FORVM, No. 53
Mai
1958

In memoriam Theodor Kramer

Ein Invalider noch vom ersten Weltkrieg her, ein Eigenwilliger und Eigensinniger, geplagt und jeder Plage aufgetan, leidend und manchmal unleidlich, mit zwanzig Jahren einer qualvollen Emigration hinter sich: so kam er 1957 nach Wien zurück, und so ist er, sechzigjährig, am 3. April 1958 hier gestorben — gerade als die Heimat (ein wenig schwerfällig, wie in solchen Fällen zumeist) sich wieder auf ihn besann, gerade als ihm Preise und Publikationsmöglichkeiten zuteil wurden oder knapp bevorstanden. Er hätte sich das Datum und die Umstände nicht besser aussuchen können, wenn’s ihm darum gegangen wäre, mit seinem Tod das Fazit aus den Bitternissen seines Lebens zu ziehen. Ein „österreichisches Schicksal“, das da dem Sohn eines jüdischen Landarztes aus Niederhollabrunn widerfuhr? Gewiß auch das. Aber noch klarer, beängstigend klar, das Schicksal eines echten, eines durch und durch kompromißlosen Dichters: der sich treugeblieben ist bis in den Tod.

Theodor Kramer hat sein Leben lang keine Zeile geschrieben, für die er sich auf dem Totenbett hätte schämen müssen, und was der Dreißigjährige schrieb, hätte ebensogut der Sechzigjährige geschrieben haben können und umgekehrt. Es war stets die gleiche Handschrift und stets die gleiche Melodie, und beide waren so unverkennbar und unverwechselbar die seinen, wie das nur noch ein einziger von den rebellischen Lyrikern unsrer Zeit für sich in Anspruch nehmen darf: Bertolt Brecht. Aber Theodor Kramer hat sein Leben lang keine Zeile geschrieben, für die er sich auf dem Totenbett hätte schämen müssen.

Im FORVM sind nicht wenige seiner Gedichte zum erstenmal erschienen, und schon vor Jahren, anfangs 1955, als er der Heimat wieder einmal in Vergessenheit zu geraten drohte, wurde sein Werk in dieser Zeitschrift ausführlich gewürdigt (von Michael Guttenbrunner, Heft II/13). Hier folgt, aus dem Nachlaß nun schon, in memoriam Theodor Kramer ein Gedicht von beklemmender Ahnungsfülle.

Nun meine Zeit zu Ende geht

Ihr Frauen, die ich flüchtig nur besaß,
ihr Leut’, die mit mir leerten Glas um Glas,
wie kommt es nur, daß ihr, nun meine Zeit
zu Ende geht, in mir lebendig seid?

Den Stoppeln bin ich an Empfinden gleich;
ihr aber macht mein Leben seltsam reich,
ich seh’ euch, wo ich nichts mehr sehen kann,
es kommt mich Rührung und Erbarmen an.

Es ist genug nicht, daß von euch ich sing’;
o daß ich niedrig, ausgebrannt, gering,
Gesellschaft auch von euch nur einem wär’,
und Tröstung einer, ist zumut ihr schwer.

Mein Leben, das ich selbst zerstörte bang,
nun wollt’ ich, saftig wär’ es noch und lang,
auf daß es allen, die statt euch ich fand’,
von Nutzen wär’; die Liebe hat kein End.

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