radiX, Nummer 3
Mai
2000

Herrschaft und Legitimität

Ein Beitrag zur Tierrechtsdebatte

Die Rationalität beutet jetzt die Natur aus, indem sie ihrem eigenen System die rebellischen Potentialitäten der Natur einverleibt.

(Max Horkheimer,
Zur Kritik der instrumentellen Vernunft)

Seit der Aufklärung (18. Jh.) beginnt der Begriff der „Natur“ im Diskurs wesentlich zu werden, „Natur“ und Gesellschaft werden identisch gesetzt, wobei diese „Natur“ in der Sicht der Aufklärung quasi-republika­nisch organisiert ist. Die Romantik führt diese Konstruktion mit einer neuen ideologischen Richtung fort, sie erklärt die „Natur“ für autoritär organisiert. Auf diese „Natur“ projiziert das sentimentale, verdinglichte Subjekt seine ihm versagte politischer und persönliche Freiheit. Es projiziert sein in gesellschaftliche Zwänge gekettetes Dasein auf die Natur und vermeint, durch deren Befreiung sich selbst zu befreien.

Dieser Zugang verkennt die immer schon a priori gesetzte Definition des menschlichen Wesens als eines gesellschaftlichen Wesens und postuliert den Menschen als einen in der Natur urwüchsigen. Dies bedeutet einen kreationistischen Standpunkt einzu­nehmen und zu vertreten, d.h. des Menschen als von Gott vor jeder Gesellschaft als Mensch an und für sich geschaffenen. Vertritt man/frau hingegen den darwinistischen Standpunkt, so heisst dies einen evo­lutionären und damit auch quasi-historischen Standpunkt einzunehmen, der dem aufgeklärten Konstrukt „vom Naturzustand zur Zivilisation“ folgt. Ein solcher Standpunkt kann aber in der Folge auch nicht die Weiterentwicklung des homo sapiens qua gesell­schaftlichem Zusammenspiel innerhalb seiner Art verleugnen. (Ein entgegengesetzter Standpunkt jedoch kann dies, sofern er sich nicht am spezifischen aufgeklärten Konstrukt von Natur als „Republik“, son­dern an allfälligen anderen Konstrukten orientiert.)

Das bedeutet aber auch die Erkenntnis, dass nur die Sozietät und deren Mechanismen den homo sapi­ens zu Entwicklungen befähigten und befähigen. Philosophisch gesehen heisst das, dass der Mensch sich erst seine Menschwerdung aneignen musste und zwar qua gesellschaftlicher Organisation, sich aber dann auch die Aneignung aneignete, da auch diese eine erlernbare und erlernte Fähigkeit ist, deren Voraussetzungen jedoch Reflexions- und Abstraktionsvermögen sind, womit dann die Aneignung der Natur unternommen werden konnte. Diese Entwicklungen erfolgten als Prozesse gesell­schaftlicher Praxen der Tradierung, welche ein historisches Gedächtnis erforderten. Menschwerdung bedeutet, von einem instinktgeleiteten Wesen zu einem reflexiven und vernunftgeleiteten, sich selbst bewussten Subjekt zu werden, zu beginnen sich die Natur anzueignen und sie zu produzieren.

Die Tierrechtsbewegung argumentiert nun einerseits kreationistisch, indem sie den Menschen als gegeben und nicht als aus ihr geworden, der Natur gegenüber­stellt, ihn und seine Bedürfnisse von der Natur abstra­hiert und ihm eine gottgleiche Erhabenheit über die gesamte Natur zuschreibt, seine Autorität gegenüber Flora und Fauna damit quasi auch legitimiert, indem ihm das „Böse“ (Tierquälerei und -mord) zugeschrieben und das „Gute“ (Kampf für die Tierrechte) abverlangt wird, andererseits darwinistisch, indem sie auf die Verwandtschaft zwischen Menschen und Tieren hinweist, um daraus Notwendigkeiten einer erst im 19./20. Jh. philosophisch entstandenen Praxis gesell­schaftlichen Handelns, die kaum für ein Zehntel der lebenden Menschen abgesichert ist, auf Spezies anzuwenden fordert, deren postulierte Rechte bereits mit ihrer phantasmatischen Vermenschlichung aufs Empfindlichste verletzt werden.

In beiden Argumentationssträngen wird systematisch das Moment der Historizität und der gesellschaftlichen Praxis, das beiden Theorien durchaus innewohnt, aus­geblendet und ersetzt durch das mystifizierende quasi religiöse Fetischdenken des verdinglichten totalitären falschen Bewusstseins, das stark an esoterische Praxen angelehnt scheint, mit epistemischer Naturerfahrung aber nichts zu tun hat.

Die Dinge sind für ein solches Bewusstsein das, was sie zu sein scheinen, die geschichtlichen Epochen werden durchgemischt wie Schnipp-Schnapp-Karten, KZ-Opfer werden verhöhnt und noch einmal als Propagandamaterial missbraucht (übrigens ganz in der Tradition ihrer seinerzeitigen PeinigerInnen), Geschichte und Gesellschaft als konstitutive Momente des Menschen an und für sich werden geleugnet und als Ersatzdroge wird eine moralisierende Pseudoreligiosität inklusive savonaroleskem Fanatismus angeboten.

Ein Beispiel aus einer Tierrechts-Website: „Aber es gibt auch viel direktere Verbindungen zwischen Menschenrechtsverletzungen & der Missachtung von Tierrechten. Genüsslich werden tierische Produkte von sogenannten MenschenrechtlerInnen konsumiert, zu deren ‚Erzeugung‘ Getreide gebraucht wurde, das Milliarden unterernährten Menschen fehlt. Das allein sollte schon als Argument gelten. Doch zu allem Über­fluss wird dieses Getreide in den Gebieten der hun­gernden Menschen angebaut, um dann in europäi­schen oder nordamerikanischen Mastbetrieben an das zukünftige Fleisch verfüttert zu werden. Auf diesen Getreide-Plantagen werden die Eingeborenen als ArbeiterInnen durch unvorstellbar geringen Lohn zusätzlich missbraucht.“

Diese Argumentation stammt aus der alten linken „Hunger ist kein Schicksal“-Debatte; nur wird der rich­tige Hinweis auf globale kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse dazu eingesetzt, europäische und norda­merikanische MenschenrechtlerInnen über das „Fleischessen“ als „Ausbeuter“ zu denunzieren, redu­ziert die komplexe Problematik auf eine Verantwort­lichkeit von FleischesserInnen, und suggeriert, dass deren Abstandnehmen vom Fleischessen dann ein Paradies auf Erden herbeiführen könnte. Dass der Hunger auf der Welt um nichts geringer wäre, wäre die gesamte Weltbevölkerung noch so vegan, fällt den AutorInnen natürlich nicht auf, da für den Hunger offenbar nicht kapitalistische Strukturen sondern eine Art „Weltverschwörung“ von MenschenrechtlerInnen und FleischesserInnen verantwortlich zu sein scheint. Niemals fällt den TierrechtlerInnen ja auch ein, dass die Verfügung über Tiere, als ein Verfügungsrecht über privates Eigentum ein unantastbares a priori unserer Gesellschaft darstellt. Denn mit privatem Eigentum kann nach Gutdünken verfahren werden, insbesonde­re, wenn es sich, wie bei vielen Nutztieren, um Produktionsmittel, also Kapital handelt. Profit ist der oberste Fetisch und wer kein Geld hat, kann sich hier wie dort nichts zu essen kaufen, unabhängig vom fleischfressenden oder veganen lifestyle.

Also wird der neuralgische Punkt lieber beiseitegelas­sen, mit Verschwörungstheorien und Mythenbildun­gen kann mensch ja viel grössere Erfolge erzielen. Das haben die deutsche und die österreichische Geschichte vor sechzig Jahren schon mal bewiesen.
Lieber wird deshalb eine paternalistische und autoritä­re Haltung gegenüber der Welt vertreten, die die „StellvertreterInnen Gottes auf Erden“-Selbstzuschreibung einnimmt, indem sich die SprecherInnen der Tiere als RichterInnen über Menschen aufwerfen. Die Tiere aber haben ihre SprecherInnen genausowenig beauftragt, in ihrem Interesse zu reden, wie sie ihnen auch jemals ihr Vertrauen als angemessene VertreterInnen entziehen werden können. Interesse und Instinkt stehen einan­der gegenüber so wie Reflexion und Reflex.

Das als „Interesse“ interpretierte Bedürfnis der Kreatur ihren (unwillkürlichen) Instinkten zu folgen, setzt „Freiheit“ mit der Freiheit gleich, der Tyrannei der Natur sich unterwerfen zu dürfen. Dieser immanente Diskurs ist aber nicht auf die Tiere gemünzt, denen die Tyrannei der Menschen über sie durch die der Natur ersetzt werden und dann als ihre Befreiung interpre­tiert werden soll, sondern auf die Menschen, an die er sich ja im Grunde richtet. Denn das „Interesse der Tiere“ ist immer das Interesse derer, die sich zu ihren FührerInnen machen (womit sich für die Tiere vielleicht weniger geändert hat als ihre BefreierInnen zugeben wollen).

Denn eigentlich sollen die Menschen lernen, „Natur“ als das über ihnen stehende Höchste anzuerkennen, und die „Versündigung“ gegen sie als Sakrileg gegen das Unabänderliche zu begreifen. Es soll die Einübung sein, den als „Natur“ definierten Herrschaftszusam­menhang der Wenigen über die Vielen widerspruchs­los anzuerkennen. Befreiung bedeutet dann, das gesellschaftliche Schicksal als „natürliche Bestim­mung“ hinzunehmen und für die ultimative Freiheit zu halten. Aus diesem Grund hat die Tierrechtsbewegung auch solche Schwierigkeiten, sich von alten und neuen Nazis in ihrer Ideologie abzugrenzen, denn der „natür­lichen Bestimmung“ der Tiere folgt dann die der Menschen und diese wiederum wird von SprecherInnen definiert und organisiert, denen auf­grund der gesellschaftlichen Herrschaftsbedingungen die Organisierung der notwendigen Zustimmung kein Problem sein dürfte.

Vor der Folie der den Menschenrechten analog gesetzten Tierrechte fordert die Tierrechtsbewegung für sich daher einzig die Anerkennung ihrer Moralität, da es ihr um eine Anerkennung ihrer (nicht vorhandenen) Kritik nicht gehen kann. Damit wird innerhalb der Linken ein äußerst bürgerlicher Wettbewerb um die höchste Punktzahl im Moralismus eröffnet, ein Wettbewerb, der im viktoriani­schen Zeitalter via Sexualität abgehandelt wurde und in ubiquitärer Heuchelei endete. Der Tierrechtsmoralismus verknüpft dabei den hochgehobenen (phalli­schen??) Riesenzeigefinger mit dem Florence-Nightingale-Charity-Syndrom US-amerikanischer mit­telständischer Hausfrauen und führt innerhalb einer von kleinbürgerlichen Reflexen längst nicht befreiten Linken zu enormen Autoritäts- und Credibilitygewinnen. Und einzig darum scheint es ihm zu tun zu sein. Aber schon die Beanspruchung einer Autoritätsposi­tion steht dem Anspruch auf Freiheit entgegen. Die Gleichsetzung von Mensch und Tier führt im spät­kapitalistisch-neoliberalen gesellschaftlichen Kontext nur zum Bedeutungsloswerden der philosophisch-ethi­schen Kategorie „Mensch“ und zum Verfall seiner Unantastbarkeit.

Somit kann und wird die Tierrechtsbewegung das genaue Gegenteil ihres Zieles erreichen und der kapi­talistischen Verwertungslogik unter der Flagge ihrer vorgeblichen Bekämpfung wieder einen Teil der eman­zipatorischen Selbstgewissheit des Subjekts ausgelie­fert haben.

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