Heft 1/2000
Februar
2000

Widerstand, Staat und Gewalt

Ausländer, Fremde sind es meist,
die unter uns gesät den Geist
der Rebellion.
Dergleichen Sünder gottlob!
sind selten Landeskinder.
- Heinrich Heine -

Die Strategie, die Heine 1853 ironisch auf den Punkt brachte, erfreut sich auch heute noch ungebrochener Beliebtheit: So machte an den Tagen nach dem Wasserwerfereinsatz bei einer der Wiener Demonstrationen die Meldung die Runde, deutsche Berufsanarchisten hätten die Demonstration unter ihre Kontrolle gebracht und die unbedarften DemonstrantInnenfür ihre Gewaltorgien instrumentalisiert. Das staatsbürgerliche Bewußtsein kann dort, wo Fundamentalopposition sich äußert, nur zersetzende, ausländische, gewalttätige Mächte am Werk sehen. Das alltägliche, staatlich organisierte Zusammenleben erscheint dem gesunden Menschenverstand als gewaltlose Interaktion, die nur durch äußerliche Kräfte gestört werden kann. Ein Blick auf die grundsätzliche Konstitution von Staatlichkeit könnte einen eines Besseren belehren.

Max Weber, jeder revolutionären Ambition unverdächtig, charakterisierte diese folgendermaßen: „Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebiets, (...) das Monopol physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart spezifische ist, daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt: er gilt als alleinige Quelle des ‚Rechts’ auf Gewaltsamkeit.“ Damit ist klar, daß es in der Gesellschaft nur eine Instanz gibt, die festlegt, was als legale Gewalt gilt und was nicht. Gewaltsamkeit gilt insofern als legal, als die staatliche Ordnung sie toleriert, genehmigt oder vorschreibt. Das staatlich organisierte Töten beim Bundesheer etwa gilt gegebenenfalls als Bürgerpflicht, die einem sogar höchste staatliche Auszeichnungen bescheren kann. Umgekehrt kann schon ein explodierender Feuerwerkskörper als terroristischer Akt gewertet werden. Auch eine Sitzblockade vor einer schwer bewaffneten Polizeieinheit kann demgemäß als illegale Gewaltausübung denunziert werden, die der Auflösung durch massiven Schlagstockeinsatz bedarf — der wiederum legal ist.

Vom Anliegen der Kritik an der derzeitigen Regierung bleibt nur noch das Bekenntnis zur gewaltförmigen Instanz Staat übrig. Dies ist keine Kritik, sondern autoritäre Rebellion, die am Bestehenden so wenig leidet, daß sie nicht einmal wagt, über es hinauszudenken. Die Forderung nach Gewaltlosigkeit auf Demonstrationen müßte allererst dem Gewaltmonopolisten und dessen Repräsentanten gelten, sprich die Aufforderung an den verlängerten Arm des Rechtsstaates implizieren, sich seiner Waffen und Rüstungen zu entledigen.

Wer sich auf Staatlichkeit beruft, affirmiert damit immer schon die Definition von legaler Gewalt und damit von Gewalt überhaupt. Gewalt ist staatlicher Existenz immer schon vorausgesetzt und eine der Bedingungen ihres Vollzugs. Sie ist nicht der Gegensatz zum Recht, sondern seine unabdingbare Voraussetzung. Die Funktion des Staates und seines Gewaltmonopols ist es nicht, möglichst gutes, herrschaftsfreies Zusammenleben zu organisieren, sondern die Aufrechterhaltung einer gesellschaftlichen Formation zu garantieren.

Das staatsbürgerliche Bewußtsein ist zu keinerlei Aufklärung über seine historischen Wurzeln und Bedingungen fähig. Die Aussage „Menschenrechte können nicht mit Gewalt erkämpft werden“, die auf einem Transparent zu lesen stand, ignoriert das Wesen der Menschenrechte, die mittels Revolutionen erkämpft werden mußten. Angesichts der jüngsten Vergangenheit, in der sich die bürgerliche Öffentlichkeit auf die Fahnen schrieb, im Kosovo mit Waffengewalt die Menschenrechte herbeizubomben, zeigte sich einmal mehr, daß gerade diese grundlegendsten Rechte explizite staatliche Gewaltaktionen legitimieren. Dies ist kein Mißbrauch dieser Rechte, sondern ihre konsequente Anwendung.

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