Wurzelwerk, Wurzelwerk Extra
September
1982

Regionalpolitik

Die Raumordnung als „wissenschaftliche“ Disziplin erfuhr in den letzten Jahren eine enorme politische Aufwertung — nicht verwunderlich, strebt doch die Raumordnung die Bewältigung eben dieser Probleme an, nämlich die regionalen Disparitäten abzubauen.

Dieses Ziel finden wir auch in den Wirtschaftsprogrammen der Großparteien. So lesen wir auch in den Wirtschaftsprogrammen u.a.: „Schwerpunkt der Regionalpolitik wird es sein, den wachsenden Beschäftigungsschwierigkeiten in den industriellen Problemgebieten und den entwicklungsschwachen Randgebieten wirksam zu begegnen.“

Und im ÖVP-Wirtschaftsprogramm heißt es: „Auf jeden Fall muß dem Trend entgegengewirkt werden, daß die Wohlstandsunterschiede innerhalb der einzelnen Regionen Österreichs immer mehr zunehmen.“

Die Realität im Jahr 1982 gleicht gemessen an diesen Zielvorstellungen einem regionalpolitischen Trümmerhaufen. Neben den traditionell benachteiligten Gebieten (periphere Randgebiete) wie dem Waldviertel, nördliichen Grenzland ... bereicherten in den letzten Jahren auch noch traditionelle Industriegebiete wie die Obersteiermark, Eisenwurzen, Teile des südl. NÖ (Piestingtal ...) das Bild wachsender regionaler Ungleichheit in Österreich. Bedenkt man weiters, daß die entwicklungsschwachen Randgebiete eher der ÖVP und die industriellen Problemgebiete eher der SPÖ zuzuordnen sind, dann erkennt man, daß eine parteipolitische Argumentation bei der Ergründung der Ursachen dieser negativen Entwicklung viel zu kurz gegriffen ist, daß die Ursachen zunehmender regionaler Disparität offensichtlich im Wirtschaftssystem, zu dem sich beide Großparteien bekennen, zu suchen sind.

Ein wirksames Gegensteuern gegen die wachsende regionale Disparität ist nur im Rahmen eines gesamtwirtschaftlichen Umdenkens und Umschwenkens möglich. Zwei Zielvorstellungen erscheinen mir besonders wesentlich:

  1. Regionale Strukturpolitik als ein zentrales Element der Angebotslenkung im Rahmen einer demokratischen Rahmenplanung.
  2. Neudefinition des betriebswirtschaftKostenverständnisses — modifizierter Markt.

ad 1) Eine solche Regionalpolitik setzt jedoch andere gesamitgesellschaftliche Rahmenbedingungen voraus. Ausgehend davon, daß die Planwirtschaften des Ostblocks wenig effizient und demokratisch arbeiten, andererseits die Markt-Wirtschaften westlichen Musters hohe privatwirtschaftliche Effizienz erreichen, jedoch um den Preis wachsender gesamtgesellschaftlicher Irrationalität und entsprechend geringer Mitbeteiligung der Betroffenen, wird als gesamtgesellschaftliche Zielvorstellung eine demokratische Rahmenplanung angestrebt (siehe Wirtschaftskonzept — Kommission SPS). Den Regionen muß eine möglichst weitgehende Planungsautonomie gewährt werden, die Regionen sind als Wirtschaftseinheiten zu begreifen, die

  • möglichst viel Autonomie anstreben
  • möglichst zielführend die regionalen Ressourcen ausschöpfen

sollen. Das bedeutet, daß nicht die Errichtung von Zweigniederlassungen staatlich gefördert wird, sondern die Errichtung von selbstverwalteten Betrieben zur Veredelung der regionalen Ressourcen. Gleichzeitig müßten Betriebe in Zentralräumen, die Produkte aus benachteiligten Gebieten veredeln, belastet werden, weil nur so eine Regionalpolitik wirksam werden kann (z.B. erhöhte Einkommenssteuer, Lohnsummensteuer ... die zweckgebunden benachteiligten Gebieten zufließen). Die freie Standortpolitik der Unternehmen — auch der selbstverwalteten — wie z.B. die Errichtung von Gemüsefabriken im Raum Wien sowie die Produktpolitik der Unternehmen (Stichwort Rüstungsprodukte, umweltbelastende Verpackungen usw.) muß durch die demokratische Rahmenplanung eingeschränkt werden können — dazu bedarf es neuer Instrumente! Der heutige Marktmechanismus funktioniert um vieles komplexer als in den Lehrbüchern der Klassiker (Smith & Co.) zu lesen ist. Der Grundmechanismus, daß die Schwachen auf der Strecke bleiben, ist jedoch nach wie vor voll wirksam. In der Regionalpolitik verstärkt der Staat das Ungleichgewicht zu Lasten der benachteiligten Regionen dadurch, daß er einem weitgehend unwirksamen Förderungsinstrumentarium eine indirekt viel wirksamere Förderung der Ballungsgebiete gegenüberstellt.

Begründung: Sämtliche soziale Kosten (Umweltsschutzaufwendungen in den Bereichen Wasser, Lärm, erhöhte Infrastrukturkosten der Ballungsräume, Kosten im psychosozialen Bereich ...) werden fast ausschließlich von der öffentlichen Hand getragen, obwohl sie in den Ballungsräumen überproportional höher sind als in den peripheren Gebieten. Nur weil der derzeit herrschende Kostenbegriff — offensichtlich handelt es sich um den Kostenbegriff der Herrschenden — diesen Bereich ausklammert, indem er ihn auf die Gemeinschaft überwälzt, ergeben sich die betriebswirtschaftlichen Vorteile in den Ballungsräumen. Würde man einem Unternehmen im Ballungsraum die Pendlerkosten zuordnen, ergäbe sich vielfach eine ganz andere Standortentscheidung.

Da ich von einer Ziel-Mittel-Dialektik überzeugt bin, sind kurzfristig Initiativen wie die Gründung von selbstverwalteten Betrieben in peripheren Gebieten, die Errichtung von Erzeuger-Verbrauchergenossenschaften, ein Ausbau des sanften Tourismus ... notwendige Schritte, um ein Stück Utopie vorwegzunehmen und deren Realisierung zu ermöglichen.

Denn wie sagt schon ein altes chinesisches Sprichwort: „Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt ...“

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