Amelie Lanier, 1. Abschnitt
April
2011
29.4.2011

Protokoll 6

Nachtrag zum Fetisch, Austauschprozeß

Nachtrag zu Fetisch und Wert

Marx zählt doch einmal auf, was in den Wert eingeht: Arbeitszeit, Arbeitskraft. Was ist da so schwierig? Da ist doch alles klar? Warum dann diese Mystifikation? Der Grund muß sein, daß der Wert sich immer erst im Austausch zeigt, gleich, wieviel Zeit und Mühe aufgewandt wurde. Auch aufgewendetes Material wird wertlos, wenn die Ware nicht verkauft wird, der Wert sich also nicht realisiert.
Der Verkäufer einer Ware ist zwar einerseits das Subjekt seiner Tätigkeit – er stellt die Ware her und trägt sie auf den Markt – andererseits setzt sich der Preis, den er erhält, also der Wert, der seiner Ware zugestanden wird, fast ohne sein Zutun durch. Er ist Akteur der Konkurrenz und gleichzeitig ihr unterworfen.

Das steht aber in Widerspruch zum Robinson-Beispiel, wo von einer Gesellschaft, daher von einer ges. notw. Arbeitszeit nicht die Rede sein kann. Und das wurde in realsozialistischen Lehrbüchern so gedeutet, daß Wert überall ist, wo Arbeit investiert wurde, ohne jeglichen Markt und Tausch.

Vielleicht meint Marx hier, daß alle Bestandteile enthalten, der Wert aber nicht umgesetzt ist?

Ist der Satz mit den Bestandteilen des Wertes irgendwie sarkastisch gemeint, also,in dem Sinne, daß die Nationalökonomie in dieser Ausnahmesituation auch schon alle Gesetze der Marktwirtschaft entdeckt?

Dennoch bleibt der Widerspruch, daß Marx in den vorigen Unterkapiteln die Bedeutung des Marktes für die Wertproduktion herausgearbeitet hat und jetzt auf einmal in Nicht-Marktwirtschaften und daher bei Nicht-Warenproduktion auch Wert dingfest macht, nur weil Arbeit drinsteckt!

Einwand: Aber daß aus dem Buch anderes herausgelesen wurde, als der Autor gemeint hat, hat zunächst einmal mit dem Buch nichts zu tun.
Das weist überhaupt auf die Problematik der Kapital-Rezeption hin. Marx wollte eine Analyse des Kapitalismus verfassen, nicht eine Gebrauchsanweisung für „richtiges“ Wirtschaften. Als solche wurde aber das Buch von vielen seiner Anhänger verstanden.

Dennoch bleibt festzustellen, daß manche seiner Formulierungen für Mißverständnisse Anlaß bieten bzw. in Widerspruch zu vorher Dargelegtem stehen. Und das sollte festgehalten werden.
Außerdem hat dieser Teil über den Fetisch heute Konjunktur. Sobald man sich in Gespräche über Marx einläßt, wird „Fetisch“ mit lauter Dingen verbunden, die gar nichts mit ihm zu tun haben: Konsumwahn, falsche Bedürfnisse, Statussymbole, Sachzwang, usw.
Neulich lief der trostlose Film „Marx reloaded“ und unter anderem ist da eine Philosophin aufgetreten, die gemeint hat, Marx sei draufgekommen, daß es bei Konsum ja gar nicht um Bedürfnisbefriedigung gehe, daß der mit den Gebrauchswerten der Ware gar nichts zu tun hat, und das sei eben der Fetisch! – und das steht ja in diesem Unterkapitel überhaupt nicht drin.

Auch in der Michael-Heinrich-Kapital-Rezeption kommt dem Fetisch eine überragende Bedeutung zu, als Erklärung dessen, warum die Arbeiterklasse ihrer „historischen Mission“, den Kapitalismus abzuschaffen, nicht nachgekommen ist: Der Fetischcharakter der Ware hindert sie daran, ihre eigene Ausbeutung zu erkennen. Es wird also ein Determinismus durch einen anderen ersetzt, mit Berufung auf den Fetisch.

Noch einmal eine Nachfrage zum Wert: Was ist der Wert, was wird mit diesem Ausdruck bezeichnet?
Das Gemeinsame der Waren beim Tausch?
Die investierte Arbeitszeit?
oder
beides?

Die Entdeckung, daß das Gemeinsame der verschiedenen Gebrauchswerte die investierte Arbeit ist, stellt einen Angriff auf die Lehre von der Beliebigkeit des Wertes, Angebot-Nachfrage, subjektive Wertlehre, usw. dar.

Wie hängen die Preise mit dem Wert zusammen? Weil die Preise der Dinge sind doch der Ausgangspunkt dafür, daß man sich Überlegungen über den Wert macht.
Man kann durch die Bestimmungen des Wertes nicht ausrechnen, was ein Auto kosten wird, aber man kann ja einmal festhalten, daß Verkauf unter Wert nicht lange gutgehen kann, daß die Preise also zumindest nach unten eine Schranke haben.

Ansonsten kommen wir zu Preis später, weil in die Preise gehen ja auch Steuern, Abgaben und Inflation ein, die sich nicht aus der Produktion der Ware ergeben, sondern aus dem Geldbedarf des Staates.

Daß Waren einen Wert haben und der auf der investierten Arbeit beruht, ist keine Festlegung, sondern ein Schluß, der sich aus der Frage ergibt, was das Gemeinsame zweier verschiedener Gebrauchswerte ist.
Das Wichtige, das man sich immer vor Augen halten muß, ist, daß Wert sich erst am Markt manifestiert, also Wirklichkeit erhält – findet sich kein Käufer, so ist die investierte Arbeit nichts wert, also nichtig.
Diese Gefahr gibt es in einer Planwirtschaft nicht, daß investierte Arbeit deshalb vernichtet wird, weil sie zwar auf Bedürfnis, aber nicht auf Zahlungsfähigkeit trifft.

Fragen:
Gibt es so etwas wie eine Definition des Werts?
Kann man Wert errechnen, wenn sich zwei Warenbesitzer am Markt treffen, nur weil die aufgewendete Arbeit bekannt ist?

Eigentlich ging es bisher hauptsächlich um die Herleitung des Wertes, und ob man das so in 2 Sätzen ausdrücken kann, was der Wert ist, ist fraglich.

Ist der Wert mit dem Tauschwert gleichzusetzen?

Am nähesten kommt einer Definition ein Satz relativ am Anfang nahe:

Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Ware darstellt, ist also ihr Wert.

(S 53, Absatz 1)

Sobald sich der Wert realisiert, ist die Sache abgeschlossen. Der Tauschwert ist bloß das, was man dafür kriegt – aber notwendig dafür, daß Wert entsteht. Ausrechnen im Sinne von vorhersagen läßt sich da nichts. Der Markt knallt einem vor die Nase, was man dafür erhält. Ausrechnen kann man erst nachher, was man an Tauschmittel erhalten und daher an Wert zugestanden bekommen hat.

Wenn man nur auf dem Standpunkt des Tauschwertes verharrt – was man halt so kriegt, ohne objektive Grundlage –, so bleibt dieser ein rein zufälliges Verhältnis und ein Spielball von Angebot und Nachfrage. Das ist der Standpunkt der modernen VWL, die von einem Gemeinsamen der Waren nichts wissen will.

Auf den Wert kommt Marx einfach durch einen Schluß, und das ist etwas anderes als eine Definition: All die verschiedenen Waren liegen nebeneinander zum Verkauf und haben gar nichts gemeinsam – wie kommt es, daß sie sich dennoch austauschen können? Und das einzige Gemeinsame, was sie haben, ist die Arbeit, die drinsteckt.

Bestimmt also jetzt die darin enthaltene Arbeit den Tauschwert? Ja und nein. Erstens ja, weil die Marktteilnehmer wollen ja das, was sie an Arbeit hineingesteckt haben, irgendwie abgegolten kriegen. – Ja, wollen! Ob sie es auch kriegen, hängt wieder von den anderen ab. Und so bestimmt eben der gesellschaftliche Durchschnitt den Tauschwert und nicht der individuelle Aufwand.

Zum Abschluß: Worin besteht jetzt eigentlich der Fetischcharakter der Ware?

In dem Umstand, daß die gesellschaftlichen Rollen der Konkurrenten am Markt sich in den Waren einnisten und dadurch der Eindruck entsteht, daß die Gegenstände selbst ihren Besitzern die Konkurrenz aufnötigen würden, indem der Tauschwert als Bedingung oder ein Moment des Gebrauchswertes erscheint, also von ihm gar nicht getrennt wahrgenommen, und somit als Bedingung aller Produktion aufgefaßt wird. Alle Produktion erscheint daher als Wertproduktion, oder Wertproduktion als einzig mögliche Form von Produktion.

Kapitel 2: Der Austauschprozeß

Die Ware wird als der ungemütliche Hort zweier entgegengesetzter Willen eingeführt. Von den bisher gewonnen Bestimmungen der Ware macht Marx jetzt einen Rückschluß auf die Warenbesitzer, die voneinander etwas wollen und gleichzeitig einander vom Besitz ihrer jeweiligen Waren ausschließen:

Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben.

(S 99)

Was ist gemeint mit „das ökonomische Verhältnis“?
Alle sind Warenbesitzer. Ich komm an die Ware des anderen nur heran, indem ich ihm etwas dafür gebe. Und um ihm etwas geben zu können, muß ich erst einmal meine Ware am Markt loswerden. Zugang und Ausschluß werden gleichermaßen durch den Vertrag geregelt, den der Austauschakt darstellt, ob mit oder ohne rechtliche Formalitäten.

Das Privateigentum wird hier als Grundlage des Rechtes und des Vertrages angesprochen. Aus dem bloßen Bezug zweier gegensätzlicher Willen zueinander entsteht jedoch kein bürgerliches Recht. Jetzt und auch später wird die bürgerliche Konkurrenz als eine brüchige Idylle besprochen, die auf einer Art Gesellschaftsvertrag fußt.

Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.

(S 100, Absatz 1)

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff der „ökonomischen Charaktermaske“ bereits hier auftaucht, und nicht erst der Unternehmer oder Finanzkapitalist als Feinbild ausgemalt wird, sondern der bloße Warenbesitzer und Privateigentümer bereits eine Charaktermaske darstellt.

Seine Ware hat für ihn keinen unmittelbaren Gebrauchswert. Sonst führte er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswert für andre. Für ihn hat sie unmittelbar nur den Gebrauchswert, Träger von Tauschwert und so Tauschmittel zu sein.

(S 100, Absatz 2)

Der Hunger nach Tauschwert ist gleichgültig gegen den Gebrauchswert einer Ware – der Verkäufer bietet alles an, was er für verkäuflich hält. Aber so kommt der Gebrauchswert auch wieder ins Spiel – er muß auf dem Markt nachgefragt werden, sonst geht er mitsamt dem Tauschwert unter in die Warenhölle der Ladenhüter.
Die Ware habe „unmittelbar nur den Gebrauchswert, Träger von Tauschwert und so Tauschmittel zu sein“ ist ein gewagtes Wortspiel – denn da ist der ganze – mühsam hergestellte – Gegensatz der beiden Gesichter oder Momente der Ware irgendwie in Frage gestellt und aufgehoben. Ja, die Ware hat für den Verkäufer nur Tauschwert, aber den dann zu Gebrauchswert zu erklären ... Es kommt einem begrifflichen Sündenfall gleich, weil dann hätte ja Geld, die vergegenständlichte Form des Wertes, und als solche Abstraktion von jedem Gebrauchswert, auch den Gebrauchswert, Tauschmittel zu sein.

Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerte bewähren, bevor sie sich als Werte realisieren können.

(S 100, Absatz 3)

Wie das?
Bewähren können sie sich doch erst im Tausch, indem sie über den Ladentisch gehen. Vorher können sie noch so sehr schreien: Ich bin nützlich! – solange es ihnen niemand zugesteht, sind sie weder Gebrauchs-, noch Tauschwert.
Vielleicht ist gemeint – eine ähnliche Ware hat sich schon bewährt, deshalb rechnet man sich für die eigene gute Chancen aus ...
Diese Berechnung mag es geben, sie muß aber nicht aufgehen. Es kann sein, daß der Markt genau mit dieser Ware inzwischen „gesättigt“ ist.
Vielleicht gerade deshalb sind heute mehr denn je „innovative Produkte“ gefragt, die sich völlig neue Käuferschichten erschließen.
Vorher-nachher-gleichzeitig ist in diesen letzten Aussagen von Marx nicht ganz präzise: Im Verkauf bewährt sich der Gebrauchswert als Wertträger, vorher nicht – konsumiert werden kann er eindeutig erst nachher.

Aber derselbe Prozeß kann nicht gleichzeitig für alle Warenbesitzer nur individuell und zugleich nur allgemein gesellschaftlich sein.

(S 101, Absatz 2)

Was heißt das?
Kann er denn für einen Warenbesitzer „nur individuell und zugleich nur allgemein gesellschaftlich sein“? Doch wohl auch nicht. Für jeden gilt, daß er mit seiner individuellen Ware seine individuellen Bedürfnisse nur befriedigen kann, indem er ein gesellschaftlich vorhandenes Bedürfnis befriedigt.
Man kann es auch so verstehen, daß jeder am liebsten seine Ware in der Äquivalentform sehen würde, die von allen anderen nachgefragt wird. De facto ist aber jede Ware, die auf dem Markt auftritt, in der relativen Wertform, weil das allgemeine Äquivalent eben wer anderer hat.
Stünde jede auf dem Standpunkt: Meine Ware hat a.Ä. zu sein, so würde sich der Markt und der Tausch aufhören, weil jeder nur verkaufen, keiner aber kaufen wollen würde.
Individuell – gesellschaftlich kann auch so verstanden werden, daß die individuell investierte Arbeit in Form des Tauschwerts der Gesellschaft entrissen werden muß.
Warum eigentlich das „aber“ am Satzanfang? Es ist kein Gegensatz zu den Ausführungen über die Warenbesitzer, sondern zu ihrem Bewußtsein, dazu, wie sie sich und ihre Tätigkeit begreifen.

Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben. Die Gesetze der Warennatur betätigten sich im Naturinstinkt der Warenbesitzer.

(S 101, Absatz 4)

Hier werden „Natur“ und „Instinkt“ auf Verhältnisse bzw. Denkweisen angewandt, die weder mit Natur noch mit Instinkt zu tun haben.
Instinkt ist vielleicht in dem Sinne gemeint, daß die Waren den Warenbesitzern das Handeln sozusagen vorgeben – aber stimmt das denn?
Der ganze Absatz sagt eigentlich sehr umständlich: De facto wird irgendwas zu Geld gemacht.
Behauptung eines Anwesenden: Diese Ware muß allerdings bestimmte Eigenschaften haben, die sie dazu befähigen, das kann nicht jede sein.
Steht das wirklich da?
Das ergibt sich doch aus dieser Rolle: Sie muß leicht transportierbar und leicht unterteilbar sein. Eine Kuh z.B. ist ungeeignet.

Und das wird als ein Akt des Konsenses der Warenbesitzer hingestellt, die sich sozusagen um des lieben Friedens willen auf eine Ware als allgemeines Äquivalent einigen:

Die gesellschaftliche Aktion aller andren Waren schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte darstellen.

(S 101, Absatz 4)

Schau, schau: Die Waren selbst treten in Aktion! Das ist ja überhaupt das beste!
Das Schwierige ist hier eher der Bezug auf die Waren. Weil was im vorherigen Satz steht: „gesellschaftliche Tat“, kann ja wohl eine Setzung sein, ein Zwang.
Aber das Durchsetzen des allg. Äquivalents war oft wirklich irgendwie zufällig oder selbsttätig: Erst waren es Münzen, dann waren es Gewürze, dann wieder Münzen, oder ungemünzte Edelmetalle – das hängt eben von den Handelsströmen oder den häufigen Vorkommen des einen oder anderen Stoffes ab.
Es wird also in diesem Absatz festgestellt, daß das allg. Äquivalent „einfach so“ entstehen kann? (handelten, bevor sie dachten ...)
Will man damit vielleicht dem Absatz mehr Information entnehmen, als er enthält?
Mag sein, aber wir wollen auch Irrwege ausschließen, die sich an dieser Stelle auftun könnten.
Es gibt doch genau 2 Möglichkeiten: Geplant, gegebenenfalls durch einen Gesetzgeber; oder ungeplant, von selbst.
Ist dieser Absatz ein Fortschritt gegenüber dem, was der bisherige Wissensstand war bezüglich des allgemeinenen Ä.?

Noch einmal zurück zum vorigen Absatz:

Sie stehn sich daher überhaupt nicht gegenüber als Waren, sondern nur als Produkte oder Gebrauchswerte.

(S 101, Absatz 3)

Soll das jetzt heißen, vor dem Auftreten des allgemeinen Äquivalents wurde bereits getauscht, aber das war dann kein Warentausch?
Die Frage: Wann wird ein getauschter Gebrauchswert zu Ware, wann ein Äquivalent zu Geld? ist schwer zu beantworten. Festzuhalten ist hier doch einmal, daß eine Ware erst zu Ware wird, wenn Tausch stattfindet – das gegen den Realen Sozialismus, der Geld in Umlauf gebracht, ein Wertgesetz behauptet und gleichzeitig den Markt abgeschafft hat.
Daß getauscht wird, heißt aber noch nicht, daß Äquivalententausch stattfindet – das setzt einen halbwegs entwickelten Markt voraus, in dem das innere Maß des Wertes, die Arbeitszeit, zur Berechnungsgrundlage wird.
Auch die Frage: Wann wird Ware zur Ware? ist schwer zu beantworten. Genügt es, daß sich 2 Gegenstände austauschen, oder müssen sie sich annähernd zu ihren Werten austauschen, um die Minimalanforderung für das Waren-Sein zu erfüllen? Oder müssen sie bereits für den Tausch hergestellt worden sein?

Schließlich: Wir reden ja von einem entwickelten Markt, mit allgem. Äquivalent, Warenproduktion und allem Drum und Dran. Es ist nicht zielführend, über unentwickelte Märkte im Sinne von „Wie konnte es dazu kommen?!“ nachzudenken.

Außerdem sollten wir uns besinnen, worum es in diesem Kapitel geht: Die Bestimmungen der Ware wurden bereits im vorigen Kapitel abgehandelt, jetzt kommt der Rückschluß auf die Warenbesitzer, wie die so herumlaufen, denken und handeln. Darüber sollte man sich jetzt den Kopf zerbrechen.

Am liebsten wären alle Besitzer des a.Ä., damit ihre Ware ihnen aus der Hand gerissen wird. Das geht aber nicht, also bieten sie sie eben als solche an, die ihren Wert erst erweisen müssen, und solange ihnen ihre Waren nicht abgekauft werden, sind sie nur Gebrauchswerte.

Das Bedürfnis, diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt zu einer selbständigen Form des Warenwerts und ruht und rastet nicht, bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdopplung der Ware in Ware und Geld.

(S 102, Absatz 1)

Auf gut deutsch: Alles bekommt einen Preis, auf den Gebrauchswert wird der Tauschwert draufgepappt. Der zwieschlächtige Charakter der Ware tritt offen zutage.

Was ist gemeint mit dem „in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert & Wert“? Was soll hier die Natur? Wert ist doch nichts Natürliches!

Die „Warennatur“ ist so etwas wie ihr Sein, ihre Bestimmung.

Der nächste Absatz hat etwas Soziologisches an sich.

Der Warenaustausch beginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Kontakts mit fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen.

(S 102, Absatz 2)

Das Bild der Gemeinde, der alles gemeinsam gehört, gibt Anlaß zu dem Irrtum, unmittelbare Bedürfnisproduktion ginge nur in kleinen Einheiten, sobald etwas größer wird, muß man leider tauschen, weil sonst alles „zu unübersichtlich“ wird.
Die Rede vom „naturwüchsigen Gemeinwesen“ ist eine zweifelhafte Kategorie, weil von der Natur kommen die Gemeinwesen nicht, ganz gleich, wie sie beschaffen sein mögen. Es werden ja auch verschiedene dieser Gemeinwesen angeführt, woraus man auch erschließen kann, daß es da mit der Natur nicht weit her sein kann.

Als Zusammenfassung des ganzen Absatzes: Das Tauschverhältnis zersetzt die Gemeinwesen von außen nach innen. Während sie zunächst noch zufällig und Überschüssiges tauschten, so beginnen sie, mehr und mehr für den Tausch zu produzieren und immer größere Teile ihrer eigenen Produktion für den Tausch herzurichten – was dann auch wieder das Volumen der zu tauschenden Güter erhöht und den Handel ausweitet, usw.
Man fühlt sich an den Ost-West-Handel der Freien Welt mit dem RGW erinnert, der ja auch einiges zur Zersetzung des Realsozialismus beigetragen hat.

Ihr Gebrauchswert scheidet sich von ihrem Tauschwerte. Andrerseits wird das quantitative Verhältnis, worin sie sich austauschen, von ihrer Produktion selbst abhängig.

(S 103, Absatz 1)

Was ist damit gemeint?
Angebot 1: Wenn sie mehr für den Tausch produzieren wollen, weil sie mehr Güter von dem fremden Gemeinwesen wollen, ist ja noch nicht gesagt, daß sie das in ihrer eigenen Produktion auch hinkriegen, d.h. diese Steigerung der für den Austausch der zur Verfügung stehenden Güter auch gelingt.
Angebot 2: Damit ist ausgesagt, daß sich „Austauschverhältnis“ auf die Wertgröße bezieht – also immer mehr die Arbeitszeit zur Berechnungsgröße des Austausches wird.

Beides ist vereinbar: weil, wenn man mehr für Austausch herstellt, so schaut man auch genauer auf den Aufwand, den die Herstellung dieses Gegenstandes erfordert.
These: Die andere Seite müßte sich ja dann auch für die Produktivität ihrer Handelspartner interessieren, sodaß sich immer mehr auch die abstrakte Arbeit, also eine Durchschnitts-Arbeitszeit, durchsetzen würde.
Warum? Dem Verkäufer einer Ware ist ganz wurscht, wieviel der, der sie haben will, für sein eigenes Produkt gebraucht hat. Er will seine eigene in einem möglichst günstigen Verhältnis eintauschen – ob der andere dabei gut fährt oder nicht, ist ihm doch gleichgültig.

Die Gewohnheit fixiert sie als Wertgrößen.

(ebd.)

Das heißt zunächst nur, daß sie von zufälligen überschüssigen Gebrauchsgütern zu richtigen Waren werden, also solchen Gütern, die für den Austausch produziert werden.
Wenn nur die eine Gemeinschaft ihre Produktion steigert, die andere aber nicht, so verschiebt sich natürlich das Austauschverhältnis zugunsten ersterer, und sie erhält mehr für ihre Waren. Wenn sich bei beiden etwas tut, so verbessert sich das Austauschverhältnis zugunsten derer, die erfolgreicher waren in der Produktionssteigerung.

Ist das, was auf S 102 und 103 ausgeführt wird, jetzt eine historische Argumentation? Wird hier die Entwicklung der Warenproduktion geschildert?
Es mag sein, daß das die Absicht des Autors ist, zu zeigen, wie ein Markt entsteht, aber historisch war es nicht so: da sind irgendwelche Eroberer oder Handelskompanien gekommen, haben geplündert, was nur ging, die Einwohner versklavt oder zu Warenproduktion gezwungen, und sich dann über den Handel mit diesen angeeigneten Gütern als Staaten konstituiert und bereichert – auf unterschiedlicher Stufenleiter, was den Erfolg angeht.

Diese Idylle, die hier ausgemalt wird, hat in Angesicht der Weltgeschichte etwas Idealistisches an sich. Aber vielleicht soll nur das Ideal vom friedlichen Handel und Wandel widerlegt werden und gezeigt werden: This is the road to hell.

Die Anmerkung 34 zum Inkastaat stieß in unserer Runde nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Vor allem das Wort „Urgesellschaft“ erregte Unmut.

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