Risse, Risse 2
Oktober
2002

«Nein, Walser ist kein Antisemit!»

Die Selbstverständlichkeit, mit der von links bis rechts ein Buch in Schutz genommen wird

Nachdem Attac im Rahmen von Events wie Genua und Porto Allegre in allen Medien als die treibende Kraft des anständigen Teils der «No–Global» angepriesen worden ist, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand bemüssigt fühlte, ein Buch zum Thema zu schreiben oder hervorzuzaubern. Das Resultat ist ein entlarvendes Portrait der zur Vernunft verklärten Fehlanalyse.

Die Publikation «Attac: Was wollen die Globalisierungskritiker» hat es sich zum Ziel gemacht, in drei von verschiedenen AutorInnen verfassten Anläufen oder Aufsätzen Attac als die Alternative zum frei wuchernden Wirtschaftswirrwarr, die Stimme der Vernunft im Getümmel der globalisierungskritischen Organisationen darzustellen.

Die im Buch beschriebene Organisation zeigt sich als eine Bewegung anständiger Bürger mit scharfem Blick für die Fremdherrschaft. Von der «aus dem Ruder geratenen Ökonomie», von «Bürgerinitiativen», «Bürgerprotest», «Bürgern», ist die Rede, von «George Bush» und seinem «Stellvertreter in Europa, Tony Blair».

Als ausserparlamentarische Organisation ist Attac auf die marschierenden Massen angewiesen. Und die Massen marschieren: 1000 in Davos, 20000 in Washington, 9000 in Prag, usw. Nachdem am Beispiel dieser unzähligen Anständigen, die an ebenfalls unzähligen Demonstrationen ihre Un-zufriedenheit zum Ausdruck gebracht haben, die Virulenz des Themas aufgezeigt ist, macht sich das Buch daran, obige Unzufriedenheit zu begründen: Es herrscht Unrecht nicht nur auf der Welt, sondern auch in Traiskirchen, Österreich, wo ein gewisser Harald Guttmann seinen Job in der Reifenfabrik verliert und bitter feststellt: «Die herrschen wie die Feudalfürsten». Hier beginnt das Feld von Attac, schliesslich «nichts anderes als eine ökonomische Alphabetisierungskampagne», und so-mit befähigt, den natürlichen, instinktiven Unmut des Bürgers in rationale Bahnen zu lenken. Was mit dem Begriff «Alphabetisierung» gemeint ist, enfaltet sich auf den einundachtzig ihm gewidmeten Seiten: Nicht Feudalherren sind Schuld an Harald Guttmanns Unglück und an dem von uns allen, sondern das Finanzkapital, das mit seiner in Verträgen und Transaktionen und informellen Treffen in Privat-häusern unendlich kompliziert verklausulierten Gier das Leben des Bürgers zur Hölle macht, den Welthunger produziert und die ganzen positiven Errungenschaften des Marktes zur Sau macht. Was den rechten ParanoikerInnen die Freimaurerei, ist den «Attacis» die Hochfinanz. Sie gilt es zu «demokratisieren», um so ihre Gier zu zügeln. Von der kapitalistischen Produktionsweise, von Lohnarbeit, Wert, Mehrwert gar, ist nie die Rede. Das Übel wird ganz und gar in der Oberfläche der Zirkulationssphäre geortet. Die in dieser Verkennung von Tatsachen sich spiegelnde Paranoia vor dem vermeintlichen Puppenspieler findet sich so rationalisiert und mit tausend Beispielen aus der Zauberwelt des Finanzhandels für begründet erklärt. Aber die Entzaube-rung ist nur scheinbar, und mangels einer schlüssigen Analyse werden die Ressentiments gegen «die Mächtigen» noch fester zementiert. Wie sehr die Puppenspielerlegende integraler Be-standteil der Gesellschaftsanalyse von Attac ist, zeigt sich schon an Vorstellungen wie jener einer aus der Hochfinanz sich rekrutierenden «Schattenregierung», die insgeheim die Welt beherrsche, oder sehr konkret an Plakaten wie jenem der Attac Sektion Deutschland auf welchem der wohlbekannte krummnasige Uncle Sam die Welt an einem Faden tanzen lässt – eine Darstellung, welche mit nur sehr geringen Abweichungen schon die Nazipresse für geeignet erachtete, um ihre Analyse des Hauptwiderspruchs darzustellen. Nicht die Produktionssphäre also ist für Attac das Problem. Sie existiert in ihrer Analyse erst gar nicht. Die «Attacis» widmen ihre Betrachtungen einzig und allein dem Markt, und auch der gilt als nichts Schlechtes, sondern schlecht ist einzig die Gier der SpekulantInnen. Die Finanzwelt wird nicht als der integrale Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise wahrgenommen, der sie in Wirklichkeit ist, sondern als ein Egel, der dem eigentlich segensreichen System das Blut absaugt. Somit steht Attac vor einem Problem, denn wer «eine andere Welt» will, aber in der lustigen Vorstellung befangen ist, der Kapitalismus sei seinem Wesen nach die eigentliche Quelle allgemeinen Wohlstands und Glücks, (man will ja nicht negativ und von gestern, sondern «pragmatisch» sein und für gerechte Verteilung sorgen), der aber diese seine Funktion aufgrund der Privilegien einiger Weniger nicht wahrnehmen könne, muss versuchen, den an sich guten Markt von den schlechten Elementen zu reinigen, lebt somit vom Ressentiment gegen ein wie auch immer konstruiertes Fremdes.

Eine Alternative zur international unkontrollierbaren Ausplünderung ist für Attac die Besinnung auf nationale Grenzen: «Die Globalisierung des Anlagekapitals schafft universelle Unsicherheit. Sie verhöhnt nationale Grenzen und schwächt die Macht der Staaten, die Demokratie, den Wohlstand und das Glück ihrer Völker zu sichern.» Oder im Wortlaut von Attac Schweiz: «Die Globalisierung der Finanzmärkte verschärft die wirtschaftliche Instabilität und die gesellschaftlichen Un-gleichheiten. Sie unterwandert die Entscheide der Völker, der demokratischen Institutionen und der souveränen Staaten, die das Allgemeinwohl verteidigen sollten.» Die schon im 19. Jahrhundert begründete Tradition der verkürzten Kapitalismuskritik, mit ihr die verheerende Legende vom schaffenden und raffenden Kapital, liegt so auch dem Buch «Attac – was wollen die Globalisierungsgegner» zugrunde. Der nationale Markt soll gestärkt, die Macht der Völker hochgehalten, dem internationalen Raffen das nationale Schaffen entgegengestellt werden.

Attac will nicht die Produktionsweise ändern, sondern den Markt, die Zirkulationssphäre reformieren. Der Reformismus ist das Kernproblem der im Buch angepriesenen Bewegung «At-tac» und ist es wiederum nicht. Auch Gewerkschaftsarbeit tastet die Produktionsweise an sich nur selten an. Sie aber orientiert sich an sehr konkreten Zielen: Lohnerhöhung, Arbeitsplatzerhaltung usw. Das Ziel von Attac jedoch ist, «eine andere Welt» zu kreieren, dabei die Produktionssphäre zu ignorieren und das Glück in einer Vermenschlichung des Marktes zu suchen. Die Verquickung dieser Ansprüche zwingt, die systemimmanente «Ungerechtigkeit» auf ein Anderes zu projizieren. Die «Neofaschisten, die immer mal wieder versuchen, mit nationalistisch, gar antisemitisch motivierter Kapitalismuskritik bei Attac unterzuschlüpfen», sind deshalb nicht akzidentiell, sondern, will eine verkürzte, irrationale Kapitalismuskritik zur von einer Massenbasis getragenen Tat schreiten, gezwungenermassen – ob Attac nun will oder nicht – notwendiger Bestandteil einer solchen Bewegung.

Das Ziel «Arbeitsgruppen» zu gründen, «die sich mit Büchern, Broschüren und Internet die Finanzmärkte er-klären» und stolz darauf sind, sich die Freude an der Politik nicht mit «Marx–Schulungen an heiligen Texten wie früher» zu umdüstern, macht Attac zu einer Bewegung zum Wohlfühlen. Endlich öffnet sich ein angenehmer, wenn auch anstrengender Weg aus der politischen Vereinzelung, und das Wohlfühlen wirkt sich auch positiv auf die Wirtschaft aus. «Trotzdem, ich arbeite sogar im Job besser», weiss denn auch ein begeisterter «Attaci» über die positiven Nebenwirkungen politischen Engagements zu berichten.

Anstatt das Buch «Attac: Was wollen die Globalisierungskritiker» zu lesen ist es mit Sicherheit entschieden vernünftiger, die Zeit eben diesen Texten von obigem Karl Marx zu widmen, als in ohnmächtiger Pseudoaktivität sich in der Weitläufigkeit der unendlich interessanten Oberfläche des Marktes zu verlieren.

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