Streifzüge, Heft 46
Juni
2009

Sackgasse Grünpartei?

Den Charakter der politischen Partei prägt ihre Orientierung auf den Staat. Sie nimmt die Interessen, die der Kapitalismus setzt, in sich auf, formiert sie, tariert Antagonismen wie jenen zwischen Kapital und Arbeit aus und setzt den resultierenden Kräftevektor in Staatshandeln um. Die von einer Partei formierten Interessen zielen grundsätzlich darauf, den Kapitalismus aufrechtzuerhalten: Lohnabhängige wollen Lohnarbeit und wollen ergo Lohn; Kapitalisten wollen Agenten des Kapitals bleiben und ergo Profit. Alle wollen Wirtschaftswachstum, denn ohne Akkumulation von Kapital läuft im Kapitalismus nichts.

Nur im Kapitalismus trennt sich der Lebenszusammenhang in die Sphären von Ökonomie und Politik. Wie sich der ökonomische Zusammenhang der Menschen in Form des abstrakten Werts von ihnen abspaltet, so spaltet sich die politische Gemeinschaftlichkeit in Form des Staates ab. Der kapitalistischen Gesellschaft steht die staatliche Gewalt als politische Klammer eines durch Konkurrenz und Herrschaft geprägten sozialen Lebens gegenüber.

Der Staat ist politische Form der kapitalistischen Gesellschaft. Er hängt von Steuereinnahmen ab, die nur die Akkumulation des Kapitals generiert, und er ist auf gesellschaftlichen Konsens angewiesen, der die Integration der Mehrheit in das Lohnsystem erfordert.

Stimmen-Kapitalismus

Die Partei ist strukturell gesehen ein Stimmenmaximierungs-Apparat. Die Bedingung seiner Möglichkeit ist die Abtrennung der Einzelnen von ihren Entscheidungsmöglichkeiten. Die Abgabe der Stimme bei der Parteienwahl ist ein Mechanismus, mit dem der Staat sich Legitimität verschafft. Es ist kein Mechanismus der kollektiven Selbstbestimmung. Umgekehrt ist die Abtretung von Stimmen an eine Partei kein Mechanismus der Delegation von Entscheidungen zwecks Komplexitätsreduktion. Ihr Ergebnis ist vielmehr Repräsentation der Entscheidungsbefugnis, die den Wählenden per Wahl entzogen wird. Realiter liegt diese beim Staat, in dessen Apparaten die Entscheidungsbefugnis, nun vor dem Durchschlagen oppositioneller Bedürfnisse auf den Apparat geschützt, wieder erscheint (re-präsentiert wird).

Dort, wo Menschen genossenschaftlich produzieren, das heißt ihre Angelegenheiten selbst bestimmen können, gibt es keine abgespaltene Ebene der Politik und keine Partei, die als Fluchtpunkt antagonistischer Interessen an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus fungiert.

Die Partei ist auf der Ebene der Politik in etwa das, was ein Unternehmen in der Ökonomie darstellt: ein repressiver Kommandoapparat. Die Wahl ist, anders als einem kapitalistischen Unternehmen, der Partei angemessen, da es keine Betriebswirtschaft der Stimmen-Maximierung und den entsprechenden unmittelbaren Sachzwang gibt. Die abstrakt-selbstzweckhafte Stimmen-Ökonomie der Partei ist weit mehr als die Geldvermehrung auf subjektive Einschätzungen der Lage am politischen Markt angewiesen. Ihrer Form entspricht in dieser Hinsicht mehr die Wahl als das Kommando.

Die relative Bedeutung parteiinterner Wahlen liegt noch in einem anderen Erfordernis begründet. Da die Partei Interessen bündeln und Antagonismen ausgleichen muss, um Stimmen zu maximieren, sind interne Prozeduren erforderlich, die diese Funktionen garantieren. Während ein striktes Kommandosystem die Gefahr in sich birgt, der Despotie und Willkür einzelner Interessen oder individuellen Macken des Führungspersonals Tür und Tor zu öffnen, erleichtert die interne Wahl die parteiliche Willensbildung als Querschnitt eines möglichst breiten Spektrums von Meinungen und Interessen.

Die innerparteiliche Wahl inkorporiert das Marktprinzip in den parteipolitischen Prozess. Wie eine Partei im Ganzen nach außen hin im Konkurrenzkampf mit anderen ein illusionäres Image kreiert, so kreiert auch jeder Funktionär der Partei eine imaginäre Person, die er im Verlauf interner Wahlen in Stellung bringt. Einzig in Zeiten des Wahlkampfs agiert eine Partei im Regelfall wie eine Truppe – die Drohung des Abstiegs und die Verlockung des Machtgewinns spornen die Parteimitglieder an, sich gegenüber dem politischen Feind und angesichts der Medien in einer Image-Front zusammenzuschließen. Während des innerparteilichen Tagesgeschäfts jedoch wirkt eine allgegenwärtige, von Seilschaften und Zweckbündnissen durchzogene Konkurrenz.

Der repressive Charakter einer Partei sticht nicht ins Auge, da das parteiliche Engagement im Unterschied zur Lohnabhängigkeit der freien Entscheidung unterliegt. Wer sich nicht reprimieren lässt, wird einer Partei nicht beitreten oder wird früher oder später entfernt – wenn er nicht rechtzeitig ausgetreten ist. Dort, wo eine Partei zur Einheitspartei wird wie im realen Sozialismus, schlägt ihr erstickender Charakter allerdings sofort für alle spürbar durch.

Der Partei geht es nicht wesentlich um die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern um deren effiziente Ausnutzung zur Maximierung der eigenen Macht und Mittel. Ebenso wie der Markt dazu führt, dass sich TV-Programme angleichen, Zeitungen immer ähnlicher werden und Waschmittel nur an der Verpackung zu unterscheiden sind, tendiert jede Partei zur Mitte. Die Wirtschaftspolitik von SPÖ, ÖVP, Grünen, FPÖ und BZÖ differiert marginal. Die marginale Differenz wird dadurch bestimmt, der anderen Partei nicht zu ähnlich sein zu dürfen. Mit der Austauschbarkeit der Parteien kontrastiert die Heftigkeit des politischen Kampfes. Um die vom Image erforderte Differenz im Korsett einer parteiübergreifenden Harmonie der Affirmation von Kapital, Markt und Staat zu setzen, sind imaginäre Bruchlinien umso wichtiger.

Freilich, es ist denkbar, dass eine Partei dieser Handlungslogik, die in ihr als sozialer Form angelegt ist, explizit widerspricht. Die Grünparteien der Anfangsjahre sind dafür ein Beispiel. Gerade sie zeigen allerdings auch, dass sich die Logik der Partei selbst in einer fundamentaloppositionellen Parteiarbeit letztlich durchsetzt.

Ebenso wenig wie das Kapital auf dem bösen Willen der Kapitalisten gründet, beruht die strukturelle Bornierung der Parteien auf dem bösen Willen ihrer Funktionäre. Sie ist, sofern sie erfolgreiche Partei im Sinn der Parteienlogik sein will, strukturell dazu gezwungen, stimmen-maximierend und kapitalkonform zu agieren.

Nur starker sozialer Druck von außen kann Parteien dazu bewegen, emanzipatorische Forderungen in gewissem Ausmaß aufzunehmen. Und natürlich gibt es in Parteien Einzelne, die gegen die Parteilogik handeln; umso mehr, je eher man sich in Randgebieten, Nischen und Basiszirkeln einer Partei bewegt.

Ebenso wichtig wie antikapitalistische Betriebsräte oder (selbst)kritische Unternehmer in Betrieben sind solche staatskritischen Akteure in Parteien und im Staat. Soziale Bewegungen müssen Brückenköpfe in Staat und Parteien erringen. Anders ist eine Einschränkung staatlicher Gewalt, die einer emanzipatorischen Perspektive entgegen steht, kaum denkbar. Solche Brückenköpfe sind Dissidente in Institutionen und Parteien, die sich nicht einer Parteiräson und der Stimmenmaximierung, sondern der Menschlichkeit und einer emanzipatorischen Alternative verpflichtet fühlen.

Die neuen Dealer

Die Grünpartei entstammt historisch der außerparlamentarischen Linken. Von daher hat sie die Bedürfnisse und Wünsche der sozialen Bewegungen der 1970er Jahre in sich aufgenommen. Im Prozess der Parteibildung veränderten sich nicht nur die Akteure von Rebellen zu Konformisten, sondern auch die Inhalte. Anstatt sich für die Überwindung des Kapitalismus einzusetzen, begann man rasch, den Kapitalismus reformieren zu wollen.

So klug die Glieder der Partei auch sind, die Partei ist strukturell borniert. Dennoch: man muss sich über das Konzept des „Green New Deal“ wundern. Dass es überhaupt Zuspruch erfahren kann, ist ohne den jahrzehntelangen Abbau ökologischen Denkens unerklärlich.

Spätestens seit der Rio-Konferenz 1992 und dem Nachhaltigkeitsgerede im Gefolge „wussten“ Ökobewegte aller Couleurs, dass es um „Win-Win-Situationen“ geht – die Umwelt kann gewinnen, während das Kapital Profit produziert. Seit dem vollen Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 überschneidet sich nun die falsche Einschätzung der Krise mit den falschen ökologischen Rezepten: „Wir brauchen ein internationales Programm für massive Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Bildung. Das wird Millionen neuer Jobs schaffen, den Klimawandel bekämpfen und aus der ökonomischen Krise führen“, meint der Grüne Sven Giegold, Initiator der Facebook-Gruppe „For a Green New Deal!“.

Nach dem Gipfelpunkt der Erdölförderung gehen die Ressourcen für den Wechsel auf ein erneuerbares Stoff- und Energiesystem zurück. Es ist abzusehen, dass der globale Norden versuchen wird, die knappen Ressourcen für sich zu kanalisieren: Agrosprit statt Lebensmittel, Erdöl als Energieinvestition für den Aufbau erneuerbarer Energien, Solarenergie in der Sahara, Windparks am Kaukasus und so fort. Weil bei Verknappung der Ressourcen die für den Lebensstandard der Lohnabhängigen gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zunehmen wird und weniger für die Akkumulation von Kapital überbleibt, wird der Staat auch versuchen, den Lebensstandard abzusenken.

Insoweit die Grünparteien kapitalismuskonform agieren, verantworten sie dies mit. Sie vermeiden es, das Ende des fossilen Zeitalters in den Blick zu nehmen, und ignorieren, dass Effizienzsteigerungen ein inhärentes Merkmal der kapitalistischen Wirtschaftsweise darstellen und als solches nicht zur Einsparung von Ressourcen führen. Die Effizienz steigt stetig, doch wird sie durch die Akkumulation des Kapitals (über)kompensiert. Die Idee, der ökologische Umbau könnte Vollbeschäftigung generieren, blendet aus, dass zeitgleich mit einigen Jobs im Bereich erneuerbarer Energie- und Stoffsysteme eine Unzahl von Branchen zum Großteil stillzulegen ist.

Die Auflösung der Partei in die Gesellschaft

Die Logik der Partei wirkt nicht von selbst. Sie beruht auf einem Set von Filtern, die antikapitalistische Inhalte neutralisieren. Der erste Filter ist die Zivilgesellschaft. Dabei kommt den Medien herausragende Bedeutung zu. Als kapitalistische Unternehmen verstärken sie vor allem kapitalkonforme Positionen, als staatliche Apparate die Hörigkeit. Eine Partei zielt auf ein möglichst großes Stimmenreservoir, weshalb sie, um von den Medien ernst genommen zu werden, auf antikapitalistische Inhalte tendenziell verzichtet.

Alle auf den Staat ausgerichteten Institutionen bilden in ihrem Inneren wie in einem Mikrokosmos die Spaltung zwischen Gesellschaft und Staat in Form der Spaltung zwischen Basis und Spitze ab. Auch eine egalitäre Partei wird deshalb früher oder später Hierarchien und Kommandostrukturen einziehen und eine Führung ausbilden.

Die Führung einer noch nicht regierungsfähigen Partei wird, selbst wenn sie sich selbst als radikal oppositionell versteht, durch den ständigen Kontakt zu Medienvertretern, Wirtschaftsleuten und Angehörigen der Regierungsparteien zur Konformität erzogen. Die Basis äußert Unmut, kann eine solche Entwicklung jedoch nicht wesentlich verändern. Die Führung selektiert ihren Nachwuchs nach den Kriterien der Führungsfähigkeit. Und ihr Nachwuchs rekrutiert sich aus den Führungswilligen. So schließt die Partei sich strukturell als kapital- und staatskonformes, selbstbezügliches Gehäuse ab.

Der zweite Filter ist die Regierung selbst. Spätestens sobald eine Partei an der Staatsmacht beteiligt ist, wirkt auf sie der Zwang, Steuermittel durch Förderung der Kapitalakkumulation zu lukrieren und Staatsausgaben entsprechend zu beschränken. In einer Krise schlägt dieser Zwang unmittelbar auf die Lohnabhängigen zurück.

Die Parole „Green New Deal“ der Grünen ist Resultat dieser beiden Filterwirkungen. Einerseits gibt das Parteiprogramm vor, eine wirkliche Ökologisierung und die Kapitalakkumulation seien kompatibel, ja, es suggeriert sogar, die Letztere sei auf erstere angewiesen. Andererseits signalisiert der „Green New Deal“ Regierungsfähigkeit, indem er eine Lösung für die Krise der Akkumulation vorspiegelt.

Die freilich wird es so nicht geben. Ein massives Investitionsprogramm wäre nur durch Verschuldung finanzierbar. Angesichts der bereits ungeheuren Staatskredite wäre der Rückzahlungsbedarf enorm. Da die Erneuerbaren eine Absenkung der Arbeitsproduktivität nach sich ziehen, wären diese Mittel nur durch langfristige Absenkung des Lebensstandards aufzubringen. Die absehbare Verteuerung fossiler Ressourcen, die auch ohne Aufschwung eintreten wird, würde über kurz oder lang in die nächste Krise münden. Soll ein Aufschwung überhaupt denkbar werden, müsste zuerst nicht mehr verwertbares Kapital in Masse vernichtet werden. Das ist ohnehin die nach wie vor wahrscheinlichste Entwicklung.

Wohlgemerkt: Am „Green New Deal“ ist nicht zu kritisieren, dass Geldmittel für erneuerbare Energiesysteme ausgegeben, die Effizienz gesteigert und der öffentliche Verkehr verbessert werden sollen. Zu kritisieren aber ist die gefährliche Illusion, damit das ökologische Problem oder die Wirtschaftskrise zu lösen.

Die Einsicht in die Borniertheit der Parteienlogik heißt jedoch nicht, die Parteien aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Ganz im Gegenteil ist von allen Akteuren einzufordern, sich der Realität zu stellen. Profit- und Machtproduktion sind keine legitimen Argumente. Dissidente in den Grünparteien sind explizit zu stärken und als Auflösungspunkte der Parteiform, das heißt notwendiger Teil einer emanzipatorischen Perspektive zu unterstützen.

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