Internationale Situationniste, Numéro 12
 
1977

Die Praxis der Theorie

Wie die Rocker sich politisieren

Im November und Dezember 1967 sind Debord, Vaneigem und Viénet mehrmals von der Kriminalpolizei wegen Vaneigems Comix verhört worden, von denen zwei Bilder in der S.I. Nr. 11 zu sehen waren. Sie haben zugegeben, sie seien deren Verfasser und Verleger und sie hätten deren Verbreitung und Anschlagung organisiert. Anscheinend hatte sich die Staatsanwaltschaft wegen einiger Anleitungen zum Diebstahl, zur Kuppelei, zum Aufruhr und zum Mord (der „Führenden“), die in den Aussagen und Handlungen der Personen dieser kurzen Comix zu finden waren, aufgeregt. Dieses ziemlich neuartige Pressevergehen ließ auf einen außergewöhnlichen Prozess hoffen, aber letzten Endes ist die die Tatsachen begründende Untersuchung nicht benutzt worden — ohne dass wir den Grund dafür erfahren hätten —, um die Verantwortlichen dem Gericht zu übergeben.

Ohne danach suchen zu wollen, ob die betreffenden Anregungen mehr oder weniger gewirkt haben, soll darauf hingewiesen werden, dass Vaneigems Comix, die in verschiedenen Ländern — besonders in England, den Vereinigten Staaten und Schweden — übersetzt, neuaufgelegt und breit veröffentlicht wurden, sechs Monate später in Frankreich selbst eine beachtliche Nachkommenschaft haben sollten, als einige CMDO-Genossen wiederum dieses Ausdrucksmittel wählten. Wie bekannt sind danach zahlreiche Comix mit revolutionärem Inhalt von verschiedenen autonomen Gruppen veröffentlicht worden. Die 1967 von R. Viénet in dieser Zeitschrift vorgelegten Thesen sind seither völlig durch die Presse bestätigt worden, was alle die darin berücksichtigten Agitationsmittel betrifft, mit der bis heute geltenden Ausnahme des Films.

Attrappen (Fortsetzung)

Es gibt jetzt so viele Leute, die privat versucht haben, sich als S.I.-Mitglied auszugeben, dass wir darauf verzichtet haben, die Namen von allen aufzuzählen, auf die wir aufmerksam gemacht worden sind. Die Liste würde zu lang und trotzdem unvollständig sein; sie könnte sogar dazu benutzt werden, die authentisch erscheinen zu lassen, die nicht namentlich in ihr genannt werden. Uns genügt es, darauf hinzuweisen, dass es in Frankreich keinen Situationisten außerhalb von Paris (und vor allem nicht in Strassburg) gibt. In Paris selbst ist es wirklich nicht schwer, im Bilde zu sein, schon allein wenn man keine große Lust verspürt, getäuscht zu werden, oder eine außergewöhnliche Urteilskraft hat.

Etliche Leistungen falscher Situationisten sind übrigens mit größerer Wahrscheinlichkeit einfach völlig erdichtet bzw. von ihren vermeintlichen „Opfern“ aus irgend etwas aufgebaut worden. So ging z.B. im Juni 1968 das Gerücht um, dass ein Professor namens Jankélévitch erklärte, er habe einen sehr beleidigenden, von der S.I. unterzeichneten Brief erhalten. Wir müssen zugeben, dass wir das Werk und die Existenz eines so bedeutenden Philosophen wie Professor Jankélévitch fast vollständig ignorieren. Wir haben ihm nie geschrieben, und wir werden ihn höchst wahrscheinlich weiter nicht lesen. Vielleicht möchte er gegenüber seinen Studenten modern genug sein, um auch von den Situationisten beschimpft zu werden. Dafür können wir aber nichts. Keine Favoriten!

Verschiedene Schrumpfköpfe der aktuellen Pleite der modernistischen literarischen Kreise — und besonders Marguerite Duras — haben zu gleicher Zeit behauptet, es seien „Situationisten“ zu ihnen nach Hause gekommen, die sie stolz um 100 Francs gebeten hätten, um ihre revolutionäre Aktion zu unterstützen. Kein vernünftiger Mensch kann einen einzigen Augenblick daran glauben, dass die Situationisten je für ihre Finanzierung gesorgt haben, indem sie Zigarettenstummel auflesen — und noch dazu von Leuten, die sie verachten.

Was den „argumentistischen“ Philosophen Kostas Axelos betrifft, soll er in seinem Wohnsitz von vier, sieben und sogar fünfzehn situationistischen Rockern (die Zahl ist variabel) terrorisiert und schließlich ausgeraubt worden sein. Nachdem er den wilden Streich dieser Verbrecher überall erzählt hatte, hat er uns diese „Umtriebe faschistischer und stalinistischer Art“ sogar schriftlich vorgeworfen. Dieser Philosoph schreibt uns ja gern. Wie üblich haben wir mit einigen Beschimpfungen und der Versicherung geantwortet, wir wollten seinen Verleumdungsbrief veröffentlichen. Vermutlich sah Axelos ein, dass wir nicht bei dieser Veröffentlichung bleiben würden: auf jeden Fall schrieb er uns wieder und bat uns, seinen vorherigen Brief mit dem Vorwand nicht zu veröffentlichen, er könnte einigen seiner Freunde und ihm selbst bei einem Streit schaden, den diese mit Leuten haben, die gewiss schlimmer als Axelos seien. Obwohl wir dieses Argument für sehr wenig überzeugend hielten, wollten wir uns nicht den geringsten Anschein geben, diesem Menschen auf diesem Gebiet geschadet zu haben. So werden unsere Leser leider die pittoreske Beschwerde des Philosophen nicht genießen können.

Einige Leute sollen geglaubt haben, dass Hubert Tonka, der im Juni 1968 die Fiktion der entfremdeten Kontestation betitelten Comix beim Verlag Pauvert veröffentlicht hat, ein Situationist sei. Dieses Modewerkchen beansprucht natürlich, eine Parodie zu sein, obwohl das Talent die Absicht bei weitem nicht fördern konnte. Obwohl Tonka überhaupt keine Beziehungen zur S.I. hat, wäre es trotzdem ganz und gar unlogisch, daraus zu folgern, dass er sich an den Verfolgungen beteiligt hätte, über die sich Kostas Axelos beklagt.

Was ist ein Situationist?

Angesichts des auffallenden, wenn auch nicht wirklich überraschenden immer größer werdenden Interesses für die S.I., müssen wir jetzt den Sinn genauer bestimmen, der dem Wort „Situationist“ gegeben werden kann, wobei wir die in den zwei letzten Jahren festgestellte Entwicklung berücksichtigen.

Zunächst ist derjenige ein Mitglied — im vollen und genauen Sinne des Wortes — der S.I., der an allen Beratungen und Entscheidungen dieser Organisation teilnimmt und folglich die allgemeine Mitverantwortlichkeit für sie persönlich übernimmt.

Andererseits kann von einem Individuum gesagt werden bzw. es kann selbst sagen, es sei ein „Situationist“, insofern es unsere theoretischen Hauptpositionen billigt; oder weil es sich wegen seines persönlichen Geschmacks unserem Ausdrucks- und Lebensstil näher fühlt oder weil es einfach an Formen des subversiven Kampfes teilgenommen hat, die grob und äußerlich von verschiedenen Beobachtern so bezeichnet werden mögen.

Beide Sinne — der genaue wie der weite — können korrekt gebraucht werden, unter der ausdrücklichen Bedingung, dass man keine Verwechslung unter ihnen entstehen lässt. Diejenigen, die keine S.I.-Mitglieder sind und glauben lassen wollen, dass sie welche sind, können von ihrer Umgebung nur schnell als Verdächtige behandelt werden. Was alle anderen betrifft, die irgendwo auf der Welt keine praktische, zusammen mit der S.I. organisierte Arbeit verrichten, so können diese „situationistischen“ Revolutionäre nichts Besseres tun, als für sich selbst (folglich für die aufkommende proletarische Bewegung) das zu behalten, was sie als Perspektive und Methode bei uns billigen und nicht allzu oft auf uns Bezug zu nehmen, sondern uns im Gegenteil ein wenig zu vergessen.

Die letzten Ausschlüsse

Am 21.Dezember 1967 sind Timothy Clarke, Christopher Gray und Donald Nicholson-Smith genau zu der Zeit aus der S.I. ausgeschlossen worden, als sie dabei waren, in England eine Zeitschrift herauszugeben und dort mit der Gruppentätigkeit zu beginnen (einige Monate vorher hatte sich Charles Radcliff aus persönlichen Gründen zurückgezogen).

Die Meinungsverschiedenheiten, die bei allen anderen Punkten nicht vorhanden oder zumindest unbemerkt geblieben waren, haben sich plötzlich nicht daran entzündet, was in England gemacht wurde, sondern an der Frage der Beziehungen und der möglichen Aktion der S.I. in den Vereinigten Staaten. Vaneigem war im November als Delegierter aller Situationisten nach New York gegangen und er hatte dort sein Mandat genau erfüllt, indem er unter anderem mit den Genossen diskutierte, mit denen wir — nach Meinung aller und insbesondere der Engländer — die am weitesten entwickelten Kontakte hatten und die seitdem unsere amerikanische Sektion gebildet haben. Vaneigem weigerte sich, mit einem gewissen Ben Morea, dem Verleger des Black Mask-Bulletins, zusammenzukommen, mit dem unsere amerikanischen Genossen über so gut wie alle Fragen der revolutionären Aktion in Konflikt geraten waren und dessen intellektuelle Ehrlichkeit sie sogar bezweifelten. Außerdem musste Vaneigem schon ein weiteres Gespräch mit einem gewissen Hoffmann ablehnen, der ihm gegenüber die Basisbanalitäten mystisch interpretierte und zu dieser Zeit der Hauptmitarbeiter von Morea und seiner Veröffentlichungen war: gerade wegen dieser ungeheuerlichen Einzelheit entschloss sich Vaneigem dazu, nicht einmal die Gesamtheit unserer Meinungsverschiedenheiten mit Morea zu diskutieren. Bei seiner Rückkehr nach Europa schien alles ganz klar zu sein, aber Morea schrieb an die Londoner Situationisten und beklagte sich, er sei bei Vaneigem verleumdet worden. Auf die genaue Sachlage wurde dann kollektiv geantwortet — sogar auf Ersuchen der englischen Genossen, die es gewissenhaft genau nehmen, indem sie von der ziemlich unwahrscheinlichen Voraussetzung ausgingen, Morea sei nicht genügend informiert gewesen. Jedoch nahmen die Engländer an, dass es die letzte Antwort sein würde, die wir an Morea schreiben könnten. Dieser schrieb aber noch einmal an alle, es seien nur falsche Vorwände und der Konflikt liege woanders: er beschimpfte unsere New Yorker Freunde und beanstandete diesmal Vaneigems Aussage. Trotz ihres ausdrücklichen Versprechens antworteten die Engländer Morea noch einmal, dass sie jetzt überhaupt nicht mehr verstehen würden, was los sei, und „jemand“ müsse also lügen. Gegen Morea wurden sie immer nachsichtiger und gegenüber unseren amerikanischen Freunden immer misstrauischer und sogar gegenüber Vaneigem, obwohl sie das nicht zugeben wollten. Dann haben wir die drei Engländer dazu aufgefordert, diese öffentlich verbreitete, beleidigende Unsicherheit wieder gut zu machen, und mit dem Fälscher und seinem Mystiker unverzüglich zu brechen. Sie akzeptierten dies zwar prinzipiell, lavierten dann aber und weigerten sich schließlich, praktisch zu handeln. Dann mussten wir mit ihnen brechen. Innerhalb von drei Wochen hatte diese Diskussion zu zwei Treffen in Paris und London, sowie zum Austausch von ungefähr zwölf langen Briefen geführt. Wir hatten etwas zu viel Geduld gehabt, das aber, was zunächst ein überraschend langsamer Gedankengang zu sein schien, stellte sich immer ernstlicher als ein Wille zur Verschleppung heraus, dessen Ursache nicht herauszubekommen war. Bis zum Ausschluss der Engländer ging die Diskussion jedoch nie über die hier dargelegten Einzelheiten hinaus und über die Frage der Methode, die sich auf so sonderbare Weise aufwarf, über die S.I.-Solidarität und die Gründe, die für unsere üblichen Ausschlüsse ausreichen (denn die Engländer haben niemals geleugnet, dass Morea sich mit einem schwachsinnigen Mystiker eingelassen habe.). Später kam Gray einmal in New York vorbei und erzählte jedem, der ihm zuhören wollte, mit trauriger Miene, seine totgeborene Gruppe habe das revolutionäre Projekt in Amerika von einer ärgerlichen Verständnislosigkeit der kontinental europäischen (und sogar der amerikanischen) Situationisten retten wollen, indem sie sich so direkt um Amerika kümmerte. In England selbst hätten diese Genossen das Gefühl gehabt, sie seien nicht genug geliebt worden. Sie hätten nicht gewagt, es zu sagen, sie hätten aber unter dem Mangel an Interesse der kontinentalen Situationisten für das, was sie machen wollten, gelitten. Man hätte sie in ihrem von allen Seiten mit Wasser umgebenden Land der Isolierung preisgegeben. Nach der Diskussion trat ein „theoretischer“ Grund hervor: da England einer revolutionären Krise viel näher stehe als das Festland, hätten sich die „festländischen“ Theoretiker darüber geärgert, dass „ihre“ Theorien anderswo verwirklicht werden müssten. Der Witz an der Sache ist, dass diese Art von historischem Gesetz des angelsächsischen Revolutionarismus sich schon fünf Monate später als falsch erweisen sollte. Immerhin hatte diese Kritik post festum neben ihrem komischen Wert einen etwas gemeinen Inhalt: diese „festländischen“ Theoretiker sollten also von einer Revolution „bei ihnen“ irgendeine Gelegenheit erwarten, sich selbst in der Regierungssphäre einzurichten, um sich derart darüber zu ärgern, dass „ihre“ Theorie anderswo früher verwirklicht würde. Bevor sie aber sicher sein konnten, dass diejenigen, deren heimliche Gegner sie waren, solche Absichten hatten, gaben die Londoner Ex-Situationisten die Herkunft ihrer eigenen Projektionen zu erkennen, indem sie sogar auf die Zeit vor dem Unabhängigkeitskrieg zurückgreifen wollten, um die amerikanische revolutionäre Bewegung von London aus zu führen. Selbstverständlich ging diese ganze Geopolitik am Tag ihres Ausschlusses selbst zugrunde.

Wir bestehen darauf zu erwähnen, dass Donald Nicholson-Smith während der zwei Jahre, in denen wir ihn gekannt haben, von uns allen ständig in jeder Hinsicht geschätzt wurde und bei uns die lebhafteste Sympathie erweckt hat. Sobald er aber in London war, hat er sich auf bedauernswerte Weise inkonsequent verhalten, indem er sich innerhalb eines Monats von der S.I. außenstehenden Individuen und von zwei gewiss schlecht ausgewählten Situationisten beeinflussen ließ. Als Nicholson-Smith uns sechs Monate später zweimal mit der Absicht schrieb, noch einmal mit uns zusammenzukommen, und mit dem Anerbieten, das „Missverständnis“ zu beseitigen, mussten wir jedoch zu unserem Bedauern sogar ein Treffen rein persönlicher Art ablehnen. Die Affäre war allzu zweideutig gewesen und Grays spätere Tätigkeit sollte diesen Charakterzug weiter behalten. Er gibt ein Blatt heraus, King Mob, das sehr zu unrecht für leicht pro-situationistisch gilt, in dem das Lob des ewigen Morea zu lesen ist — alles, was ihm übrig geblieben ist! Derart aber, dass einige wirklich erschütternde Texte des heutigen Morea von Gray und seinen Helfern ihrem Kreis verheimlicht werden, den sie weiter im Kult ihres Idols halten wollen, mit dem ein Jahr nach der Bewegung der Besetzungen ergötzlichen Argument, Morea hätte sich dadurch verdient gemacht, dass er einige radikale Positionen vom „situationistischen Salon“ zum Kampf auf die Straße gebracht hätte! Derselbe Gray hat auch versucht, wieder mit uns in Kontakt zu treten — nur versteckt und durch die Vermittlung eines gewissen Allan Green, der behauptete, ihn nicht zu kennen, aber schon beim zweiten Treffen entlarvt werden konnte. Eine schöne und, wie es zu erwarten war, fein gemachte Arbeit! Die Garnault-Anhänger, diese „Einzigen“, müssen sich vor lauter Arger darüber, einen so würdigen Nachfolger gehabt zu haben, in ihrem Hochschulgrab wälzen.

Bemerkenswert ist, dass es seit fast zwei Jahren fast keinen anderen Ausschluss gegeben hat. Wir müssen zugeben, dass dieser erwähnenswerte Erfolg nicht ausschließlich dem tatsächlich verstärkten Bewusstsein und kohärenten Radikalisierung der Individuen der gegenwärtigen revolutionären Periode zu verdanken ist. Wir verdanken ihn auch der Tatsache, dass die S.I. immer strenger ihre vorherigen Beschlüsse über die Prüfung derer, die ihr beitreten wollen, anwendet, und in derselben Zeit 50 bis 60 Anwärter abgelehnt hat — was uns entsprechend viele Ausschlüsse erspart hat.

Nachtrag zu Viénets Buch

Unserer Meinung nach ist auf den Seiten 72 und 73 (der französischen Ausgabe) von Wütende und Situationisten in der Bewegung der Besetzungen ein Fehler enthalten, was Tatsachen betrifft: dort wird geschrieben, die Räume des „Censier“-Nebengebäudes der Pariser philosophischen Fakultät seien dem Lehrkörper und den Studenten von Pompidou, als er aus Afghanistan zurückkam, freigegeben worden, damit sie über ihre Probleme diskutieren könnten. Obwohl das letzten Endes richtig ist, führen bestimmte Dokumente und Zeugnisse zu dem Schluss, dass das Censier-Gebäude, wenn auch nicht wirklich besetzt, so doch am Samstag, dem 11. Mai gegen Ende des Nachmittags für eine Versammlung gebraucht worden war, d.h. also mehrere Stunden, bevor Pompidou zurückkam und seine Auffassungen — unter anderem auch über diesen Punkt — darlegte. Es bleibt aber wahr, dass „die fleißige und gemäßigte Stimmung“ dieses Ortes „mehrere Tage lang“ durch die Leute geprägt wurde, die eine so schnell legalisierte Initiative ergriffen hatten, wie auch durch ihre reformistischen Pläne für das Studentenmilieu.

Dagegen wird uns die einzige Unrichtigkeit unserer damaligen Veröffentlichungen, auf die bisher in einem Werk über die Mai-Bewegung hingewiesen wurde, zu Unrecht zugeschrieben. In ihrem Tagebuch der Studenten-Kommune erwähnen Schnapp und Vidal-Naquet auf S. 457 in einer Fußnote das CMDO-Flugblatt über Flins, in dem gesagt wird, dass auf dem Bahnhof Saint-Lazare „die Gewerkschaftsführer (…) die Demonstranten nach Renault-Billancourt umleiteten, indem sie ihnen versprachen, sie würden mit Lastwagen nach Flins fahren“, und sie fügen noch folgenden Kommentar hinzu: „Falsch: die Führer der Eisenbahnergewerkschaften begnügten sich damit, es abzulehnen, für die Studenten einen Sonderzug nach Flins bereitzustellen …“ Von den CGT-Führern sprach das CMDO-Flugblatt aber nicht (außerhalb der Versammlungen sagten sie einigen Leuten, die Polizei habe den Strom für die Bahn unterbrochen, und anderen, gauchistische Provokateure hätten durch Sabotage die Abfahrt eines Zuges verhindert). Die „Gewerkschaftsführer“, die mit ihren wahnwitzigen Lügen die Demonstranten am Saint-Lazare-Bahnhof auseinandergebracht haben, waren die der UNEF und der SNE-SUP. Der gewöhnliche Gauchismus, an dessen illusorischem Wortschatz Schnapp und Vidal-Naquet teilhaben, nannte im Mai diejenigen „Gewerkschaftsführer“, die wie die CGT die Bewegung offen bekämpften. Aber Leute wie Geismar und Sauvageot, die diese Bewegung von innen hemmten, waren ordentliche Gewerkschaftsführer, wie komisch die Gewerkschaften auch immer sein mochten, in deren Namen sie selbst dauernd quasselten.

In Viénets Buch soll weiter auf eine gewisse Unterschätzung der von den revolutionären Arbeitern in Lyon geführten Aktion hingewiesen werden. Es handelt sich dabei einerseits um ihre damals schon halb gelungenen, aber zu dieser Zeit von der gesamten etablierten Information unterschlagenen Versuche, in der Industrie Streiks schon vor dem 14. Mai vom Zaune zu brechen, und andererseits um ihre beispielhafte Beteiligung an den späteren Kämpfen in Lyon (zu der Zeit, als das Buch geschrieben wurde, hatten wir momentan jeden Kontakt mit diesen Genossen verloren).

Schließlich hätte man auf S. 19 bis 21 bei den früheren Unruhen von Studenten verschiedener Länder den Kongo erwähnen müssen, mit dem bemerkenswerten Fall der Besetzung der Universität Lovanium in Kinshasa (früher Léopoldville) 1967, also noch vor Turin und allem, was in Europa noch kommen sollte. Dort wurden die revolutionären Studenten in dem von ihnen besetzten Campus von der Armee umzingelt, so dass sie nicht in die Stadt gehen konnten, wo die Arbeiter auf sie warteten, um sich aufzulehnen. Das Mobutu-Regime sperrte die Universität aus und verlangte, dass sich jeder Student erneut persönlich immatrikuliere, wobei er sich verpflichten musste, künftig den Universitätsbräuchen zu folgen (eine Technik, die seither vom französischen Erziehungsminister wieder aufgenommen wurde). Aber die Regierung wurde durch die Studentensolidarität gezwungen, auf diese Maßnahme zu verzichten. Wie bekannt, lehnte sich später — am 4. Juni 1969 — die Universität Lovanium (in der bestimmte situationistische Einflüsse erkennbar sind) wieder auf — und zwar nicht, wie die Regierung behauptet hat, um eine 30 prozentige Erhöhung der Stipendien zu erkämpfen, sondern um das Regime zu stürzen. Diesmal schoss die Armee — es gab zig Tote und Hunderte von Studenten wurden verhaftet.

Anmerkungen über Spanien

Die mangelnde Anpassung der Denker des Privatkapitalismus, der in Spanien regiert, stellt deren beste Garantie gegen einen revolutionären Umsturz dar. Sie kristallisiert die Kräfte um einen technokratischen Reformismus, der dort doch schon wirkliche Kämpfe zu fördern beginnt, wo er sich niedergelassen hat. In der am weitesten entwickelten Industrie, die die Visitenkarte des Franco-Regimes im Europa der EWG ist, haben die Arbeiter ihre Möglichkeiten am besten behauptet. 1965 haben die Pegaso-Metallarbeiter mehrmals versucht, auf Madrid zu marschieren, um die dort rebellierenden Studenten zu unterstützen. 1967 haben die Echevarri-Fabrikarbeiter in Bilbao sechs Monate lang gestreikt. Die Familien der Arbeiter nahmen an den Vollversammlungen teil, die nach ganz Spanien Delegierte schickten. So wie die neusten spontanen Kollektivierungen, die von den Kleinbauern in Navarra getätigt wurden, treten diese Aktionen der Praxis der Stalino-Christen in den Arbeiterkommissionen krass entgegen. Bekanntlich hatten diese auf bemerkenswert zweckmäßige Weise den 24. Januar im voraus als einen Tag der Forderungen festgesetzt und wegen der Erklärung des Ausnahmezustandes ihr Vorhaben rückgängig gemacht. Die Taktik der KP — Bündnis mit allen Opponenten gegen das Franco-Regime bis hin zu den „linken Phanlangisten“ —, die darauf hinarbeitet, sich einen Platz an der parlamentarischen Sonne der Nach-Franco-Zeit zu sichern, stößt gegen ihr eigenes Gespenst, das sie immer noch genauso wie die Faschisten an der Macht heimsucht — obwohl es schon 1936 den Papst genau so wenig wie die Milliardäre in New York gequält hat. Was den Ausnahmezustand betrifft, stellt er sich als die einzig mögliche Antwort derer dar, die die Macht schon nicht mehr haben, gegenüber denen, die wissen (und sogar Opus Dei hat das eingesehen), dass die Modernisierung nur zusammen mit einer Strukturveränderung durchgeführt werden kann. Zu bemerken ist, dass der Ausnahmezustand gerade richtig kam, um eine beträchtliche Neubewertung der seit einem Jahr gesperrten Löhne zu vermeiden, während die Lebenskosten um ungefähr 25% gestiegen sind.

Weit über diese vorsintflutlichen Kämpfe hinaus setzt der alte Maulwurf sein Werk fort. In Spanien wie anderswo hat die Kritische Universität ihre Zeit der relativen Taschenspielereien und zufälligen Verrenkungen ausgespielt. Schon sind radikale Elemente um die Parole „Ende der Universität“ zusammengekommen, indem sie ganz natürlich beim Sprechen nach den Streichhölzern gegriffen haben. Genauso wie das kleinste französische Aktionskomitee haben sie es verstanden, die grundsätzliche Alternative zum Ausdruck zu bringen: „Entweder die Scheinuniversität, die für alle ein Alibi bringt, die ein ganz anderes Studium absolvieren oder die Endlösung des ‚Universitätsproblems‘, welche diejenige der Klassenprobleme vorwegnimmt“. In Madrid hat die Gruppe der „Acratas“ mit der Illusion eines revolutionären Syndikalismus gebrochen und besser als alle anderen radikale Positionen ausgedrückt und sie in eine wirkliche, skandalerregende Praxis umgesetzt. Diese im Oktober 1967 gebildete Gruppe hat mit den Wütenden von Nanterre bestimmte Ähnlichkeiten, die viel über die Epoche aussagen, die wir jetzt erleben — dasselbe Gebiet, dasselbe Programm und dieselben Aktionsmethoden. Die Initiative der Gewalt, die bisher allzu oft von der Polizei ergriffen wurde, wird jetzt wegen ihres Einflusses fast alltäglich von den „Studenten“ ergriffen. In Spanien endet jede Versammlung buchstäblich mit Liedern und einem Aufstand. Die „Acratas“, die S.I.-Texte übersetzt und verbreitet haben, sind an J.J. Servan-Schreibers iberischen Unglücksfällen schuld: den „Verrecke-schnell-du-Dreckskerl“ haben sie schonungslos aus der Rechtsfakultät gejagt, in der er reden wollte und sich eingebildet hatte, er würde ein Publikum finden, das sich mit Lachen begnügen würde. Durch kritische Anwendung der Gewalt haben die „Acratas“ die dem üblichen Terrorismus innewohnende Rekuperierung vermieden. Wenn sie Polizei, Autos, Schulmaterial und Schaufenster gebraucht haben, um ihre Kritik an der Geologie, der Hierarchie und der Ware nachzuprüfen, haben sie der erstarrten Geschichte des Franco-Regimes am besten getrotzt, indem sie ein Kruzifix von einem Schulraum, in den sie eingedrungen waren, auf die Bullen geworfen haben. Mit dieser Geste knüpften sie wieder an die große revolutionäre Tradition an, die nie eine andere Vorbereitung zur absoluten Macht der Arbeiterräte kannte, auf die sich die „Acratas“ selbstverständlich auch beriefen.

« Y el cristo en la mierda »
Crucifix défenestré par les « Acratas » à l’Université de Madrid (janvier 1968).

Auch wenn die „Acratas“ im Juni 1968 verschwanden, sind sie als eine belebende Gruppe in der Erinnerung geblieben, die Marx und Durutti so nah standen, wie sie Lenin und Proudhon entfernt war. Beobachtet man jetzt nicht, wie sogar die vier FUR-Bürokraten die Todesstrafe riskierten, indem sie die Universität in Brand stecken wollten und in Ermangelung eines Besseren Feuer im besten Madrider Kloster legten, wobei zwei Nonnen ums Leben gekommen sein sollen. In Barcelona — hier sollte Grappin-der-Knüppel unsere Mäßigung um so besser schätzen können! — haben die Studenten, die dabei waren, eine Tür zur Fakultät in Brand zu stecken, den Dekan, der einzugreifen versuchte, mit Benzin begossen. Er wurde mit knapper Not von der Polizei gelöscht. Auch mit knapper Not entkam am 20. Januar der Rektor derselben Universität den Studenten, die ihn aus dem Fenster stürzen wollten. Der Schließungsprozess der Fakultäten, der Gewerkschaften und Regierung so sehr betrübt, trägt immer mehr zur Klärung der künstlichen Gegensätze zwischen den Ideologien der Vorgeschichte bei: hier wie überall weist der Wille der Gewerkschaften zur Rekuperierung auf ihre Rekuperierung durch die Macht hin. Die revolutionäre spanische Bewegung wird weiter besiegt werden, solange sie sich nicht ihrer Siege bewusst wird. Entweder muss sie sich diese wieder aneignen oder alle Gebiete — und an erster Stelle ihre Erinnerungskraft — den stalinistischen, faschistischen und demokratischen Schmieden ihrer Niederlagen überlassen. Ihre Siege deuten die absolute Macht der Arbeiterräte an. Sie sind die minimalen Forderungen der gesamten Arbeiterbewegung. Ihre Kenntnisnahme ist mit, jeder kohärenten revolutionären Position verbunden. Diejenigen, die sich dessen bewusst sind, die Geschichte zu machen, dürfen nicht die Geschichte des Bewusstseins ignorieren.

Publicité détournée
« Belle mentalité ! » Conçue à partir d‘une bande dessinée publicitaire, c‘est la première page d’un de ces tracts dont nos lycées sont journellement inondés. Celui-ci est un mélange délirant et détonnant d’anarchisme infantile et de pornographie enragée. Il est publié par une certaine « Fédération des Comités ouvriers-étudiants de la banlieue sud de Paris » dont les slogans affichés sont « Grève salope » (à l’adresse de « papa, monsieur le professeur, monsieur le curé ») etc., qu’on nous excuse, « Ne nous laissons plus enc... ». Même si les lycéens ont assez de bon sens pour traiter par le mépris de telles aberrations, on se demande qui finance la coûteuse impression de ces torchons. Et surtout quelle autorité peut prétendre exercer dans les établissements scolaires un ministre de l’Education nationale qui les tolère. »
Minute (27-2-69).

Ein besonders gemeines und ungeschicktes Manöver gewisser Anti-Situationisten

Des öfteren mussten wir in dieser Zeitschrift auf Leute aufmerksam machen, die sich hier und dort als S.I.-Mitglieder ausgaben, indem sie dabei doch ihre wirkliche Identität behielten — ein Fall also, der meistens im Rahmen einer ziemlich harmlosen Lügenhaftigkeit blieb. Heute müssen wir aber alle revolutionären Elemente, die uns kennen sollten, auf eine ernstlichere Affäre aufmerksam machen, die außerdem über Methoden und Absichten ihrer verantwortlichen Urheber recht aufschlussreich ist.

Im Sommer 1968 hat sich ein Schwindler in Italien vielen Leuten als der Situationist Mustapha Khayati vorgestellt. So konnte er bei einigen von denen, die glaubten, mit Khayati zu sprechen, Informationen über deren Tätigkeit in Frankreich während der Bewegung der Besetzungen einholen. Mit verschiedenen Mitteln hat er andererseits versucht, die S.I. zu kompromittieren: zuerst durch seine eigenen elenden Erklärungen und seinen Umgang, von denen er behauptete, wir würden sie billigen; mit anderen Gesprächspartnern durch einige Angriffe gegen die Situationisten, wobei er sich immer noch hinter Khayatis Namen versteckte, von dem er dann erzählte, er hätte mit der S.I. gebrochen, deren „Führer“ er vorher gewesen sei (so hätte er z.B. unter Vaneigems Namen das Handbuch der Lebenskunst verfasst usw.)

Der Schwindler war bei dem anarchistischen Kongress in Carrara mit einer cohn-benditschen Gruppe aus Nanterre zusammen. Dann ging er zur Zeit der Biennale nach Venedig. Dasselbe Individuum gehörte beim UNEF-Kongress in Marseille Ende November zur Delegation von Nanterre, bei dem er sich vorsichtiger verhielt. Als er dort von Delegierten aus Bordeaux gefragt wurde, erklärte er ihnen, Khayati sei nur der zweite Teil seines Namens, dessen Anfang anders lautete. Als er kurz danach einen Delegierten aus Nantes traf, wagte der Kerl nicht mehr zu sagen, dass er überhaupt Khayati hieße, sondern stellte sich bloß als ein „Wütender“ aus Nanterre vor. Da er gefragt wurde, ob er in derselben Gruppe wie Riesel gewesen sei, verneinte er das, fügte aber hinzu, dass er „objektiv“ auf denselben Positionen stehe. Anfang Januar war dieser merkwürdige Emissär wieder in Rom, wo er sich weiter als Mustapha Khayati ausgab.

Überall dort, wo dieser Ausführende einer Politik, die alle Revolutionäre gebührend beurteilen werden, es für unmöglich hielt, glauben zu lassen, er vertrete wirklich die S.I. innerhalb der Bande der Ex-„Bewegung des 22. März“, zu der er offen gehörte, hat er lieber eine andere Lüge benutzt, deren Funktion gleichfalls aufschlussreich ist. Er hat behauptet, er sei im Mai von der S.I. zurückgetreten, „da sich die S.I. zu dieser Zeit enthaltend verhalten hatte“, so dass „die Kritik des Spektakels selbst spektakulär geworden war“ usw.

Die Ideen und das Vorhandensein der S.I. müssen gewisse Streber in der gauchistischen Bürokratie stark quälen, und sie müssen sehr unfähig sein, diesen die geringste wirkliche Kritik entgegenzusetzen, wenn sie sich mit solchen Handlungsweisen behelfen. Sie haben sich nichts Besseres ausgedacht, um endlich zu „beweisen“, dass irgendein Teil der S.I. einmal an ihrer erbärmlichen Vereinigung teilgenommen hat, wie sie es den Journalisten hundertmal zu verstehen gegeben haben.

Wir können jetzt bestätigen, dass der Schwindler ein gewisser Mustapha Saha ist, der zur Zeit in Nanterre studiert und Marokkaner sein soll. Trotz des unbestreitbar polizeilichen Stils dieser Identitätsusurpation und Spioniererei unter Revolutionären glauben wir nicht, dass der genannte Saha für die französischen bzw. marokkanischen Behörden als Spitzel und Denunziant tätig gewesen ist. Die in jedem Fall nachprüfbare Wirklichkeit ist noch viel erstaunlicher: es handelt sich eigentlich um einen Agenten der Gruppe, die im Mittelpunkt der „Bewegung des 22. März“ stand und jetzt, nachdem ihre Grüppchenverbündeten sich wieder den Organisationen angeschlossen haben, zu denen sie wirklich gehören, unter der Führung eines gewissen Jean-Pierre Duteuil fortbesteht.

Immer wieder hinter ihrer Epoche zurück, nehmen diese Taktiker die Methoden zum Vorbild, die während der stalinistischen Zerstörungsphase der revolutionären Bewegung benutzt worden sind. Jetzt aber, wo diese Bewegung sich neu zu bilden beginnt, weiß sie, dass die Praxis der Wahrheit das einzige Gebiet ihrer Existenz und ihr historischer Zweck zugleich ist. Alle, die dabei sind, sich an ihr zu beteiligen, werden selbstverständlich Duteuil, Saha und Konsorten boykottieren.

Eine Masperisierung

In der Nummer 42 der Zeitschrift Partisans (Juni 1968) über die Bewegung der Besetzungen sind einige damals von der S.I. und dem CMDO veröffentlichte Dokumente nachgedruckt worden, wie dies auch — in noch größerer Zahl — in vielen europäischen, amerikanischen und japanischen Zeitschriften und Broschüren geschah.

Diese Zeitschrift Partisans aber, deren Leiter der Stalini-Castrist Maspero ist, hat sich vor allen anderen durch eine Fälschung ausgezeichnet, die deutlich nach dieser stalinistischen Schule der Fälschung riecht, deren hoher Graduierter er ist.

Auf S. 76 und 77 ist der vom CMDO unterzeichnete Bericht über die Besetzung der Sorbonne schlimm „masperisiert“ worden: während man Anfang und Ende des Textes beibehält, ist mehr als die Hälfte davon betrügerisch ausgelassen worden — all das also, was gerade einen genauen Bericht über die Kämpfe abstattete, die in der Sorbonne stattgefunden hatten. Natürlich deutet kein Zeichen auf irgendeine solche Auslassung hin.

S. 103 wird die rein negative „Masperisierung“ zu einem schlagenden Beispiel für eine totale „Masperisierung“ weiterentwickelt — und zwar zur Fälschung, die einen falschen Text herstellt, indem ein Teil eines wirklichen Textes mit hinzugefügten Sätzen zusammengebastelt wird, die ihm einen anderen Sinn verleihen. Es handelt sich dabei um den Text Für die Macht der Arbeiterräte, der ohne Titel und Zeitangabe (22. Mai), aber mit der Unterschrift des CMDO nachgedruckt wird. Von der 10. Zeile des von den „Masperisatoren“ fabrizierten Textes an ist das wirkliche Ende des betreffenden Flugblattes zu lesen. Der Anfang ist nicht nur verschwunden, er ist durch neun Zeilen ersetzt worden, die keiner von uns je irgendwo gesehen hat, die zu einer Demonstration „heute, am 24. Mai“ aufrufen und riesige Zugeständnisse zugunsten der CGT enthalten („Ja, die CGT will, dass Deine Forderungen Erfolg haben!“).

Wir begnügen uns damit, diese besonderen Exzesse zu erwähnen, ohne auch nur daran zu glauben, dass ein so offenbar fragwürdiges Individuum wie Maspero es wert ist, für seine Fälschungen bestraft zu werden. Sie sind sein offizieller Beruf. Es ist nur gerecht, dass sein Name mit ihnen verbunden wird und bleibt. Wir wollen nur daran erinnern, wie sehr die Behauptung der Zeitschrift Le Crapouillot vom Juni 1969 aus der Luft gegriffen ist, nach der die S.I.-Zeitschrift „eine Zeitlang von Maspero vertrieben wurde“. Einige Leute haben auch angedeutet, die Situationisten würden Maspero nur deshalb so verachten, weil sie gern bei ihm verlegt worden wären! Solche Äußerungen genügen, um ihre Urheber selbst zu beurteilen. Wir wissen nicht, ob solche Gerüchte aus der Umgebung dieser elenden Kanaille stammen. Wir können nur sagen, dass wir angesichts des hier erwähnten Verfahrens darüber nicht staunen würden.

Der Historiker Maitron

Das Buch Die Sorbonne über sich selbst (Verlag Ouvrières, Oktober 1968), in dem Dokumente über Mai und Juni 1968 gesammelt sind, erhebt Anspruch auf historische Objektivität. Es erscheint als eine Sonderausgabe der Universitätszeitschrift Le Mouvement Social und wurde unter der Verantwortung von Jean Maitron, dem Direktor dieser Zeitschrift, verfasst, der sich eines bestimmten Rufs als Historiker der Arbeiterbewegung und zugleich als „Libertärer“ erfreut. Es muss übrigens angemerkt werden, dass J.C. und Michel le Perrot, sowie Madeleine Rebérioux, die bekanntlich der stalinistischen KPF angehörte, an dem Buch mitgearbeitet haben.

Mit vielen unrichtigen Einzelheiten spricht dieses Buch von den Situationisten, und einige unserer Mai-Dokumente werden darin wiedergegeben. Nachdem sie S. 6 edelmütig erklärt haben, „wir haben uns geweigert, irgendetwas auszulassen (Tod den Pünktchen, die, man weiß nie was, in die Hölle zurückweisen!)“, haben die Verfasser doch die „masperisierte“ Fassung unseres Berichts über die Besetzung der Sorbonne veröffentlicht, die die Anwendung der Pünktchen stark vermissen lässt, die zumindest bekanntgeben, dass etwas vorenthalten wurde.

Doch Maitron geht noch weiter, als eine Fälschung aus dem Mülleimer der „Masperisatoren“ unverantwortlich wiederzugeben. Er „masperisiert“ auf eigene Rechnung: S. 165 führt er ein „ununterzeichnetes Flugblatt“ an, das „den Standpunkt der Situationisten ziemlich gut zum Ausdruck bringt“. Woher dieses Vorauswissen? Ganz einfach: es handelt sich — diesmal als einzelner Text — um die neun widerlichen, CGT-freundlichen Zeilen, die von der Zeitschrift Partisans als eingeschobener Anfang zum Bruchstück eines vom CMDO unterzeichneten Flugblatts gebraucht worden sind. Durch diese Art, den gepfropften Text so zu isolieren, wird bewiesen, dass man genau wusste, dass es sich um ein selbständiges Flugblatt handelte — stilistisch denen ähnlich, die zu dieser Zeit von Leuten wie Rebérioux, d.h. leicht kritisch gesinnten Stalinisten, geschrieben werden konnten. Dass man es aber der S.I. zuschreibt, zeigt, dass man sich die von Maspero bei seiner Vermischung gewagte Zuweisung zunutzemachen will. Man kennt also Masperos Fälschung als solche und benutzt sie munter als Bezugnahme, ohne es ausdrücklich zu sagen, indem man aber durch interne Kritik die falsche Information hinter einer falschen Kenntnis verdeckt (vgl. „den Standpunk t… ziemlich gut zum Ausdruck bringt …“).

Am 24. Oktober hat die S.I. einen Brief an Maitron geschickte, in dem sie sich auf Beweise stützte, um ihn auf die gröbsten uns betreffenden Fälschungen in seinem Buch aufmerksam zu machen, und ein „Entschuldigungsschreiben“ verlangte. Als Maitron vierzehn Tage danach immer noch nicht geantwortet hatte, gingen Riesel und Viénet zu ihm nach Hause, beschimpften ihn, wie er es verdient hatte und zerbrachen, um ihren Worten mehr Kraft zu geben, eine Suppenschüssel, die für diesen Historiker angeblich „ein Familienstück“ war.

Damit hatten wir diesem Individuum gezeigt, dass seine klare Unehrlichkeit nicht unbemerkt bleiben würde und ihn sogar auf unangenehme Weise Beleidigungen aussetzen könnte, was unserer Meinung nach denjenigen, die ihm nacheifern möchten, zu denken geben wird. Die durch eine so einfache Geste verursachte Aufregung hat gezeigt, dass wir unser Ziel nicht verfehlt hatten. Schon am 17. November denunzierten die Stalinistin Rebérioux und ihre Kollegen in einem in Le Monde veröffentlichten Brief die Art und Weise, wie ihr „Kollege und Freund“, Jean Maitron, „einem regelrechten Überfall in seinem Wohnsitz zum Opfer gefallen ist. Einige junge Leute, die sich im Namen der S.I. vorgestellt und über ein Werk unzufrieden erklärt hatten, das doch so verfasst worden war, dass alle Meinungstendenzen darin vertreten waren, haben ihn beschimpft und verschiedene Gegenstände bei ihm zerschlagen.“ Auffallend ist der stalinistisch-scheinheilige Stil. Es wird deswegen von einem „regelrechten Überfall“ gesprochen, weil man genau weiß, dass ein „Überfall“ etwas ganz anderes ist. Ferner wird dieser von „einigen“ jungen Leuten verübt, weil es nur zwei waren — was schon weiter geht als das berühmte primitive Zahlenschreiben „eins, zwei, viele“. Übrigens haben Riesel und Viénet Maitron ihren Namen gesagt und längere Zeit von dem erwähnten Brief gesprochen, den sie mitunterzeichnet hatten. Es handelt sich überhaupt nicht darum, ob im betreffenden Werk alle „Meinungstendenzen“ vertreten waren, sondern ob unsere eigenen Texte gefälscht wurden oder nicht, wenn sie für abdruckenswert gehalten werden usw. Nach einigen anderen fügt im Dezember 1968 Quinzaine Littéraire, die sich weiter auf dieselben guten Quellen stützt, noch einiges hinzu: „Dieses ehrliche Werk eines Historikers konnte nicht jedem gefallen … Jean Maitron wurde das Opfer eines regelrechten Überfalls in seinem Wohnsitz. Leute, die sich auf die S.I. berufen haben, behaupteten, sie würden dadurch ihre Reaktion zum Ausdruck zu bringen, indem sie bei ihm eine Schreibmaschine und verschiedene Kunstgegenstände zerschlugen. Reagieren — wogegen? Ihre Gruppe wird in dem Buch zitiert und ein von ihr stammendes Dokument großzügig (soll das der Anfang eines Zugeständnisses sein? — Bemerkung der S.I.) angeführt. Wollten sie durch diesen so unsinnigen wie ungeheuren Überfall daran erinnern, dass es in den sozialen Bewegungen immer wieder ‚Außenstehende‘ gibt, die dies sein wollen und so handeln, dass man vor ihnen nicht mehr die Achtung haben kann, die man allen mutigen Militanten entgegenbringen muss?“ In einer Rundfunksendung vom 5. Februar 1969 denunzierte Maitron, der wahrscheinlich höchst verwundert darüber war, dass er diesen „ungeheuren“ Überfall noch überlebt hatte, dann die Situationisten, die sein Haus „verwüstet haben“ und behauptete, er fürchtete sich nicht vor ihnen. Da er es ganz und gar versäumt hatte, irgendeinen Grund für diesen „Überfall“ zu erwähnen, können wir hoffen, dass er sich vor uns nicht fürchtet, weil er von nun an entschlossen ist, unsere Texte nicht mehr zu fälschen. Was sehr gut für alle sein wird.

Über das Komische an diesem Zwischenfall hinaus — „sie haben dort beträchtlichen Schaden angerichtet“, schreibt Révolution Prolétarienne vom Dezember 1968, die weiter von „Faschismus“ spricht und sogar zur „Gegengewalt“ antreibt — gibt es eine wichtige Frage. Unserer Meinung nach ist heute in erster Linie — und zwar noch vor der Ausarbeitung selbst einer konsequenten theoretischen Kritik, der Verbindung mit demokratischen Basiskomitees in den Fabriken bzw. der Lahmlegung der Universitäten — die praktische Unterstützung der Forderung nach Wahrheit und Nicht-Fälschung das erste Ziel der zur Zeit im Entstehen begriffenen revolutionären Bewegung. Das ist die Vorbedingung und der Anfang zugleich von allem übrigen. Alles, was verfälscht, muss diskreditiert, boykottiert und als Kanaille behandelt werden. Wenn es sich um lügenhafte Systeme handelt — wie im Fall der stalinistischen Bürokratie und der Bourgeoisie — müssen natürlich diese Systeme selbst durch einen großen politischen und sozialen Kampf zerstört werden. Dieser Kampf muss aber seine eigenen Vorbedingungen selbst schaffen: wenn man mit Individuen bzw. Gruppen zu tun hat, die in der revolutionären Strömung, wo immer es auch sein mag, einen Platz einnehmen wollten, darf man nichts unbemerkt bleiben lassen. Dadurch kann die Bewegung von Grund auf alle Bedingungen der Fälschung zunichtemachen, die während eines halben Jahrhunderts ihre Beseitigung begleitet und verursacht haben. Für uns müssen jetzt alle Revolutionäre es als ihre sofortige Aufgabe erkennen, diejenigen mit allen Mitteln und um jeden Preis zu entlarven und zu entmutigen, die weiter fälschen wollen. Wir wollen auf gar keinen Fall „die Achtung“ genießen, „die man allen mutigen Militanten entgegenbringen muss“. Die mutigen Militanten haben der proletarischen Bewegung zuviel geschadet, und die feigen noch mehr. Wir wollen tatsächlich „Außenstehende“ sein gegenüber dem elenden generalisierten Kompromiss der letzten Jahrzehnte und diejenigen, die wissen, dass es da drinnen nichts mehr zu tun gibt, werden immer zahlreicher. Genau wie es in dem Brief stand, den Maitron nicht früh genug verstehen konnte: „Zweifeln Sie nicht daran, mein Herr, dass das Klassenbewusstsein unserer Epoche weit genug fortgeschritten ist, um mit seinen eigenen Mitteln die Pseudo-Spezialisten seiner Geschichte zur Rechenschaft zu fordern, die von ihrer Praxis weiterhin leben wollen.“

Um von vornherein denen zu antworten, die noch einmal sagen werden, dass die Situationisten immer alle mit gleicher Heftigkeit beschimpfen und alles im Absoluten tadeln, wollen wir zwei Bücher erwähnen, die sich weitgehend mit Dokumenten bzw. der Analyse unserer Tätigkeit im Mai beschäftigt haben: Das revolutionäre Projekt von Richard Gombin (Verlag Mouton, 1969) und Tagebuch der Studentenkommune von Alain Schnapp und P. Vidal-Naquet (Verlag Seuil, 1. Trimester 1969). Obwohl wir Methoden und Ideen dieser Autoren, sowie fast alle ihre Interpretationen und sogar einige der nacherzählten Tatsachen nicht billigen, geben wir doch gern zu, dass diese Bücher ehrlich verfasst wurden und Dokumente genau zitieren, die sie auf ihre Originalfassung hin geprüft haben; dass sie folglich Materialien liefern, die zur Geschichtsschreibung der Bewegung der Besetzungen benutzt werden können.

Mur d’un lycée Français (1969)

Mit dem großen Trick vertraut

André Bretons Tod und eine Einladung nach Havanna haben genügt, um aus den Ex-Surrealisten von „L’Archibras“ Verteidiger der Bürokratie in ihrer castristischen Form zu machen. Jean Schuster, der edle politische Kopf dieser Gruppe, hat im Januar 1968 zusammen mit den Ex-Stalinisten Borde, Chatelet, Marguerite Duras, Mascolo und einigen anderen Einfaltspinseln eine Erklärung unterzeichnet, in der behauptet wird, dass „die kommunistische Forderung dank Kuba und der Bewegung der kubanischen Revolution wieder ein lebendiges Zentrum und ihre künftige Macht gefunden hat.“ Die oben genannten Leute — mit Ausnahme von Borde und Chatelet — waren also traurig überrascht, als sie acht Monate später ihr ehrfurchtsvolles Bedauern ausdrücken mussten, da der „Genosse Castro“ das „sozialistische“ Eingreifen der russischen Armee in die Tschechoslowakei in seiner zynischen Rede vom 23. August gebilligt hatte. Eine Intervention, deren strategische Notwendigkeit übrigens unbezweifelt war, da es sich darum handelte, dort eine drohende proletarische Revolution zu bekämpfen.

Als in Frankreich die Unruhen begannen, die zur Bewegung der Besetzungen führen sollten, war der einzige wahrnehmbare Beitrag des Castro-Surrealismus die Verbreitung eines kleinen Flugblatts, in dem am 5. Mai erklärt wurde, „die surrealistische Bewegung stünde den Studenten (diese bemerkenswerte Albernheit wurde von uns hervorgehoben) zur Verfügung“.

Lange Zeit nach der Fete veröffentlichte im Juni 1969 doch ein gewisses, von demselben Schuster zusammen mit den Literaten Duras, Mascolo usw. geführtes „Schriftsteller- und Studentenkomitee“ in der italienischen Zeitschrift Quindici einen Text, in dem sie sich nicht scheuten, den Situationisten vorzuwerfen, in die Revolution eingetreten zu sein, „wie man sich der Literatur hingibt“! Mit einer Dreistigkeit, die ihrer vergangenen bzw. aktuellen Herren recht würdig ist, urteilen die Autoren, dass die Tätigkeit der S.I. im Mai darauf beschränkt war, Parolen auf Mauern zu schreiben — und noch dazu diejenigen unter all diesen, die „gewissen feinfühligen Bourgeois“ gefallen konnten. Schon dieses Vorauswissen erscheint jemandem phantastisch, der die damaligen Pariser Mauern gesehen hat, auf die so viele Unbekannte alles geschrieben, nach- und umgeschrieben haben, was sie wollten bzw. was ihnen von dem schon Geschriebenen gefiel, das sie lesen konnten. Aber unsere „Schriftsteller-Studenten“ treiben ihren Betrug sogar weiter, indem sie auf Viénets Buch als „den Beweis“ für ihre Behauptung hinweisen. Sie wissen jedoch genau, dass dieses Buch ausdrücklich nur fünf oder sechs Wandparolen den Situationisten und Wütenden zurechnet, die alle in bestimmten Augenblicken und an bestimmten Stellen geschrieben wurden, wo sie eine bestimmte praktische Wirkung haben konnten. Sie wissen weiter, dass Viénet, wenn er über unser gesamtes Verhalten in dieser Periode berichtet, zahlreiche Tatsachen und Dokumente zitiert, die eine offensichtlich größere subversive Bedeutung haben. Aber Schuster und die anderen Abfallprodukte waren ganz einfach dazu entschlossen, folgendes Dogma zu formulieren: „Das, was kein Bourgeois an den Mai-Parolen schätzen konnte … war nicht situationistisch.“

Unseren Lesern soll es überlassen bleiben, den Wert dieser Leute abzuschätzen — und das auch in ihrem Schreiben, ihrem einzigen kleinen Lebensersatz. Vor allem, wenn man bemerkt, dass ein Artikel vom 18. Juni in Archibras bewundernd auf eine der ersten radikalen Interventionen der Sorbonne-Vollversammlung aufmerksam gemacht hatte: „Einer wagte es, das Wort zu ergreifen, … um eine Amnestie auch für die sogenannten ‚Plünderer‘ zu verlangen … dieser Vorschlag wurde mit empörten Hohnrufen quittiert. Es war noch der Anfang …“ Nun handelt es sich hier um René Riesels Intervention bei der Wahl des ersten Besetzungskomitees, die gleichfalls von Viénet erwähnt wird. Derartige Lügner wie Schuster und seine Freunde werden nur unter den Regimes nicht der Lächerlichkeit preisgegeben, in denen sie mit einer Polizei zusammenarbeiten können, die jede Erinnerung an die Wirklichkeit verhindert — wie z.B. in Kuba.

Missbräuchliche Kundenwerber

Im Juni 1968 hat Vaneigem ein Rundschreiben von der „Schriftstellerunion“ bekommen mit dem ganz einfachen Vorschlag, ihr beizutreten; es wurde weiter gefragt, ob er „an der Arbeit der Berufskommission (BK) oder der ideologischen Kommission (IK) oder sogar beider teilnehmen“ und dafür 30 Franc an Jean-Pierre Faye überweisen wolle. Er antwortete sofort mit folgendem Brief: „Ihr verfaulten Typen, in intellektuellen Pissoirs angeschimmelte Brotreste, Schwachköpfe, der Modergeruch der eigenen Verwesung muss euch den Kopf benebelt haben, dass ihr derart verwirrt seid, einem Situationisten vorzuschlagen, bei eurem allerneusten kleinen Dreck mitzumachen. Ihr seid nach zwanzig Jahren Elend und Lüge gestrandete Existenzen. Man kennt euch, Schweine!

Aus dem, was vor kurzem in Frankreich passierte, ging u.a.m. die schändliche Nichtigkeit der Epoche, in der ihr gelebt habt, deutlich hervor. Ihr habt aber trotzdem geglaubt, ihr Fußmatten, es würde immer noch etwas Spucke geben, die ihr erneut kapitalisieren könnt, indem ihr so handelt, dass man wieder von euch spricht, indem ihr wieder Bittschriften einreicht, wieder ideologische und sonstige Kommissionen bildet, Anspruch auf eine Pförtnerwohnung im Haus der Literaten erhebt.

Ihr Idioten! Ihr seid alle genauso abgenutzt wie euer Bourguiba-Anhänger Duvignaud, euer unqualifizierbarer Sartre, euer lächerlicher Faye, der danach strebt, die Groschen eures Schatzkämmerleins zu zählen.

Bald versteht ihr, dass die Stunde für derartige Scherze für euch vorbei ist. Die Zeiten ändern sich. Das nächste Mal sorgen wir dafür, dass ihr verreckt, ihr Schindluder!“

Warum lügt I.C.O.

In der vorigen Nummer dieser Zeitschrift (Oktober 1967) haben wir auf einige Punkte hingewiesen, über die wir unserer Meinung nach mit den Leuten übereinstimmten, die das Informations Correspondance Ouvrière-Bulletin herausgeben, ohne unsere Missbilligung ihrer Weigerung zu verheimlichen, „eine genaue theoretische Kritik der aktuellen Gesellschaft zu formulieren“. Wir haben andererseits präzisiert, dass wir sie nicht direkt kannten. Inzwischen haben einige von denen, die heute bei uns sind, die Gelegenheit gehabt, sie direkt kennenzulernen, man wird aber sehen, dass wir sie nicht nur deshalb besser kennen.

Von ICO wussten wir damals nur das, was aus ihrem Bulletin herauszulesen war — also eine anti-gewerkschaftliche, in der Mehrheit anarchistische Gruppe. Es konnte uns also nicht wundern — da das eben Gesagte das Folgende erklärt — wenn sie von Räten sprachen, ohne zu wagen, sich selbst als Räte-Anhänger zu definieren und in ihrer Plattform (Was wir sind und was wir sein wollen) folgendes zur Definition ihrer Aktion schrieben: „Ihnen (= den Arbeitern) können wir nur Informationen liefern, genau wie sie uns welche geben können.“ Das, was Über das Elend im Studentenmilieu ICO’s Wahl des Nichtvorhandenseins nannte, deckt sich nur teilweise mit ihrer Wirklichkeit.

ICO existiert, und diese Existenz weist ein ziemlich schweres Gewicht an Unterlassungslügen, geheimer Hierarchie und unauffälligem Verriss auf. Ein Mitglied der „Wütenden“ (Riesel) wohnte Ende März 1968 einer ICO-Versammlung bei. Als er darum gebeten wurde, berichtete er über die Tätigkeit seiner Gruppe und die Gesamtsituation an den Universitäten in Nantes und Nanterre. Dieser Bericht wurde in der nächsten ICO-Nummer in feindseligem Ton und mit reichlich vielen Sinnwidrigkeiten veröffentlicht. Überrascht von diesem Übelwollen, auch wenn sie spürten, von wem der Tritt kam — da die Leute von Noir et Rouge, sowie Freunde von Cohn-Bendit und der „Bewegung des 22. März“ an ICO beteiligt sind — verlangten die „Wütenden“ schriftlich die Veröffentlichung einer härteren Besprechungsgrundlage. Zur nächsten Versammlung schickte die „Bewegung des 22. März“ einen Gesandten, der um die gleichzeitige Veröffentlichung einer Antwort auf die Besprechungsgrundlage bat, was die „Wütenden“ billigten. Unter dem Vorwand, es sei taktlos, die Leute, die man angreift, namentlich zu nennen (in diesem Fall Cohn-Bendit, der schon auf der ersten Seite aller Tageszeitungen war), haben die ICO-Bosse die Besprechungsgrundlage nie veröffentlicht.

Hier wird der Takt dieser Leute klar, der mindestens genau so groß ist wie die Diskretion, mit der sie gleichermaßen die Namen und Texte ihrer eigenen Oppositionellen verheimlichen. Denn ICO hat eine Opposition, für wie übernatürlich sie das auch immer halten lassen möchte. Vielmehr durch ihren Eifer, diese Plattheit zu verheimlichen, als durch ihre tugendhafte Abneigung gegen bedrucktes Papier lässt sich also ihre Wut erklären, als eine bestimmte Anzahl von Revolutionären schriftlich mit ihnen Kontakt aufnehmen wollte, nachdem sie die ICO lesen betitelte Notiz in S.I. Nr. 11 gelesen hatten. In einem Rundschreiben vom 27. April 1968 beklagte sich ICO über die Kritik „einer ‚Wütende‘ genannten Studentengruppe, die von den Situationisten beeinflusst sind und plötzlich Interesse an ICO gezeigt haben.“ So bildeten sich die kleinen ICO-Eigentümer ein, sie seien schon unterwandert worden! Sie behaupteten weiter, es könne sich nur um „Ideologen“ und „Ethik“ besessene handeln (obwohl sie dabei nicht an ihren alten Freund Rubel dachten), denn der wirkliche Klassenkampf „spielt sich auf wirtschaftlichem Gebiet und außerhalb jeden ‚Bewusstseins‘ (im ideologischen Sinne des Wortes) ab“. Kann jemand seine Gegner und die Arbeiter zugleich besser verachten? Und die historische Wirklichkeit?

Will ICO nichts anderes als Informationen anbieten, so verlangt sie wiederum, dass man nichts anderes von ihr erwartet. So verlangt sie von ihren Mitgliedern keine weitere Beteiligung als die monatliche Vollversammlung, bei der die wenigen selben Gewissheiten immer wieder abgeleiert, dieselben mutlosen Informationen aus denselben Betrieben mitgeteilt werden und die Diskussion über die allgemeine Gruppenlinie bis zur nächsten Sitzung verschoben wird. Falls Neuangekommene ihren Finger ins Räderwerk legen sollten, so hält die Maschine so lange, bis sie müde geworden sind. Dann kann man z.B. schreiben (vgl. Nr. 66 vom Dezember 1967): „Früher oder später bleiben die Genossen, die andere Ziele verfolgen — es handelt sich dabei immer wieder um die Verbreitung einer Ideologie in dieser oder jener Form — aus diesem oder jenem Grund weg — d.h. sie kommen nicht mehr.“ Man lasse sich durch diesen scheinheiligen Ton nicht täuschen! Wenn die „Genossen“ einmal deutlich sagen, dass sie die Diskussion innerhalb der Gruppe und auf der Basis der von ihr festgelegten Grundsätze führen wollen, nicht einmal, um sie zu verneinen, sondern um über sie hinauszugehen, den primitiven Ökonomismus zu überwinden und damit auch eine Kritik des alltäglichen Lebens zu entwerfen, weist ICO sie ab, weil ihr Text zu lang sei! Wenn dieselben „Genossen“ diesen dann selbst vervielfältigen, weigert sich ICO, ihnen die Abonnentenliste zu geben. Auf diese Weise sind fünf oder sechs damals uns bekannte Oppositionsmitglieder Anfang 1968 zurückgewiesen worden. Zwei Monate später sollte das Problem von anderen erneut aufgeworfen werden.

Dass gleichzeitig die Wütenden zu ihr gekommen sind, schien den ICO-Bossen aufschlussreich genug für die großangelegte Verschwörung, die darauf abzielen sollte, ihre ewige Herrschaft über die Gruppe zu untergraben. Vermutlich deswegen haben sie die ‘Bewegung des 22. März“ gegen die Wütenden ausgespielt, wobei sie gleichzeitig die Bewegung bagatellisierten, die im Entstehen begriffen war. Der cohn-benditsche Flügel, mit dem sie in Kontakt standen, war ihnen eine ausreichende Garantie für das formelle Nichtvorhandensein und den Mangel an einer kohärenten Theorie der „Bewegung des 22. März“, um ihr Vertrauen zu schenken: wenigstens diese Studenten würden sich nicht in die Angelegenheiten der bewussten ICO-Arbeiter einmischen.

Dieses Bewusstsein geht eigentlich nicht viel weiter als ihr Sinn fürs Lächerliche. Die erbärmlichen Analysen in ihrer Nummer vom Mai 68, die gerade in dem Augenblick erschienen, wo man ohne allzu gewagte Verallgemeinerung einen größeren Zusammenstoß voraussehen konnte, und die die Nutzlosigkeit und Unangemessenheit des begonnenen Kampfes beweisen wollten, sind wenigstens dadurch komisch, dass sie nicht sagen, wann diese scharfsinnigen Beobachter der geschichtlichen Konjunktur bemerkt haben, dass „etwas geschehen war“ (Der generalisierte Streik in Frankreich, Mai/Juni 1968, eine Broschüre von ICO und Noir et Rouge). Man kann sich vorstellen, dass es zu gleicher Zeit wie in der stalinistischen Partei geschah. Nichts spricht gegen diese Vermutung — nicht einmal der Gebrauch desselben Ausdrucks („der generalisierte Streik“), um die Bewegung der Besetzungen zu kennzeichnen. ICO ist erst an dem Tag auf den vorbeifahrenden Zug aufgesprungen, an dem der alte Maulwurf unter der Kneipe zu graben begann, in der sie gewöhnlich zusammenkam, und den ruhigen Ablauf der monatlichen Sitzung durch den Lärm der platzenden Granaten der Polizei störte. Wie die sogenannte Kommunistische Partei betrachtet ICO die Bewegung der Besetzungen vor allem als eine Akkumulation von Lokalstreiks — mit dem einzigen Unterschied, dass ICO weiß und sagt, dass es wilde Streiks sind. So „war der Mai 68 von diesem Standpunkt aus (der Entwicklung zur Autonomie der Kämpfe) nur die brutale Ausdrucksform einer latenten Situation, die sich seit Jahren weiterentwickelte, in engem Zusammenhang mit der schnellen Modernisierung des französischen Kapitalismus“. Man muss die ungeheure Frechheit dieser Leute besitzen, um ohne zu lachen zu versuchen, die Bewegung der Besetzungen derart zu bagatellisieren, indem man andererseits in plötzlich lyrischem Ton zugibt, dass „die breiten Arbeitermassen den Kampf deshalb aufgenommen haben, weil sie von dem Willen getrieben wurden, etwas im Ausbeutungssystem zu verändern.“ Sie könnten doch wissen, dass „die Verwirklichung einer neuen Welt, in die die Arbeiter auf totale Weise eingreifen, d.h. in der sie ihre Tätigkeit in der Arbeit und folglich in ihrem Leben total verwalten können“, zwangsläufig mit der Aufklärung des Geheimnisses einhergeht, das ICO dazu führt, diese Wirklichkeiten als getrennt zu präsentieren.

Wen wollen diese enttäuschten Anhänger des Generalstreiks eigentlich täuschen, wenn sie schwerfällig erklären, indem sie die Klassenkämpfe in Frankreich im März 1969 analysieren (vgl. Die Organisationen und die Arbeiterbewegung), dass, da ja die wilden Streiks vor dem Mai kategorienhafte Forderungen geltend machten und da in denjenigen, die nach dem Mai ausgebrochen sind, „… die Arbeiter eines begrenzten Sektors im Betrieb sich nicht mehr darauf beschränken, was ihnen allein auf dem Gebiet ihrer besonderen Arbeitsbedingungen (Löhne oder sonstiges) aufgezwungen wird, man hier also das Hauptmerkmal der wilden Streiks in Holland, England, in den USA usw. wiederfinden kann. (…) Einige Leute werden diese Streiks als den Anfang generalisierter oder veränderter Kämpfe bzw. einer radikalen Veränderung der Arbeiterbewegung betrachten wollen. Wenn der Mai auch vieles an den Tag gebracht hat und damit zugleich die Entwicklung beschleunigte, so hat er doch den Kontext der Kämpfe nicht radikal verändert.“ Unfähig zur Einsicht, dass eine Gewerkschaft einen wilden Streik nur deshalb unterstützt, um ihn besser hintergehen zu können, dass sie es aber noch bei weitem vorzieht, ihn in den Windungen eines legalen Streiks verlorengehen zu lassen, zeigen sich die ICO-Realisten noch dümmer als die Schwachköpfe von Lutte Ouvrière — „Durch die Unnachgiebigkeit der Unternehmer und der Regierung sind sie (d.h.: die Gewerkschaften) dazu gezwungen worden, die Zentraldemonstration vom 11. März zu organisieren“ — indem sie behaupten, der Streik vom 11. März 1969 „sei ein Teil dieser politischen Ausnutzung der Arbeiterbewegung.“ Sicherlich können uns die ICO-„Arbeiter“ deshalb, weil sie sich um kein anderes Amt bewerben als um dieses, das sie schon als fast anerkannte Spezialisten des Anti-Syndikalismus ausüben, eine schöne Zukunft voraussagen und zwar „die Eroberung einer großen Anzahl von Sitzen als Gemeinderäte und dergleichen“. Als Arbeiter vergessen sie ein wenig zu leicht, was die revolutionäre Bewegung aus Verleumdern macht.

ICO’s Hass gegen alles, was nach Theorie aussieht, rührt nicht aus einem Misstrauen gegenüber ihren militanten Studenten bzw. intellektuellen Freunden, das berechtigt sein könnte. ICO’s objektive Führer, deren Vervielfältigungsmaschineninhaber haben sich durch das viele Kurbeln in Intellektuelle verwandelt. Heute wünschen sie, dass wirkliche Intellektuelle sie bei dieser mühseligen Arbeit ablösen, damit sie sich voll mit der Zeitschrift beschäftigen können, die, wie sie wohl wissen, nichts anderes als eine illusorische Existenz zu verlieren hat. Die Studenten werden bei ihrem Appell nicht ausbleiben, die Revolutionäre aber werden wissen, dass man ICO lesen kann, um darin die antisyndikalistische Ideologie in der Zeit der Grüppchen zu finden.

Die Elite und der Rückstand

Zweifelsohne sind die Situationisten sehr angreifbar. Leider haben diese Kritiker bisher fast vollständig gefehlt. Wir meinen die kluge, genaue und ehrliche Kritik, wie sie von Revolutionären geübt werden könnte und wie sie sie eines Tages an vielen unserer Thesen und manchen Punkten unserer wirklichen Tätigkeit leicht ausüben werden. Dagegen bringt die Art und Weise, wie viele Revolutionäre der heutigen Epoche uns unsinnige Einwände oder Beschuldigungen an den Kopf werfen, als ob sie das Problem durch die traurigen Reflexbewegungen loswerden wollen, die sie sich in der alten Epoche ihrer Niederlagen und ihres Nichtvorhandenseins angeeignet haben, um ein beharrliches Grüppchenelend, eventuell sogar erbärmliche verschwiegene Absichten an den Tag.

Sagen wir zuerst, dass wir, genau wie wir die Wut der Bourgeois oder Bürokraten auf uns, sowie den Hass der intellektuellen Rekuperatoren für sehr normal halten, recht wohl annehmen, dass Revolutionäre — wenn es solche gibt —, die sich prinzipiell als Feinde jeder Organisationsform behaupten mit einer genauen Plattform, für die alle Beteiligten praktisch mitverantwortlich sind, uns vollständig verurteilen, da wir sichtbar entgegengesetzter Meinung und Praxis sind. Aber alle anderen? Man muss offensichtlich unehrlich sein und dadurch stillschweigend irgendwelche Herrschaftsziele bekennen, um der S.I. vorzuwerfen, eine Organisation mit Führungsrolle zu sein. Denn wir haben alles getan, um es fast unmöglich zu machen, S.I.-Mitglied zu werden (was anscheinend jede konkrete Gefahr an der Wurzel fasst, gegenüber der geringsten Massenfraktion zu einer „Führung“ zu werden). Andererseits ist es ganz klar, dass wir unser — sagen wir — „geistiges Prestige“ nie gehandelt haben, sei es durch den Verkehr mit irgendwelchen bürgerlichen oder intellektuellen Kreisen — und noch weniger durch die Annahme von ihren „Ehren“ oder Belohnungen — oder sei es durch ein Ringen mit so vielen Grüppchen um Bewunderung oder Kontrolle über einen Teil des elenden Studentenpublikums und auch nicht durch den Versuch, den geringsten Druck und nicht einmal unsere geringste direkte oder indirekte Anwesenheit in den autonomen revolutionären Organisationen auszuüben, deren Bildung wir — zusammen mit einigen anderen — befürworten und die schon damit beginnen, sich untereinander treffen zu wollen. Man muss also annehmen, dass diejenigen, die nie etwas gemacht haben, durch erfundene Ziele und Mittel, die sie uns zuschreiben, den Skandal erklären wollen, der darin besteht, dass wir etwas machen konnten. Eigentlich wird uns deshalb vorgeworfen, „eine Elite“ zu sein und folglich danach zu streben, diejenigen zu führen, die wir nicht einmal kennenlernen wollen, weil wir gewisse Leute verletzen, indem wir uns weigern, mit ihnen in Kontakt zu treten oder sogar ihren Beitritt anzunehmen. Welche Rolle sollten wir uns also „als Elite“ zugedacht haben? Die als Theoretiker? Wir haben gesagt, dass die Arbeiter Dialektiker werden müssen und künftig all ihre theoretischen und praktischen Probleme selbst lösen müssen. Anstatt sich über lauter Klatsch für uns zu interessieren, sollten alle diejenigen, die es wollen, sich nur unsere Methoden aneignen, und sie werden um so unabhängiger von uns sein. Nach dem Mai könnte der theoretische Rückstand bei vielen und sogar bei gewissen Studenten ziemlich schnell durch eine geeignete Praxis und einigen jetzt zugänglich gewordenen Lesestoff aufgeholt werden. Die hauptsächliche, von uns befürwortete Methode — die zwar nicht gern bei uns entliehen, uns aber um so lieber vorgeworfen wird — ist eine bestimmte geistige und praktische Strenge. Die Arbeiter, die aus der vorherigen Periode gelernt haben, haben eine recht begrenzte und erdrückende „revolutionäre Umwelt“ kennengelernt, in der unzählige kleine Lügen zur Tagesordnung gehörten, die sie geduldet haben. Das wollen wir nicht mehr. Diese Unverantwortlichkeit wird ein Ende nehmen, und die Duldsamen, die wir nur deswegen von uns fernhalten, werden zusammen mit der Rückkehr der tiefen historischen Bewegung verstehen, dass es in diesem Bereich keine kleinen Lügen gibt.

Man vermischt absichtlich drei sonst unterschiedene Lügen und wirft dieser „Elite“ vor, die die S.I. darstellen soll, eine führende Organisation zu sein — wie denn? —, die Diktatur der Theorie darzustellen — durch welche Vermittlung? — und aus reichen Bourgeois zu bestehen — darüber lachen wir lieber! Der letzte Einwand wäre, wenn er stimmte, nicht weniger schwachsinnig, da einige sehr bekannte Revolutionäre des XIX. Jahrhunderts — sozio-ökonomisch gesehen — proletarisierte Intellektuelle und selbst mehr oder weniger Schmarotzer und bürgerlicher oder fürstlicher Abstammung waren. Jedenfalls aber können wir allen Verdächtigen, die uns bei jeder Gelegenheit als eine Elite der Studentenwelt präsentieren, eine für sie recht beklagenswerte Wahrheit entgegensetzen: nehmen wir die Verfasser der drei einzigen bisher von uns veröffentlichten Bücher als Beispiel, so sind zwei von ihnen Arbeitersöhne und der dritte — einer, der wie kein anderer seine gesellschaftliche Stellung verloren hat — war nicht einmal Student.

Es stimmt völlig, dass wir schon vor dem Mai viel früher als andere eine radikale Kritik der modernen Gesellschaft ausgearbeitet haben. Was diejenigen betrifft, die sich wie dieser 1967 ausgeschlossene Garnault-Anhänger naiv darüber empören, dass jede fortgeschrittene Aktion selbst durch die herrschende Welt bedingt wird, die „den Rückstand in jedem Bereich“ vervielfacht hat, so kann man wohl verstehen, dass sie im Verhältnis zu ihrem eigenen demokratisch gerühmten Rückstand die S.I. als eine Elite brandmarken. Wenn die Tatsache, gleichzeitig mit der revolutionären Wirklichkeit da zu sein, die Elite kennzeichnet, dann sind wir eine. Eine solche „Elite“ steht aber dem Proletariat näher, wenn es als historisches Subjekt wiedererscheint, als alle stolzen Spezialisten des Rückstands. So war z.B. die S.I. am Anfang der Bewegung der Besetzungen stark anwesend, während viele andere Revolutionäre — wir sprechen hier nicht von den Neobürokratengruppen — erst Ende Mai angefangen haben, ihre eigenen handelnden Ideen in dieser Bewegung zu erkennen. Trotz der Grausamkeit dieses Verfahrens müssen wir die Mitte Mai herausgekommene Nr. 71 von ICO zitieren, die weder vor dem 11. noch nach dem 13. geschrieben worden sein kann, da sie den von den Gewerkschaften auf den 13. festgesetzten Streiktag und die Demonstration ankündigt. Hier ICO’s Analyse zu dieser Zeit (die sie natürlich im Juni verbessern wird): „… Die Entwicklung der Bewegung in dem engen Rahmen der Studentenforderungen und der Lösung des ‚Universitätsproblems‘ in einer Ausbeutungsgesellschaft, der Mangel an wirklicher Solidarität der Arbeiter, sowie das Abflauen der Bewegung, das die aus dem Kampf entstandenen neuen Verhältnisse beseitigen und der bisher passiven bzw. im Hintergrund stehenden Masse ihr ganzes Gewicht zurückgeben könnte, zwingen einen, sich die Frage nach dem Sinn der künftigen Entwicklung zu stellen: rechter oder linker Totalitarismus oder was sonst? Die Gewaltanwendung auf der Straße gegen die aktuelle politische Macht ist kein unbedingtes Zeichen für einen Klassenkampf der Ausgebeuteten gegen den kapitalistischen Apparat. Eine Revolution (und von einer Revolution sind wir weit entfernt) kann eine neue Klasse, eine gerade in der Repression ‚Wirksamere‘ bürokratische Gesellschaft gebären (…) Fühlen sich die meisten Arbeiter über Affektreaktionen hinaus wirklich betroffen? In welchem wirklichen Zusammenhang steht die Bewegung, sogar in ihren weitesten Entwicklungsformen, zum Klassenkampf? Eine erste Antwort kann schon gegeben werden: eine spontane Solidarität der Arbeiter hat nicht stattgefunden.“

Wie man sieht, gibt es in diesem Text keine Spur eines fehlerhaften Avantgardismus, aber bedeutet nicht in solchen Tagen ein solcher Rückstand des Verständnisses eine totale Trennung von der revolutionären Bewegung, die der lächerlichsten Zurückgebliebenheit gleichkommt? Glücklicherweise werden die Arbeiter von Nantes in ICO nicht anerkannt. Selbstverständlich sind diejenigen, die spät gekommen sind — Viénets Buch weist darauf hin, dass am 17. Mai „bei dem von der Krise erreichten Grad keine Gruppe kräftig genug war, um mit nennenswerter Wirkung in eine revolutionäre Richtung einzugreifen“ — auch spät wieder gegangen. So ist z.B. im Juni 1969 in der Nr. 82 von ICO ein Artikel über die Geschichte der „inter-betrieblichen“ Gruppierung zu lesen, zu der die ICO-Gruppe gehört und deren letzte leer gewordene Sitzungen bis „Ende 68 — Anfang 69“ fortbestanden. Eine Fußnote über den CMDO weist zu Recht darauf hin, dass „die Tatsache, dass der CMDO sich am 15. Juni aufgelöst hat, zeigt, dass seine Mitglieder sich der Probleme, die wir stellen, bewusst waren.“ Richtig, und zwar sechs Monate vorher.

Der CMDO hätte sich sogar noch ein paar Tage vorher aufgelöst, hätte er nicht die letzten Kämpfe der Flins-Arbeiter bis zum Ende unterstützen wollen. Das Abflauen war schon in den allerersten Juni-Tagen offensichtlich und es war gar nicht unsere Absicht, die revolutionäre Räteorganisation zu spielen zusammen mit dem CMDO, der nur die improvisierte Form war, die durch die Beteiligung an einer wirklichen revolutionären Bewegung möglich und — für uns selbst — notwendig gemacht wurde. Später schienen uns die bewussten Fälschungen und lächerlichen Manöver von zwei oder drei „ehemaligen CMDO-Mitgliedern“, sowie die Ratlosigkeit einiger anderer zum Vorschein kommen zu lassen, dass diese Auflösung durch die S.I. und einen Teil der bewusstesten Genossen von den CMDO-Mitgliedern aufgezwungen sei, obwohl sie zu dieser Zeit einstimmig gebilligt worden war und uns als die Absicht aller erschienen war. Was zu bedeuten hat, dass eine solche Gruppierung, wenn man sie nach dem revolutionären Moment hätte aufrechterhalten wollen, in dem die Gleichheit wirklich bestand und die permanente, gemeinsame Tätigkeit ihr unmittelbares Übungsfeld gefunden hätte, zwei unannehmbare Kategorien mit sich gebracht hätte — die Revolutionsspezialisten und ihre Mitläufer. Einige CMDO-Genossen ließen erkennen, dass sie gerne zu Ausführenden der S.I. geworden wären, und wurden später darüber böse, nicht als solche angenommen worden zu sein. Diejenigen dagegen, die zu dieser Zeit eine wirkliche Autonomie an den Tag legten und nachher der S.I. beitreten wollten, wurden einige Monate später aufgenommen. Die Auflösung des CMDO ist eine allgemeine praktisch-theoretische Notwendigkeit gewesen und nicht nur ein taktisch nützlicher Schritt, der es den „Kompromittiertesten“ — den Situationisten und den Wütenden — normalerweise überließ, allein für die strafbaren Handlungen verantwortlich zu sein, die dem CMDO zugeschoben werden könnten. In dem Augenblick, in dem der CMDO stark der Gefahr ausgesetzt wurde, von einer Elite abhängig zu werden, schaffte sich diese als solche sofort ab, indem sie die Auflösung unterstützte.

Mit der Räteorganisation darf man nicht spielen. Wenn sie zustande kommt, dann mit Arbeitern, die sich überhaupt nicht um Eliten kümmern und keine Nachsicht mit dem Rückstand üben. Sie werden die S.I. mit kaltem Blick an ihrem einfachen Platz in der Geschichte sehen und tatkräftig die Fälschungen der alten Welt und die Komplexe der Halbgelehrten verbieten.

Das Gold der S.I. (Fortsetzung und Ende)

In der gesamten schwachsinnigen Mythologie, die von der Studentenverdrängung bzw. der Eifersucht der Bosse der gauchistischen Sekten über die S.I. konstruiert worden ist, nimmt das Thema des Geldes einen bevorzugten Platz ein. Uns wird gleichzeitig vorgeworfen, durch Erbschaften sehr reich zu sein und durch die S.I. zu Reichtum gekommen zu sein; durch obskure Gelder finanziert zu werden und Gangster zu sein. Wir sehen wohl, dass wenige Gruppen mit revolutionären Absichten zumindest in Frankreich genug Geld hatten, um es unter Verzicht auf Rückerstattung in ihrem Unternehmen zu verbrauchen, was eine Art proletkulthafter Mystik des langen, materiell kaum leserlich vervielfältigten Textes hervorgebracht hat. Das ist aber kein Grund zu solchen Verallgemeinerungen. Die alte Weit prägt uns noch so tief, dass im Mai, als mehrere streikende Druckereien kostenlos für uns arbeiteten, Leute immer noch vorschlugen, zu kaufen, was wir immer wieder verschenkt haben, und sich Gedanken über unsere Kosten und Geldmittel machten. Wir wollen hier auf alle diese Gerüchte antworten, in der Hoffnung, dass es das letzte Mal ist. In diesem Bereich werden wir, wie man sich denken kann, nicht alles sagen — aber alles, was wir sagen, wird wahr sein.

Am meisten wundern sich die Zuschauer darüber, dass wir uns eine so „luxuriöse“ Zeitschrift leisten können, das Wort wurde in mehreren Artikeln von Journalisten gebraucht. Vor allem antworten wir darauf, dass eine Zeitschrift, die von Anfang an für drei Franc verkauft wird — obwohl wir keineswegs beabsichtigen, die Kaufkraft des Francs aufrechtzuerhalten — im Ernst nicht als „luxuriös“ bezeichnet werden kann. Andere Leute weisen übrigens auf die übermäßige Zeitspanne zwischen dem Erscheinen zweier Nummern hin, es stimmt aber, dass sie nur zum beschränkten Teil aus Finanzierungsschwierigkeiten herrührt, zum großen Teil vielmehr aus der Tatsache, dass wir sonst viel zu tun haben, und bis zu einem gewissen Grade auch aus unserer Faulheit. Um unseren Luxus zu erklären, ist alles gesagt worden — Finanzierung durch Ost-Deutschland bzw. Boris Souvarine (der anscheinend doch finanzielle Schwierigkeiten hatte, um seine eigene Zeitschrift weiter herausgeben zu können), durch die Freimaurerei und sogar die CIA (dieses letzte Gerücht stammt von Boumediennes Polizei, die wohl einige Gründe hat, uns nicht zu lieben). Zeigen wir jetzt ein für allemal auf, wie es eigentlich mit diesem Luxus steht. Unsere französische Zeitschrift, von der alle Nummern vergriffen sind, hatte bei der letzten Nummer eine Auflage von 5.000 und bei dieser Nummer eine von 10.000 Exemplaren. Einen beträchtlichen Teil jeder Auflage schenken wir revolutionären Gruppen in verschiedenen Ländern, aber jede verkaufte Nummer bringt uns schließlich 2 Francs ein, wobei die vorigen Nummern kaum mehr als 10.000 und die hiesige weniger als 20.000 Francs gekostet haben. Daher kann man also leicht verstehen, dass wir, wenn wir auch nur sehr wenige Exemplare kostenlos verteilen würden, diese „luxuriöse“ Zeitschrift schon mit Gewinn verkaufen würden. Wenn wir den Verkaufspreis bei 6 Francs festsetzen würden, so würde der Gewinn sehr groß sein, wir haben aber immer wieder diese Möglichkeit zurückgewiesen, da wir sie für kleinlich halten (denjenigen unserer Leser, die Lust zum Kopfrechnen haben, sei es überlassen, die Summe auszurechnen, die diese Zeitschrift der S.I. einbringen könnte, bei ihrem jetzigen Preis bzw. bei 6 Franc, bei drei- oder sechsmonatiger Erscheinungsweise mit je einem Drittel der Seitenzahl).

Es stimmt natürlich, dass wir andere Kosten haben: Anwälte, Hilfsmittel für einige geldarme revolutionäre Gruppen und S.I.-Genossen, die gezwungen sind, vorübergehend das Land zu wechseln; Delegierte, die dringend ausgesandt werden müssen und auf eigene Kosten nicht schnell genug reisen könnten; Ankauf von Material usw. Trotzdem bekommt die S.I., die sich weigerte, irgendeinen Mitgliedsbeitrag zu verlangen, natürlich all das als Potlatch, was ihre Mitglieder und einige von denen, die man in der alten Politik „Sympathisanten“ nennen würde, ihr geben können. Und wir sind weit davon entfernt, trotz — oder vielleicht gerade dank — so vieler Ausschlüsse, Brüche und Kontaktverweigerungen isoliert zu sein. Die Bescheidenheit der S.I.-Genossen, die die schon erschienenen situationistischen Bücher verfasst haben, wird nicht unter dem Hinweis darauf leiden, dass auch diese Bücher etwas Geld eingebracht haben. Andererseits war dieser S.I.-„Reichtum“, der deswegen verwundert, weil er im Gegensatz zur relativen individuellen Armut der Situationisten steht, immer das Ergebnis der Kunst, Schulden zu machen, zu passender Zeit dann genügend Geld zu finden, um die meisten zu begleichen, und um neue Schulden machen zu können.

Dass wir so fähig sind, „Geld aufzutreiben“ ohne die Unabhängigkeit der S.I. zu veräußern und vor allem ohne dass es sofort in irgendeine persönliche Bereicherung versinkt — darüber geraten gewisse Leute in Wut. Und zwar gerade diejenigen, aus deren Benehmen man nicht im geringsten schließen kann, dass sie die minimale Strenge einhalten würden, wenn ihnen nur ein Zehntel von den fragwürdigen Bereicherungs„gelegenheiten“ eines Tages angeboten würde, die wir ständig abgelehnt haben.

Daraufhin wirft man den Situationisten ihren ererbten bzw. erworbenen Reichtum vor. So dass diejenigen, die behaupten, nicht so reich zu sein, und uns diesen Reichtum anhängen, sich gerade dadurch entschuldigen, dass sie geistiges Strebertum und Prostitution praktizieren und ihre Feder verkaufen mussten. Weil sie arm waren und es nicht allzu lange bleiben wollten und nicht sehr interessant — außer für ihre Schutzherren im CNRS oder in sonstigen Salons —, was hätten sie sonst machen können? „Sicher, wir würden uns so standhaft wie die Situs verhalten, wenn wir nur deren Renten hätten!“ Da unsere Gegner jedoch den totalen Mangel an Ernsthaftigkeit dieser Beschuldigung einsehen, hängen sie uns gleichzeitig an, uns durch die S.I. persönlich zu bereichern. Es liegt aber auf der Hand, dass keiner einen einzigen Situationisten kennen kann, der auf irgendeinem Gebiet Karriere gemacht hat, indem er seinen Ruf (der übrigens wegen des Inhalts selbst der Positionen der S.I. und unserer Politik stark begrenzt ist) dazu benutzt hat, sich in diesem oder jenem geistigen Amt wie Rubel, Lefebvre u.a.m. zur Schau zu stellen. Ist es so, dass fast alle Situationisten sich durchschwindeln müssen? Dann werden sie schwachsinnigerweise als Zuhälter oder Rauschgifthändler denunziert — beides gesetzwidrige Handlungen, die der von der revolutionären Bewegung erforderten Methode und Praxis offensichtlich entgegengesetzt sind, da jede Illegalität bei weitem noch nicht mechanisch deswegen gut ist, weil sie einem Gesetz widerspricht. Ist es so, dass die Situationisten einige der vorhandenen Vertriebswege benutzen? Dann wird ihr endlich bewiesenes weltgewandtes Strebertum denunziert. Man braucht nur zu sehen, welche übermäßigen Verleumdungen die bloße Veröffentlichung der Bücher zweier Situationisten beim armen Verleger Gallimard hervorgerufen hat. Wir hatten schon in der S.I. Nr. 10 gesagt, was wir (wie Marx, Bakunin und sonstwer) vom Gebrauch der Verleger in der bürgerlichen Welt halten. Sogar nachdem wir wegen einer relativ leichten Dummheit, die in seiner Umgebung begangen worden war, rechtswidrig mit Gallimard vollständig gebrochen hatten, führten Schwachköpfe dieses Beispiel immer noch für unsere „Rekuperation“ an. Es wird uns sogar vorgeworfen, von der „bürgerlichen Presse“ übermäßig zitiert zu werden, während alle Zeitungen und Zeitschriften uns jahrelang absolut totgeschwiegen und wir immer wieder Interviews abgelehnt haben.

Während man uns gleichzeitig gerade das Gegenteil vorwirft, greift man einige Situationisten wegen der Lohnarbeit an, die sie eventuell verrichten mussten. Sind einige von uns Maurer, Seeleute, Hafenarbeiter gewesen — dann ist das nichts anderes als künstlerischer Proletkult. Khayati übersetzt eine wissenschaftliche Enzyklopädie und ist gleichzeitig Redakteur bei einer anderen: nord-afrikanische Bürokraten schreiben ihm eine üppige Lebensart zu, die sie bei derselben Gelegenheit sehr verdächtig finden. Vaneigem hat immer in anonymer und untergeordneter Stellung als Redakteur bei der zweiten hier erwähnten Enzyklopädie gearbeitet, die eine vollständig „objektive“ Information zu liefern behauptet; allein er hat noch dazu Texte für die Zeitschrift Constellation verbessert. Er muss sofort deren Direktor gewesen sein, man stellte ihn sogar als Chefredakteur des Readers Digest auf!

Was Debord betrifft, von dem der wahnsinnigste unserer Gegner nur schwer sagen könnte, er habe je seinen „Ruf“ als Situationist in dem einzigen, ihm anerkannten Beruf — und zwar Filmemacher — kommerzialisiert oder je angenommen, in diesem Bereich irgendetwas zu tun, das seinen gesamten revolutionären Positionen, sei es formal oder inhaltlich, widerspricht, so wird ihm ganz einfach ein riesiger ererbter bzw. noch zu erbender Reichtum, ein steinreicher Industrieunternehmer, ja sogar ein Minister als Vater unterschoben. Allerdings behaupten Erfinder mit weniger Sinn für Humor, er verdiene seinen Lebensunterhalt und finanziere sogar die S.I. dadurch, dass er ganz einfach beim Pokerspiel mogelt. Von René Viénet ist gesagt worden, er sei an verschiedenen „racketts“ beteiligt — er ist sozusagen ein Sinologe. Andere tadeln ihn auch deshalb. Zusammenfassend: die Situationisten — und ein hoher Prozentsatz unserer Ausschlüsse kann das bezeugen — haben nie etwas getan, indem sie für ihr persönliches ökonomisches Überleben oder auch für ihre kollektive Finanzierung (denn das sind zwei verschiedene Fragen) sorgten, das den allgemeinen revolutionären Methoden, die wir behauptet haben, und der Kohärenz des praktischen Prozesses, den diese mit sich bringen, entgegen steht. Diejenigen, die das Gegenteil behaupten, verleumden uns ohne die geringste Spur der Wahrscheinlichkeit. Die künftige revolutionäre Bewegung wird über dieses archaische Verhalten hinauswachsen, da sie sich weniger mit Anekdoten aus der vorherigen Periode beschäftigen und es verstanden haben wird, durch ihre Praxis selbst die Frage ihrer eigenen Finanzierung zu lösen.

Rekuperiert wird nur derjenige, der es will

Im Figaro Littéraire vom 16. Dezember 1968 waren anlässlich der Verleihung des „Sainte-Beuve-Preises“ an Frau Lucie Faure folgende Zeilen zu lesen:

Der Vorsitzende Edgar Faure kam und beglückwünschte seine Gemahlin artig … Damit wurde bewiesen, dass Preisrichter 1968 immer noch zusammenkommen können, ohne dass randaliert wird … Indessen hätte es zur Beanstandung und sogar zur Gewalt kommen können, wenn die Preisrichter Guy Debord für sein Buch Die Gesellschaft des Spektakels preisgekrönt hätten, wie sie es eine Zeitlang wollten. ... Als wilder Situationist konnte es Debord nicht akzeptieren, während einer Cocktailparty der Konsumgesellschaft von Bourgeois gefeiert zu werden. Davor hatte er seinen Verleger, Edmond Buchet, wie folgt gewarnt: „Wie Sie sich denken können, bin ich radikal gegen alle Literaturpreise. Teilen Sie das also bitte den betreffenden Personen mit, damit sie diesen Fehlgriff vermeiden. Ich muss sogar zugeben, dass ich, sollte ein so bedauernswerter Fall eintreten, vermutlich nicht imstande wäre, die jüngeren Situationisten von Tätlichkeiten abzuhalten: sie würden bestimmt die Preisrichter angreifen, die eine solche, von ihnen als eine Beleidigung empfundene Auszeichnung, verleihen.“

Wie man sieht, ist die Methode ganz klar und deren Ergebnisse überzeugend.

Die Rückkehr von Charles Fourier

Am Montag, dem 10.März 1969 um 19 Uhr, also genau zu der Zeit, als ein Warn„generalstreik“ begann, der von den gesamten Gewerkschaftsbürokratien sorgfältig auf 24 Stunden beschränkt worden war, wurde das Denkmal von Charles Fourier auf dem Clichy-Platz wieder auf seinen Sockel gestellt; der lehr geblieben war, seit die Nazis die erste Fassung weggebracht hatten. Auf einer am Fuß des Denkmals angebrachten Tafel war folgender Hinweis auf seine Herkunft eingeschnitzt worden: „Charles Fourier zur Ehre — die Barrikadenkämpfer der Rue Gay-Lussac.“ Noch nie zuvor war die Technik der Zweckentfremdung auf ein solches Gebiet angewandt worden.

Die Aufstellungsarbeit wurde zu einer Zeit verrichtet, als der Clichy-Platz sehr belebt war und vor mehr als Hundert Zeugen, von denen sich viele ansammelten, sich aber keiner selbst beim Lesen der Tafel wunderte (man wundert sich in Frankreich wenig, seit man den Mai 1968 erlebt hat). Dieses Denkmal war eine genaue Kopie des vorigen, aber mit dünner Bronzeglasur. Nach Augenmaß konnte man es also für echt halten. Es wog trotzdem mehr als 100kg. Kurz danach wurde die Polizei es gewahr und ließ es den ganzen folgenden Tag bewachen. Erst in der Morgendämmerung des zweiten Tages danach wurde es vom technischen Dienst der Präfektur abtransportiert.

Ein Kommando von ungefähr zwanzig „Unbekannten“ — so Le Monde vom 13. März — hatte genügt, um die gesamte Operation abzudecken, die kaum eine Viertelstunde dauerte. Laut einem von France-Soir vom 13. März zitierten Zeugen „haben acht junge Leute das Denkmal mittels mitgebrachter Bohlen hochgestemmt. Eine schöne Leistung, wenn man bedenkt, dass nicht weniger als dreißig Schutzmänner und ein Kran nötig waren, um den Sockel am folgenden Tag wieder freizulegen.“ Und die dies eine Mal zuverlässige Aurore wies darauf hin, wie bemerkenswert die Sache sei, da „die Wütenden nicht vielen solche Huldigungen darbringen.“

Über die Repression

Im gauchistischen Wortschatz des Jahres 1968, der grundsätzlich rückständig ist, aber dadurch der Wirklichkeit immer wieder um einen Grad voranging, wenn es sich darum handelte, diese mit einer archaischen Situation zu identifizieren, wurde die Polizeiaktion „Repression“ genannt, wenn sie auf die Wiedereroberung der von den Aufständischen besetzten und reichlich mit Barrikaden versehenen Straßen losmarschierte. Diese Empörung schmeckte immer noch nach der sehr zu unrecht moralisierenden alten Linken zur Zeit der ehrfurchtsvollen Petitionen. Als dann Mitte Juni mit der echten Repression begonnen wurde — die zum Glück sehr begrenzt blieb gegenüber dem, was gemacht worden war — klagten dieselben sofort laut über Faschismus.

Übrig bleibt, dass gauchistische Gruppen damals aufgelöst wurden. Außer der „Bewegung des 22. März“, die als Sammelgruppe für alle Rand- und Sonderströmungen angesehen wurde (glücklicherweise zu unrecht), waren alle aufgelösten Gruppen leninistischer (die Trotzkisten sind nichts anderes) bzw. stalinistischer Art (die Maoisten sind nichts anderes).

Die Position der S.I. in diesem Punkt ist ganz klar: selbstverständlich verteidigen wir im Namen unserer Grundsätze die Rede- und Versammlungsfreiheit dieser Leute, obwohl sie uns diese Freiheit im Namen ihrer eigenen Prinzipien verweigern würden, wenn sie eines Tages die Mittel dazu hätten. (Fügen wir hinzu, dass wir es für unrevolutionär halten, wenn sie die gaullistische Polizei dazu auffordern, eine faschistische Gruppe wie „Occident“ aufzulösen und sich zu einem solchen „Erfolg“ beglückwünschen).

Während des Abflauens der Bewegung wurden Sprengstoffattentate begangen. Arbeiter aus Bordeaux sind deswegen verurteilt worden, ohne dass die revolutionären „Studenten“ sich im geringsten sichtbar mit ihnen solidarisch erklärt haben. Sechs Monate später wurde André Destouet in Sprengstoffattentate gegen einige Pariser Banken verwickelt. Wenn man die Sache vom Standpunkt der Strategie der sozialen Kämpfe aus betrachtet, muss man zunächst sagen, dass man nie mit dem Terrorismus spielen sollte. Ferner ist sogar ein ernsthafter Terrorismus historisch immer nur dort wirksam gewesen, wo jede andere Form der revolutionären Aktivität durch eine vollständige Repression unmöglich gemacht wurde und folglich nennenswerte Bevölkerungsschichten dazu gebracht wurden, für die Terroristen Partei zu ergreifen. Die Persönlichkeit dessen, der die ganze Verantwortung für die betreffenden Attentate auf sich genommen hat, Elisée Georgev, macht es jedoch möglich zu behaupten, dass diese Aktionen von der echten Absicht gelenkt waren, der Sache der Ausgebeuteten dienlich zu sein, so dass diejenigen Gauchisten, die in diesem Fall von „polizeilicher Provokation“ gesprochen haben, die endgültige Verachtung aller Revolutionäre verdienen.

Obwohl fast alle Gerichtsverfahren, die sich auf Verbrechen und Delikte im Zusammenhang mit der Bewegung vom Mai 68 bezogen, durch die Amnestie vom Juni 1969 eingestellt worden sind, werden bekanntlich die damals auf dem Verwaltungswege ausgewiesenen Ausländer (u.a. Daniel Cohn-Bendit), die nie angeklagt worden sind, nicht von dieser Amnestie betroffen. Ihr unbedingtes Recht zu einer Rückkehr nach Frankreich zu fordern — gewiss nicht durch jammernde Beschwerden, sondern durch jede mögliche direkte Aktion — sollte das unmittelbare Ziel aller Gruppen sein, die meinen, dass sie zur Zeit imstande sind, eine Fakultät oder irgendeinen anderen Sektor „lahmzulegen“.

Bekanntmachung

Die leidenschaftliche Feindseligkeit, die seit langer Zeit durch die S.I. in bestimmten Kreisen hervorgerufen wurde, hat sich seit dem Mai 1968 merkwürdig erweitert. Manchmal tritt sie in Formen auf, die vom üblichen Stil der politischen Verleumdungen sehr weit entfernt sind, indem sie sich von diesen vor allem durch absolute Unwahrscheinlichkeit und Nutzlosigkeit unterscheidet. In diesem Fall stammen die neurotischen Ausdrucksformen dieser Feindseligkeit sichtbar von zurückgewiesenen bzw. ganz einfach nie beachteten Bewunderern — es handelt sich dabei sogar um die einzige „Produktion“, an der sie je teilgenommen haben —, einer elenden Schicht also von armen Teufeln, die den bestürzenden Anspruch darauf erheben, eine führende geistige Rolle zu spielen, zu der sie glücklicherweise gar keine Mittel besitzen. Im allgemeinen haben sie damit angefangen, ihre Umwelt glauben zu lassen, sie würden die S.I.-Theorie verstehen und billigen, sogar die Situationisten recht gut kennen. Um dann ihren eigenen Wert vergleichsweise bestätigen zu können, bleibt ihnen nur übrig, diesen Situationisten einige wunderlich schlechte Eigenschaften anzuhängen, von denen diese Scheinheiligen wenigstens frei sind, wenn es auch stimmt, dass sie nichts anderes getan haben.

Progrès de la télévision
(caméra utilisée à Milan, en décembre 1968, pour identifier des manifestants).
«La deuxième journée des épreuves écrites des concours d’agrégation a été marquée, à Paris, ce mardi matin, comme la veille, par un certain nombre d’incidents ... A l’intérieur du centre, quelques caméras de télévision avaient été judicieusement disposées afin de surveiller les allées et venues des étudiants.»
Le Monde (14-5-69).
Les plaisirs de l’I.S.
«Mais il y a quelque part, au vu et au su de l’administration, vivant sous sa tolérance, une Association recélant dans son sein, comme l’Association internationale, les aspirations les plus dangereuses, agitant les questions politiques les plus brûlantes, remuant des passions ardentes, cherchant à embrasser le monde dans des mailles puissantes d’affiliations redoutables, créant (pour rappeler ies termes de votre arrêt) un danger permanent pour la sécurité publique, à raison des principes subversifs propagés par ses membres contre la religion, la propriété, le capital, les relations entre les ouvriers et les patrons, se perpétuant au mépris de la loi et des avertissements de la justice, trahissant enfin la nature de ses actes par le mystère dont elle cherche à s‘entourer en refusant de livrer ses registres de comptabilité et d’indiquer l’emploi qu’elle fait des cotisations qu’elle recueille.»
Réquîsitoîre de l’avocat général Benoist, au deuxième procès de la Commission parisienne de l’Internationale, 19 juin 1868.

Über die Übertreibungen, Fälschungen oder unehrlichen Vorwürfe gegen diesen oder jenen wirklichen Aspekt unserer Tätigkeit hinaus kommt es vor, dass Leute uns auf einige vollkommen irrsinnige Aussagen aufmerksam machen, die gewisse Individuen wiederholt anführen, ohne mutig genug zu sein, sie zu veröffentlichen. So wird z.B. gesagt, die Situationisten seien Zuhälter; sie hätten sich alle zu gelegener Zeit reich verheiratet; sie vergewaltigten Mädchen; sie lebten wie Fürsten; sie hätten im Mai sowohl aus Angst als auch aus Dummheit nichts getan, und R. Viénets Bericht und Dokumente seien vollkommen falsch; dieselben Situationisten hätten in derselben Periode hierarchisch in Büros gewaltet, die sie sich erschwindelt hätten, wobei sie von knechtischen Bütteln wild bewacht worden seien, die jede Diskussion mit der Masse von echten Revolutionären ablehnten, die dort empfangen werden wollten; dieser oder jener könne aber gleichzeitig kommen, sie tapfer beschimpfen und — aber ja! — ohrfeigen, ohne dass sie mit ihrem schlechten Gewissen auch nur eine Antwort wagen würden!

So klar delirierende Erfindungen weisen deutlich auf ihre eigene Herkunft hin: sie sind der Kompensationstraum unfähiger Studenten. Nach einigen Zeugen kann man einem gewissen Jean-Yves Bériou, der am meisten in der Gegend um Lyon zu sabbeln scheint, als eine Art Gattungsmuster betrachten, da er ganz allein alle oben angeführten Beispiele von sich gegeben hat. Es sind aber sehr viele andere, zwar quantitativ weniger ergiebige, aber qualitativ ähnliche, phantasievolle Leute von Nanterre bis Toulouse und von Strassburg bis Bordeaux am Werk.

Erster praktischer Schluss: es liegt für uns etwas ziemlich Unschönes in der Haltung derjenigen, die zu uns kommen, um solchen Blödsinn irgendeines erbärmlichen Schwachsinnigen zu denunzieren, mit dem sie schließlich verkehrt und dem sie doch zugehört haben, als ob sie es sich als Verdienst anrechnen wollten, sich nicht getäuscht zu haben oder selbst nicht so heruntergekommen zu sein. Es sollte recht klar verstanden werden, dass wir von keinem verlangen, mit uns zu verkehren; und dass es selbstverständlich keinen einzigen gibt, für den dieser Kontakt lebenswichtig ist. Folglich werden wir es nicht mehr akzeptieren, dass irgendjemand denkt, er könne eines Tages bei uns Zugang haben, wenn er bei einem Treffen mit einem offensichtlichen Verleumder der S.I. diesen Fälscher nicht auf der Stelle widerlegt und mit ihm gebrochen hat — wenn nötig mit Gewalt. Dieser Beschluss tritt bei der Veröffentlichung der jetzigen Nummer dieser Zeitschrift in Kraft.

A propos Nantes

Mit einem ziemlich übertriebenen Titel — Die Kommune von Nantes (Verlag Maspero, Mai 1969) — ruft ein gewisser Yannick Guin die Bewegung der Besetzungen in Nantes wach, wobei er folgende unvermeidliche Banalität des gemäßigten Gauchismus verbreitet: es soll in Nantes den Ansatz zu einer „Doppelherrschaft“ gegeben haben, da das Intersyndikal-Streikkomitee tatsächlich neben dem Präfekten und schon mehr als er die Kontrolle über die Stadt ausgeübt hat. Bekanntlich üben gauchistische bzw. revolutionär-syndikalistische Minderheiten in den Gewerkschaften von Loire-Atlantique — in der F.O. und sogar in der CFDT — einen Einfluss aus, der ihrer wirklichen Bedeutung auf nationaler Ebene überhaupt nicht entspricht, was mit bestimmten, lokal vorhandenen Traditionen der Arbeiterkämpfe und ökonomischen Bedingungen zu tun hat.

Schon 1953 kamen während des großen Streiks solche Ansätze einer Macht des aufrührerischen Streikzentralkomitees in Nantes deutlich zum Vorschein — ein schönes Überbleibsel der damals im Syndikalismus enthaltenen revolutionären Möglichkeiten in einer Epoche der allgemeinen Liquidierung der Arbeiterbewegung. 1968 war die Situation eine ganz andere. Nach den Sabotageaktionen, die von der Universität aus von der Gruppe der revolutionären „Studenten“ durchgeführt worden waren, die das lokale UNEF-Büro innehatten (Yvon Chotard, Quillet usw.) und zum ersten Mal in Frankreich die rote und die schwarze Fahne zusammen wieder auf den Straßen auftauchen ließen, kam der entscheidende Beitrag der Bewohner von Nantes selbstverständlich von den „Sud-Aviation“-Arbeitern, die am 14. Mai die Fabrikbesetzungen einleiteten. Es ist aber falsch, von dieser beispielhaften Aktion auszugehen und Nantes als eine Stadt zu betrachten, die an der Spitze der Mai-Bewegung gestanden hätte. Der Mai war hauptsächlich ein im ganzen Land stattfindender wilder Streik und überhaupt kein „generalisierter Streik“, wie die Bürokraten und diejenigen, die sich nicht von ihnen zu unterscheiden wagen, schamhaft sagen. Dieser Streik hat sich nicht wie eine im Laboratorium beobachtete Reaktion durch eine Art mechanische Unschuld neben Gewerkschaften „generalisiert“, die nie zum „Generalstreik“ aufrufen wollten, weshalb sie seither diesen klassischen Ausdruck nicht gebrauchen durften — in der Tat hat sich der Streik gegen sie erweitert. So stand, während eine revolutionäre Strömung von Arbeitern zum ersten Mal bereits im ganzen Land gegen die Gewerkschaften kämpfte, die Pseudo-Kommune in Nantes mit ihrem führenden Intersyndikal-Komitee eigentlich weit hinter dem, was in der Bewegung der Besetzungen am Neuesten und am Tiefsten war.

Neben den üblichen Albernheiten, aus denen dieses schlechte Buch besteht, hat Guin Anekdoten über den sehr wichtigen Beitrag der revolutionären „Studenten“ von Nantes einen beträchtlichen Platz eingeräumt, die, obwohl sie manchmal echt sind, immer wieder böswillig dargestellt werden. Mindestens eine von ihnen ist eine reine Lüge. Im IV. Kapitel ist folgendes zu lesen: „Praktisch übte die S.I., mit der häufiger Verkehr gepflegt wurde, den wirklichen Einfluss aus. Aber auch hier war der Nantes-Lokalpatriotismus noch deutlich zu spüren. So konnte man z.B. beobachten, wie Vaneigem, der hauptsächliche denkende Kopf der S.I., in Nantes landete, sich im A.G.E.N.-Lokal meldete und sofort nach Chotard fragte. Es wurde ihm absichtlich geantwortet, man wüsste nicht, wo er sei. So musste Vaneigem einen ganzen Nachmittag warten und dabei das Lächeln der Studenten von Nantes ertragen.“

Diesen Kriminalroman hat nie jemand im geringsten „beobachtet“ außer dem Verfasser, der ihn erfunden hat. Vaneigem und ein Arbeitergenosse sind als Delegierte des „Rats für die Aufrechterhaltung der Besetzungen“ (CMDO) nach Nantes gefahren, wo sie sich sofort nach ihrer Ankunft mit Chotard trafen. Sie sollten selbstverständlich einer revolutionären Gruppe keinen „Befehl“ erteilen, die sowohl gegenüber der S.I. als auch gegenüber dem CMDO vollkommen autonom war. Vaneigem, dessen Name in Nantes ein wenig bekannt war, hütete sich davor, als Star aufzutreten: er weigerte sich sogar, bei einer Demonstration eine Rede zu halten, wozu man ihn in Nantes aufgefordert hatte. Die CMDO-Delegierten begnügten sich damit, Informationen mit den Revolutionären in Nantes auszutauschen, die schon zwei oder drei Mal einige Genossen (unter ihnen Chotard) nach Paris geschickt hatten, wo sie durch den CMDO so schnell und herzlich empfangen worden waren, wie das natürlich war. Sie waren offensichtlich nicht nach Paris gekommen, um Befehle zu erhalten, und glücklicherweise dachte keiner daran, ihnen welche zu erteilen. Selbstverständlich waren sie auch nicht gekommen, um uns welche zu erteilen.

Wenn einige radikale Genossen in Nantes, die im Laufe des Jahres vor der Bewegung der Besetzungen mit der S.I. auf einer klar festgesetzten Basis der Autonomie und der Gleichheit einige Diskussionen geführt und Briefe gewechselt hatten, allmählich vielen — aber nicht allen — unserer Positionen näher gekommen waren, so war das in voller Freiheit, durch eigene Überlegung und vor allem konkrete Erfahrung geschehen. Zwischen uns gab es kein offenes oder geheimes Organisationsband; noch weniger hätte man bei diesem Austausch die geringste Spur einer Unterwerfung finden können, die wir auf keinen Fall wollten und die sie gewiss genauso wenig gewollt hätten.

Aus dem, was folgte, scheint sich herauszustellen, dass das für uns Selbstverständliche für sie alle nicht so selbstverständlich zu sein schien, und dass diese Frage sogar einige von ihnen undeutlich störte. Nachdem wir Guins Buch gelesen hatten, fragte die S.I. schriftlich bei den Nantes-Genossen nach, wie sie auf diese Verleumdung reagieren wollten und was genau sie über diesen Guin wussten. Sie haben es für gut gehalten, auf den letzten Punkt hinhaltend zu antworten. Was den ersten betrifft, sagten sie, dass die Verleumdung gegen Vaneigem nur eine Einzelheit in diesem allgemein verleumderischen Buch sei, dass sie aber nicht wie wir meinten, es sei eine „revolutionäre Pflicht“, den Verleumdern einen Nasenstüber zu geben. Ferner meinten sie auf ziemlich komische Weise, sie seien über dieses Problem hinaus, da sie kurz zuvor jeden Bezug zur Universität von sich gewiesen und sich zum „Rat von Nantes“ aufgeschwungen hätten. Ohne das Problem der Gültigkeit einer voluntaristischen Proklamation von proletarischen Räteorganisationen erörtern zu wollen, die einfach am Rand der Universität, aber mit denselben Rekruten existieren, meinten wir, dass der Mangel an Strenge der Genossen vom „Rat von Nantes“ leider zu erkennen gab, dass sie sich die Wahrheit der einzigen Lehre nicht angeeignet hatten, die sie ohne unberechtigte Beschämung gewiss von uns hätten bekommen müssen. Trotz all dem, was wir immer noch für höchst schätzenswert an ihrer Aktivität des Jahres 1968 haften — insbesondere an Yvon Chotard, dessen revolutionäre Absichten und bemerkenswerte Fähigkeiten wir anerkennen — hat die S.I. sofort jede Verbindung mit alles Mitgliedern des gegenwärtigen „Rates von Nantes“ abgebrochen (Juvénal Quillet hat uns jedoch kurz danach mitgeteilt — darauf wollen wir aufmerksam machen — er habe sich sofort von ihm losgesagt, obwohl auf einem Plakat des „Rates von Nantes“ fälschlicherweise seine Unterschrift stehe.).

Les occupants de l’université Cornell l’évacuent avec leurs armes
La récuperation vulgaire
(affiche pour un film commercial, automne 1968)

Die Geschichte der S.I. wird erst später geschrieben

Anscheinend wollen mehrere Brau’s Bücher über die S.I. schreiben. Das ist ihnen aber noch nicht gelungen. Man muss ein Kritiker vom Schlag Maurice Joyeux’ sein (vgl. La Rue Nr. 4, 2. Trimester 1969), um zu glauben bzw. um so zu tun, als glaube man, dass diese Autoren je S.I.-Mitglieder sein konnten. Ferner muss man vermutlich ein Student sein, um zu glauben, dass sie auch nur das Geringste von dem verstanden haben, was wir sind. Hier hat es den Erziehern selbst deutlich daran gefehlt, erzogen worden zu sein und ihr gesamter didaktischer guter Wille genügt immer noch nicht, um diesen neuen Vorlesungsstoff zu behandeln. In seinem Werk Lauf Genosse, die alte Welt ist hinter dir her! (Verlag Albin Michel, 4. Trimester 1968) hat Jean-Louis Brau das Thema in einem oder zwei schlecht informierten Kapiteln nur oberflächlich berührt, die, was die Methode betrifft, völlig unten durch sind. Noch schlimmer — Frau Eliane Brau hat mit ihrem Situationismus oder die neue Internationale (Verlag Nouvelles Editions Debresse, 4. Trimester 1968) eine unverständliche Sammlung situationistischer Texte geliefert, in der sie nicht einmal den Gebrauch der Anführungsstriche meistern kann: ihre Ziele fangen sehr oft an und enden nirgends. Wenn man nach „Auszügen“ — die noch durch solche Kommentare geschwächt werden — urteilen will, sollte man sich normalerweise fragen, was es bei dieser situationistischen Bewegung denn geben kann, das „die Innenminister aller Länder beunruhigt“, um hier mit den Worten des provozierenden Waschzettels dieses Machwerks zu sprechen.

Ein Buch über die S.I. — L’estremismo coerente dei situazionisti (Der kohärente Extremismus der Situationisten) — ist in Italien beim Mailänder Verlag „Ed 912“ im November 1968 erschienen. Auf einer viel höheren Ebene bietet es eine kluge Auswahl gut übersetzter Texte mit Kommentaren, die ein halbes Verständnis zu erkennen geben.

Über unsere Verbreitung

Im Juli 1968 sind die erste Nummer die Zeitschrift der amerikanischen — Situationist International — und der italienischen — Internazionale Situazionista — Sektion der S.I. in New York und Mailand erschienen (5 bzw. 4.000 Exemplare). Die hiesige Nummer 12 von Internationale Situationniste hat eine Auflage von 10.000 Exemplaren. Die dritte Ausgabe der Zeitschrift der skandinavischen Sektion — Situationistisk Revolution — wird gerade gedruckt.

Die Broschüre Über das Elend im Studentenmilieu, berücksichtigt man ihre Verbreitung in mehreren Ländern, brachte es zu einer Auflage, die schätzungsweise zwischen 250.000 und 300.000 Exemplaren liegt. Davon wurden 70.000 direkt von der S.I. herausgegeben und die übrigen von unabhängigen revolutionären Gruppen, extremistischen Verlegern bzw. Zeitungen veröffentlicht. In Frankreich wurde sogar das Vorhandensein von zwei „Raubdrucken“ festgestellt, bei denen jeder Hinweis auf die S.I. beseitigt wurden war. In Internationale Situationniste Nr. 11 hatten wir schon auf englische, schwedische, amerikanische und spanische Übersetzungen hingewiesen (wobei die letztere außerhalb Spaniens veröffentlicht wurde). Seither ist eine neue spanische Übersetzung in Barcelona im Frühling 1969 geheim veröffentlicht worden. Es sind auch italienische, deutsche — Das Elend der Studenten, Berlin 1968 —, dänische und portugiesische Ausgaben erschienen. In New York hat im November 1967 eine zweite amerikanische Ausgabe die englische Übersetzung wieder aufgenommen, bevor sie noch einmal in der Wochenzeitschrift der radikalen Studenten von Berkeley — The Berkeley Barb — ab der Nummer von 29. Dezember 1967 in Fortsetzungen veröffentlicht wurde. Eine weitere spanische Übersetzung soll demnächst in Mexiko herauskommen. Schließlich war eine andere Übersetzung des Elends im Juni 1968 in der Nummer 6 einer Zeitschrift von Londoner Intellektuellen, Circuit, unter folgendem allgemeinem Titel erschienen: Wie man ein System kaputt macht — die französischen Situationisten.

Andere S.I.-Broschüren sind oft nachgedruckt worden, wie z.B. The decline and fall of the ‚spectacular‘ commodity-economy durch unsere amerikanische Sektion (mit einigen Zeitungsausschnitten über die Unruhen in Newark und Detroit) und in Schweden durch den revolutionären Verlag „Libertad“ mit dem Titel Varn Spektaklets nedgaang och fall. Von demselben Verlag sind auch die Basisbanalitäten (Januar 1968), die Adresse an die Revolutionäre Algeriens und aller Länder und Der Explosionspunkt der Ideologie in China übersetzt worden. Der letztgenannte Text war von unserer skandinavischen Sektion auf dänisch veröffentlicht worden. Die amerikanische Sektion der S.I. hat auch die Adresse an die Revolutionäre, die Basisbanalitäten und noch ungefähr zehn weitere Texte neuaufgelegt. Einige S.I.-Texte waren von der revolutionären Gruppe in Madrid übersetzt worden, die von der Polizei „Acratas“ genannt wurde und deren Mitglieder zur Zeit für lange Jahre im Gefängnis sind — außer zwei oder drei, die den Ermittlungen entgehen konnten.

Was die im Mai und Juni 1968 von der S.I. und vom CMDO veröffentlichten Dokumente betrifft, so wurden sie so oft nachgedruckt, dass es nicht möglich ist, eine Liste aufzustellen. Wir wollen nur darauf hinweisen, dass sie unseres Wissens ein- oder mehrmals in Italien, Japan, den Vereinigten Staaten, Schweden, Venezuela, Dänemark und Portugal übersetzt und verlegt wurden. Sie begannen, in die Tschechoslowakei verbreitet zu werden, als die russischen Truppen dort die Ordnung wiederherstellten.

Vaneigems und Debords Bücher waren im Juni 1968, sechs Monate nach ihrer Veröffentlichung, schon vergriffen. Vaneigems Verleger machte sofort eine zweite Auflage und als diese wieder vergriffen war, eine dritte im Mai 1969. Dagegen war die Gesellschaft des Spektakels acht Monate lang nirgends aufzutreiben, bis ihr Verleger im März 1969 eine zweite Auflage machte. Dieses Buch wurde im September 1968 in Italien mit dem Titel La Società dello Spettacolo vom Verlag „De Donato“ veröffentlicht, der sehr viele Exemplare als Taschenbücher verkauft hat. Die Übersetzung ist aber sehr mangelhaft.

Der Film und die Revolution

In Le Monde vom 8. Juli 1969 wundert sich J.P. Picaper, der Korrespondent bei den Berliner Festspielen, dass „Godard nun die gesunde Selbstkritik in seinem Film Die fröhliche Wissenschaft — einer Ko-Produktion von ORTF und des Stuttgarter Rundfunks — so weit treibt, dass er bei Dunkelheit gedrehte Bildfolgen zeigt bzw. sogar den Zuschauer während einer kaum erträglichen Zeitspanne vor der leeren Leinwand sitzen lässt“. Ohne ermessen zu wollen, was dieser Filmkritiker „eine kaum erträgliche Zeitspanne“ nennt, kann man feststellen, dass das Werk des immer an der Spitze stehenden Godard seinen Höhepunkt in einem zerstörerischen Stil erreicht, der genauso spät imitiert und unnütz ist wie alles übrige, da diese Negation in der Filmkunst bereits formuliert wurde, bevor Godard mit der langen Reihe anmaßender falscher Neuheiten begonnen hatte, die bei den Studenten der vorherigen Periode so viel Begeisterung hervorrief. Derselbe Journalist schreibt, dass derselbe Godard in einem Die Liebe betitelten Kurzfilm durch die Vermittlung eines seiner Helden zugibt, man könne nicht „die Revolution verfilmen“, da „die Filmkunst die Kunst der Lüge sei“. Die Filmkunst war genauso wenig eine „Kunst der Lüge“ wie jede andere Kunst, die in ihrer Gesamtheit schon lange vor Godard gestorben war, der nicht einmal ein moderner Künstler gewesen ist — d.h. einer, der zu einer geringsten persönlichen Originalität fähig ist. Der maoistische Lügner beschließt also sein Werk, indem er versucht, die Erfindung einer Filmkunst, die keine sei, bewundern zu lassen, wobei er gleichzeitig eine Art ontologische Lüge entlarvt, an der er angeblich wie alle anderen teilgenommen habe, jetzt aber nicht mehr teilnimmt. Praktisch ist Godard mit der Bewegung vom Mai 1968 sofort veraltet gewesen, als spektakulärer Hersteller der Pseudo-Kritik einer Kunst, die er sich in den Mülleimern der Vergangenheit geholt hatte, um sie rekuperierend zusammenzuflicken (vgl. Die Rolle Godards in S.I. Nr. 10). Zu diesem Zeitpunkt ist Godard als Filmemacher grundsätzlich beseitigt worden, wie er von Revolutionären, denen er auf ihrem Weg begegnet ist, mehrmals persönlich beschimpft und lächerlich gemacht wurde. Als revolutionäres Kommunikationsmittel ist der Film nicht an sich lügnerisch, weil Godard bzw. Jacopetti ihn gebraucht haben; genau wie jede politische Analyse nicht deshalb zur Falschheit verurteilt ist, weil die Stalinisten solche geschrieben haben. Zur Zeit versuchen in verschiedenen Ländern mehrere neue Filmemacher, Filme als Werkzeuge einer revolutionären Kritik zu gebrauchen, was einigen von ihnen teilweise gelingen wird. Nur werden die Grenzen, die ihnen sowohl in ihrer Erkenntnis der revolutionären Wahrheit selbst als auch in ihrer ästhetischen Auffassung auferlegt werden, sie unserer Meinung nach noch ziemlich lange daran hindern, so weit zu gehen, wie es nötig wäre. Wir meinen, dass zur Zeit nur die situationistischen Positionen und Methoden, wie sie in unserer vorigen Nummer in R. Viénets Thesen formuliert wurden, den direkten Zugang zu einem gegenwärtig revolutionären Gebrauch des Films möglich machen — wobei natürlich die politisch-ökonomischen Bedingungen immer noch ein Problem sein können.

Bekanntlich wollte Eisenstein Das Kapital verfilmen. Dabei kann man sich übrigens bei der Formkonzeption und der politischen Unterwürfigkeit dieses Regisseurs fragen, ob sein Film dem Marxschen Werk treu geblieben wäre. Was uns aber betrifft, so zweifeln wir überhaupt nicht daran, es besser machen zu können. So will z.B. Guy Debord, sobald das möglich wird, selbst eine Verfilmung der Gesellschaft des Spektakels drehen, die seines Buches bestimmt nicht unwürdig sein wird.

La communication et son moment
« Le film était français et osé. ll s’appelait « Hurlements en faveur de Sade ». Deux cents jeunes intellectuels londoniens avaient fait la queue et payé cent cinquante francs pour le voir. Fébriles dans leurs fauteuils ils attendaient des images audacieuses et des commentaires provoquants. Pendant quatre-vingt-dix minutes — la durée d’une partie de football — ils virent défiler un film vierge. De temps en temps de brefs éclairs jaillissaient et tout retombait dans l’obscurité. Le commentaire (en version originale) aioutait sa dense intellectualité à l’audace du désert de celluloïd. »
Paris-Presse (25—5-57).

« Jean-Luc Godard (« Week-End ») tournera en Italie, à partir du 5 mai, un western contestataire écrit en collaboration avec Daniel Cohn-Bendit. La nouvelle a été annoncée par le producteur italien Gianni Barceloni. « Vent d’Est » se déroulera comme un western classique mais les cow-boys seront remplacés par des étudiants qui apprendront la contestation à des mineurs ... »
France-Soir (2-4-69).

Die 8. Konferenz der S.I.

Die nächste S.I.-Konferenz findet Ende September 1969 in Italien statt.

Bei der Gelegenheit wollen wir genaue Einzelheiten über die vergangene und jetzige Organisation der S.I. mitteilen. Besonders damit die seltsame Legende unserer hierarchischen und diktatorischen Organisation beseitigt wird, die belustigenderweise mit der anderen (durch alle unsere Texte schon widerlegten) einhergeht, nach der wir theoretisch einen reinen Spontaneismus, was die Aktion der Massen betrifft, befürworten würden. Das märchenhafteste Schema dieser vermeintlichen Entwicklung der S.I. zum Zentralismus kann man in dem in jeder Hinsicht haarsträubenden Artikel von Robert Estival, einem Forscher beim CNRS, in der Nummer 12 der Zeitschrift Communications finden. Von einem selbstverständlich falschen Zitat aus S.I. Nr. 3 ausgehend — „eine föderalistische, auf der nationalen Autonomie beruhenden Auffassung der S.I. war von Anfang an durch den Einfluss der stalinistischen Sektion (sic!) erzwungen worden“ —, stellt der Verfasser fest, dass dieser Föderalismus zugunsten eines „Zentralrates“ aufgegeben wurde, der „bald … durch die Konferenz mit der ganzen Macht versehen werden sollte“. Dann kommt das eigentliche Ziel: „Schließlich macht die Diktatur dieses Zentralrates es Debord möglich, die S.I. selbst direkt zu leiten.“

Um diese wahnsinnige Gedankenfolge hier zu verlassen, die anderswo sogar zu verstehen gibt, dass dieser lästige Debord ganz allein die Mai-Bewegung angestiftet und sogar deren Niederlage verursacht habe („die Strassburger Aktion, eine Generalprobe für die späteren in Paris“ — „Merken wir uns nebenbei Debords ausgesprochene Neigung zum Wort ‚international‘“ — „die S.I. ist hauptsächlich Debords Werk“ — „Die psychologische Umstellung ist nicht gemacht worden, darauf folgt unserer Meinung nach der Irrtum der S.I. und folglich der Misserfolg der studentischen Neo-Sozialdemokratie im Mai 1968“), kommen wir zu einer „Wirklichkeit“ zurück, die der psychologisch-polizeilichen Geschichtsauffassung von Estival ziemlich fremd ist. Die S.I. hatte bis heute nie — und dies war völlig absichtlich — mehr als 25 bis 30 Mitglieder — und oft weniger —, wodurch alle diese Geschichtchen über die enteignete und von oben befehligte „Basis“ schon wieder in ein wahrheitsgemäßeres Licht gesetzt werden. Die Beteiligung selbständiger Individuen ist unsere ständige, wenn auch durch die wirklichen Fähigkeiten einiger nicht immer erreichte Forderung gewesen. In einer ersten Periode sind unsere verschiedenen nationalen Gruppen tatsächlich auf der Basis einer sehr allgemeinen Übereinstimmung vollständig autonom gewesen, nicht nur in der Praxis, sondern auch in den Auffassungen selbst über das, was die S.I. werden konnte, obwohl sie sich mit den vorhandenen Richtungen nicht gedeckt haben. Diese Gruppen haben sich geändert, ohne dass jemals mehr als drei gleichzeitig effektiv tätig waren (am öftesten in Deutschland, Frankreich und Holland). Der Zentralrat wurde auf der Londoner Konferenz als ein Delegiertenrat eingerichtet, der alle zwei bis drei Monate zusammenkommen sollte, um die Aktivitäten unserer Gruppen zu koordinieren, und außerhalb dieser Zusammenkünfte überhaupt nicht mehr existierte. Wenn auch von der Konferenz ernannt, wurden die Delegierten ab und zu vor einer Zusammenkunft durch andere, von ihrer Gruppe gesandte Mitglieder ersetzt. Seit der Göteborger Konferenz fand eine lebhafte Auseinandersetzung innerhalb der S.I. statt, die man allzusehr vereinfachen würde, wollte man sie als die Opposition zwischen den „Künstlern“ und den „Revolutionären“ bezeichnen, die sich aber im Großen und Ganzen mit einem derartigen Zusammenstoß deckte. Die theoretische Diskussion wurde lange und äußerst demokratisch geführt, jedoch führten 1962 schließlich in der Praxis absolut abweichende Manifestationen der „Künstler“, ihr Bruch mit jeder Solidarität und ihre Lossagung von genauen Verpflichtungen — obwohl sie dabei in der S.I. bleiben und sie durch ihre eigenen Entscheidungen als ganze kompromittieren wollten — zu ihrem Ausschluss. Zu dieser Zeit stellte die VI. Konferenz in Antwerpen fest, dass eine kohärente theoretische Vereinheitlichung stattgefunden hatte. Infolgedessen wurde die Frage aufgebracht, den Zentralrat aufzulösen, der letztlich nur deshalb aufrechterhalten wurde, um auf die Verbindung der Genossen mit der echten S.I. hinzuweisen, die in Skandinavien gegen den Werbungsbetrug der Nashisten kämpften, die eine Zeitlang noch behaupteten, in den Stockholmer Kunstgalerien und Zeitungen die S.I. zu vertreten. Sobald der Nashismus verschwunden war, wurde dieser Zentralrat nie mehr erwähnt, bis er 1966 bei der Pariser Konferenz ohne Diskussion förmlich abgeschafft wurde. Nach 1962 hatte die S.I. geschrieben, sie betrachte sich als eine einzige, vereinte Gruppe, obwohl mehrere Genossen in Europa geographisch verstreut seien, und die wesentliche Aktivität dieser Gruppe wurde in Frankreich organisiert, wo die Zeitschrift erschien, die ihre hauptsächliche Veröffentlichung war (und die folglich schon seit der Nummer 9 nicht mehr den Untertitel „Zentralbulletin“ hatte). Unsere Absicht war es natürlich, von der durch diese kohärente Gruppe erreichten Basis auszugehen, um erneute nationale Sektionen zu bilden, die eine wirkliche autonome Tätigkeit gehabt hätten. Der erste Ansatz brach in England in genau dem Augenblick zusammen, in dem er als Gruppe zu existieren beginnen sollte (vgl. hier die Notiz über die letzten Ausschlüsse). Erst 1968/69 war die S.I. wieder aus nationalen Sektionen zusammengesetzt, die jeweils eine Zeitschrift herausgaben (selbstverständlich gab es also nie eine „Strassburger Gruppe“, sondern bis Anfang 1967 nur einige S.I.-Mitglieder in dieser Stadt).

Zur Zeit ihrer 8. Konferenz ist die S.I., obwohl sie Genossen aus ungefähr zehn verschiedenen Ländern zusammenschließt, organisatorisch nur in vier Sektionen — die amerikanische, französische, italienische und skandinavische — unterteilt.

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