Heft 5-6/2005
Oktober
2005

Sexualität und Männlichkeit

Psychoanalytische Herangehensweisen an gesellschaftliche Erscheinungen haben zunehmend den Ruch des Veralteten angeheftet bekommen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie überdies auch noch triebtheoretisch argu­mentierten. Wie aktuell und fruchtbar solches Denken dagegen sein kann, belegt das zu be­sprechende Buch von Rolf Pohl.

Ausgehend von umfangreichen metapsycho­logischen Erörterungen und in Abgrenzung zu biologistischen Annahmen über vorgegebene Geschlechtscharaktere entwickelt Pohl einen Entwurf der Konstitution von männlicher Se­xualität, wobei er aufzeigt, wie eng diese Nor­malität mit Hass und Gewalt verknüpft ist.

Zwei Paradigmen psychoanalytischer Geschlechterforschung unterzieht Pohl dabei einer grundlegenden Kritik. Erstens das „Ablösungs­paradigma“, demzufolge für den Jungen eine Notwendigkeit zur Entidentifizierung mit der Mutter und zur Ablösung aus einer primären idyllischen Symbiose zwischen Mutter und Kind bestehe (Greenson). Dagegen beharrt der Autor auf der Unmöglichkeit einer Stillstellung der mit der Konstitution von Sexualität unver­meidbar sich einstellenden Spannung zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Hervorgebracht durch den Widerspruch zwischen der prinzi­piellen Angewiesenheit des Triebes auf (eigen­gesetzliche) Objekte und seinem Streben nach ungestörter Triebruhe, präge dieses „Sexuali­tätsdilemma“ alle menschlichen Beziehungen.

Zweitens kritisiert der Autor die „mutterä­tiologische“ Annahme, alle pathologischen Züge der späteren Männlichkeit ließen sich auf ein nicht „good enough mothering“ (Winnicott), dem der Junge ausgesetzt gewesen sei, zurückführen. Die Kombination dieser bei­den kritisierten Paradigmen führte z.B. den Männlichkeitsforscher Klaus Theweleit zu Formulierungen wie: „Die Möglichkeiten der Behinderung der Loslösung des Kindes aus der Symbiose liegen zwischen den Extremen der zu ‚harten‘ Mutter, die ihr Kind zu früh von sich stößt oder es nie richtig annimmt, und der zu ‚weichen‘ Mutter, die das Kind aus ihrer Umklammerung nicht entlässt.“ Kausale Folge seien die beziehungsunfähigen und brutalen Züge, die die von Theweleit untersuchten Frei­korpsmänner kennzeichneten.

Gegen solche Versuche, männliche Ge­schlechtsidentität auf reale frühe Erleb­nisse zurückzuführen, betont Pohl die Nach­träglichkeit und retrospektive Projektivität jener „Rekategorisierungen“ (Fast), in denen sich frühere Ambivalenzerfahrungen nach dem Erlernen der Geschlechterdifferenz als selbst­bezüglichem Sinnstiftungssystem mit dieser verbinden. Insbesondere der Penis als Marker der Differenz zur Mutter wird mit Bedeutung aufgeladen, die sich in den Körper einschreibt. Aus dem „Sexualitätsdilemma“ wird so das „Männlichkeitsdilemma“.

Die „paranoide Abwehrkampfhaltung“, die dieses präge, resultiere aus der Vereinseitigung der Ambivalenz von Begehren nach dem Objekt und dem wegen dieser Affizierung des unabhängigen Selbst auf das Objekt gerichte­ten Hass. Die auf der Betonung der Differenz und der Verleugnung des Wunsches nach dem Objekt beruhende „männliche Lösung“ ver­knüpfe Sexualität und Gewalt und sei zur (illusorischen) Vermeidung von Abhängigkeit strukturell sadistisch auf die Unterwerfung und Devitalisierung des Objektes ausgerich­tet. Mit dieser Analyse wendet sich der Autor gegen ein drittes Paradigma der Geschlechterforschung, dem vom angeblich asexuellen Charakter bloß sexualisierter Gewalt. Dieses Postulat übersehe, wie eng Gewalt innerhalb der psychischen Struktur hegemonialer Männlichkeit in die Sexualität eingelagert sei und ihr nicht etwa gegenüberstehe. Gestützt auf geschichtswissenschaftliche und ethnologische Befunde illustriert der Autor anhand von oft erschreckenden Beispielen die Resultate sol­cher Charakterdispositionen unter Freuds Prä­misse über das Kontinuum zwischen Normali­tät und Pathologie in der Männlichkeit: „Ein stärkerer Zusatz zur sexuellen Aggression führt vom Liebhaber zum Lustmörder“.

Angesichts der Breite der verwendeten Bei­spiele (von Papua-Neuguinea bis Südchina, von Homers Ilias bis zum Genozid in Ruanda) drängt sich die Frage auf, ob die Herangehens­weise des Autors nicht zu ahistorisch angelegt ist. Ist die beschriebene Binnenstruktur von Männlichkeit ein dermaßen ubiquitäres — er selbst spricht von „transkultureller Gültigkeit“ — Phänomen? Pohl argumentiert, dass das Sexualitätsdilemma in der Tat allgemein bestehe, seine Verarbeitung aber immer unter spezi­fischen gesellschaftlichen Vorzeichen gesche­hen müsse. Es bleibt unklar, inwieweit diese Einsicht mit der homogenen Interpretation der verwendeten Beispiele zusammenpasst.

Das „Feindbild Frau“ ist ein äußerst wich­tiges Buch, das eine zentrale Lücke in der Geschlechterforschung schließt. Inwieweit es von den Humanwissenschaften angenommen wer­den wird, ist angesichts des Zurückdrängens der psychoanalytisch orientierten Sozialpsy­chologie allerdings fraglich.

Rolf Pohl: Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen, (Hannover 2004)

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