdifferenzierung.

Eine paradoxe Situation: Schwäche und Zersplitterung in der Zeit der Umwälzungen und Weichenstellungen. Lieber Fehler machen, denke ich, als nicht zu intervenieren und erst Jahre später spitzfindig festzustellen, was getan hätte werden müssen.
Etwas Hoffnung gibt es doch: über alle eigenen Probleme hinweg riskiert ein breites Bündnis von linken GRÜNEN, Autonomen, Feministinnen, „3. Welt“-Gruppen, Friedensinitiativen, GewerkschafterInnen, SozialistInnen und KommunistInnen am 12. Mai 1990 in Frankfurt (West) eine bundesweite Demonstration gegen den wabbernden chauvinistischen Zeitgeist unter der provokativen Parole „Nie wieder Deutschland“. Aufrufe sind über die Autorin zu bestellen: Neuhofstr. 42, 6000 Frankfurt am Main 1, BRD. Auch ÖsterreicherInnen sind herzlich willkommen!

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