Heft 4-5/2004
Juni
2004

Für eine Handvoll Dollar ...

Die jüngsten Kampf­handlungen im Irak es­kalierten nach der Er­mordung von vier US-Amerikanern in Faluja. Die ca. 300.000 Ein­wohnerInnen zählen­den Kleinstadt west­lich von Bagdad, die bereits traditionell als Hochburg des Ba’thismus galt, macht sich seither als Hochburg des ba’thistischen und radikalislamistischen Terrors im Irak einen Namen. Dabei werden die Anschläge, an de­nen auch arabische Mujaheddin beteiligt sind, mit barer Münze bezahlt.

Drei bisher unbekannte Personen ermordeten am 31. März in Faluja vier US-Amerikaner, die bei ei­nem privaten Sicherheits­dienst beschäftigt waren. Lo­kale Rowdies, die sich vor al­lem aus Bauarbeitern aus der Stadt Faluja zusammensetz­ten, schändeten daraufhin die Leichen, deren Bilder um die Welt gingen.

Hinter dem Anschlag auf die vier Amerikaner stand je­doch Muhammed Hussein al-Zubai, der lokale Vertreter der Irakischen Islamischen Partei (Hizb al-islami al-Iraqi), dessen Sohn Abdel ad-Dim zugleich als Lokalreporter der TV-Station al-Jezira in Faluja fungiert. Dessen Bruder, ein anderer Sohn Muhammed Hussein al-Zubais, ging vor dem Angriff auf die vier US-Amerikaner zu den Ge­schäftsleuten in Faluja und forderte sie auf, ihre Ge­schäfte zu schließen, da heute ein großer Racheakt für die Ermordung Sheikh Yassins durchgeführt werden solle.

Eine wichtige Rolle beim Aufstand in Faluja spielt je­doch auch die Vereinigung islamischer Geistlicher im Irak, die die radikalislamistischen Untergrundgruppen mit Geld und Waffen unterstützt und die sunnitische Bevölke­rung offen zu Gewalttaten gegen die Besatzungsmächte, die irakischen Autoritäten und ausländische Hilfsorganisationen aufhetzt. Deren Vorsitzender, Harith al-Dhari, ist zugleich Oberhaupt der Stammesföderation der al-Zauba, die Faluja und die Umgebung der Stadt domi­nieren. Einer seiner Söhne fungiert als Vermittler zu den terroristischen Untergrund­gruppen und führt die Ver­teilung von Geldern und Waffen durch.

Diese Gruppen, die die Anschläge im Irak durch­führen, bestehen aus Mitglie­dern der Pedajin Saddam, der Republikanischen Garden und der Geheimdienste des alten Ba’th-Regimes, sowie einiger sunnitisch-islamistischer Gruppen. Unter diesen befinden sich Sympathisanten der Vereinigung islamischer Geistlicher im Irak, Teile der Irakischen Islamischen Partei, Wahabiten unter der Führung des Sheikhs der Abdullah al-Ganabi-Moschee, arabische Mujaheddin sowie Aktivisten der al-Qaida.

Als wichtigste lokale Füh­rer dieser Gruppen fungie­ren Ayad Khalaf al-Isawi, ein ehemals hoher Militär und Leibwächter Saddam Hus­seins, Ayyad Tariq, der eben­falls als hoher Militär zu­gleich als stellvertretender Geheimdienstchef der Stadt al-Ammara fungierte, und Sayed Khalaf, der bis zum Sturz Saddam Husseins als Chef des Geheimdienstes des Bezirks al-Sha’la in Bagdad arbeitete.

Innerhalb Falujas kom­men die Aktivisten der radi­kalislamistischen und ba’thistischen Gruppen vor allem aus den Bezirken al-Golan, Shuhada, al-Askari und Al-Sinaa. Al-Golan galt bereits unter Saddam Hussein als ge­fährlicher Bezirk, in dem eine Reihe krimineller Banden die Straßen kontrollierten. Ille­galer Waffenhandel, Überfäl­le und Drogenhandel sind dort tägliche Routine. In die­sem Bezirk existierten auch nach dem Sturz Saddam Husseins keine politischen Organisationen. Nach dem Sturz des Ba’th-Regimes agi­tierten dort Wahabiten die (ehemaligen) Kriminellen an, die seither als Mujaheddin in den Jihad ziehen. Dabei wer­den die terroristischen An­griffe dieser Gruppen mit ba­rer Münze bezahlt. Jede ge­worfene Granate, jede Auto­bombe oder Mine hat ihren Preis. Ein Angriff mit einer Kanone wird etwa mit 200 US-Dollar bezahlt. Zu den irakischen Gruppierungen kommen noch arabische Freiwillige aus Syrien, Tune­sien, Jemen, Jordanien, Palä­stina und Saudi-Arabien. Wie wichtig der Stützpunkt Fa­luja dabei für diese Gruppie­rungen ist, zeigt die Tatsache, dass während der Belagerung und Abriegelung Falujas durch die US-Armee die An­schläge in anderen Teilen des Irak deutlich zurückgingen.

Aber nicht nur die be­zahlten Kämpfer leisten ihren Beitrag zu den derzeitigen Angriffen. Der Chef des auch mit westlichen Geldern un­terstützten lokalen Krankenhauses Dr. Rafa’ al-Isawi, ver­arztet gratis die verletzten Kämpfer des selbsternannten „Widerstandes“. Harith al-Dhari von der Vereinigung is­lamischer Geistlicher im Irak verkündigt beim Freitagsge­bet seine Solidarität und Unterstützung für alle Formen des „Widerstands“ im Irak. Harith al-Dhari ist jedoch ein in anderen arabischen Staa­ten angesehener Mann. Erst vor einigen Monaten reiste er nach Kairo, um dort mit Amru Musa, den Generalse­kretär der Arabischen Liga zu treffen, der al-Dhari zur Fort­setzung des „Widerstands“ im Irak aufforderte. Die Stadt Faluja erhält dabei auch fi­nanzielle Unterstützung aus anderen Staaten, insbeson­dere aus Saudi-Arabien.

Die Vereinigung islami­scher Geistlicher im Irak scheint auch direkt in die Entführung ausländischer Geiseln im Irak verwickelt zu sein. Alle Informationen über die Geiselnehmer stammen bisher von dieser Organisati­on. Die Vereinigung islami­scher Geistlicher im Irak übernimmt auch regelmäßig Vermittlungsaufgaben bei der Freilassung westlicher Gei­seln. Die Vereinigung unter­hält mittlerweile mit dem Irakischen Patriotischen Militär (gaish al-iraq al-watani) eige­ne bewaffnete Kräfte, die die Unterstützung hoher Ge­neräle aus Syrien und Jorda­nien genießen. Dabei scheint es auch nicht an Geld zu mangeln. Die Angehörigen des gaish al-iraq al-watani er­halten einen monatlichen Sold.

In den letzten Wochen konnten die islamistischen Gruppen in der Stadt neben den arabischen Freiwilligen auch immer mehr irakische Kämpfer gewinnen. Diese verüben selbst zwar keine Selbstmordanschläge, unter­stützen diese jedoch direkt und arbeiten mit den Suizid­attentätern zusammen. Um die Stadt Faluja zu entlasten, wurden einige Kämpfer aus Faluja nach Bagdad einge­schleust um dort wieder Anschläge zu verüben. Dazu ge­sellten sich auch noch An­gehörige der Miliz des extremistischen schiitischen Isla­misten Muqtada al-Sadr, der Armee des Mahdi (Gaish al-Mahdi), die auch an den Kämpfen in Faluja teilnahmen, mit denen sich umgekehrt aber wiederum die islamisti­schen Kämpfer in Faluja so­lidarisierten.

In einem Flugblatt, das Ende April in einem schiiti­schen Viertel in Bagdad ver­teilt wurde, erklärten die Auf­ständischen aus Faluja: „Wir, eure Brüder aus der Provinz Al-Anbar und der Stadt Fa­luja, richten diesen Aufruf an euch und erklären, dass wir euch unter der Fahne ‚Gott ist Groß‘ und zur Förderung des Islam und der Muslime gegen die Heiden, Besatzer, Eroberer und habgierige un­reine Juden unterstützen, die den reinen Boden und die heiligen Städte verunreinigt haben. Wir stehen hinter Herrn Muqtada El-Sadr und verfolgen seine Aktivitäten mit Aufmerksamkeit auf­grund seiner Haltung betref­fend die Befreiung des Irak von den aggressiven Heiden, die unsere Alten, Wissen­schafter und religiösen Ge­lehrten angegriffen haben. Wir alle erklären unsere Be­reitschaft zur Befreiung der Heimat, Förderung und Er­weiterung der Religion Gott­es auf der ganzen Welt. Wir unterstützen Sie in ihrem Gihad, im Krieg gegen die Un­gläubigen als religiöse Pflicht, und führen, welche Mittel Sie auch immer für diesen Krieg geeignet finden, aus.“
Diese Stellungnahme zeigt nicht nur die Unterstützung, die Muqtada al-Sadr mittlerweile von (ehemaligen) Ba’thisten und sunnitischen Extre­misten aus Faluja erhält, son­dern auch die ideologischen Feindbilder der militanten Gruppen aus Faluja: „Heiden, Besatzer, Eroberer und hab­gierige unreine Juden“.

Auch Ba’thisten, die nach dem Sturz des Ba’th-Regimes verschwunden waren und nichts mehr mit dem Ba’thismus zu tun haben wollten, treten heute wieder öffentlich und bewaffnet in Erschei­nung. Damit versuchen sie sich auch einer strafrechtli­chen Verfolgung für ihre über 30 Jahre währenden Verbrechen zu entziehen.

Zu dieser Situation hat auch die Politik der US-Besatzungstruppen beigetragen, die Angehörigen der politi­schen Parteien der ehemali­gen Opposition zu entwaff­nen, während die Ba’thisten in Faluja aus Angst vor wei­teren Auseinandersetzungen nicht entwaffnet wurden. Diese Nachsicht gegenüber den Ba’thisten wird nicht nur von der irakischen Bevölke­rung kritisch hinterfragt, viel­mehr rächt sie sich nun, da diese Waffen gegen die Be­satzungstruppen selbst zum Einsatz kommen. Dabei rächt sich auch die völlige Auflö­sung der irakischen Sicher­heitskräfte und des Militärs nach dem Sturz Saddam Husseins. Versuche die ehe­maligen Ba’thisten und Isla­misten in Faluja ein Jahr spä­ter mit massivem Einsatz von Waffengewalt und einer voll­ständigen Belagerung der Stadt zu entwaffnen schlugen nicht nur fehl, sondern tra­fen primär die Zivilbevölke­rung der Stadt. Bei den Kämpfen kamen weit mehr unschuldige Menschen ums Leben als Angehörige dieser bewaffneten Gruppierungen. Nun holen die Besatzungs­truppen sogar die ehemaligen ba’thistischen Generäle der ursprünglich aufgelösten Ar­mee zurück und versuchen mit deren Hilfe das Problem in den Griff zu bekommen. Auch Sicht der Opfer des Re­gimes Saddam Husseins ist diese „Strategie“ mehr als nur unverständlich.

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