Café Critique, Jahr 2009
November
2009

Mahmud und die Caudillos

Ahmadinejads Bündnispolitik mit der Linken in Lateinamerika

Der iranische Präsident verreist gerne. Die vom Revolutionsführer Ajatollah Khomeini unmissverständlich formulierten globalen Ambitionen der iranischen Revolution übersetzt Ahmadinejad heute in eine gleichermaßen pragmatische wie ideologisch motivierte und leider auch einigermaßen erfolgreiche Bündnispolitik. Derzeit hält er sich in Lateinamerika auf, um bei Brasiliens Präsident Lula da Silva vorstellig zu werden, Boliviens Evo Morales zu besuchen und seinem engen Vertrauten Hugo Chavez in Venezuela eine Visite abzustatten.

Die neuen Helden der lateinamerikanischen Linken stehen an vorderster Front einer Art Solidaritätsbewegung mit dem iranischen Regime. In den vergangenen Jahren war Ahmadinejad zu der Amtseinführung Daniel Ortegas und des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa geladen. Die Ex-Sandinisten in Nicaragua haben zahlreiche Kooperationsabkommen mit der islamischen Diktatur geschlossen. Bolivien erhielt von Ahmadinejad das Versprechen, den verarmten Andenstaat mit Milliardeninvestitionen zu unterstützen. Fidel Castro beschwor stets das antiimperialistische Bündnis mit den Mullahs und hinterlässt seinen Nachfolgern eine enge Allianz mit dem iranischen Regime: „Gemeinsam können Iran und Kuba Amerika in die Knie zwingen!“ Kein Wunder, dass auch einer der populärsten Unterstützer Castros nicht zurückstehen wollte: Schon vor zwei Jahren ließ Diego Maradona den iranischen Chefdiplomaten in Buenos Aires wissen: „Ich will Ahmadinejad treffen!“

Chavez gehört bereits zu den Stammgästen des iranischen Präsidenten. Es geht dabei keineswegs nur um ein taktisches Bündnis, bei dem es den südamerikanischen Antiimperialisten egal sein könnte, ob nun Ahmadinejad oder die Clique um Mousavi und Rafsandjani im Iran das Sagen hat. In der Abschlusserklärung des diesjährigen Gipfeltreffens der Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika proklamierten Venezuela, Bolivien und sieben weitere links orientierte Staaten ihre volle „Unterstützung der Islamischen Revolution im Iran und der Regierung des Präsidenten Ahmadinejad“. Sie stellten sich damit nicht nur auf die Seite des Regimes, sondern der aggressivsten Fraktion des Regimes. Chavez war einer der ersten ausländischen Staatschefs, die Ahmadinejad nach der Farce der Präsidentschaftswahlen im Juni zum Wahlsieg gratulierten. Aber auch Brasilien, das nicht zur Allianz gehört, betrachtet Ahamdinejad als den legitimen Machthaber im Iran, und Präsident Lula da Silva verglich die iranische Freiheitsbewegung mit enttäuschten Fußballfans, die ein Ergebnis partout nicht akzeptieren wollen und anfangen zu randalieren.

Venezuela und Kuba waren in der Vergangenheit neben Syrien die einzigen Länder, die das iranische Atomprogramm bei den Vereinten Nationen offensiv verteidigt haben. Es existieren zahlreiche Hinweise auf intensive Aktivitäten der als verlängerter Arm des iranischen Regimes agierenden Hisbollah in Südamerika. Israelische Berichte verdächtigen Bolivien und Venezuela, Uran an das iranische Regime zu liefern. Und Brasiliens Annäherung an Teheran, die sich ökonomisch in einer Verdoppelung der Exporte in den Iran in den letzten fünf Jahren ausdrückt, wird in westlichen Hauptstädten auch auf Grund des brasilianischen Atomprogramms, das mit maßgeblicher deutscher Hilfe in den Zeiten der Militärdiktatur begonnen wurde, mit Sorge betrachtet.

Der lateinamerikanische „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, wie er in seiner rabiaten Ausprägung von Chavez und in seiner weichgespülten Variante von Lula repräsentiert wird, hat mit dem radikal aufklärerischen und konsequent westlichen Humanismus eines Karl Marx so wenig zu schaffen, dass ihm selbst ein islamischer Apokalyptiker wie Ahmadinejad einiges abgewinnen kann. Wohin solche Allianzen noch führen werden, lässt sich heute kaum sagen. Sicher ist nur, dass sie angesichts der gemeinsamen Feindbilder nicht so überraschend sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Während Chavez seinem iranischen Freund nacheifert, das Vorgehen des jüdischen Staates gegen die vom Iran aufgebaute Hisbollah allen Ernstes mit dem nationalsozialistischen Massenmord gleichsetzt und zu Jahresbeginn den israelischen Botschafter aus dem Land schmiss, versucht da Silva sich ganz ähnlich wie die österreichische Politik als ehrlicher Makler zu positionieren, der mit allen gut kann und deshalb kürzlich auch dem israelischen Präsidenten Shimon Peres einen netten Empfang bereitet hat. Nichts desto trotz hatte sich da Silva bei der diesjährigen UN-Generalversammlung für das Ajatollah-Regime stark gemacht, Iran als „großartigen Partner“ bezeichnet, dessen Nuklearprogramm verteidigt — und sich damit gegen die UN-Beschlüsse gestellt, die unmissverständlich einen Stopp der Urananreicherung im Iran fordern.

Es ist nachvollziehbar, warum das bedrängte iranische Regime, das zu Hause mit einer bewundernswert ausdauernden Fundamentalopposition und im Westen mit einer anhaltenden, wenn auch bisher leider fruchtlosen Debatte über verschärfte Sanktionen konfrontiert ist, nach neuen Bündnispartnern Ausschau hält. Völlig unverständlich ist hingegen, dass große Teile der europäischen Linken, die ihrem Selbstverständnis nach doch einmal angetreten war, den Gedanken der allgemeinen Emanzipation zu verwirklichen, weiterhin den lateinamerikanischen Freunden des antisemitischen Putschisten, Schwulenhassers und Misogyns Ahmadinejad die Treue halten.

In redaktioneller Bearbeitung erschienen am 24.11.2009 im Standard und leicht gekürzt im Tagesspiegel