MOZ, Nummer 40
April
1989

„Land gegen Frieden“

Abba Eban war von 1966-1974 israelischer Außenminister. In einem Artikel der „New York Times“ sprach sich Eban Anfang Januar für einen direkten Dialog zwischen Israel und der PLO aus. Georg Stein sprach mit Abba Eban in Den Haag.

Abba Eban
Bild: Votava
MOZ: Die Mehrheit der PLO hat nun auf dem Nationalrat in Algier das Existenzrecht Israels anerkannt. In Ihrem Artikel in der New York Times haben Sie geschrieben, die neue Politik der PLO sei entweder eine Tatsache oder ein Täuschungsversuch. Um ein bloßes Täuschungsmanöver handelt es sich aber wohl nicht.

Abba Eban: Nein. Ich glaube vielmehr, daß sich auf seiten der PLO ein grundlegender Wandel vollzogen hat. Die PLO hat nämlich erkannt, daß sie mit ihrer radikalen Politik des Alles oder Nichts gescheitert ist. Gescheitert ist sie vor allem auf Grund der israelischen Überlegenheit und der US-Unterstützung für Israels Sicherheit. Die PLO hat einfach die Notwendigkeit erkannt, ihre Politik zu ändern. Was die PLO heute fordert, ist nicht, das zu bekommen, was sie sich wünscht, sondern das zu retten, was zu retten ist. Die PLO weiß, daß die Westbank und der Gazastreifen das Maximum dessen sind, was die Palästinenser bekommen können. Ich glaube nicht, daß die neue Politik der PLO ein Täuschungsmanöver ist. Zum einen schon deshalb nicht, weil man nicht einfach die einmütige internationale Beurteilung der neuen PLO-Politik ignorieren kann. Wenn alle Freunde Israels, die US-Regierung, Mitterrand, Thatcher, unsere befreundeten Staaten in Lateinamerika und Afrika, ja selbst die jüdischen Führer in den USA und eine große Zahl von Israelis glauben, daß in der PLO eine interessante Entwicklung in Gang gekommen ist, dann wäre es lächerlich, weiterhin so zu tun, als ob sich nichts verändert habe.

MOZ: Sollte die PLO mehr tun, um die israelische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß sie es ernst meint, im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung an der Seite Israels zu koexistieren?

Abba Eban: Natürlich gibt es nach wie vor in den USA, noch mehr aber in Israel, das Problem der Glaubwürdigkeit. Die PLO hat dieses Problem noch nicht endgültig gelöst. Viele Menschen sind heute von Dingen überzeugt, an die sie früher niemals zu glauben gewagt hätten. Dennoch kann man mit einer einzigen Rede nicht alle alten Denkgewohnheiten sofort ändern, Denkgewohnheiten, die die PLO mit terroristischen Aktionen selbst mitkreiert hat. Deswegen muß die PLO damit fortfahren, genau zu sagen, was sie will. Mit anderen Worten: Die PLO ist auf dem Weg, Glaubwürdigkeit aufzubauen; das Ende dieses Weges hat sie aber noch nicht erreicht.

MOZ: Sie fordern von der PLO die Berücksichtigung der israelischen Sicherheitsinteressen. Meinen Sie damit die Anerkennung der Linien von vor 1967?

Abba Eban: Man kann Israels Sicherheitsbedürfnisse nicht durch Zeitungs- oder Rundfunkinterviews garantieren. Was wir brauchen, sind genaue und gewissenhafte Verhandlungen — quasi um jeden Quadratkilometer, jeden Berg, jedes Tal. Es ist offensichtlich, daß die Forderung nach einem vollständigen israelischen Rückzug auf die Linien von vor 1967 für Israel wohl nicht akzeptabel ist, würde das doch u.a. die erneute Teilung Jerusalems bedeuten. Wichtig bei alledem ist jedoch, daß über den Grenzverlauf verhandelt wird. Israel wäre gut beraten, keine Gebiete mit einem hohen palästinensischen Bevölkerungsanteil zu beanspruchen. Bei den israelischen Parlamentswahlen im November 1988 haben immerhin eine Million Israelis die Arbeiterpartei gewählt und damit für ein Ende der Besatzungspolitik votiert.

MOZ: Sie haben die israelische Regierung zu einem direkten Dialog mit der PLO aufgefordert. Die neue Regierungskoalition hat hingegen erst kürzlich ihre unnachgiebigen Positionen bekräftigt, nämlich ein klares Nein zur PLO, Nein zu einem unabhängigen Palästinenserstaat und Nein zu einem vollständigen Rückzug aus der Westbank und dem Gazastreifen. Wie kann denn die israelische Regierung überhaupt zu einer politischen Kursänderung veranlaßt werden?

Abba Eban: Wenn Israel seine negative Haltung gegenüber den Palästinensern nicht ändert, bin ich davon überzeugt, daß sowohl die Situation in den besetzten Gebieten, aber auch die internationale Lage für Israel unerträglich werden. Israel wird dann zwangsläufig seine Politik ändern müssen. Man kann keine Poltiik nur auf „Neins“ stützen. Eine verantwortungsbewußte Regierung muß sagen, was sie zu tun gedenkt, und nicht ständig wiederholen, was sie nicht tun will. Der wichtigste Schlüssel, die verfahrene Situation aufzutauen, liegt weniger in einer neuen israelischen Politik, sondern vielmehr in einer Rückkehr zu dem alten Prinzip „Land gegen Frieden“. Die Annahme der UN-Resolution 242 hat auch für Israel immer bedeutet, das Prinzip „Land gegen Frieden“ zu akzeptieren. Solange die israelische Regierung nicht bereit ist, dieses Prinzip wieder zu einer Grundlage ihrer Politik zu machen, wird sich nichts bewegen. Ich hoffe, daß die neue US-Regierung, die bereits ihre Unterstützung für diese Idee bekanntgegeben hat, eine hilfreiche Rolle spielen wird. All die gegenwärtigen israelischen Diskussionen über eine Neuauflage des Autonomieplans und andere Übergangslösungen werden zu nichts führen. Nur eine Lösung auf der Grundlage der Resolution 242 kann den Frieden herbeiführen. Die einzige vernünftige Interpretation des § 242 besteht darin, daß wir Israelis, wenn wir Frieden wollen, bereit sein müssen, Land abzutreten. Auf der anderen Seite müssen die Palästinenser, wenn sie ihr Land haben wollen, uns dafür Frieden geben. Darin besteht der Wandel, der nötig ist.

MOZ: Kann ein verstärkter politischer Druck der US-Regierung Israel zu einem Umdenken gegenüber den Palästinensern bewegen?

Abba Eban: Nein. Ich denke, der wichtigste Druck auf die israelische Regierung kommt von Israel selbst. Der Druck ergibt sich vor allem aus der Erkenntnis, daß alle Versuche, das Problem der Intifada (der Volksaufstand in den besetzten Gebieten, Anm.) militärisch zu lösen, total gescheitert sind. Selbst der israelische Generalstabschef Dan Shomron ist heute der Ansicht, daß die Intifada auf Grund ihres nationalistischen Charakters militärisch nicht zu zerschlagen ist. Shomron sieht in der Intifada nicht ein militärisches Problem, sondern vielmehr ein Problem des palästinensischen Nationalismus. Das ist wohl die wichtigste Definition der Intifada. Unsere politischen Führer wollen das aber offensichtlich nicht wahrhaben. Eine Armee kann immer nur gegen eine Armee kämpfen, nicht jedoch gegen ein ganzes Volk. Die PLO hat in dem Sinn ja keine Armee, sie verfügt über keine Militärmacht. Die PLO ist vielmehr ein politisches Vertretungsorgan der Palästinenser. Deswegen muß man mit ihr verhandeln.

MOZ: Minister Ezer Weizman hat die israelische Regierung aufgefordert, direkt mit der PLO zu verhandeln. Ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung?

Abba Eban: Ja, ganz bestimmt. Ich denke, es war wichtig, daß sich Weizman dahingehend geäussert hat. Ich weiß auch, daß fünf oder sechs andere israelische Kabinettsmitglieder die gleiche Ansicht vertreten, wenn auch bislang nicht öffentlich. Auch viele führende Militärs — z.B. die Generäle Harkavi, Yaariv und Gazit — fordern, realistischer mit der PLO umzugehen. Darüber hinaus ist vor allem auch ein großer Teil der öffentlichen Meinung in Israel für Gespräche mit der PLO.

MOZ: Wissen Sie etwas über den Bericht der israelischen Zeitung „Yedioth Achronoth“, demzufolge sich das israelische Verteidigungsministerium um eine geheime Kontaktaufnahme zu westeuropäischen PLO-Vertretern bemüht?

Abba Eban: Davon ist mir nichts bekannt. Aber der Bericht selbst ist schon ein Indiz dafür, daß man auch im israelischen Verteidigungsministerium allmählich zu der Einsicht gelangt, daß es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann. In israelischen Regierungskreisen, selbst im Likud, gibt es ein zunehmendes kreatives Unbehagen über die Fortsetzung des Status quo. Wenn Herr Rabin jedoch seine Kenntnisse über die PLO erweitern möchte, so kann er bestimmt auch in Israel sehr leicht alle seine Informationen bekommen; dazu müßte er nicht nach West-Europa reisen. Feizal Husseini aus Jerusalem z.B. ist genauso ein Teil der PLO wie Yassir Arafat oder Bassam Abu Sharif.

Yzchak Shamir
Bild: Votava
MOZ: Trotz der Intifada hat sich die israelische Politik bislang nicht gewandelt. Erwarten Sie eine Veränderung?

Abba Eban: Herrn Shamirs neuerliche Versuche, den Autonomieplan aus der Zeit von Camp David wiederzubeleben, werden zu nichts führen. Der israelische Ministerpräsident sollte nicht nach zehn Jahren ein Dokument aus dem Schrank holen, das er schon damals abgelehnt hat. Der Irrtum von Camp David bestand meines Erachtens darin, zwei wichtige Konfliktparteien, nämlich Jordanien und die Palästinenser, aus den Diskussionen um eine Lösung herausgehalten zu haben.

MOZ: Wenn Sie Yassir Arafat eine persönliche Botschaft übermitteln könnten, was würden Sie ihm sagen?

Abba Eban: Ich würde ihm erstens sagen, daß er noch mehr Reden wie die in Stockholm und Genf halten sollte, um noch mehr Glaubwürdigkeit für die geänderte PLO-Politik zu gewinnen. Die Palästinenser müssen im Dialog mit den USA in Tunis klar zum Ausdruck bringen, daß sie Seite an Seite mit Israel leben wollen. Zweitens würde ich Arafat vorschlagen, daß die PLO Bemerkungen wie die von Bassam Abu Sharif kürzlich in Den Haag vermeiden, als dieser die Situation in den besetzten Gebieten mit Auschwitz verglich. Ein anderer Rat wäre, daß die Palästinenser nicht auf einen reinen Ghetto-Staat zielen sollten. Sinnvoller wäre vielmehr eine Art konföderativer Verbindung zwischen den Palästinensern, Jordaniern und Israelis.

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