Die Kinder welcher Revolution?
Als im Juli 1999 die Proteste gegen das islamische Regime des Iran ihren Höhepunkt erreichten, wurde deutlich, dass die ReformerInnen unter Präsident Khatami die hohen Erwartungen, die seitens der iranischen Bevölkerung an sie gestellt wurden, nicht erfüllen konnten oder wollten. Was war passiert?
Nachdem ein Artikel in der Tageszeitung Salam erschien, der die Pläne zur Einschränkung der Pressefreiheit öffentlich machte, kam es zu Maßnahmen seitens der konservativen Justiz gegen JournalistInnen. Proteste, ausgehend von der Universität Teheran, erschütterten das Land. Diese Proteste befanden sich anfangs noch im Einklang mit den reformorientierten Kräften auf den Regierungsbänken. Sie richteten sich hauptsächlich gegen die Konservativen, die auch die Justiz beherrschen. Als am 9. Juli eine paramilitärische Einheit mit Hilfe der Polizei ein StudentInnenheim stürmte, mindestens einen Menschen tötete, zwanzig verletzte und Hunderte verhaftete, erreichten die Proteste ihren Höhepunkt und es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den DemonstrantInnen auf der einen und den Sicherheitskräften und islamistischen Schlägertrupps auf der anderen Seite. Es waren die größten Unruhen im Iran seit der Revolution 1979. Am 13. Juli trat Mohammad Khatami vor die Fernsehkameras, um die Proteste als aus der Bahn gelaufen zu denunzieren und zur Ordnung aufzurufen.
Als Khatami 1997 zum Präsidenten gewählt wurde, hätten sich darüber nicht nur ReformerInnen freuen können. Er schien angesichts der politischen, sozialen und ökonomischen Krisen, die das Land erschütterten, genau der Richtige, um zu verhindern, dass der islamischen Republik und ihrer politischen Klasse nur mehr Hass aus der Bevölkerung entgegenschlägt. Mit einer Politik der Zurücknahme von Repressalien konnte er auch etwas zur Befriedung des Landes beitragen. Seine Versuche wurden aber regelmäßig von den Hardlinern, die sich unter dem Revolutionsführer und Staatsoberhaupt Ayatollah Khameini versammeln, torpediert. Bei den Präsidentenwahlen 2001 wurde Khatami mit rund 70% der Stimmen wiedergewählt. Und auch bei den Wahlen zum Majles, dem iranischen Parlament, konnten sich die reformorientierten KandidatInnen durchsetzen. Doch die Hoffnung, die viele Menschen in Khatami setzten, ist heute weitgehend geschwunden. Bei den Regionalwahlen im Februar dieses Jahres in Teheran gewannen KandidatInnen, die den Konservativen nahe stehen. Die Wahlbeteiligung lag zwischen 5% und 10%. Die islamische Republik ist nicht reformierbar.
Noch einmal: Ça ira!
Der 9. Juli, der seitdem zu einem Symbol für den Willen der iranischen Jugend zur Veränderung, aber auch für die brutale Repression des Regimes geworden ist, jährte sich heuer zum vierten Mal. Und das unter dem Zeichen einer sich neu formierenden Protestbewegung, die sich im Juni dieses Jahres anlässlich der geplanten Teilprivatisierung der Universitäten wieder sichtbar machte. Den Leuten, die sich den Protesten anschlossen, geht es aber um mehr als 1999. Sie fordern nichts weniger als die Abdankung der Mullahs und das Ende der islamischen Republik.
Angekündigte Revolutionen finden bekanntlich selten statt. Ein friedlicher Transformationsprozess ist auch nicht zu erwarten. Die Mullahs werden nicht freiwillig gehen, und je mehr sich ihr Kampf gegen den eigenen Untergang in die Länge zieht, desto höher wird auch der Preis für ihre GegnerInnen. Bei den Protesten im Juni kam es wieder zu brutalen Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte und islamistischer Schlägertrupps. Diese Gruppen stehen verschiedenen konservativen Mullahs nahe. Die bekannteste Gruppe unter ihnen ist die Ansare Hisbollah Miliz, die StudentInnen und andere DemonstrantInnen mit Ketten und Messern bewaffnet von Motorrädern aus attackiert. Es kam erneut zu Überfällen auf Heime, um die Studierenden einzuschüchtern und in die Gefängnisse zu werfen. Berichte sprechen von schweren Zusammenstößen und über 4000 Verhafteten. Zahlen über Verletze oder Tote gibt es nicht.
Ein Hauch von 68
Die Generation, die diese Proteste trägt, stellt ca. die Hälfte der iranischen Bevölkerung. Sie hat nie etwas Anderes gesehen als den Gottesstaat, ist durchgehend ein Produkt der islamischen Republik. Diese Jugend wurde mit beachtlichem Terror dazu erzogen, die islamische Revolution weiterzuführen. Sharham Khosravi („Moderne Revolte im Iran“) charakterisiert das folgendermaßen: „Der Grundsatz dieser neuen islamischen Gesellschaftsordnung war die Selbstverleugnung des Individuums. Das Ich wurde der Kollektivität geopfert. Märtyrerschaft wurde ein ehrenwertes Ziel für Jugendliche, während man ihr weltliches Leben dämonisierte — insbesondere verneinte man das Recht des Individuums auf seinen Körper und seine Sexualität.“
Dies ging vor allem zu Lasten der Frauen, die deswegen auch eine wichtige Rolle in der Oppositionsbewegung innehaben. Immerhin sind 60% der Studierenden weiblich, und sie treten trotz verschärfter Repressalien immer selbstbewusster auf.
Die Absicht des Regimes, die Jugend vom „verderblichen Einfluss des Westens“ fernzuhalten, ist aber dank neuer Kommunikationsmöglichkeiten nicht aufgegangen. Der Schmuggel von Videos, Satellitenschüsseln und Alkohol blüht, darüber hinaus sorgt das Internet für Informationsalternativen. Der Iran ist vielleicht der einzige Ort der Welt, wo westliche Popkultur den Schein der Subversivität zu Recht trägt. Sie dient als Bekenntnis zu einem Leben, das für die Mullahs schlicht eine Provokation ist. Selbst die langen Haare tauchen bei vielen Studenten als Symbol des Widerstands auf.
Revolte oder Resignation?
Zeit ihrer Herrschaft wollen die Mullahs alles verbieten, was irgendwie Spaß machen könnte. Selbst Lachen gilt als verdächtig. Es gilt, jede Situation zu vermeiden, die zu unislamischen Taten führen könnte. Lebensfreude und Körperlichkeit waren schon immer Feinde der Religion. Unter Khatami kam es zu einer teilweisen Liberalisierung in der Handhabung der strengen Sittengesetze, die eine Sünde zum Verbrechen machen und drakonisch bestrafen. Auch die Revolutionswächter, die Pasteran, in deren Aufgabenbereich das Vorgehen gegen unislamisches Verhalten fällt, sind aus dem Alltag der Städte verschwunden. Viele munkeln: „Die haben Angst!“ Kontrollen erfolgen nur mehr nach Art von Polizeirazzien.
In einem Klima, das jeden sinnlichen Genuss verwirft, kommen durch die anhaltende Wirtschaftskrise für viele auch noch massive materielle Sorgen hinzu. Ein Leben in Sitte, wie sich dass die Mullahs vorstellen, ist schon unter guten ökonomischen Bedingungen kaum auszuhalten. Der Druck auf die Individuen selbst ist ungeheuerlich. Sie stehen oft vor der Wahl: Revolte oder Resignation? Viele wählen zweiteres. Alleine in Teheran begehen jährlich zwanzigtausend Menschen Selbstmord.
„Regimechange“ auf amerikanisch?
Vor allem nach dem Fall der Taliban rechneten viele IranerInnen mit einer Intervention der USA. Als das Baath-Regime im Irak fiel, hieß es schon, dass die Zeit der Mullahs abgelaufen sei. Dem ist noch nicht so, auch wenn die Uhr tickt. Die USA denken im Moment jedenfalls nicht an einen Militärschlag. Ihre favorisierte Strategie ist ein „Regimechange“ mit friedlichen Mitteln. So formulierte es Richard Perle jedenfalls gegenüber arabischen Journalisten im Februar.
Das iranische Regime fühlt sich bedrohter als je zuvor. Der „große Satan“ USA hat seine Truppen schon östlich und westlich der Grenze in Stellung gebracht. Der iranische Verteidigungsminister Ali Shamkhani kündigte eine neue Sicherheitsdoktrin an. Die Iraner sollten sich nur mehr auf sich selbst verlassen, vor allem was die Rüstung angeht. Mit der Anfang Juli abgeschlossenen Entwicklung der Boden-Boden Rakete Shahah 3 ist ein Schritt in diese Richtung getan worden. Die Rakete, die mit nordkoreanischer Hilfe entwickelt wurde, hat eine Reichweite, in der auch Israel liegt. Dieses sorgt sich entsprechend, schließlich ist der Antizionismus der islamischen Republik offiziell. Die Porträts der Revolutionsführer, die die Straßen schmückten, wurden schon vor Jahren durch die von palästinensischen „Märtyrern“ ersetzt.
Shamkhani stellte auch fest, dass zur Sicherung des Iran konventionelle Waffen nicht ausreichen werden. Die Existenz eines Programms zur Entwicklung von nuklearen Waffen wird aber von der Regierung geleugnet.
Was den Iran angeht, sind noch viele Fragen offen: Wann kommt der Umsturz, wie wird er aussehen, was kommt danach? Eines scheint aber sicher: Am Tag der Befreiung gibt’s Party in Teheran!