TUWAT oder TUNIX
Sollten da noch einige LeserInnen sein, die bei der Erwähnung linksradikaler Politiken aufmerksam werden (oder bleiben), wäre das erfreulich. Denn mitunter helfen historische Vergleiche, um das gegenwärtige Aktivitätsgefüge und -gerede zu relativieren, z.B. in Fragen der Aneignung und Nutzung von kollektiven Räumen.
Neben aller Aufregungen und Brüche um den Verkauf des EKH durch die KPÖ und den rechtsgerichteten Umweg einer stadtnahen Eigentumsübernahme, gab die Ausstellung FREIBESETZT in der Kunsthalle Exnergasse Anlass zu umfassendem Zweifel an linksradikaler Selbstdarstellung im Zeichen postfordistischer Selbstvermarktung. Dass die AusstellungsmacherInnen wenig Zeit und augenscheinlich wenig Geld zur Verfügung hatten, um Formen der Aneignung zu illustrieren, ist bedauerlich. Dass nunmehr in jedem quasi musealen Zusammenhang auf dieselben Hilfsmittel zurückgegriffen wird, wenn auch mit unterschiedlichem handwerklichem Können, ist auch nicht weiter störend — vermindern doch Gewohnheiten die Rezeptionsaufwände der BesucherInnen. So konnten also auch im WUK Videos gesehen werden, Gelegenheit den AktivistInnen zuzuhören und sogar deren Gesichter und einen kleinen Ausschnitt ihrer Handlungsorte zu betrachten. Wenn in den vorangegangenen Monaten häufig von Lähmung und internen Zerwürfnissen zu hören war, vermittelten diese Clips ein überaus hohes Aktivitätsniveau im EKH, das die vernommenen Gerüchte kontrastiert und insgesamt verärgert und/oder betrübt: Die HausbewohnerInnen wurden in einer Sequenz zu SozialarbeiterInnen an den untergebrachten Flüchtlingen stilisiert — folglich leisten sie einen wertvollen gesellschaftlichen Beitrag und sind jedenfalls in die Liste der SubventionsnehmerInnen der Stadt zu inkludieren. Ein paar Zeilen weiter im Sendungsskript setzt das umstrittene Objekt als einziges Theaterhaus im zehnten Bezirk Angebote an dessen unterprivilegierte BewohnerInnen und bleibt doch soweit dem linksradikalen Charme und Chic verhaftet, um ein Überschreiten der engen BesucherInnenkreise zu verhindern.
Projektaktivitäten
Das Rahmenprogramm der Ausstellung bildeten eher wortreiche Veranstaltungen, darunter eine Podiums(lose) Diskussion, eine „Gesprächsrunde zu verschiedenen Strategien in den Niederlanden und Österreich, in der Stadt physische oder strukturelle Freiräume zu schaffen“. Diese bot vor allem den zahlreich geladenen AktivistInnen Gelegenheit ausführlich ein Primat der Quantität zu erzeugen, aus einem Wettbewerb des Aufzählens von Projekten resultierte das Bild sinnloser Aneinanderreihungen von bereits Getanem und ebenso zahlreicher Vorhaben. Projekte und ihre Finanzierung — meist durch kommunale Behörden — bildeten eine undurchdringliche Oberfläche der Selbstdarstellung. Dem zwanghaften Tun waren keine Inhalte zu entnehmen, vage konnte der Gemeinplatz einer Überschneidungszone von Kunst und Politik identifiziert werden, wo immer auch die eigene Verortung in prekären, selbstbestimmten und selbstgestalteten Räumen teil der Auseinandersetzung ist.
Wann aber vor allem Warum hat die radikale Linke ihren Genuss am Untätigsein abgelegt? Die Internalisierung hegemonialer Anforderungsprofile lässt jegliche Radikalität schwinden — einzige Währung dieses Treibens ist die Quantität der Ereignisse, das Argument der großen Zahl. Dabei ließe sich auch damit einiges bewegen: obgleich die no future Stimmung gegenwärtig ebenso nachvollziehbar wäre, muss nicht gleich eine Generation der Verweigerung proklamiert werden — andererseits werden Reminiszenzen an die 80er in einigen Bereichen deutlich, ein bisschen Ignoranz gegenüber den ständig wiederholten Leistungsaufforderungen wäre schon ungewohnt provokant.
Keine Macht für Niemand
Aus der Berliner HausbesetzerInnenbewegung sind die meist unversöhnlichen Positionen von Alternativen und Autonomen bekannt, jenen die um den Bestand ihrer Häuser auch Gespräche mit kommunalen Behörden führen wollten und demgegenüber eine Nicht-VerhandlerInnenfraktion. Letztere wurden von der Zeitschrift radikal kritisch begleitet, eine Reise nach Italien mit ihrer Annäherung an die „autonomia operaia“ stimulierte autonome Positionen im deutschsprachigen Kontext. In Wien wurde just dieselbe Dichotomie eröffnet, allerdings auf wesentlich kleinerem Terrain und eigentlich von denselben AkteurInnen — neben dieser sympathischen Unentschiedenheit will der hierorts vorhandene Ballast an Obrigkeitsorientierung berücksichtigt werden. (Als z.B. 1918 ehemalige Soldaten leerstehende Häuser in Wien besetzten, rückte die Sozialdemokratie das Wohnproblem ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, bevor weitere Betroffene eine anarchistisch selbstverantwortliche Lösung suchten.)
In der radikal 97 (8/1981) erscheint ein Thesenpapier „Anarchie als Minimalforderung“, darin der Vorwurf an Hippies oder Alternative, dass sich ihre Orientierung und ihre Nutzung der Freiräume lediglich auf ein „anderes leben innerhalb des bestehenden“ konzentriere, wobei die eigene Zieldefinition in der Beseitigung des Bestehenden liege. Während die einen die Häuser zum Mittelpunkt ihres Lebens machen, erklären die Autonomen die Häuser für enteignet und sehen darin einen Ausgangspunkt ihrer Gegenmacht (Das naive Modell von Staat und Autonomen, Macht und Gegenmacht wurde später hinreichend selbstkritisch kommentiert). Ein Vorwurf an die Alternativbewegungen richtete sich gegen ihre versöhnliche Haltung gegenüber ökonomischen Anforderungen und den Glauben, dass eine Befreiung von kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen in selbstverwalteten Kollektiven liegen könnte. Mit Versatzstücken dieser Phantasien ringt die wachsende Zahl neuer Selbständiger: das Versprechen von freier Verwertung und das ohnmächtige Feilbieten der eigenen Ware Arbeitskraft muss in ein immer labiles Gleichgewicht gebracht werden, eine notwendige Arbeits- und Reproduktionstätigkeit. Die Begeisterung und Befriedigung über eigene Karrierewege, besonders dann, wenn sie selbst gefunden und meist herkömmlichen Formen sozialer Sicherungsmodelle zuwiderlaufen, ist per se nicht subversiv und die — durch postoperaistische Ansätze genährte — Zuversicht auf eine Implosion des Kapitalismus schwindet. Wenn die Oberfläche dieses Tätigseins — etwa bei starr strukturierten aber Podiums(losen) Gesprächen — nicht mit irgendeiner Erzählung über den Gegenstand des gemeinsamen Tuns, Besonderes, Langweiliges, Repetitives gefüllt werden kann, bleibt das Engagement und seine politische Bedeutung unverständlich — die Zeichen des Widerständigen sind unsichtbar und die Nachahmungswirkung unerfüllt.
In Wien prangt an zahlreichen Häusern der verschnörkelte Schriftzug „Luxus“, ein weitgehend offener Schrei nach Dingen, die nicht aus der Mottenkiste der Übersättigung hervorgekramt und an kurzfristig beschäftigte/beglückte AbnehmerInnen gebracht wurde. Kostnixläden oder Gratisbazar, linksradikales Programm oder Nachbarschaftszentrum Am Schöpfwerk (der überschaubaren sozialen Peripherie der Stadt) und nicht zuletzt Ebay verteilt aus dem Fundus der Warenproduktion Abfall, Gebrauchswerte, deren Nutzen oder materielle Existenz ebenso gut erdrückend wie unterstützend wirkt.
Das bedrohliche Ausmaß der Müllberge langweilte jedes Jahr aufs Neue im Schulunterricht der 80er Jahre und die dahingehend sensibilisierenden Spiele litten am Mangel an Unterhaltungswert — die Perspektive radikaler Ablehnung verächtlicher und beschämender Angebote bietet dagegen eine wieder zu gewinnende Handlungsoption, ein wertvolles Revival im Überfluss des Retrospektakels.