Streifzüge, Heft 35
Oktober
2005

Strange in Town

Weitermachen

Hinten braust unter der Brücke auf acht Spuren der Highway. Oben schieben sich auf der Avenue die Autos über die Brücke, darüber dröhnt auf angerostetem Tragwerk die Subway durch Queens. Hin und her zwischen Arbeit und Freigang. Dazwischen stehen auf beiden Seiten ebenerdig und abgeblättert zwei Reihen Geschäfte, und emsige Straßenhändler auf dem belebten Trottoir. (Sich) Verkaufen und Kaufen. Auf dem ersten Ladenschild steht: „Iglesia en Queens. Jesu Cristo es el Senor“. Hinter der Glasfront spricht der Pastor zu seinen Schafen. Atemholen zum Weitermachen.
Hilflos

Beim Buskartenschalter in der Port Authority steht am nächsten offenen Deck ein alter Mann. „It’s American money“, schreit er ein paar Mal. Hinter der Glasscheibe zwei junge Leute, die seinen Schein begutachten. Empört wendet sich der alte zu einem jüngeren Mann, der neben ihm wartet und leise was sagt. Nein, das sei keine Frage, sagt überlaut und enttäuscht der Erzürnte. Auf den nächsten Satz des anderen schreit er bestürzt, er lasse sich nicht „Eff you“, sagen, das sei gegen das Gesetz, er werde ihn anzeigen, die Polizei solle kommen. Der Täter sagt ihm offenbar, dass er Attorney sei. Der Alte wiederholt es fassungslos schreiend und sieht hilfesuchend zu uns her. Die beiden jungen Frauen vor mir kichern, ich schaue betreten weg. Schließlich schlurft er enttäuscht, verzweifelt davon. Das sei ein Lawyer, wiederholt er ein paar Mal. Er ist allein geblieben. Niemand hat es anders erwartet.

An der Wand

Am Times Square zucken ein paar Stockwerke hoch die Leuchtreklamen. Unten Geströme, Geschiebe, Geplärr und Gedröhn von Autos, Baustellen, aufgekratzten Touristen, Keilern, Flugblattverteilern und hastenden Professionals. An der Wand neben einem Geschäftseingang hockt eine Frau im Kostüm, um die vierzig. Sie lacht wirr und schreit immer wieder was in den Lärm. Ich werde langsamer, schaue hin; ein Mann im Anzug hastet vorbei, schaut kurz her, „New York, New York“, sagt er und ist schon vorbei. Ich gehe ihm nach.

Triumphant Lives

An der 5th Avenue, schon in Downtown Manhattan, steht neben der Kirche das Denkmal ihres prominenten „Ministers“, Dr. Norman V. Peale: „… He taught that positive thinking when applied to the power of the Christian message could not only overcome all difficulties but also bring about triumphant lives…“ Noch in Sichtweite davon hockt unter einem Baugerüst ein großer junger Mann in Jacke und Baseballkappe auf einem dicken Polster gefalteter Decken, eine Reisetasche auf der einen, einen großen Hund auf der anderen Seite. Er schaut starr vor sich hin. Eine junge Frau kauert mit geschlossenen Augen auf seinem Schoß. Er hält ein Pappschild vor sich: „My family lost everything, we’re broke, tired and starting to lose hope. Any help would be getting appreaciated. Thank you + God bless you“.

Good life

Lunchtime im Park hinter der New York Public Library. Sandler, Sekretärinnen und bessere Angestellte kauen auf Parkbänken und Stufen. Ein Professional mampft sein Sandwich und tippt zugleich hastig auf seinem Laptop. Auf dem Deckel pickt ein Aufkleber: Life is good. Auf der anderen Seite, auf dem Vorplatz der NYPL hin zur Avenue, vibriert die Luft vom Lärm des Verkehrs und der Baustellen in der Umgebung. Vor mir, auf der Steinbrüstung zur Straße steht auf einem Schild: „Quiet Zone“. Ich sitze ruhig auf meiner Bank. Niemand lacht, keiner spricht ein lautes Wort. Alles in Ordnung.

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