LICRA
Dezember
2008

Quatuor pour la fin du temps

Stammlager VIII-A, 1940. Görlitz-Moys nannte man den Ort damals, heute Zgorzelec, ein Teil Polens. In diesem Kriegsgefangenenlager war Olivier Messiaen inhaftiert. Es war eine entsetzlich grauenvolle Zeit, doch er würde auch wunderbare Erinnerungen mit ihr verknüpfen. Brüll, ein Wärter in dem Kriegsgefangenenlager, erkannte Messiaen, sorgte dafür, dass er eine Einzelzelle bekam, und beschaffte ihm Notenpapier, Bleistifte und Radiergummis.
Messiaen begann Ideen zu umreißen und brachte sie skizzenhaft zu Papier. Erstmals inspirierten ihn dabei Vogelgesänge, welche für sein späteres Werk hohe Bedeutung haben würden, und zur persönlichen Passion wurden. Er zeigte seine Notizen Henri Akoka, einem Klarinettisten im Kriegsgefangenenlager. Dieser war begeistert und ermutigte ihn, das Werk weiter auszuarbeiten. Messiaen tat zusätzlich einen Cellisten und einen Violinisten auf und begann die Arbeit an seinem Trio. Akoka zu Ehren beließ er den Satz, der sich aus den Notizen, die er ihm zeigte, formte, als das einzige Solo – Abîme des oiseaux, wurde zum dritten Satz. Dazu schrieb er:

„Der Abgrund, das ist die Zeit mit ihrer Traurigkeit und Müdigkeit. Die Vögel, das ist das Gegenteil der Zeit, das ist unsere Sehnsucht nach dem Licht, nach den Sternen, nach dem Regenbogen und jubilierenden Gesängen!“

Drei Monate nach der Uraufführung konnte Akoka während eines Transportes von einem Viehwagen springen und entkommen. Mitsamt seiner Klarinette.
Das Klavier steht in diesem Stück sehr im Hintergrund, die meisten Einsätze sind lediglich begleitend. Dies rührt daher, dass Messiaen bis kurz vor der Uraufführung nicht mit einem Klavier rechnen konnte. Noch einmal bearbeitete er das Werk, formte es zum Quartett. Den Klavierteil spielte er selbst zur Uraufführung. Das Kalvier war verstimmt, die Tasten klemmten, dem Cello fehlte eine Saite, Klappen der Klarinette waren defekt.
Eine Verbindung zwischen Thema und Krieg liegt auf den ersten Blick nahe. Messiaen hat diese jedoch immer verneint. Hört man das Stück, so ist es offensichtlich – hier ist kein Hass und keine Verbitterung, und Trauer lässt sich auf allgemeine Umstände projizieren, nicht aber auf die Apokalypse selbst. Messiaen war ein tief gläubiger Katholik, fast sämtliche seiner Werke haben eine offenkundige religiöse Motivation. Für ihn bedeutete die Apokalypse kein Ende, sondern den Übergang in die Ewigkeit. In der Offenbarung des Johannes wird sie beschrieben, und viele seiner Notizen zum Quartett sind direkt entlehnte Zitate aus dessen zehntem Kapitel:

„...Mit einem Regenbogen bedeckten und in eine Wolke gehüllten Engel [...] der einen Fuß auf das Meer und einen Fuß auf die Erde setzt“

Doch zitiert Messiaen nicht nur geistliche Werke, sondern, in der Komposition selbst versteckt, Werke anderer Komponisten und frühere eigene sowie Passagen anderer Stellen des Quartetts. Diese kann er sogar vorwegnehmen. Das wohl markanteste an dieser Komposition ist das Thema am Anfang des sechsten Satzes, Danse de la fureur, pour les sept trompettes, welches sich durch ihn hindurch zieht. Im siebten Satz erklingt nochmals eine kleine Variation, doch schon im Intermède, dem vierten Satz, ist es zu hören, und muss hier, wie auch andere Zitate im Intermède, eben als Zitat verstanden werden, auch wenn es vor der anderen Stelle erklingt.
Danse de la fureur, pour les sept trompettes. Les sept Trompettes ist die traditionelle französische Übersetzung, im Deutschen sind es die sieben Posaunen. Die sieben Posaunen ertönen bei der Apokalypse. „Die sechs Posaunen der Apokalypse werden von Katastrophen gefolgt“ schreibt Messiaen in den Notizen, aber „die siebente verkündet, dass der geheime Ratschluss Gottes erfüllt wird“. Für diese Posaunen tanzt der Zorn, es ist eine heiterer, energetischer Tanz, und Messiaen vermerkt:

„Musik aus Stein, ein gewaltig klingender Fels; ein Satz aus Stahl, mit riesigen Blöcken feurigen Zorns und kalter Trunkenheit.“

Das mag wie ein Widerspruch erscheinen, doch ist es keiner. Stein, Fels, Stahl und kalte Trunkenheit des feurigen Zorns drücken keine Melancholie aus, die man nicht hört. Vielmehr beschreiben sie die Emotionslosigkeit des Zorns Gottes. Vor dem Hintergrund, dass das erwähnte Thema des Tanzes auf einem hinduistischen Motiv basiert, sind gerade die organischen Materialien, Stein und Fels, auch als Abstand zu deuten, Abgeklärtheit und Erhabenheit Gottes über die Menschen.
Messiaen litt in der Zeit, als er das Quartett komponierte, schweren Hunger. Dieser, so sagte er selbst, habe ihm rauschhafte Träume gebracht:

„In meinen Träumen höre und sehe ich geordnete Harmonien und Melodien, bekannte Farben und Formen; dann, nach diesem Stadium des Übergangs, gelange ich ins Irreale und erfahre im höchsten Glück einen Wirbel, eine kreisende Verflechtung von übermenschlichen Klängen und Farben! Diese Feuerschwerter, die Lavaströme, diese aufflammenden Sterne; dies ist das Dickicht der Regenbogen!“

Der schon in den ersten beiden Zitaten erwähnte Regenbogen kehrt wieder, diesmal wird ihm ein ganzer Satz gewidmet. Ein sehr wichtiges Symbol, das in Messiaens Werken immer wiederkehrt, um die Versöhnung Gottes mit den Menschen zu manifestieren: „Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde.“ (Genesis 9, 13) So sprach Gott nach der Sintflut zu Noah. Mit der Wiederkehr des Regenbogens hört man auch die ihn illustrierenden Passagen aus dem zweiten Satz erneut.
Acht Sätze sind es im Ganzen, im siebten schon wird das Ende der Zeit verkündet, der achte ist ein Loblied auf die Unsterblichkeit Jesu. Sieben bezeichnete Messiaen als die vollkommene Zahl, die Ruhe am siebten Tage, die sieben Posaunen, das darüber hinaus, die Acht, ist die Ewigkeit, wie auch das Symbol der Unendlichkeit sich an der Acht anlehnt.
Am 15. Januar 1941 war die Uraufführung, es war bitterkalt, die Instrumente waren in beschriebenem desolaten Zustand. Alle 5000 Menschen im Gefangenenlager fanden sich ein, Insassen wie Wächter. Jahrzehnte danach würde Messiaen zurückblicken und sagen:

„Nie vorher und niemals danach hat man mir mit soviel Aufmerksamkeit und Verständnis zugehört wie an diesem Abend.“

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