Wurzelwerk, Wurzelwerk 37
März
1985

Familie Normalverbraucher ins Stammbuch geschrieben

Liebe Ottilie, lieber Otto!

Gelegentlich haut die Bundesregierung auf den Tisch.

Sofortprogramm gegen das Waldsterben. Energiekonzept. Es soll so aussehen, als hätte man die Probleme voll im Griff. Aber von grundlegenden Ansätzen ist wenig bis nichts zu bemerken. Keine Rede von sanften Technologien und kleinen, dezentralen, überschaubaren Einheiten. Es wird dürftig auf Sachzwänge reagiert, ohne daß man sich die Frage stellt, ob diese Sachzwänge nicht veränderbar, abzuschaffen sind. Die Zeit läuft, die Zeit läuft uns davon. Die „drastischen Maßnahmen“ der Bundesregierung über die Fernsehschirme und alle Leute denken, daß jetzt endlich das Richtige, daß das Wirksame geschehen wird. Aber das Erklären von Absichten, das Verabschieden von Gesetzen, das Inkrafttreten von Verordnungen sollte nicht vorschnell mit dem Wirksamen gleichgesetzt werden.

Die Wirksamkeit von Umweltschutzmaßnahmen wird uns erst die Umwelt selbst bescheinigen. Papier ist geduldig, Landschaft, Wald, Luft und Wasser können nicht lesen, wissen also noch nicht, daß es ihnen bereits besser gehen sollte.

Rautenweg-Peripherie: Grundstoff = Zündstoff

Bundeskanzler und Minister reden von dem was sie zu tun gedenken, was bis 1990 und darüber hinaus passieren sollte, so als ob es längst geschehen wäre. Ich glaube ihnen das nicht. Ich glaube nicht, daß das was geschehen soll, genug ist. Ich weiß, daß das nicht alles sein kann, ich weiß, daß das nicht einmal ein ordentlicher, ehrlich gemeinter Anfang ist, ein Anfang der einen hoffen lassen könnte, daß in den oberen Etagen ein Umdenken stattgefunden hat oder in der nächsten Zeit in Gang kommen wird. Unser sogenannter „Bundeskanzler“ dankt der sogenannten „grünen Bewegung“ bei jeder Gelegenheit, daß sie zweifellos ein Wegbereiter gewesen ist in der ganzen Umweltfrage, bringt aber im nächsten Atemzug bereits unmißverständlich zum Ausdruck, daß die Umweltfrage in andere Hände gehört. So ist er der Auffassung, daß gerade die Umweltproblematik eine Problematik ist, mit der sich über alle Parteigrenzen hinweg vor allem die großen Interessensvertretungen befassen müssen. (In welchem Verband, in welcher Kammer, der nicht das unschöne Wort -wirtschaft anhaftet, wäre dann unsere Umwelt ausreichend vertreten?) Ein neuer Fall für die Sozialpartner? Statt Lohnerhöhungen und Sozialleistungen, Luftreinhaltepolitik jetzt Umweltschutz als Gegenstand von Bauernschnapsereien? Daß es wir alle sind, die die bei diesen Spielen unvermeidlichen Bummerl umgehängt bekommen, dürfte wohl jeder und jedem mittlerweile klargeworden sein.

Herr Sinowatz meint „Der Papa wird’s schon richten, das g’hört zu seinen Pflichten“. Aber so glatt darf man ihm das nicht durchgehen lassen. Unsere Bundesregierung hat ein Auge aufgetan, um durch dieses die ökologische Katastrophe auszumachen. Man muß sie dazu bringen, daß sie mit beiden Augen schaut um endlich zu erkennen, was wirklich nottut. Fünf Minuten vor Zwölf ist es schon letztes Jahr gewesen. Was ist eine österreichische Initiative gegen das Waldsterben mit einem detaillierten Notprogramm zur Reitung des österreichischen Waldes, was ist eine Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg, was ist ein Konrad Lorenz Volksbegehren gegen einen Niederösterreichischen Naturschutzlandesrat, einen ÖGB-Präsidenten, einen LW-Minister ...?

Je mehr im Fernsehen über das Zubetonieren geredet wird, je öfter die erpresserische Drohung mit den Arbeitsplätzen gegen die Erhaltung einer Landschaft und Wiederherstellung einer gesunden Umwelt ins Treffen geführt wird, je mehr über das viel zu Wenige geredet wird, das die Regierung gegen das Waldsterben zu unternehmen gedenkt, umso mehr Platz nehmen diese Dinge im Bewußtsein der Zuhörer ein.

Seifenblasen, bunte Luftballons.

Sind Frau Ottilie und Herr Otto Normalverbraucher jetzt wieder überzeugt davon, daß unsere Umwelt nirgends besser aufgehoben ist als in den Händen unserer Bundesregierung? So einfach, liebe Ottilie, lieber Otto, solltet ihr es euch auch nicht machen! Ihr solltet zumindest darüber nachdenken, daß es auch unsere Regierung gewesen ist, unter deren Händen unsere Umwelt in so einen bedenklichen Zustand geraten ist. Und ihr solltet darüber nachdenken, daß ihr — Frau Ottilie und Herr Otto Normalverbraucher — mittels sogenanntem „Normalverbrauch“ fleißig und unermüdlich an der endgültigen Unbewohnbarmachung eures eigenen Lebensraumes, des Lebensraumes von uns allen — Österreichern, Europäern, Erdenbürgern — mitarbeitet. Es glaubt doch niemand im Ernst, daß einige Minister und ein Bundeskanzler dazu imstande sind, mittels Absichtserklärung einen gesunden Lebensraum zu garantieren, in dem es Otto und Ottilie und auch noch deren Kindeskinder und allen die danach kommen, gut geht?

Auf Fach-Chinesisch: „Die systemimmanente Trägheit der traditionellen Institutionen und Apparate ist zu groß, um jenes — angesichts der mit großer Geschwindigkeit fortschreitenden Umweltzerstörung notwendige — rasche Handeln zu gewährleisten, das einzig und allein noch die Möglichkeit in sich birgt, eine globale ökologische Katastrophe zu verhindern.“

Was das heißen soll?

Das soll heißen, daß es gut wäre, darüber nachzudenken, ob es nicht besser wäre, man nähme bestimmte Angelegenheiten an denen einem was liegt, die einem also ein Anliegen sind, aus den Händen unserer Regierung und anderer ähnlich schwerfälliger Verbände und Organisationen in die eigenen Hände.

Das soll heißen, daß es sinnvoll wäre, darüber nachzudenken, ob Normalverbrauch nicht abnormal ist, wenn Ottilie und Otto Stück für Stück von jenem Ast normalverbrauchen, auf dem sie in der Sonne sitzen und ihren Lebensstandard genießen wollen.

Aber wie bringt man dieses Nachdenken unter die Leute?

Wie bringt man dieses Nachdenken zu Ottilie und Otto, wenn zum Beispiel die Leute, die allabendlich diesen blauen Schimmer in alle Wohnzimmer unseres Landes flimmern lassen, wenn das Fernsehen so ein träger Spielball institutionalisierter Interessen (Wirtschaftswachstumsfetischisfetischismusinteressendonaukraftwerkskapitän) ist, zu unbeweglich, zu schwerfällig um neue Gedanken ins Volk zu tragen. Statt den Zeitgeist von morgen zu verkünden, kaut man allabendlich den Ungeist von gestern und heute wieder.

Wieviele Flugblätter müssen noch verteilt, wieviele Gespräche müssen noch geführt, wieviele konstruktive Vorschläge müssen noch gemacht werden, bis die österreichischen Menschen anfangen zu begreifen, daß die zaghaften kosmetischen Maßnahmen der sogenannten „Verantwortlichen“ nicht ausreichen, um die Welt wieder heilzuschminken. Liebe Ottilie, lieber Otto, wir müssen Verantwortung übernehmen, Verantwortung für unseren Lebensraum, Verantwortung vor uns selbst und unseren Nachkommen.

Denn wenn wir uns darauf verlassen, daß die sogenannten „Verantwortlichen“ ihrer Verantwortung nachkommen, dann ist es für einen sanften Ubergang in eine bessere Zukunft zu spät.

Mit umweltfreundlichen Grüßen, herzlichst euer
Franz Mitterböck

aus: „blattform“, Zeitschrift a.d. Uni für Bodenkultur

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