ZOOM 4/1998
Oktober
1998

Friede nach Art der Presse

Ein Kommentar mit dem Titel „Nach dem Raubgold-Frieden“ von Dieter Lenhardt in der Presse vom 14.8.1998 beschäftigt sich mit dem Vergleich, den die zwei Schweizer Großbanken United Bank of Switzerland und Credit Suisse Group mit den jüdischen Überlebenden und den Nachfahren der jüdischen Opfer des „Churban“ [1] über die nachrichtenlosen Konten geschlossen haben. Mit dem Abkommen sollen angeblich die Boykottdrohungen und alle Klagen bezüglich der Schweizer Nationalbank und dem Staat hinfällig geworden sein, nicht aber die Forderungen an die Versicherungen. Damit wird das Washingtoner Abkommen stillschweigend als endgültig betrachtet und die Nationalbank salviert sich mit einem Beitrag zum Schweizer Fonds für Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.

Anfangs wird in dem Kommentar noch versucht, den Kontrahenten eine gemeinsame Ebene zu unterstellen: „beiderseits wüste Ausritte“. Was ist wohl passiert, daß Schweizer wüst ausreiten? Was soll im Sinne der Opfer da noch wüst sein? Gleich darauf müssen die armen Schweizer Banken eine „horrende“ Summe auf dem Tisch zurücklassen. Unter Horror verstehe ich bei dem Thema dieses Kommentars die systematische Ermordung, Vergewaltigung und Vergasung der Juden und Jüdinnen. In diesem Kontext eine Geldsumme so zu bezeichnen ist bezeichnend.

Dann wird Lenhardt deutlicher: „‚erpreßt‘ oder nicht“ – die Banken sind über den Kompromiß erleichtert, wohingegen es die Gegner gewagt hatten, „sich nicht wiedergutzumachendes Unrecht über den Zeitabgrund von über 50 Jahren mit viel Geld abgelten zu lassen“. Nun, erstens ging es hier um die bei den Schweizer Banken deponierten jüdischen Vermögen, respektive deren Zurückforderung, die von gutsituierten BürgerInnen und respektablen Banken vereinnahmt, falls nicht sogar einfach unterschlagen worden sind, und nicht um den begangenen Massenmord, zweitens ist dieser Mord der Abgrund und nicht die seither vergangene Zeit. Und dann will jemand auch noch Geld dafür, nämlich für den Mord wird damit insinuiert und nicht für die, milde ausgedrückt, verschwundenen Vermögen. Was schreibt sich da heraus? Will hinaus? Vielleicht nur der übliche Antisemitismus, nämlich „Blutgeld“ oder „die Ermordung und Folterung lassen sie sich teuer bezahlen“ oder „machen noch ein gutes Geschäft dabei“? Ist dies Gemeine gemeint? Denn der „Churban“ selbst ist nicht berechenbar und hier gibt es auch nichts zu zahlen. Dafür gibt es keine Entschädigung und wer dies unterstellt, ist der Geist, den er erkennt. Tatsächlich hat nämlich das Eingeständnis der Schweizer Banken vor Gericht, „gesündigt“ und „Vertrauen mißbraucht“ zu haben, zum Kompromiß wesentlich beigetragen.

Das Gold aus jüdischen Mündern, die Ringe usw. sind ein anderes Thema: Dabei geht es um die Schweizer Nationalbank, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, um die Deutsche Bundesbank, die Degussa und die deutschen Banken sowie die durch Krieg oder durch Annexion angeschlossenen Banken. Und um die privaten Goldkonten der Nationalsozialisten in der Schweiz und auch anderswo. Bei dem Vergleich ging es um die Konten und nicht um „Raubgold“.

Und schließlich weiß man ja von der Großzügigkeit aller Banken bei alten Schulden. Weder haben sie SchuldnerInnen je unter Druck gesetzt noch haben sie ihnen enorme Strafzinsen aufgerechnet. Und schon gar nicht ist das jemals als Erpressung bezeichnet worden.

Natürlich dürfen in dem Kommentar auch die „Zündler“ nicht fehlen, schön verteilt auf beide Seiten, ungewohnt „neutral“ für die Presse. Allerdings sind die „Anständigen“ nur auf der Seite der Schweizer zu finden, die schon mal rot sehen dürfen, angesichts der Methoden, „mit denen prinzipiell Zahlungswilligen das Messer angesetzt wurde“. Wer die mehrjährige Entwicklung verfolgt hat, wird weder von Zahlungswilligen noch von Prinzipien etwas bemerkt haben, wie das Buch von Tom Bower „Das Gold der Juden“ hinreichend dokumentiert. Im Gegenteil, erst die Abweisung des Jewish World Congress, der Verhandlungen im stillen führen wollte, durch die Schweizer Institutionen und Banken, führte zu der internationalen Debatte über die Rolle der Schweiz und ihrer Banken im Zweiten Weltkrieg. Über lange Zeit verhielten sich die Nachfahren nach dem von den Vorfahren hinterlassenen, erfolgreichen Muster: dementieren, verharmlosen, nichts zugeben, auf Zeit setzen, „alles ist schon bekannt“ und der Rest rechtens nach Schweizer Recht. Der Bruch kam mit dem einfachen Wachmann Christoph Meili. Er rettete Bankdokumente vor dem Reißwolf, die nicht hätten vernichtet werden dürfen. Diese Dokumente belegen die Involvierung Schweizer Banken in die Arisierungsverfahren in Deutschland. Dann wurde auch noch bekannt, daß in den Goldbarren, die das Dritte Reich an die Schweizer Nationalbank verkaufte, höchstwahrscheinlich auch das herausgebrochene Zahngold der jüdischen Opfer eingeschmolzen war. Doch auch dies war noch nicht ausreichend. Erst der entschiedene politische und ökonomische Druck von seiten der USA, der Stadt New York und etlicher US-Bundesstaaten hat den Kompromiß, dem sich die Schweizer Banken und auch der Schweizer Staat mit allen Mitteln über Jahre hinweg entziehen wollten, gebracht. Mit dem 1.9.1998 wären erste Sanktionen in Kraft getreten.

Von sich aus hätte die Schweiz und ihre Institutionen, wie in den vergangenen fünfzig Jahren, möglichst wenig bis gar nichts getan. Nur unter dem Dauerdruck einer Weltmacht, deren offizielle Vertreter sich der Stellungnahmen für oder gegen enthielten, konnte nach drei Jahren ein erstes Ergebnis erzielt werden. Mit der Vorstellung eines Messers an der Kehle assoziiere ich übrigens mehr die Situation jener Juden und Jüdinnen, die Österreich, respektive das Dritte Reich, noch verlassen konnten und die in Notverkäufen oder Arisierungsverfahren ihr Hab und Gut unter jedem reellen Wert verkaufen mußten. Davon haben ÖsterreicherInnen bis heute profitiert, unter ihnen ein rechts bekannter Politiker. Auch so eine halb verborgene Kontinuität. Schade, daß eine so traditionsbewußte Zeitung wie die Presse die Hervorhebung solcher Kontinuitäten meidet.

Es wirkt auch sonst recht eigenartig, daß die Presse, der sonst das wohlerworbene Eigentumsrecht über alles geht und die jede Sozialisierung von Profiten ablehnt, in diesem sehr speziellen Fall so gar nicht auf die Eigentumsrechte der verfolgten Juden und Jüdinnen gegenüber den Schweizer Banken eingeht. Haben denn diese keine Bürgerrechte und das heißt gleichwohl Eigentumsrechte? Sind sie ein Sonderfall der Geschichte des kapitalistischen Rechtsstaates? Nicht in den USA, aber, so scheint es zumindest, in Europa dank. Warten wir es ab.

Denn nun kommen wir zur Konklusio des Artikels: „Österreichische Raubgoldausläufer“! Nettes Wort, Ausläufer statt Mitläufer.

Als Einleitung ein bisserl Beschwichtigung: „Alttäter“ gibt es vereinzelt und dazu eine „Handvoll Neonazis“. Soviel zur Kontinuität in Österreich. Es hätte doch noch verharmlosender gehen können, etwa: gar keine, oder: „wo waratn denn die“. Wie man von allen Seiten erfahren hat, ist ja Fuchs kein Rechtsextremer, sondern nur ein „typischer österreichischer Psychopath“.

Doch nun ans Eingemachte: In Österreich regierten Schadenfreude und Genugtuung darüber, daß die Schweiz auch eine Vergangenheit hat, dabei wurden diese Ressentiments von der Ignoranz gegenüber den eigenen Arisierungsgewinnen begleitet. Denn sonst wäre man viel früher zur Einsicht gekommen, daß die Entwicklung in der Schweiz Auswirkungen auf Österreich und Deutschland haben würde, in welcher Form auch immer. Vorsichtshalber wartete man ab, ob es die Schweiz allein schaffen würde, die berechtigte Einforderung von Eigentum abzuwehren. So lange wollten, weder in Österreich noch in Deutschland, die politisch Verantwortlichen und die ökonomisch Mächtigen etwas tun. Mal schauen. Soll doch die Schweiz die Mauer machen und eine schlechte Presse haben. Aber jetzt ist dieser Schutz weg und damit kommen Forderungen an die eigentlichen Länder der TäterInnen. Das war aber klar, die Schweiz ist das Exempel gewesen, aber nicht das schuldige Land, das für die Opfer des Churban zu zahlen hat (Nein, nur für die einbehaltenen Vermögenswerte der Opfer und der Nachfahren). Das hätten sie nur gerne in Deutschland und Österreich so gehabt. Nun aber beeilen sich die deutschen Institute, die Anfang Juni geklagt worden sind, eine rasche Lösung auf dem Verhandlungsweg zu finden. Übrigens finden sich unter den Gründern der Deutschen und der Dresdner Bank zum überwiegenden Teil jüdische Privatbankiers. Der Bericht der von der Deutschen Bank beauftragten Historikerkommission gibt erstmals auch Auskunft über die Rolle der CA. [3]

Louis Rothschild

Beklommen registrieren nun, laut Kommentar, die einen in Östereich den Milliarden-Kompromiß, und schon fragen sie sich: „Hört das denn nie auf?“ Was, bitte? Was, Herr Lenhardt, hört nie auf? Der „ewige Feldzug“? Fünfzig Jahre sind keine Ewigkeit, und niemand führt hier Krieg und erschießt „Faschisten“ und „unkorrekt Andersdenkende“! Nur ein ganz gewöhnlicher Bombenbastler, der laut kolportierten Meldungen auch niemanden weh tun wollte, befand sich in einem „Privatkrieg“, deren Opfer außer Polizisten vor allem um die Integration hier lebender ImmigrantInnen Bemühte und VertreterInnen von Minderheiten waren. Nicht zu vergessen die Bekenner-Briefe, in denen Wiesenthal voller Haß erwähnt wurde.

Im letzten Absatz schlägt der Autor eine bemerkenswerte Volte und hofft auf manche, die das „Raubgold-Thema“ (wahrscheinlich von Wagnerschen Opern inspiriert) nicht nur negativ sehen, und ruft zur politischen Korrektheit auf („Nie vergessen!“), so als hätte er das Vorhergeschriebene schon wieder vergessen. Das Nievergessen braucht er allerdings mir nicht zu erzählen, nur den Presse-LeserInnen, denen eine „haarige Diskussion“ zu wünschen wäre. [4] Dieser Schluß wirkt zu sehr wie ein Feigenblatt, das den Sündenfall verdecken soll. Denn eigentlich müßte hier zur legitimen Rückgabe der arisierten Wohnungen, Geschäfte, Firmen etc. oder zumindest zur Entschädigung aufgefordert werden. Damals, 1938, waren sich Mob und Bürgertum in der gemeinschaftlichen Aneignung einig eine tätige Volksgemeinschaft. So ein gemeinsamer Raubzug hält auch über den „Zeitabgrund“ von fünfzig Jahren zusammen, wie man in den kommenden Diskussionen noch bemerken wird.

Daß sich daher auch der rechts bekannte Politiker in die Diskussion einmischt und dabei hofft, von Vorwürfen gegenüber dem WJC zu profitieren, ist nur logisch. Schließlich haben die Waldheim-Jahre und die Reaktualisierung längst vergessen geglaubter Stimmungen und Mentalitäten nicht unwesentlich zu seinem Aufstieg beigetragen. Und deshalb stellt er auch den JWC und nicht den weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung unbekannten Anwalt Fagan, der aber die ersten Forderungen an die CA gestellt hat, in den Mittelpunkt seiner Kritik. Und diese folgt dem bekannten Muster von Aufrechnung, die seit vierzig Jahren von dieser Seite betrieben wird: Sudetendeutsche und AltöstereicherInnen sollen auch entschädigt werden, andernfalls sollte es für niemanden etwas geben. [5] Kann schon sein, daß diese in Tschechien und Slowenien entschädigt werden sollten. In Österreich allerdings sind die Opfer Juden und Jüdinnen, und damit müßte sich ein anständiger Politiker zuerst einmal auseinandersetzen und sie bei ihrer legitimen Forderung unterstützen.

[1Als Churban wird, dem Buch „Churban oder Die unfaßbare Gewißheit“ von Manès Sperber zufolge, im Hebräischen die organisierte Vernichtung eines Teils der europäischen Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten und ihre Mitläufer bezeichnet.

[2Als Churban wird, dem Buch „Churban oder Die unfaßbare Gewißheit“ von Manès Sperber zufolge, im Hebräischen die organisierte Vernichtung eines Teils der europäischen Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten und ihre Mitläufer bezeichnet.

[3Apropos CA: Die österreichischen Rothschilds hatten diese 1855, gemeinsam mit den Fürsten Auersperg, Schwarzenberg und Fürstenberg gegründet. 1930 retteten sie die damalige Bodencreditanstalt auf Bitten der Regierung mit deren Übernahme durch die CA. 1931 beteiligten sie sich wiederum an der Sanierung der Creditanstalt, wobei die Übernahme der Bodencreditanstalt mit ein Grund für den Zusammenbruch der CA war. Bis auf Louis Rothschild, der ein Jahr lang von der Gestapo gefangengehalten wurde, emigrierten sie 1938 rechtzeitig in die USA.

Wer weiß heutzutage noch vom Rot-Weiß-Rot-Buch, Teil II aus dem Jahre 1946, in dem die österreichische Regierung stolz über ihre Verhandlungen mit den Rothschilds berichtet. Diese konnten dann einen Teil ihrer Kunstwerke ausführen, den anderen Teil mußten sie dem Staat überlassen. Auf dem Grundstück des Palais Rothschild steht heute das Gebäude der Wiener Arbeiterkammer.

[4Auch die Salzburger Nachrichten vom 21.8.1998 waren sich für einen gewissen verbalen Revanchismus nicht zu schade. Ronald Barazon übertitelte seinen Kommentar zu den Forderungen an die CA wie folgt: „Mit Nazimethoden läßt sich die Geschichte nicht korrigieren“. Das tut Österreichern wohl gut, Juden Nazimethoden zu unterstellen. Wehe, man will den BürgerInnen ans Geld, da kennen sie nichts, scheuen keinen Vergleich und offenbaren sich schonungslos und geschmacklos, erst recht in Salzburg. Daß dann in der Berichterstattung über die Geschichte der CA auf Seite neun kein Wort über den Beitrag der Rothschilds verloren wird, ist dann nur mehr symptomatisch. Als Lektüre über die persönlichen Opfer der österreichischen Rothschilds für die CA empfehlenswert : Derek Wilson, „Die Rothschild Dynastie“ und Frederic Morton, „Die Rothschilds“.

[5Mittlerweile hat auch Andreas Mölzer die Reihen fest geschlossen, und nimmt sich in der Presse vom 1.9.1998 der Ausgebombten des II. Weltkrieges im III. Reich an. Das soll wohl die Arisierungen aufwiegen.

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