Amelie Lanier, 5. Abschnitt
März
2013
24.3.2013

Protokoll 33

Absoluter und relativer Mehrwert

14. Kapitel: Absoluter und relativer Mehrwert

Marx beginnt damit, die bisherige Bestimmung von „produktiver Arbeit“ zu verwerfen:

Betrachtet man den ganzen Arbeitsprozeß vom Standpunkt seines Resultats, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, als Produktionsmittel und die Arbeit selbst als produktive Arbeit. … Diese Bestimmung produktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen Arbeitsprozesses ergibt, reicht keineswegs hin für den kapitalistischen Produktionsprozeß.

(S. 531, unten)

und eine neue Bestimmung von „produktiver Arbeit“ einzuführen, die sich aus der Arbeitsteilung ergibt:

Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehn.

(S. 531 unten)

So weit, so gut. Produktive Arbeit kann sowohl Hand- als auch Kopfarbeit sein.

Andrerseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient. Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers.

(S. 532, 2. Absatz)

Also nur die Arbeit ist produktiv, die Mehrwert erzeugt, unter dem Gesichtspunkt ist alle Arbeit produktiv, die dieses Ergebnis hat. Umgekehrt: Arbeit, die in Ware, die liegenbleibt und deshalb wertlos ist, investiert wurde, war eben keine produktive Arbeit.
Das ist ab jetzt die neue Definition von produktiver Arbeit.

Es muß auf die Problematik dieser Definition hingewiesen werden. Alle Fraktionen des Kapitals, auch Produktion und Zirkulation, werden in einen Topf geworfen und nur mehr unter dem Gesichtspunkt der gelungenen Verwertung des vorgeschossenen Kapitals betrachtet. Am Markt, also außerhalb der Produktion entscheidet sich, was „produktive Arbeit“ ist. Es wird sozusagen die Sichtweise des Kapitals übernommen, dem es in der Tat wurscht ist, wie es irgendwo Gewinn macht.

Das ist zu unterscheiden von der heute gängigen Debatte, welche Arbeit produktiv = gut, und welche unproduktiv, also vermeintlich überflüssig ist (schaffende und raffende Arbeit ...).

In dieser Definition weiß sich Marx einig mit den damaligen und früheren Nationalökonomen, die auch die Produktion von Mehrwert als entscheidendes Moment zur Bestimmung produktiver Arbeit heranzieht. Die Meinungen gingen nur darüber auseinander, worin sich der Mehrwert darstellt.

Noch einmal zur Unterscheidung von absoluter und relativer Mehrwertproduktion:

Bereits die Maufaktur unterstellt Lohnarbeit, also Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln, und Arbeit für andere. Um die notwendige Arbeit zu verkürzen, muß in die herkömmliche handwerkliche Form der Herstellung von Waren eingegriffen werden:

An die Stelle der formellen tritt die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital.

(S 533, 2. Absatz)

Irgendwann wird die ständige Rationalisierung zur Notwendigkeit für alle Akteuere des Produktionsprozesses:

Überhaupt hört die spezifisch kapitalistische Produktionsweise auf, bloßes Mittel zur Produktion des relativen Mehrwerts zu sein, sobald sie sich eines ganzen Produktionszweigs, und noch mehr, sobald sie sich aller entscheidenden Produktionszweige bemächtigt hat. Sie wird jetzt allgemeine, gesellschaftlich herrschende Form des Produktionsprozesses.

(S 533, 4. Absatz)

Um alle zu verwirren:

Der absolute Mehrwert ist relativ, denn er bedingt eine Entwicklung der Arbeitsproduktivität, welche erlaubt, die notwendige Arbeitszeit auf einen Teil des Arbeitstags zu beschränken.

(S 534, 1. Absatz)

Alle Mehrwertproduktion setzt also eine gewisse Produktivität der Arbeit voraus.

Ist der Arbeitstag gesetzlich reguliert, so bleibt nur die Methode der relativen Mehrwertproduktion, um die Rate des Mehrwerts zu steigern. (S 534) Wird sie aber gelockert, oder der Arbeitslohn zur Disposition gestellt – was wir derzeit wieder überall erleben – so treten die Methoden der absoluten Mehrwertproduktion wieder in den Vordergrund, weil sie weniger Investitionen, also Kapitalvorschuß erfordern.

Zu den natürlichen und geographischen Voraussetzungen des Kapitalismus:

Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Möglichkeit, niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerts oder des Mehrprodukts. Die verschiednen Naturbedingungen der Arbeit bewirken, daß dieselbe Quantität Arbeit in verschiednen Ländern verschiedne Bedürfnismassen befriedigt, daß also, unter sonst analogen Umständen, die notwendige Arbeitszeit verschieden ist.

Wo alles da ist, was der Mensch braucht, ohne große Anstrengung, wie in Papua-Neuguinea und das Brot im Wald wächst, kann Kapitalismus nur durch Import aufkommen.

Irgendwie erscheinen diese Exkurse über die historischen Voraussetzungen als ein Rückfall gegenüber dem, was theoretisch bereits erarbeitet wurde.
Marx will einem wahrscheinlich vor Augen führen, daß man zwar oft meint, es geht nicht anders, wenn man im Kapitalismus lebt, obwohl das eben auch nur eine Produktionsweise ist unter den vielen, die es historisch bereits gegeben hat.

Diskussion:

Mehrwert und Prodit sind doch das gleiche, oder, von der Summe her? Nur die Rate ist anders.

Ja, aber man erinnere sich zurück an das Kapitel über die Mehrwertrate und Herrn Senior: Dadurch, daß das Surplusprodukt auf den gesamten Vorschuß berechnet wird, wird die Arbeitskraft als Quelle des Mehrwerts verschleiert. Er wird als Produkt des unternehmerischen Wagnisses dargestellt, das als segensreichen Nebeneffekt die arbeitende Menschheit in Brot setzt.

Es ist deshalb immer wichtig, zwischen Mehrwert und Profit die theoretische Unterscheidung zu machen, aus der sich die Natur des Mehrprodukts erst erschließt: Es ist unbezahlte Arbeit, die sich der Unternehmer aneignet.

John Stuart Mill wird deswegen zur Zielscheibe des Spottes von Marx, weil er in seinen Bestimmungen von Mehrwert noch hinter Smith und Ricardo zurückfällt und deren Erkenntnisse vernebelt, was der Grund sein dürfte, warum er in der Nationalökonomie heute den beiden vorgezogen wird.

In diesem Kapitel geht es ein bißl durcheinander. Es soll eine Zusammenfassung der vorigen beiden sein und zum nächsten Abschnitt überleiten, aber dieses Sammelsurium von Ägypten, Korinth, Sagopalme, Smith, Ricardo und Mill hat ein wenig etwas Willkürliches, in der Art: das fällt mir jetzt auch noch dazu ein! – was es vom strengen Aufbau des Buches unterscheidet.

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