FORVM, No. 487-492
Dezember
1994

Über Patriarchinnen, Biopolitik und moralische Vergewaltigung

Offener Brief an Elfriede Hammerl wegen »Verwirrte Begriffe«, »profil« 23/1994, 113

Liebe Elfriede Hammerl!

Wie Sie wissen, gehöre ich, altmodisch gesagt, zu Ihren Verehrern, Ihre geistreichen Kommentare zu Geschlechterkampf und Familientohuwabohu lese ich mit vorbehaltlosem Vergnügen. Regelmäßig verschenke ich Ihre Bücher.

Das schließt Auffassungsunterschiede nicht aus: Uber Ihre Kritik an Ruth Beckermann und Camille Paglia konnte man noch ruhig reden. Was Sie aber kürzlich über Ferenc Fehér und Agnes Hellers Theorie der Biopolitik schrieben, ging so daneben, daß Widerrede angesagt ist.

Da werden »große Geister«, »international anerkannte DenkerInnen« als »verwirrt«, »drollig«, »kurios«, »komisch«, »bizarr« und viel Schlimmeres entlarvt. Alles aus einem unredigierten Interview der Autoren in einer fremden Sprache, ohne das Buch gelesen, die Theorie studiert, der Konferenz beigewohnt zu haben.

Um nichts, worum es den Autorinnen der »Biopolitik« geht, in Theorie und Polemik gegen political correctness, geht es in Ihrer Polemik — das was Rabinbach »sanften Totalitarismus« nannte. Kein Wort über die Gefahren der neuen, progressistisch verkleideten (nicht: alt-faschistischen) Politisierung von Körper, Rasse und Natur; von moralischem Bürgerkrieg und Hinrichtungs-Spektakeln im Freund/Feind-Schema à la Clarence Thomas-Hearings, von fundamentalistischem Kulturkampf statt Interessenpolitik, vom »späten Triumph« Hitlers« in der Rassenpolitik Amerikas und Osteuropas.

Um Ihr Mißverständnis genau festzuhalten: nicht Martin Luther King, der den weißen Rassismus friedlich bekämpfte, war ein Rassist. Black Muslim Khalid Abdul Muhammad, der zur Tötung aller Weißen in Südafrika aufruft und Juden als »Blutsauger« beschimpft, oder der Nation of Islam-Führer Louis Farrakhan sind schwarze Rassisten und Antisemiten. Ähnliche Perversionen wie in der Black Power-Bewegung gibt es im Feminismus. Und wie Jessie Jackson sich langsam vom Rassismus mancher schwarzen Brüder lossagte, beginnen Feministinnen, junge und junggebliebene, sich von ihren biopolitischen, sexistischen und totalitären Schwestern loszusagen.

Nicht dieser selbstreinigende Dissens schadet der Frauensache, sondern im Gegenteil blinde Solidarisierungsreflexe mit allem, was sich feministisch nennt — und Zensorengehabe. Der neue Totalitarismus nimmt zwar oft so lachhafte, »kuriose« und »bizarre« Formen an, wie die von Catharine MacKinnon perhorreszierte Pornographie, ist aber um nichts ungefährlicher als der von Ihnen verabscheute traditionell-sexistische »selbstherrliche Anspruch auf jegliches ... Weiberfleisch« — wer würde den nicht degoutieren?
Aber ist eine Frau, die Lippenstift und Nagellack trägt und damit dem feindseligen Klischee, das sexistische Männer über Feministinnen verbreiten, widerspricht, tatsächlich als Professorin ungeeignet, weil politisch inkorrekt? Ist Selbstverbrennung vor einer Buchhandlung, die auch »pornographische« Bücher anbietet, erstaunlich, wenn die Pornoindustrie, von ›Playboy‹ an, von einer Princeton-Professorin mit Sklaverei, Lynchen, Folter und dem Holocaust verglichen wird? Ersparen wir uns weitere Peinlichkeiten dieses neuesten Moralkreuzzugs. Immer schon haben löbliche Absichten den Tugendterror nur noch unerträglicher gemacht. Daher kommt die schärfste Kritik naturgemäß von Sympathisanten, Frauenrechtlerinnen und Frauenfreunden — und umgekehrt der Bannstrahl gegen die vermeintlichen HäretikerInnen.

In der Biopolitik ersetzen Zensur und Denunziation das Argument: Konrad Paul Liessmann und Erhard Stackl werden gemaßregelt. Und wenn sie »den Feminismus diskreditieren«, werden sogar »große Geister« urplötzlich »nicht viel besser als Stammtischbrüder«, »breitbeinige Popoklopfer«, Agnes Heller »äußert sich wie ein alter Patriarch« — was unter Juden ja endemisch sein soll und daher immer abschätzig verwendet wird. Darin spiegelt sich auch die verdrängte zwiespältige Sehnsucht einer »vaterlosen Gesellschaft« nach starken, beschützenden Gestalten: Gegen längst ausgestorbene »Patriarchen« wüten nur noch die unterdrückten Söhne autoritär-schwacher und die ungeliebten Töchter kalter Väter.

Sprechen Sie bitte nicht von einzelnen Auswüchsen, solange im Namen des Feminismus Andrea Dworkin das Recht auf freie Meinungsäußerung oder MacKinnon die Freiheit der Kunst angreifen dürfen, während große Figuren von Simone de Beauvoir, Alva Myrdal und Betty Friedan bis Camille Paglia oder die junge Kathie Roiphe aus dem Feminismus hinausdefiniert werden. Im Gegensatz zu Flügelkämpfen sind Exkommunikation und andere inquisitorische Praktiken nur ein Schwächezeichen der Frauenbewegung.

Worum geht es? Können Opfer Täter werden und dennoch Opfer bleiben? Und wie schützen sich Frauen am besten gegen sexuelle Gewalt, Belästigung, Anmaßung, Unverschämtheit, Machtmißbrauch? Das sind wichtige Fragen, sie bedürfen daher ernsthafter Überlegungen und nicht hastiger und vereinfachender Antworten.

Rassismus oder Sexismus können auch in Gemeinschaften wachsen, die selbst jahrhundertelang Opfer von Gewalt und Bigotterie, Rassismus und Sexismus waren. Unterdrückte können es ihren Unterdrückern gleichtun wollen: jüdische Siedler können zu Faschisten, schwarze Aktivisten zu Rassisten, Feministinnen sexistisch oder repressiv werden. Tiefenpsychologisch heißt das Identifikation mit dem Aggressor, philosophisch eine abstrakte Negation. Zu leugnen, daß das auch im Feminismus vorkommt, heißt ahnungslos sein — oder es gutzuheißen.

Niemand würde bestreiten, daß Antisemitismus Antisemitismus bleibt, auch wenn der Autor Otto Weininger Jude ist. Warum zögern dann viele anständige Menschen, Dummheit, Lügen, Vorurteile, Rassismus, Einschüchterung, Intoleranz und Zensur beim Namen zu nennen, wenn sie von anderen traditionell benachteiligten Gruppen wie Afro-Amerikanern oder Frauen kommen? Gelten »links« niedrigere Maßstäbe?
Natürlich ist der Feminismus nicht »für das verantwortlich ... wogegen er sich wendet«. Aber er kann sexistischer Biopolitik oder repressiver Moral durch eine bloße Umkehrung der Prämissen patriarchaler Herrschaft hindurch verhaftet bleiben — und tut das nach Auffassung der Autoren. Über diese ernsthafte Kritik muß man ernsthaft, ohne Denunziation und verbalen Totschlag diskutieren dürfen. Puritanische Gesinnungstyrannei — was frau/man sagen, denken, fühlen darf oder muß — schadet nur, wo sie helfen will.
Nehmen Sie das Beispiel sexueller Belästigung. Kein sensibler Mensch wird sie verharmlosen. Auch die Autoren betonen die Gefahr des Machtmißbrauchs. Aber man muß sich fragen dürfen, ohne wie Agnes Heller klammheimlicher Komplizität mit »breitbeinigen Popoklopfern« geziehen zu werden, wie weit das Phänomen reicht, von wem es wie ausgelegt werden soll — und ob Gesetze und Gerichte der richtige Weg sind zum Schutze, oder nicht vielmehr »die Frauen infantilisieren«. Gerade selbständige Frauen halten Gesetze, die nicht nur Gewalt und Mißbrauch von Abhängigkeit bestrafen, für unwirksam, lächerlich — und demütigend für Frauen.

Grapschende Bosse und mikrophonlutschende Kotzbrocken im Parlament, das sind Auslaufmodelle und Debatten von gestern; heute geht es darum, wieviel Freiheit — auch der Frauen — einer politisch korrekten Reglementierung der Geschlechterverhältnisse zu opfern wäre. Ausnutzung von Abhängigkeit ist zu ahnden, aber Clintons angebliche »Übergriffe« müssen erst nachgewiesen und seine »sexistischen Verfehlungen« nicht bloß behauptet werden: kurzer Prozeß ist reine Feme. Und gegen lästige Kollegen oder gar aufsässige Schüler oder die Burgstallers helfen weniger Gesetze und Gerichte als Achtung aus Takt und politischer Kultur. Wer Belästigung mit Machtmißbrauch in Diktaturen gleichsetzt, verharmlost Diktaturen und erniedrigt Frauen zu Hascherln. Nur Machos sehen Frauen so hilflos und schutzbedürftig wie Kinder.

Während ich Ihre Polemik erwiderte, starb Ferry Feher, überraschend, innerhalb einer Stunde, lange vor seiner Zeit. In ihm verlieren wir nicht nur einen großen Denker, sondern einen selten aufrichtigen, wahrhaft mutigen Intellektuellen — und einen wunderbaren Menschen. Dieser redliche und couragierte Mann brauchte sich, ebenso wie seine Frau Agnes Heller, von niemandem auf die Finger oder sonst wohin klopfen oder erlaubte Gedanken Vorschreiben zu lassen.

Früher haben Feher & Heller ihren Mut mit Jobverlust und Exil bezahlt. Jetzt werden als Beispiel gelebter Gleichberechtigung von Mann und Frau und als Frauenrechtlerinnen jenseits zeit geistiger Moralkreuzzüge von ein paar Feministinnen denunziert, deren Sexismus und Intoleranz sie nicht unwidersprochen lassen — und denen man nur wünschen kann, sie wären so emanzipiert wie die »alte Patriarchin« Agi Heller.
Denunziation ist die schlimmste aller Belästigungen. Denunziation ist eine moralische Vergewaltigung, ja ein Vernichtungsversuch — gerade im kleinbürgerlich-hypermoralisierenden Intellektuellenmilieu. Hier sind »Stammtischbrüder« so vogelfrei wie »Intellektuelle« für Stammtischbrüder. Das sollten Sie wissen — und bedacht haben.

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