FORVM, ... und übers FORVM
Mai
1990

Vorausdenken und Revidieren

Gründe, ein FORVM-Leser zu werden

Mediale Öffentlichkeit besteht in Österreich zum überwiegenden Teil darin, Nachrichten und Vorurteile dermaßen zu vebinden, daß das Vor-gerichtete nachrichtlich selbst-verständlich wird. Daß die massenmediale Fast-Food-Ausgabe bis dato nicht zur allumfassenden intellektuellen Anorexie geführt hat, verdankt sich dem notorischen Querdenken einer wenngleich minoritären aufgeklärten Intelligenz. Da gesellschaftliche Diskurse über das kollektiv Verdrängte, das unterbewußt Bedrohliche sowie das vergessen Gemachte aber notwendig Kopfarbeit und nicht Muße in Aussicht stellen, liegen sie zur Kultur sowohl des bildungsbürgerlichen Feuilletons als auch des geifernden Boulevards quer. Wie prekär sich die Arbeit journalistischer Aufklärung anläßt, zeigt nicht zuletzt der erinnernde Blick auf eingestellte Zeitschriften-Projekte wie H. Irnbergers „Extrablatt“. Kontinuität findet die Geschichte der aufgeklärten Öffentlichkeit hingegen im von Gerhard Oberschlick seit 1986 herausgegebenen FORVM, das bezeichnenderweise „kulturelle Freiheit, politische Gleichheit und solidarische Arbeit“ und eben nicht bildungsbürgerliche „Brüderlichkeit“ im Untertitel führt. Dies scheint umso merkwürdiger, als das FORVM 1954 vom profilierten „kalten Krieger" Friedrich Torberg begründet und als „Monatsheft für kulturelle Freiheit“ 1954-1964 von der CIA finanziert wurde. Nachdem die CIA die ideologische Infiltration der kritischen europäischen Intellektuellen 1964 eingestellt hatte, übernahm 1966 Günther Nenning die nunmehr NEUES FORVM betitelte Zeitschrift, um daraus ein Forum der Neuen Linken unter Mitarbeit von N. Chomsky, J. P. Sartre, H. Marcuse, E. Bloch, A. Schaff u. a. zu gestalten. Unter anderem war es das NEUE FORVM, welches das Volksbegehren zur Auflösung des österreichischen Bundesheeres initiierte. In der Folge spiegelte sich der gesellschaftliche Bedeutungsverlust der kritischen Intelligenz aber auch im NEUEN FORVM wider. Die nach eine Phase bemühter politischer (Op)Positionsbestimmungen von Günther Nenning abrupt herbeigeführte Wende hin zum „ökologischen Fundamentalismus“ zu Beginn der 1980er Jahre führte nicht nur ins politische, sondern auch ins betriebswirtschaftliche „Aus“: binnen zwei Jahren sank die Abonnentenzahl um 94%. 1986 übernahm der langjährige Verlagsleiter Gerhard Oberschlick das FORVM mit der Folge, daß zwischenzeitig die Abonnentenzahl bei einer Gesamtauflage von 23.500 auf 17.000 wiederum angewachsen ist.

Das FORVM steht heute für einen zähen, gewitzten und unvoreingenommenen Diskurs, dessen Spektrum vorderhand keine Begrenzung kennen möchte. Was dem österreichischen Medienkonsens nicht objektiv genug, also hinreichend des Charakters einer Stellungnahme beraubt, zu sperrig, komplex oder langwierig ist, findet hier Raum. Günter Anders’ mehrteiliger Essay „Sprache und Endzeit„(423/424 - 1989), ein Auszug aus dem Manuskript zum dritten Band der „Antiquiertheit des Menschen“, steht stellvertretend für das nachhaltige Bemühen um Position und Standpunkt, welches gleichmütig in Kauf nimmt, im Geschwindigkeitsrausch der Neuigkeiten weit abgeschlagen zu werden, um sich dem Wesentlichen zu widmen, was auch bedeutet: an der richtigen Stelle konservativ zu sein, um progressiv zu bleiben.

Unerhörte, sich vom Konsens medialer Auf- und Abgesänge dissonant abhebende Töne auch politökonomischer Natur finden im FORVM Gehör, wie ein Essay von Peter Fleissner und Wolfgang Hofkirchner unter dem Titel „Reform oder Klassenkampf" (428/429 - 1989), der dazu lockte, wozu sich das FORVM verpflichtet fühlt: zur Kontroverse, zur unnachgiebigen Auftrennung von Wesen und gesellschaftlicher Erscheinung. Das FORVM sieht als Signet für unbequeme, schmerzliche Fragestellungen, wie unlängst ein Beitrag des Politologen Sven Papcke über die sozialdemokratische Arbeiterbewegung zwischen Programmpartei und Dienstleistungsbetrieb bewies (426/427 - 1989). Doch bleibt die Arbeit des undogmatischen Revidierens selbstgefälliger oder auch nur scheinbarer Gewißheiten, so trocken nicht. Als geradezu sensationell kann eine revidierte politische Biographie Josip Broz Titos von Pero Simić (432 - 1989) bezeichnet werden. Selten findet sich analytische Trennschärfe ohne den Witz, der den Ärger über das unverständige Bramarbasieren des neuen österreichischen Populismus oder die ignorante Rabulistik der r. k. Schafhirten erträglich gestaltet. So läßt Wolfgang Martinek in seinem geistlichen Drama „Tannhäuser 89” (426/427 - 1989) einen gewissen Krenn dozieren: „Was wir g’fragt werden bestimmen wir. Nimmer lang wird’s dauern und wir können von uns aus mit die heiklichen Sachen kommen. lnquisition und so ... ‚Jetzt werdn wir einmal Schritt für Schritt auf die Abschaffung der Zivilehe drängen. Eine Schand für ein Land mit 90 Prozent Katholiken.“ So findet die unsägliche Dummheit konservativer ordnungspolitischer Ideologien zwischen Kanzel und Biertisch ihre adäquate Form: die Satire. Journalistische Reportage, theoretische Kontroverse, kulturelle Polemik und Satire auf (in) einem Forum sind allemal ein Nahrungsmittel, dem schwerlich entraten kann, wer einmal davon gekostet hat.

aus: Wiener Zeitung Nr. 117 vom Di, 22. Mai 1990, Seite 28

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