FORVM, No. 426/427
Juni
1989

... ist unausweichlich

PLO: Unser Partner ist das israelische Volk

Vier Monate nach dem Durchbruch von PLO-Chef Arafat zur gleichzeitigen Absage an den Terror wie zur Annahme von Israels staatlicher Existenz warten die Palästinenser noch immer auf eine positive Reaktion der israelischen Führung. Doch hat sie dieses Warten an der Richtigkeit des neuen Kurses nicht irre gemacht: Im politischen PLO-Hauptquartier bei Tunis verlassen sich die einen auf das Druckmittel der „Intifada“. Andere Führer setzen auf amerikanischen Druck in Richtung Israel, der mit dem guten Fortgang des Dialoges PLO — USA zu wachsen verspricht. Arafats rechte Hand Salah Chalaf, allgemein bekannt als Abu Ijad (Vater der Fähigkeit), vertraut auf die Eigengesetzlichkeit von Israels Weg zum Ausgleich mit den Palästinensern. In einem Interview, das mit der harten Realität in den besetzten Gebieten begann, entwickelt er diese Vision zu ihrem Höhepunkt, dem „unausweichlichen Frieden für Palästina“.

Heinz Gstrein, Tunis
Abu Ijad und Heinz Gstrein
Heinz Gstrein: Dieser islamische Fastenmonat Ramadan, der noch in den Mai hineinreicht, brachte einen neuen Höhepunkt der blutigen Zwischenfälle zwischen den israelischen Besatzern und der arabischen Bevölkerung im Westjordanland und Gasastreifen. Dazu kommen in Jerusalem einschneidende Maßnahmen zur Beschränkung des freien Zugangs zu den Muslim-Heiligtümern von Jerusalem. Halten Sie das für akut bedingte Einzelaktionen oder eine konsequente, langfristig angelegte israelische Taktik?

Abu Ijad: Unmittelbaren Anlaß dafür gaben die Jerusalemer Kundgebungen zum ersten Jahrestag der Ermordung meines PLO-Bruders Abu Dschihad hier in Tunis. Seitdem wird allen Palästinensern von außerhalb der Stadt der Zutritt zum Gebet an den Moscheen Jerusalems — mit dem gesamtislamischen Al-Agsa-Heiligtum an der Spitze — verwehrt. Auch den Einwohnern ist das jetzt nur mehr nach strikten, oft schikanösen Ausweiskontrollen gestattet. Der Großteil unserer Intifada-Jugend bleibt seitdem von Jerusalems islamischen Stätten ausgeschlossen. Das ist die eine, ich möchte sagen „polizeiliche“ Seite des israelischen Vorgehens.

Mit dieser Begründung setzt sich Israel aber zugleich grundsätzlich über seine völkerrechtliche Verpflichtung hinweg, im seit 22 Jahren von ihm besetzt gehaltenen Osten Jerusalems den interreligiösen Charakter und die Freizügigkeit des Besuchs der Andachtsstätten aller dort vertretenen Glaubensbekenntnisse zu garantieren. Dahinter steckt aus unserer Sicht das Fernziel, Jerusalem auch religiös vom sonstigen Westjordanland und darüber hinaus von der islamischen Ökumene abzukoppeln.

In vatikanischen Kreisen nimmt die Besorgnis zu, daß diese israelische Jerusalem-Polıitik früher oder später auch die Christen in Mitleidenschaft ziehen könnte. Nicht nur die bodenständigen, überwiegend arabischen Christen, sondern auch die Interessen aller Kirchen der Welt an ihren heiligen Stätten in der Heiligen Stadt. Teilen Sie diese Befürchtungen?

Womit heute die islamische Präsenz in Jerusalem zurückgedrängt wird, das trifft prinzipiell auch die christlichen Heiligtümer. Der Zugang zu ihnen kann jederzeit mit der gleichen Begründung eingeschränkt oder gar unterbunden werden: Unter uns Palästinensern machen die Christen einen stattlichen Anteil aus. Sie beteiligen sich geschlossen an den Intifada. Was der Weltchristenheit von dieser Haltung Israels in Jerusalem droht, ist eine Demarkationslinie zwischen den heiligen Stätten in der annektierten Stadt, angefangen von der Grabeskirche und der Via Dolorosa, und den Wallfahrtsorten im besetzten Westjordanland mit Bethlehem an der Spitze. Angesichts einer solchen Politik, die ganz Jerusalem zu einer für immer rein jüdischen Stadt machen will, sitzen Christen und Muslime im gleichen Boot.

Die Präsidenten von Palästina und Ägypten, Jasser Arafat und Hosni Mubarak, haben das israelische Angebot von Wahlen für palästinensische Volksvertreter in den besetzten Gebieten unter anhaltender Okkupation durch Israel zurückgewiesen. Wäre die PLO als Exilorganisation bereit, solche Wahlen innerhalb Palästinas zu akzeptieren, wenn vorher die israelischen Soldaten durch eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen ersetzt sind?

Die Wahl von politischen Vertretern und Regierungsorganen stellt eines der wesentlichen Rechte dar, das sich unmittelbar aus der Selbstbestimmung eines Volkes ergibt. Wahlen unter israelischem Besatzungsregime und bei anhaltender Negierung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechtes wären daher ein Widerspruch in sich, nicht mehr als eine Farçe. Finden in Arabisch-Palästina hingegen Wahlen nach dem Abzug der Israelis unter dem Schutz internationaler Einheiten statt, so sind wir von der PLO die ersten, die deren Ergebnisse respektieren und anerkennen.

Schließt Ihre Forderung nach einem sofortigen und bedingungslosen israelischen Abzug aus Westjordanland und Gasastreifen auch den Ostteil von Jerusalem ein?

Wenn wir von den besetzten Gebieten sprechen, sind das ohne Ausnahme alle jene, die 1967 durch Israel okkupiert wurden. Die PLO hat die UN-Palästina-Resolutionen 242 und 338 Ende 1988 ausdrücklich und vollinhaltlich angenommen. Dasselbe dürfen und müssen wir jetzt auch den Israelis abverlangen: Rückzug aus allen 1967 von ihnen besetzten arabischen Gebieten. Zu denen selbstrredend Ost-Jerusalem gehört. Wäre es anders, könnten wir Palästinenser mit demselben Recht Ansprüche auf israelisches Staatsgebiet erheben. Schluß damit auf beiden Seiten!

Unterstützt die PLO in diesem Zusammenhang die syrische Forderung nach einer israelischen Räumung der Golan-Höhen? Oder halten sie sich da ganz heraus, betrachten das als eine bilaterale syrisch-israelische Streitfrage?

Darf ich nochmals auf die Resolution 242 verweisen, die Israel den Rückzug aus allen 1967 besetzten arabischen Gebieten auferlegt. Also nicht nur von jenen innerhalb Palästinas. Während die Sinaihalbinsel schon freigegeben wurde, muß Israel den Golan noch räumen. Darum wird es nicht herumkommen. Aus der Sicht der PLO stellt daher der israelische Abzug vom Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem, dem Gasastreifen und vom Golan eine untrennbare Einheit dar.

Sehen Sie konkret Wege und Bereiche, wo kurzfristig zwischen der PLO und Israel ein Mindestkonsens für eine politische, einvernehmliche Lösung des Palästinaproblems erzielt werden kann? Welcher Fragenkomplex erscheint Ihnen dafür besonders naheliegend?

Grundlage jedes für uns akzeptablen Mindestübereinkommens müßte Israels endlich auszusprechende Bereitschaft sein, sich mit einem freien Arabisch-Palästina als Nachbar einzurichten. Die Israelis wären schlecht beraten, diese historische Stunde ungenützt verstreichen zu lassen. Die Stunde, zu der die PLO den jüdischen Staat in Palästina angenommen hat und ihm Koexistenz, ja mehr noch, Partnerschaft, anbietet. Als unseren Partner betrachten wir das israelische Volk und fragen nicht danach, ob es ein Schamir oder Rabin sein wird, der mit uns zu sprechen beginnt. Wichtig ist der Brückenschlag als solcher!

Betrachten Sie das in Kairo ausgesprochene Angebot von Minister Ezer Weizman für ein persönliches Zusammentreffen mit Arafat als ernstgemeint? Glaubt die PLO ihn beim Wort nehmen zu können?

Das wird er schon selbst beantworten müssen.

Es ist nicht viel mehr als zehn Jahre her, daß ein von Begin geführtes Israel jeden Gedanken an eine Räumung des gesamten Sinai hartnäckig zurückwies, um sich wenig später mit Ägypten darüber zu einigen. Gibt es in der PLO Überlegungen, daß sich bald der jetzige Likud-Chef Schamir analog verhalten könnte, was die Westbank, Jerusalem und Gasa betrifft?

Da will ich gleich noch ein weiteres markantes Beispiel dafür anführen, daß Israels unnachgiebigen Worten oft sehr rasch ganz andere Taten gefolgt sind: 1956 hatte sich Ben Gurion nach dem ersten israelischen Vordringen an den Suezkanal ausdrücklich darauf festgelegt, nicht den Sinai und schon gar nicht den Gasastreifen jemals wieder herauszugeben. Was dann doch zur Räumung führte, waren damals nicht Einsicht und Gesinnungswandel, sondern der massive Druck des amerikanischen Präsidenten Eisenhower. Nach dazu im Einvernehmen mit der zweiten Supergroßmacht Sowjetunion. Das Israel von heute gerät langsam aber sicher in die gleichen Zugzwänge. Dazu kommt jetzt aber noch etwas anderes, ich glaube sogar entscheidenderes:

Ich habe den festen Eindruck, daß die Israelis die Aussöhnung mit uns wollen, es ihnen nur mehr vordergründig um Zeitgewinn und Gesichtsbewahrung geht. Es sind durchaus nicht immer die von Haus aus friedliebenden Führer von Völkern, die eines Tages als Friedensstifter Geschichte machen. Meist handelt es sich um ebenso mutige wie tatkräftige Realisten, die einfach die Zeichen der Zeit und den Pulsschlag ihrer Nation richtig zu deuten wissen. Die Prognose lautet heute für Israel: niemand kann ewig im Ausnahmezustand, und noch weniger im Krieg leben. Der Weg zum Palästinafrieden ist unausweichlich, auch für einen Schamir und seinen Likud!

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