FORVM, No. 485/486
Juni
1994

Süffisanz statt Sprachkritik

Wie man konjunkturbewußt der Macht des Bestehenden und der bestehenden Macht huldigt.

Die neue Sprachregelung

Von allen Seiten verkünden uns Autoren ungefragt ihren Ekel vor dem Typus, den sie die »guten Menschen« nennen. Konrad Liessmann kann die »guten Menschen nicht leiden, die Jörg Haider bekämpfen«; Robert Schindel teilt uns anläßlich der Verleihung des Erich-Fried-Preises — ausgerechnet — mit, daß er kein »guter Mensch« mehr sein möchte; Ulrich Greiner will nicht zum »Club der guten Menschen« gehören, »die gegen die böse Politik tapfer Stellung beziehen«, wobei er tunlichst unterschlägt, daß jene, die den Intellektuellen die Aufgabe der Kritik an der Macht zuteilen, keineswegs Politik pauschal als böse betrachten (in bezug auf Grass, um den es Greiner im besonderen geht, ist dieser Verdacht geradezu grotesk), sondern bestimmte Strukturen, die allerdings in der Tat oft Böses hervorbringen. Unbeantwortet bleibt, ob sich Greiner, der sich als abgestrafter Abweichler sieht, nun in der Aura der von den »guten Menschen« kritisierten Politik wohlfühlt, oder ob er nur, ZEIT-gemäß, die risikolose Position des alles überragenden Spötters beansprucht, frei von Clubzwang und moralischen Verpflichtungen. Karl Heinz Bohrer schlägt ein »Wörterbuch des Gutmenschen« vor, und ein Verleger, der sich mittlerweile darauf spezialisiert hat, die Linke süffisant zu kritisieren und dabei — anders als Bohrer — selbst noch als Linker gelten zu wollen, hat den Vorschlag aufgenommen und verwirklicht. [1] Gemeinsam haben die Verächter des »guten Menschen«, daß sie sich jener etwas faden Ironie bedienen, um ihren Gegenstand der Vernichtung durch Lächerlichkeit preiszugeben. Mit dem gleichen Konformismus, mit dem sie einst der Aufklärung das Wort redeten, ordnen sie sich jetzt dem herrschenden Zynismus unter, der Moral für verwerflich und die Bejahung des Status quo für den Gipfel politischer Vernunft hält.

Jeder drittklassige Schwätzer, der unlängst noch Verena Stefans »Häutungen« für ein Dokument emanzipatorischen Denkens und den rassistischen Kitsch »Out Of Afrika« für einen ergreifenden Film hielt, darf heute, viel zu spät, vom »Betroffenheitskult« faseln, wenn jemand sich noch einfühlend mit den Sorgen und Nöten anderer Menschen oder Kollektive beschäftigt. Zu Recht stellt Joseph von Westphalen fest, daß »1987 die Kritik am Betroffenheitsgerede schon ebenso ein Klischee wie das Betroffenheitsgerede selbst« war, was ihn freilich nicht hindert, einen kritischen Beitrag über das Wort »Betroffenheit« zu liefern.

Bereits der Untertitel der hier zur Diskussion stehenden Publikation signalisiert die polemische Hiebrichtung und zugleich die anbiedernde Anpassung an das Modische: »Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache«. »Moralisch korrekt« ist natürlich die Eindeutschung dessen, was man konjunkturell in den USA als »political correctness« denunziert und bekämpft, den Anspruch auf moralische Werte in der Politik zusammen mit tatsächlich dogmatischem Tugendeifer (und es ist gewiß bemerkenswert, daß einige der heftigsten Gegner der »political correctness« in Deutschland einst zu den unversöhnlichsten Befürwortern einer Gesinnungsethik gehörten); und die Verknüpfung mit dem vernichtenden Substantiv »Schaumsprache« soll suggerieren, daß moralische Korrektheit anders als eben in Schaumsprache nicht zu artikulieren sei. Wie also schlagen die Kritiker der schaumschlagenden Gutmenschen zu? Was stört sie, was sind ihre Alternativen, wen wollen sie, mit welcher Absicht, erreichen?

Einsichten

Wiglaf Droste, einer der wenigen wirklich talentierten Satiriker und Glossisten in der gegenwärtigen deutschsprachigen Publizistik, der sich nicht dagegen wehren kann, daß ihn minder Begabte (auch in diesem Buch) hilflos nachzuahmen versuchen, formuliert ebenso knapp wie zutreffend: »drei tote Türken in Mölln z.B. sind hierzulande eben nicht zuerst drei Mordopfer, sondern ein Anschlag auf das Ansehen Deutschlands«. Nur ist die zu Recht kritisierte Sprechweise gerade nicht die des wie immer definierten Gutmenschen. So reden Regierungsvertreter und ihre Organe in Fernsehen und Presse.

Robert Kurz verliert in seinem ebenso klugen wie witzigen Utopie-Artikel nach wenigen Absätzen den Auftrag aus den Augen und gerät genau besehen in eine Rehabilitierung des vom Mißbrauch gereinigten Begriffs.

Es ist schon wahr, daß der Kabarettist Martin Buchholz (und nicht nur er) »nicht schlecht von der Infantilität seiner Anhänger« lebt. Wahr ist aber auch, daß Gerhard Henschel, der dies feststellt, sich weniger von ihm unterscheidet, als er sich eingestehen möchte, wenn er etwa von Ernst Tugendhat meint, daß er »soviel Tugend hat«, oder dem »guten Menschen« eine Stadtteil-Initiativgruppe »Schlesien bleibt unser!« erfindet. Qualifiziert sich als Kritiker von Schaumsprache, wer nicht zurückschreckt vor der — im übrigen abgegriffenen — Stammtischmetapher: der »innere Reichsparteitag, den ein beliebiger Gutmensch angesichts einer Lichterkette (...) empfinden mag«? Da werden per Assoziation Demonstranten gegen Ausländerverbrennungen, gegen deren Illusionen und Pathos sich mit freundlichen Argumenten durchaus einiges vorbringen läßt, in die Nähe der Nazis gebracht. Das, in der Tat, ist nicht sprachkritisch, sondern infam.

Dummheiten und Denunziationen

Die Verfasser der einzelnen Stichwörter berufen sich bei ihren Belegen unter anderem auf Otto Rehhagel, Steffi Graf, Hans Meiser, Jil Sander, Eduard Stoiber, Heiner Geißler, Brigitte Seebacher-Brandt, Gerhard Zwerenz, Bernhard-Henry Levy, Björn Engholm, Kohlscharpingweizsäcker, Fußballmannschaften, die Gewerkschaft, die CDU-Sozialausschüsse, die Regierungsparteien, den Piper Verlag, das FAZ-Feuilleton, »HörZu«, »Bild« und »Bunte«. Alles Gutmenschen? Gute Menschen, belehrt uns der Herausgeber im Nachwort, »beten, statt zu argumentieren«. Alle? (Ein Namensregister fehlt.)

Dann wird wiederum auf Belege verzichtet. Einer von ihm so benannten »Neuen Deutschen Moral« unterschiebt Henryk M. Broder die Ansicht: »Wären die Juden nicht da gewesen, hätten die Deutschen nicht das unternehmen müssen, was sie unternommen haben.« Welcher »Gutmensch« hat Ähnliches geäußert? Bitte: Quelle angeben oder Reue zeigen für die Verleumdung.

Der »Knackpunkt« ist gewiß eine Glosse wert. Allein, was hat er mit dem Gutmenschen zu tun? Fünf Seiten verschenken die Herausgeber an die »Kommunikation« (mehr Platz bekommen nur noch die »Mauer im Kopf«, die »Trauerarbeit« und die »Utopie«). Dabei hat Tom Lehrer schon vor drei Jahrzehnten dazu das (End-) Gültige formuliert: »Wenn Leute nicht kommunizieren können, könnten sie wenigstens die Klappe halten.« Zu »Flaneur« fällt Matthias Altenburg nur ein, daß es ihn, als Wort wie als Realität, eigentlich gar nicht mehr gibt. Und unüberprüft wiederholt Klaus Bittermann die von einem Saarbrücker Journalisten in Umlauf gebrachte Unterstellung, Oskar Lafontaine habe auf Marcel Ophüls’ Einspruch gegen eine Aufführung des Films »Beruf Neonazi« erwidert, es sei »höchste Zeit, daß die alten Opfer des Nazismus und ihre Familien aufhörten, sich ständig zu beklagen«. Bittermann kommt zu dem immerhin bedenkenswerten (Tom Lehrer modifizierenden) Schluß: »Gerade wir Deutschen sind besonders verpflichtet, die Klappe zu halten.« Was ihn nicht hindert, einen Verlag zu betreiben und unter anderem jenes Buch herauszugeben, in dem er dies fordert. Unmoralisch? Unkorrekt? Bloß verlogen.

Bittermann meint auch, als Zivilcourage gelte heute schon, »»wenn man seine Gesinnung zur Schau trägt und aus Protest eine Kerze anzündet«. Er sollte mehr fernsehen. Ein Moderator berichtete kürzlich von einem Fall von »Zivilcourage«: Ein deutscher Tourist hatte in Florida einen Mann, der ihn mit einem Revolver bedrohte, niedergeschlagen.

Eike Geisel geht es beim Artikel »Lichterketten« natürlich nicht um das Wort, sondern um die Sache, die auch er, wie das in seinen Kreisen üblich ist, als »schummrige Selbstbekundung guter Gesinnung« verhöhnt, mit der »sich die selbstverschuldete Überflüssigkeit der Opposition ein gutes Gewissen schafft«. Dem »Gelichter der Republik« ging es laut Geisel allein darum, »sich selber ins rechte Licht zu setzen«. Das unterscheidet offenbar Lichterketten von den schal gewordenen Sarkasmen Geisels. Ihm, dessen Überflüssigkeit wahrscheinlich die hinterhältigen Gutmenschen verschuldet haben, dient das Wortgeklingel lediglich dazu, sein Licht, falls es jemanden blenden sollte, unter den Scheffel zu stellen.

Die Gegnerschaft gegen eine »Amerikanisierung der Kultur« wird reduziert auf den Neid erfolgloser deutscher Filmemacher, die damit nach bewährtem Rezept in die Nähe von Rechts-Rockern und Nationalisten gerückt werden, als wüßte die Autorin Elke Schubert nicht — aber vielleicht ist es ihr tatsächlich entgangen —, daß die Abwehr nicht den »Besatzern« von 1945, sondern einem aggressiven Monopol gilt. Sie spricht von einer »Amerikanisierungstheorie«, wo jeder, der ihre mutmaßlichen Anhänger nicht nur penetrant finden möchte, eine alltägliche Praxis vorfindet. Frau Schubert stört nicht die Schaumsprache, sondern die Tatsache, daß nicht alle ihre Vorliebe für Hollywood teilen. Deshalb muß sie unterstellen, daß, wer Spielberg nicht für den Größten hält, unbedingt nur Wenders liebt, und daß, wer nicht bei McDonalds ißt, von Eisbein und Sülzen schwärmt. Janosò oder Godard tauchen in ihrem Horizont ebensowenig auf wie gekochtes Rindfleisch oder Borschtsch. Typisch deutsch, jeden, der »typisch Ami« sagt, für typisch deutschnational zu halten. Offenbar lassen die »nationalen Ressentiments« den Gedanken nicht zu, daß es außer Deutschem und Amerikanischem noch das eine oder andere auf der Welt gibt.

Ein heikler Punkt: unter jenen, die sich (nicht nur in diesem Band) über die Rhetorik der Gutmenschen in bezug auf die deutsche Vergangenheit und die Ausrottung der Juden ereifern, sind einige, von denen man weiß, daß ihre Eltern während des Nationalsozialismus mehr als nur Mitläufer gewesen waren. Sie geben, ungebeten, ständig vor, die Opfer des Nationalsozialismus vor den Gutmenschen schützen zu müssen. Könnte es sein, daß sie sich ertappt fühlen? »Überreaktion«: vorzumerken für die nächste Auflage des Wörterbuchs?

In manchen Artikeln erweist sich die scheinbare Genauigkeit im Kampf gegen die »Schaumsprache« als eigentliche Ungenauigkeit. Der »Arbeitsplatz« ist halt für die meisten Menschen, die nicht wie Gundolf S. Freyermuth reportierend in der Welt herumreisen, mit dem zur Überwindung der (ökonomischen) Armut nötigen Lohn oder Gehalt verbunden und nicht ohne weiteres durch einen anderen »Platz« ersetzbar. Deshalb ist die »Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes« kein »Geschwafel«. Was damit gemeint ist, versteht, wer der deutschen Sprache mächtig ist. Was Freyermuth über die Funktion der Arbeit in unserer Gesellschaft sagt, ist zwar zum Teil bedenkenswert, angewandt aber auf den mit der genannten Formulierung bezeichneten Zustand pure Hirnwichserei.

Ergebnis

Deutlich wird mit Publikationen wie dieser einmal mehr: Für viele, die erst mit der 68er Bewegung linkem Denken und der sozialistischen Tradition begegneten, war der Einsatz für Schwächere und sozial Benachteiligte eine austauschbare Haltung, die sie längst durch ein unbedingtes Einverständnis mit dem kapitalistischen Status quo vertauscht haben. Sie sind die Konformisten geblieben, die sie schon damals waren, und freunden sich mittlerweile an mit dem Gedanken einer fröhlichen Existenz im Zeichen eines deutschen Berlusconi. Sie kokettieren damit, Schlechtmenschen zu sein, und sind doch nicht mehr als charakterlose Opportunisten. »Viele der einstigen Empörer haben inzwischen die Seiten gewechselt und bewerben sich nun bei den Verhältnissen um Mitmachgelegenheiten.« (Karsten Singelmann aus Hohne im »Wörterbuch des Gutmenschen«, S. 49) — Wie wahr.

P.S: Ob Oskar Schindler, wie der »Spiegel« titelte, ein guter Mensch war, ob er, wie Bittermann korrigiert, nur »gesunden Menschenverstand« besaß, ob er gar nur, als Spielernatur, ein Risiko einging, wo er billige Arbeitskräfte gewinnen konnte: für die durch ihn geretteten Juden gilt, daß sie ihm das Überleben verdanken. Im Fall des Falles sind es die »guten Menschen« (früher nannte man sie »anständig«), nicht die Spötter, auf deren Hilfe man hoffen darf. Mag einem zur Schau gestellte Gutheit auch gelegentlich auf die Nerven gehen: verhöhnen kann sie (nach dem Motto: We are amused but not concerned) nur, wer sich in Sicherheit wähnt, wen nicht bedroht, was die »guten Menschen« mit tauglichen und untauglichen Mitteln bekämpfen. Es sind nicht Asylanten, die die Lichterketten belächeln.

[1Klaus Bittermann/Gerhard Henschel (Hg.), Das Wörterbuch des Gutmenschen. Zur Kritik d. moralisch korrekten Schaumsprache, Edition Tiamat, Berlin 1994. 200 Seiten, DM 28

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)