Grundrisse, Nummer 36
November
2010

Jenseits des post-autonomen Tellerrandes: Die Notwendigkeit einer neuen linken Organisierung

Subjektiver Bericht & Appell

Die 1990er Jahre verbrachte ich größtenteils in einer trotzkistischen K-Gruppe, war in antifaschistischen Initiativen und ansonsten im Aufbau der jetzt aber wirklich stärksten der Parteien neuen Typs engagiert. Inzwischen war aus dem kleinen Angestellten ein Philosophiestudent geworden, marxistische Theorie wurde zur Hauptbeschäftigung und die wiederum zum Grund organisationspolitischer Veränderung. Beschleunigt durch die Bewegung gegen Blau/Schwarz war ich an der Gründung der grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte beteiligt, mein theoretisches Interesse wandte sich über den Umweg Gramsci – Althusser dem italienischen Linksradikalismus zu. Politisch aktiv war ich seither in autonomen, oder wie es heute so schön heißt „post-autonomen“ Zusammenhängen – einerseits gegen den Verkauf des besetzten Ernst-Kirchweger-Hauses durch die KPÖ, andererseits im Rahmen des EuroMayday-Prozesses sowie bei diversen universitären Protestbewegungen. So sehr ich die Politisierung des Alltagslebens und die Freiheit von organisationspolitischer Weisungsgebundenheit schätzen lernte (und dies auch heute noch tue), so sehr missfielen mir andere Aspekte des Politikverständnisses der autonomen Szene. Diese möchte ich kurz umreißen, um im Anschluss zur Skizze einer möglichen linken Organisierung zu kommen, die mit den überkommenen Formen sowohl (kader)parteimäßiger als auch szene-inzestuöser Politik bricht und eine Perspektive gesamtgesellschaftlicher Transformation mit der Politisierung und Veränderung der eigenen Lebensumstände verbinden kann. Dabei geht es selbstredend nicht darum, das Rad neu zu erfinden, sondern vielmehr auch auf – ja, auch auf gescheiterte – Experimente und Organisierungsformen zurückzugreifen; angesichts der selbstgenügsamen und/oder elitären Organisierungsweisen der in Österreich real existierenden Linken erscheint mir eine derartig grundlegende Auseinandersetzung mit der Thematik allerdings geboten.

Kritik der Post-Autonomen

Die „Autonome Szene“ in der Einzahl gibt es nicht mehr. Ob es sie – zumindest in Wien – so je gegeben hat, soll hier nicht thematisiert werden, schon aber die Veränderungen und Entwicklungen der post-autonomen Zusammenhänge in Wien in den letzten 10, 15 Jahren. Der Begriff „post-autonom“ impliziert auch schon das Problem einer genauen Definition. Können zumindest für die „klassischen“ Autonomen der 1980er-Jahre noch klare Zuordnungskriterien angegeben werden (Notwendigkeit der Revolution, Ablehnung der Parteiform, Internationale Solidarität, Militanz, Hausbesetzungen, Subkultur), so ist dies für die verstreuten post-autonomen (Sub)Szenen der 00er Jahre nicht mehr so ohne weiteres möglich. Dennoch möchte ich im Folgenden eine Bestandsaufnahme dieser Szenen – und zwar entlang der sie trennenden Linien – wagen.

Eine dieser Trennlinien lässt sich mit dem Begriff Klasse markieren. Während der Großteil der Post-Autonomen damit nichts, aber auch gar nichts am Hut hat, gibt es nach wie vor Teile der Szene, die sich der Klassenpolitik verschrieben haben. Zum einen wären hier die neuen – und in den letzen 15 Jahren immer wieder neu gegründeten und wieder versandenden – anarchosyndikalistichen Strukturen zu nennen, zum andern die Reste der „alten“ autonomen Strukturen der 80er und 90er Jahre mit ihrem stärker auf klassische Arbeitsverhältnisse und –kampfformen ausgerichteten Zugang. Beiden Strömungen ist weitgehend gemein, dass sie über konkrete Arbeitskämpfe hinausgehende politische Formen der Organisierung bzw. auch Strategiebildung ablehnen. Auch ist ihre Verbindung zur dritten hier – wenngleich auch am Rande – zu nennenden Subszene eher marginal ausgebildet: jener der früheren Mayday- und jetzt Prekär-Cafe-AktivistInnen. Letztere sind stärker an postfordistischen Arbeits- und Lebensverhältnissen orientiert, mehrheitlich aus akademischen Linken zusammengesetzt und haben deutlich weniger Berührungsängste zu offiziellen gewerkschaftlichen Strukturen, die von Altautonomen sowie AnarchosyndikalistInnen mehrheitlich abgelehnt werden. Strategische Überlegungen zu gesamtgesellschaftlichen Transformationsstrategien findet mensch allerdings auch bei den AktivistInnen der Prekarisierung nur vereinzelt.

Eine zweite wichtige Trennlinie bzw. eher ein Zugehörigkeitsmerkmal kann mit den Begriffen Freiraum und Wohnprojekte bezeichnet werden. AktivistInnen dieser Strömung arbeiten inhaltlich an der zunehmenden Enteignung und Überwachung öffentlichen Raums und sind von ihrer Strategie her an der (Rück)Eroberung gesellschaftlicher Räume und Gebäude orientiert. AktivistInnen dieser Strömung sind theorieseitig oft von wertkritischen Ansätzen beeinflusst, ihre Organisierungsweisen tendieren zu selbstverwalteten und –bestimmten Räumen, Wohnprojekten, Wagenplätzen und Kostnix-Läden. Im Gegensatz zur oben genannten „klassenkämpferischen“ Strömung könnte die hier beschriebene als „AussteigerInnen“ bezeichnet werden. In Kämpfen um den öffentlichen Raum (wie z.B. der F13 Kampagne [1] der Boulevardzeitung Augustin) gibt es selbstverständlich auch Überschneidungen zur oben genannten, stärker in die Gesellschaft intervenierenden Szene, dennoch ist die hier beschriebene Strömung als stärker selbstbezüglich zu bezeichnen. Szeneübergreifende Thematiken oder Bündnisarbeit über die post-autonome Szene hinaus ist hier – bei aller Verschiedenheit der einzelnen Projekte – eher selten zu finden.

Ein wichtiges und aktuell starken Zulauf findendes Themenfeld ist jenes des Antirassismus. Hier finden sich sowohl die bereits in den Bewegungen der 1990er („Kein Mensch ist illegal“) Aktiven als auch jüngere AktivistInnen und neue Zusammenhänge eines linksradikalen Antirassismus. Diese stärker inter- bzw. transnational ausgerichteten Bezüge thematisieren zwar – vor allem in letzter Zeit – auch Arbeits- bzw. Klassenaspekte von Migrationsbewegungen, schwerpunktmäßig sind die Aktivitäten jedoch gegen die Verschärfungen des europäischen Grenzregimes bzw. auf den Kampf gegen die (Abschiebe)Lager gerichtet. Die Kampagnen und Initiativen des antirassistischen post-autonomen Spektrums stellen einerseits äußerst wichtige Bezugspunkte des linken Aktivismus dar, andererseits verbleiben aber auch sie oft innerhalb von bestimmten Grenzen, sowohl was die gesellschaftliche Breite ihrer Kampagnen als auch die Einbettung antirassistischer Theorie in einen (gesamt)gesellschaftskritischen Kontext betrifft. Durch die oft stark transnational angelegte Arbeit antirassistischer Initiativen und die Nähe zu künstlerischen und in Teilaspekten auch klassenpolitischen Initiativen dürfte sich hier allerdings aktuell die Bereitschaft zu breiteren Bündnissen und Vernetzungen noch verstärken.

Ein weiteres und auch – zumindest seit den 1990ern – traditionell autonomes Betätigungsfeld ist jenes der Antifa. Damals aufgrund der zunehmenden Bedrohung durch die militanten Neonazis der VAPO und des Aufstieges der Haider-FPÖ von unmittelbarer Notwendigkeit, orientierte sich der autonome Teil des Antifaschismus bald am deutschen Muster, sowohl was die Form (schwarz und vermummt) als auch den Inhalt ihrer Politik (Antifa, Antifa, und nochmals Antifa) betraf. Zwar gab es im Laufe der 1990er Jahre eine Verschiebung und Verbreiterung des Antifa-Diskurses (hin zum queer-feministischen) und auch die klassische autonome Antifa starb Ende der 90er Jahre aus, allerdings gibt es in den letzten Jahren wieder eine verstärkte Aktivität mehr oder weniger klassischer autonomer Antifas – mit all den problematischen Aspekten ihrer historischen Vorbilder (Antifaschismus als Selbstzweck, kein Bezug auf andere soziale Bewegungen jenseits eines sich abstrakten gebärdenden Antikapitalismus, Mackertum und Militanzfetisch), hinzu gesellte sich aber auch hierzulande die grausame Unsitte des Antideutschtums. Dies führte in einigen Fällen zur Aufgabe, ja zum Bekämpfen jeglicher Staats- und Kapitalismuskritik, solange sie nicht den eigenen Kriterien (Israelischer Staat = Gut, PalästinenserInnen = Böse, USA = Gut, Linke = Böse) zu hundert Prozent gehorchten und ganz sicher nicht breite Schichten der Bevölkerung (= Mob = Böse) affizierten. Dem Einfluss der Antideutschen ist jedoch nicht nur in der antifaschistischen, sondern – mit unterschiedlicher Intensität – in allen genannten Sub-Szenen eine Abwendung vom Internationalismus der frühen Autonomen zu „verdanken“. Bei aller berechtigter Kritik am oft unkritischen und glorifizierenden Herangehen der damaligen AktivistInnen an die (Befreiungs)Bewegungen im Trikont führte der Einfluss der Antideutschen gerade nicht zu einer kritischen Reflexion und einer Erneuerung der inter- bzw. transnationalen Solidarität, sondern letztlich zu einer elitären Vorstellung gesellschaftlicher Veränderung und – in manchen Fällen – zur Glorifizierung westlichen Lebensstils, der sich von den ApologetInnen der Neocons aller Länder wenig bis gar nicht unterscheidet.

In diesem Kontext wäre abschließend auch noch die universitäre post-autonome Linke zu nennen. Oftmals eine Schnittmenge mit den letzten beiden Strömungen bildend, ist sie in Basisgruppen und Redaktionen von Studierendenzeitungen aktiv. Waren die Basisgruppen in den 1980er Jahren noch linksradikale Bezugspunkte einer Veränderung der starren quasistaatlichen offiziellen Interessensvertretung „Österreichische HochschülerInnenschaft“, so ergänzen sich die Strukturen der radikalen Linken und der repräsentativ ausgerichteten Interessensvertretungen mittlerweile bestens. Selbst im Rahmen massiver Protestbewegungen ist die radikale Linke an den Unis mehr als kritische Kritikerin bemerkbar denn als radikalisierendes und Bewegungs-Element. Die generell konstatierbare Selbstbezüglichkeit der post-autonomen Szenen findet hier ihr Modell. Solidarische Auseinandersetzungen mit anderen gesellschaftlichen Bereichen oder Bewegungen sind kaum zu finden. Zwar gibt es auch hier eine starke abweichende Strömung – gerade die Akademie der Bildenden Künste ist hier zu nennen, aber auch einzelne Studienrichtungsvertretungen oder das neu gegründete „Linke Uninetzwerk“, im großen und ganzen geben aber die zwischen bürgerlichem Elitismus, Langeweile und antideutschen Dummheiten chargierenden Publikationen der universitären Linken ein gutes Bild ihres Zustandes ab.

Klarerweise überlappen die Teilszenen die von mir skizzierten Abgrenzungslinien. Dennoch wage ich als einer, der sich rund 10 Jahre mal mehr innerhalb, mal mehr am Rande des Soziotops Post-Autonome getummelt hat, zu sagen, dass die Entwicklung einer Strategie zur Überwindung des Kapitalismus nur jenseits dieser Szenen möglich ist. So gut und wichtig die Kampagnen und der Aktivismus einiger der oben genannten Sub-Szenen auch ist, eine gesamtgesellschaftliche Strategie muss letztlich die beschränkten Bereiche der Szenen transzendieren. Eine interessante Entwicklung zeichnet sich momentan in der queer-feministischen Szene ab. Da diese stark an dekonstruktivistischen Theorieansätzen orientiert ist und ja qua Definition ein Problem mit starren Identitäten hat, könnte das dort derzeit verstärkte Interesse für wirtschaftliche Belange und mithin an einer Kritik der politischen Ökonomie zu interessanten Konstellationen bzw. Kooperationen führen. Ob dies auch für den queer-orientierten Teil der Antifaszene gilt, ist derzeit noch nicht ausgemacht.

Zum Abschluss dieses Teils möchte ich auf ein Zitat verweisen, in dem ein gewisser Heinz Schenk bereits vor beinahe 20 (!) Jahren das Dilemma der Autonomen äußerst präzise zusammenfasst: „So erklärt sich die autonome Ghettomentalität: Wer sich einen politischen Prozeß nicht als eine Annäherung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen bei bestehenbleibender Unterschiedlichkeit vorstellen kann, sondern glaubt, daß die ganze Welt so werden muss wie die eigene Szene, kann nur ein instrumentelles Verhältnis zu anderen entwickeln.“ (Heinz Schenk: Die Autonomen machen keine Fehler, sie sind der Fehler! in: Geronimo u.a. (Hg.): Feuer und Flamme 2, Kritiken, Reflexionen und Anmerkungen zur Lage der Autonomen, Edition ID-Archiv, Berlin, 1992, S. 174f.)

Perspektiven der Organisierung

Im Folgenden möchte ich – wie ich hoffe in kritischer und nachvollziehbarer Abgrenzung zu den Beschränktheiten der oben beschriebenen Szenen – eine Perspektive einer solchen Organisierung umreißen. Das bedeutet nicht, dass die AktivistInnen und Zusammenhänge aus den post-autonomen Spektren darin keine Rolle spielen – ganz im Gegenteil, aber, und das mag wohl der zentrale „appellative“ Punkt meiner Argumentation sein, es geht darum, über den Tellerrand hinaus blicken und sich letztlich auch über diesen hinaus bewegen, um eine Rolle in einem künftigen Prozess der Neuzusammensetzung der (radikalen) Linken zu spielen.

Folgende Aspekte erscheinen mir bei dieser Neuzusammensetzung unverzichtbar:

1. Eine gesamtgesellschaftliche Befreiung, vulgo Revolution, kann nur von massenhaften Bewegungen der Multitude selbst ins Werk gesetzt werden. Dies erfordert von organisierten Linken das Sich-Einlassen auf eine „Kritik im Handgemenge“. Moralisierende Abgrenzungen und elitäre Erhabenheitsgefühle sind dabei ebenso (oder ehrlich gesagt noch mehr) fehl am Platz wie ein unkritisches Fetischisieren der „Masse an sich“. Jede Massenbewegung enthält reaktionäre Elemente, und genau deshalb gilt es, sich einzumischen und für eine Perspektive der Befreiung und gegen regressive Strömungen zu kämpfen. Klar kann so ein Kampf auch verlorengehen und es ist auch nicht jede Massenbewegung als potenziell revolutionär einzustufen (das wäre ein unzulässiger Umkehrschluss des ersten Satzes oben). Ohne die (Selbst)Aktivierung von deutlich mehr Menschen, als bislang in linken Zusammenhängen aktiv waren oder sind, ist jedenfalls jede politische Perspektive notwendig entweder ständisch oder elitär.

2. Es bedarf einer revolutionären Strategie, die die Trennung von Haupt- und Nebenwidersprüchen analytisch bekämpft, sie in der politischen Praxis als unhintergehbar akzeptiert und somit erst der kritischen Reflexion zugänglich macht. Was bedeutet das? Es gibt einerseits keinen gesellschaftlichen Hauptwiderspruch, der allen anderen Widersprüchen ihre Plätze zuweist. Vom Kapitalismus zu sprechen bedeutet 2010 nicht, von der Zentralität des Lohnverhältnisses zu sprechen. Selbst ökonomische Ausbeutungsverhältnisse laufen mehr und mehr jenseits des Widerspruchs von Lohnarbeit und Kapital ab, von anderen gesellschaftlichen Widersprüchen ganz zu schweigen. Politisch ist allerdings jede Bewegung, jede soziale Auseinandersetzung, obwohl nicht auf einen Widerspruch reduzierbar, letztlich durch eine Hierarchie von Antagonismen gekennzeichnet – in der Protestbewegung gegen Blauschwarz im Jahr 2000 war die Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei durch die Bewegung höher priorisiert als der sexistische Charakter oder – zumindest vorerst – die Verschlechterungen im Bildungswesen (obgleich diese natürlich eine Rolle gespielt haben), bei Bewegungen und Kampagnen gegen fundamentalistische AbtreibungsgegnerInnen oder der Protestbewegung an den Universitäten 2009 sieht die Sache hingegen deutlich anders aus – obwohl natürlich auch dort die anderen Widersprüche auch Teil der – teilweise heftigen – Auseinandersetzungen der und auch innerhalb der Bewegung waren. Eine organisierte Linke muss diese Hierarchisierungen anerkennen, aber gleichzeitig gegen Tendenzen zur „Entgesellschaftlichung“ von sozialen Auseinandersetzungen kämpfen, d.h. gegen die Reduktion der Komplexität von umkämpften Widersprüchen auf „Single Issues“ und deren meist naheliegende reformpolitische Bearbeitung.

3. Eine neue Form von Organisierung ist notwendig, um zwischen den konjunkturellen Aufschwüngen sozialer Bewegungen antizyklisch zu intervenieren, Errungenschaften sozialer Kämpfe zu sichern sowie in Phasen der Stärke von Bewegungen sie miteinander in Bezug zu setzen. Soziale Bewegungen gehorchen eigenen Rhythmen, sie können nicht von Parteien oder Organisationen ins Werk gesetzt werden, nicht „begonnen“ werden. Gerade das macht ihre besondere Dynamik aus und macht sie für die Herrschenden nur schwer kalkulierbar. Diese Tatsache gilt es anzuerkennen, und es ist auch weder sinnvoll noch durchführbar (außer bei Bewegungen im Abschwung), sich als organisierte Gruppierung an „die Spitze“ der Bewegung zu setzen, wie dies die KaderInnenorganisationen (von TrotzkistInnen bis zur ÖH) so gerne tun möchten. Dagegen gilt es den Eigensinn (Negt/Kluge) sozialer Bewegungen anzuerkennen und innerhalb um Positionen zu ringen, sich gleichwertig an allen Facetten der Bewegung zu beteiligen (nicht nur an den „wegweisenden“ Entscheidungen in den wichtigen Plenas, sondern z.B. auch an der Volxküche) und vor allem verschiedene Kämpfe bzw. verschiedene Aspekte einer Bewegung miteinander in Beziehung zu setzen. Nur so kann die radikale Linke sich Positionen erarbeiten und auf eine Fokussierung auf den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang hinarbeiten, ohne sich mittels abstrakten Avantgardismus selbst zu diskreditieren.

Andererseits gilt es auch anzuerkennen, dass soziale Bewegungen nicht völlig aus dem Nichts beginnen. Oft sind es die kleinen und kleinsten Formen sozialer Netzwerke, Diskussionsgruppen und auch politischer Organisationen, die in Zeiten der Flaute die Flamme am Köcheln halten. Genau hier setzt die eigentliche Wichtigkeit einer neuen Organisierung an. Gerade in ruhigen Zeiten existiert „mehr Zeit“, um sich theoretische Positionen kritisch anzueignen, um mit neuen Formen des Umgangs untereinander zu experimentieren, Theorie zu produzieren oder internationale Kontakte zu knüpfen und zu verstetigen. Einen kollektiven Selbstverständigungsprozess über „Was bedeutet es, den Kapitalismus zu überwinden“ in Gang zu setzen, und zwar in Theorie und Praxis, das ist die vordringlichste Aufgabe einer neuen Organisierung. Damit eng verknüpft ist der vierte Punkt:

4. Die Form der Organisierung muss ihre Lehren sowohl aus den gescheiterten und letztlich autoritär verfassten Modellen der (leninistischen) Parteien als auch aus der zu Selbstisolation und gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit tendierenden Ausrichtung an einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen ziehen. Dabei darf Basisdemokratie nicht zum Fetisch verkommen, gleichermaßen aber nicht am Altar einer vermeintlich größeren politischen Effektivität geopfert werden. Mittel und Zweck einer derartigen Form politischer Kollektivität ist die Ermächtigung der bzw. des Einzelnen zum gemeinsamen Handeln. „Technische“ Hilfsmittel wie Rotationsprinzip, jederzeitige Abwählbarkeit, geschlechtergerechte Moderationskriterien sind dabei zwar unverzichtbare Hilfsmittel, können aber eine grundsätzliche Bereitschaft zum „Überspringen des eigenen Schattens“ nicht ersetzen. Dieses „Sich-auf-die-Anderen-Einlassen“ und nicht um jeden Preis auf der 1000%ig richtigen Position zu beharren, ein grundlegendes Vertrauen in die Fähigkeiten der GenossInnen und die Anerkennung der untrennbaren Verknüpfung von Organisationsform und angestrebter gesellschaftlicher Transformation sind die eigentlich zentralen Aspekte einer Form der Organisierung, die aus den Fehlern der Vergangenheit („Demokratischer Zentralismus“ beispielsweise) zumindest ein wenig klüger hervorgehen möchte. Dies beinhaltet auch eine doppelte Kritik an der Parteiform: zum einen hinsichtlich ihrer hierarchischen Form, die sich notwendiger Weise aus der Gerichtetheit auf die Institutionen der repräsentativen Demokratie ergibt, zum andern angesichts der unumkehrbaren Tendenz der Erosion des repräsentativ-demokratischen Systems. Dies bedeutet nicht, Wahlen zu ignorieren oder sich notwendig defätistisch zu ihnen zu verhalten, andererseits aber auch nicht, sich Minderheitenfeststellungen auszusetzen.

Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus bzw. die staatspolitischen Versuche ihrer Überwindung auf Kosten breiter, d.h. armer Bevölkerungsschichten verdeutlicht noch einmal die Notwendigkeit und vor allem auch die Dringlichkeit organisierter Gegenwehr. Obwohl sich abzeichnet, dass trotz vereinzelter Widerstände die Krisenbewältigung ausschließlich auf Kosten der Armen betrieben wird, eröffnet die gegenwärtige Transformationsperiode doch antikapitalistische (Handlungs)Perspektiven. Noch nie seit 1989 war der Kapitalismus so diskreditiert wie heute. Wie unzureichend auch immer die Deutungsmuster der Krise sind, die Tendenz zeigt in Richtung einer Infragestellung des ganzen Systems; und auch wenn – oder gerade weil – autoritäre, d.h. vor allem protektionistische und/oder rassistische Antworten der Politik auf die Krise hegemonial sind, ist eine stringente und letztlich eben auch organisierte Antwort von links notwendig. Eine Antwort, die zunächst kollektiv und solidarisch Fragen stellt, zum Beispiel wie ein Ausweg aus der Krise die politische, ökonomische, subjektive und ökologische Dimension gemeinsam artikulieren und jenseits eingefahrener Muster der repräsentativen Demokratie aussehen kann.

Seit dem Herbst 2009 gibt es in Wien und einigen anderen Städten in Österreich Diskussionen zur Schaffung einer solchen Organisierung. Das temporär – und nicht gänzlich unironisch – auf den Namen „Superlinke“ getaufte Projekt ist der Versuch, jenseits von klar abgegrenzten Projekten einerseits und einer Organisation in Parteiform andererseits eine Form der gemeinsamen Organisierung zu finden, in der sich Verbindlichkeit und Lust, Dezentralismus und Kollektivität nicht ausschließen, sondern im Gegenteil gegenseitig verstärken. Der Horizont, aber auch das Maß unseres gemeinsamen politischen Handelns ist dabei die Überwindung jeglicher Herrschaft des Menschen über den Menschen, oder, mit Marx gesprochen „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Was die Superlinke jedenfalls hinter sich lassen will – und auch muss, will sie sich dem selbst gesetzten Anspruch „eine Linke mit gesellschaftlicher Bedeutung“ zu werden zumindest annähern, ist jede Art von moralischer Überlegenheit und theoretisch fundierter Überheblichkeit. Auch deshalb wird der Prozess einer neuen Organisierung wohl auch der einer Suche nach einer anderen Sprache sein müssen …

Dies bedeutet nicht, als Wahlalternative oder Partei sich konstituierenden Projekte um jeden Preis zu kritisieren oder ihnen gleichgültig gegenüberzustehen. Ausgemacht scheint jedoch, dass ein über szeneinterne Diskussionszirkel hinausgehendes Projekt zumindest signifikante Minderheiten von den Grünen, der SPÖ und/oder gewerkschaftlichen Strukturen loseisen müsste. Gegenüber dem jetzigen Zustand wäre die Existenz Partei ähnlich der deutschen „Linken“ auch für den Bewegungsspielraum der radikalen Linken und sozialer Bewegungen zweifelsohne ein Fortschritt, wenngleich es für ein außerparlamentarisches Projekt wie die Superlinke nicht die Voraussetzung der eigenen Existenz sein kann.

Beim „1. Ratschlag für eine Linke mit gesellschaftlicher Bedeutung“ im Juni 2010 wurde das Projekt Superlinke erstmals einer breiteren (linken) Öffentlichkeit vorgestellt und erste Komitees gegründet. Die Grundidee ist, dass autonom agierende Komitees sich spezifischen gesellschaftlichen Bereichen bzw. Fragestellungen widmen (derzeit gibt es Komitees zu Antirassismus, Arbeit und Prekarisierung, Krise & Revolution“ sowie „Kritik imperialer Lebensweise“). Bei Gesamtplenas tauschen sich die AktivistInnen über die Aktivitäten und mögliche gemeinsame Projekte mehrerer Komitees aus. Weiters existiert ein Organisierungs-Komitee, welches für alle offen ist, in dem sich aber jedenfalls die Finanz-, Öffentlichkeitsarbeits- und Webverantwortlichen sowie Delegierte aus allen Komitees zusammenfinden, um über mögliche gemeinsame Kampagnen zu diskutieren und die Aktivitäten der Organisation koordinieren. Außerdem wird durch das Organisierungs-Komitee das Plenum vorbereitet, d.h. ein Vorschlag für die Tagesordnung gemeinsam mit den rotierenden Plenums-ModeratorInnen erstellt. Sowohl das Plenum als auch das Organisierungs-Komitee können lediglich Vorschläge für Kampagnen der Gesamtorganisierung machen, die Komitees entscheiden aber immer autonom über ihre Teilnahme.

Für Anfang 2011 ist ein 2. Ratschlag geplant, bei dem einerseits eine Zwischenbilanz über die bisherige Aktivität der Superlinken gezogen werden soll, aber auch inhaltliche Diskussionen über die Notwendigkeit einer Alternative jenseits von neoliberalem Kapitalismus vs. Green New Deal stattfinden sollen. Außerdem wird es notwendig sein, eine größere Breite auch innerhalb des Bassins der gesellschaftlichen Linken im Prozess der Superlinken zu erreichen; vor allem bildungspolitische AktivistInnen sind derzeit nur sehr am Rande involviert, ähnliches gilt für FeministInnen. Die nächsten Monate werden jedenfalls zeigen, ob das Projekt Superlinke eine Dynamik entwickeln kann, die eine größere Zahl von Menschen für eine Mitarbeit anzieht. Dies kann nur über die Tätigkeit und Neugründungen von Komitees passieren, und erst wenn dieser Sprung geglückt ist, ließe sich über die Konstitution einer Organisierung laut nachdenken. Bei aller – oben bereits angesprochener – Dringlichkeit gilt es also sich zunächst tendenziell von den Rhythmen der Bewegungen abzukoppeln, um einen kontinuierlichen Diskussionsprozess zu gewährleisten. Erst wenn auf breiter Ebene ein Konsens über die konkrete Ausrichtung als auch über die konkrete Ausformung einer künftigen Organisierung erreicht worden ist, steht ein weiterer Schritt an Konkretisierung bevor. Dies wäre mit Sicherheit verbunden mit der Diskussion über Namen und gemeinsames Auftreten, ebenso wäre spätestens in diesem Zuge auch über die Herstellung einer publizistischen Öffentlichkeit zu diskutieren … Zuvor aber erwarten uns die „Mühen der Ebene“, die wir aber mit gemeinsamen Stadtbegehungen, Diskussionsveranstaltungen und ersten Kampagnen der Komitees uns – und hoffentlich auch euch – so wenig mühsam wie möglich gestalten möchten. Skeptisch beobachten war jedenfalls gestern!

[1Das Kürzel F13 steht für einen Aktions- und Feiertag für Menschen, denen mangels Konsumkraft der öffentliche Raum entzogen wird oder die gesellschaftliche Diskriminierung erfahren. Siehe dazu: http://www.augustin.or.at/article16.htm

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