FORVM, No. 481-484
April
1994

Wer hebt denn nun den Handschuh auf?

Zur Debatte über die Thesen Franz Koglmanns

Schön. Nachdem fast schon zu befürchten stand, Jazz (mit ihm verbundene, auf ihn bezogene oder gegen ihn produzierte Musik) würde reflexionslos versanden oder versandet werden, hat Franz Koglmann mit einem prononciert-provokativen Statement einen Akzent gesetzt. Wer seine Musik und die sich um diese rankenden Selbstbefragungen kennt, dürfte kaum überrascht sein, da sich vieles schon vor vielen Jahren andeutete, bereits vor zehn Jahren mit »Schlaf Schlemmer, schlaf Magritte« klanglich manifestierte und zunächst in Aphorismen niederschlug:

Freier als frei läßt sich nicht improvisieren

Die Revolutionen von gestern sind die Akademismen von morgen

Keine Anbetung des Moments mehr

Was anfänglich nur so hingetupft wirkte, entfaltete sich mehr und mehr zu einer ausgebauten Ästhetik, die heutigentags freilich nicht als geschlossene daherkommen kann — noch dazu bei einem Unterfangen, das ohne Widersprüche nicht denk- und praktizierbar erscheint; eine Synthese aus Jazz und amerikanischer Konzertmusik. Koglmann Ungereimtheiten vorzuwerfen, kommt mir beckmesserisch vor, zumal er die Skepsis einprogrammiert.

Sich selbst in Frage stellende Musik,

heißt es schon in den 1987 veröffentlichten Gedankensplittern »Kein, nicht und aber«. Den eigenen Kunstanspruch verbindet Franz Koglmann mit dem Vorsatz, legitimer Nachfahre einer Linie von Bix Beiderbecke über Chet Baker bis hin zur Gegenwart zu sein. Andererseits strebt er danach,

Jazz gegen die Jazzszene

zu produzieren. Und wer seine Musik kennt, weiß ja auch genau, was gemeint ist. Einerseits hebt Koglmann bisweilen auf die Synthese, eingestanden oder uneingestanden vielleicht auch auf die Vollendung, ab; andererseits offenbart er einen Zweifel, der, würde er aus Kritikermund kommen, verletzender wirken könnte als alle kleinlichen Bedenken und Vorhaltungen. Den nämlich, »daß eine zwei Kulturen verbindende Musik schlußendlich alles oder nichts, also weder E-Musik noch Jazz ist«/sein könnte. Koglmann lebt mit dem Risiko und weiß dieses zu reflektieren.

Mir der Gefahr bewußt, des Versöhnlertums bezichtigt zu werden, der Polemik auszuweichen, dem heute oftmals modisch als »anything goes« verbrämten Weg des geringsten Widerstandes zu folgen, muß ich gestehen, daß mir die Position von Franz Koglmann sympathisch ist, ohne daß ich ihr in allen Punkten folgen könnte.

Mir scheint, ein Künstler — sei er Musiker, Maler, Literat, was auch immer — muß überziehen (wohlwollend mag man auch von Konsequenz sprechen), kann sich, sofern es ihm oder ihr nicht um marktgerechte Anpassung geht, keiner vorgedachten Ästhetik anschließen, sondern ist gehalten, seine/ihre individuelle zu entwickeln. Problematisch wird es allenfalls dann, wenn der eigene Anspruch zum allgemeinen Postulat gerät. Wer Kunst macht, kann nicht »objektiv« sein. Wer Kunst vermittelt, reflektiert, über diese publiziert oder sie kritisiert, kann es auch nicht. Dennoch haben beide einen unterschiedlichen Grad an Freiheit.

Für den Produzenten verknüpft sich alles mit dem eigenen Werk oder dem »work in progress«; für den »von außen« Reflektierenden gibt es zumindest die Chance einer multiperspektivischen Betrachtung, die ich bevorzuge, ohne es allen recht machen und alles unterschiedslos gutheißen zu wollen. Ich bin Franz Koglmann dankbar für seinen Entwurf einer »alternativen Jazzgeschichte«, für die Zuwendung zu vermeintlichen Außenseitern und Komplementärerscheinungen. Und selbst die auf manche von uns einseitig konstruiert wirkende »white line« macht etwas deutlich, was in »ausgewogenen« Jazzgeschichtsdarstellungen unterbelichtet oder gar unterschlagen wird. Nur: das Ganze ist ein Knäuel von Linien, folgerichtigen Entwicklungen und Zickzackbewegungen. Und zuweilen ziehe ich es vor, einer »schwarzen« Linie zu folgen oder mich an einer der anderen Komplementärerscheinungen zu erfreuen.

»Wer Jazz spielt (komponiert)«, heißt es in einem frühen Koglmann-Text, »ist mit der ganzen Geschichte des Jazz verbunden, existiert also im Gefüge einer Kontinuität, der er sich bewußt werden sollte.« Das gilt noch viel mehr für diejenigen, die Jazz zum Vergnügen (wozu sonst?) hören. Vergnügen bedeutet nicht zwangsläufig dem Trivialisierungsdruck nachgehen. Andererseits gibt es manches, was zwischen Kunst und Trivialem changiert oder doppelt konnotiert werden kann — auch in der Musik Koglmanns!

Klar wie kaum ein anderer hat Franz Koglmann die Paradoxien spontanen Improvisierens offengelegt:

Anspruch des Extemporierens und Demonstration des Angelernten

Das kann so wohl nur einer umreißen, der das am eigenen Leib zu spüren bekam. Doch meine ich, wie Peter Niklas Wilson, daß keineswegs alle der frei Improvisierenden der Naivität des voraussetzungslosen Schöpfungsaktes aufsitzen. Und Klischees können sich freilich auch in Komposition (was Koglmann zugibt: »Gefangener der eigenen Schreibweise«) und in den Versuch einer Synthese aus Komposition und Improvisation einschleichen. Offensichtlich führt nicht eine bestimmte Methode, sondern erst eine bestimmte Haltung, Qualität, Souveränität zum Durchbrechen des Gewohnten.

Zu fragen wäre freilich auch, ob Klischees prinzipiell negativ konnotiert werden müssen, ob sie nicht vielleicht unter Umständen auch einen Schatz darstellen können, und ob vieles nicht eine Frage des Zusammenhanges (oder in Koglmanns Terminologie: eine Frage der »Komplexität«) ist. Im Jazz jedenfalls galt noch nie irgendein Reinheitsgebot, und Peter Rüedis »Versuch über den Schmutz, die vermischten Verhältnisse, die Trübungen, die unreinen Zustände, die dirtyness im Jazz« erhellt mehr als ein Exkurs über Clusters und Blue Notes.

Ob es mit dem Jazz ein Ende habe, was Koglmann anläßlich des Todes von Miles Davis in seinem Tagebuch besiegelte, ist eine Frage, die wohl viele angesichts der ausufernden Revivalbestrebungen (in denen sich Bebop und zuweilen gar Free Jazz wie früher Dixieland ausnehmen) bewegt.

Doch auch im Revival steckt manchmal noch Leben, und an den Rändern des Geschehens passiert so viel, daß mir der Ruf nach künstlicher Beatmung noch lange nicht angezeigt scheint. Auf dem »hausbackenen Mittelweg«, von dem sich Franz Koglmann bewußt fernhält, kommt uns freilich eine Flut von Erscheinungen entgegen, die vieles erdrückt, sich um nichts schert und die Reflexion ignoriert. Nur ihr gegenüber verhält sich Koglmann letztlich provokativ. Aber, und das ist, so schön es auch sein mag, miteinander zu debattieren, das leicht Deprimierende dabei: es wird gar nicht bemerkt.

Der Fehdehandschuh bleibt dort, wo Jazz von Karawanen praktiziert, gesendet und versendet wird, am Wegesrand liegen. Kann man das, lieber Franz, als Wiener Melancholie verbuchen?

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