Amelie Lanier, 2. Andere
Dezember
2019

Zur Debatte über die Ermordung der Zarenfamilie

I. Die Vorgeschichte

Da es die Angelegenheit inzwischen bis nach Hollywood geschafft hat, sollte man die Figur des letzten Zaren ins rechte Licht rücken. Er war nämlich ein ziemliches Würschtl, der weder den Haß verdient hat, der ihm zu seinen Lebzeiten entgegengeschlagen ist, noch die Verehrung, die ihm nach seinem Tod zuteil wurde. Er war eine unbedeutende Persönlichkeit, die auf einen historischen Feuerstuhl geraten war, auf dem sie verbrennen mußte.

Nikolaus II. war der Enkel von Alexander II., dem großen Reformer und „Befreier“, der von den Narodowolzen 1881 bei einem Attentat getötet wurde.
Der Vater von Nikolaus, Alexander III. sah den Job des Regierungsoberhauptes deshalb als zu riskant an. Er richte eine Art Regentschafts- oder Ratsherren-System ein, dessen oberster Leiter Konstantin Pobedonoszew wurde.
Regieren, sich die Hände schmutzig machen und sich dem öffentlichen Leben aussetzen sollten Profis, der Zar habe das nur abzusegnen. So wurde Nikolaus II. erzogen: Lies gut durch, was man dir vorlegt, und unterschreib es dann. Die Zaren hielten sich auch wenig in Petersburg auf, sondern gut abgeschirmt auf ihren Palästen in der Umgebung: Alexander III. in Gatschina, Nikolaus II. in Zarskoje Selo. Sie hatten keine Ahnung, was im Land vorging. Sie wollten es auch nicht wissen.
So entstand mit Nikolaus II. eine Person, der bei schwierigen Entscheidungen verzweifelt von einem Ratgeber zum anderen wieselte und sich am Ende von allen, einschließlich seiner eigenen Frau, aufs Brot schmieren ließ, und dessen erster selbstbestimmter Akt seine Abdankung war.

Der Schriftsteller Edvard Radzinski beschreibt in seiner Rasputin-Biographie den Zarenhof als ein Zentrum des Aberglaubens und Obskurantismus, wo sich an Geister aller Art glaubende montenegrinische Prinzessinnen, Wahrsagerinnen, Abenteurer, Höflinge und Schmeichler die Klinke in die Hand gaben, und wo zwischen Bigotterie und Tischrücken eine Figur wie Rasputin noch vergleichsweise rational erscheint. Man fragt sich angesichts dessen, wie Rußland als Staatswesen es überhaupt bis zur Oktoberrevolution geschafft hat.
Die Prophezeiung, die Rasputin – nach mehreren Anschlägen auf sein Leben – angeblich Nikolaus II. zukommen ließ:

Wenn mich jemand von meiner Art umbringt, ein russischer Bauer und Muschik, so wird nichts geschehen. Wenn es aber jemand aus deinem Lager sein sollte, aus dem Adel, so wird es das Ende deiner Familie und deines Reiches sein,

kann man auch als eine Empfehlung an den Zaren verstehen, einmal in seinem Sauhaufen aufzuräumen, die sich in die Form einer Prophezeiung kleidete.

Das überforderte Nikolaus II. aber, auch angesichts des Weltkrieges, in dem sich Rußland damals bereits befand.

In mancherlei Hinsicht hatte Nikolaus II. einfach auch Pech.

Zu seiner Thronbesteigung 1896 wollte er Gutes tun und eine Art öffentliche Ausspeisung veranstalten, damit auch seine Untertanen etwas von dem Regierungswechsel verspürten. Die Organisation dieser Angelegenheit wurde seinem Onkel Sergej anvertraut, vermutlich – wie für ihn üblich – nicht einmal von Nikolaus selbst.
Dieser Onkel, der sich hier gründlich unbeliebt machte und später von den Sozialrevolutionären ermordet wurde – Details kann man hier nachlesen – wählte für diese öffentliche Ausspeisung das Gelände eines Truppenübungsplatzes bei Moskau aus, das aufgrund seines unebenen Bodens für dergleichen Veranstaltungen denkbar ungeeignet war. Man muß aber auch erwähnen, daß es vorher einige Großveranstaltungen dort gegeben hatte. Sergej wußte nur nicht, daß das Gelände seither durch einige Manöver voller Gräben und Löcher war.
Der Tragödie auf dem Chodinka-Feld fielen in einer Massenpanik 1400 Menschen zum Opfer und trotz reichlicher Entschädigungszahlen war Nikolaus’ Ruf gründlich beschädigt: Das Unglück wurde als Omen genommen, Nikolaus wurde als „blutiger Zar“ betitelt, der Unglück über Rußland bringen würde, und konnte diesen Makel nie mehr abschütteln.

Dann kam der Blutsonntag von Petersburg, wo sicher auch nicht er selbst den Schießbefehl gegeben hatte. Die Revolution von 1905 und der verlorengegangene Russisch-Japanische Krieg taten ein Übriges.
Von da an wurde Nikolaus für jeden Sack, der irgendwo umfiel, verantwortlich gemacht. Er konnte einfach nichts mehr richtig machen. Machte er eine Reform, gab einen Erlaß heraus, so war es die falsche Maßnahme, oder zu spät. Machte er nix, so war das sein Fehler. Ließ er Leute erschießen, so war das „Repression“, ließ er sie laufen, so war das Laxheit und Milde am falschen Platz.

Auch die spätere Geschichtsschreibung machte ihn in einer Art negativem Personenkult lange in genau dieser Art für alles verantwortlich, was sich im Zarenreich ereignet hatte. Man gab ihm die Schuld für die Entstehung der Sowjetunion und lange herrschte auch die Auffassung, daß er sehenden Auges in sein Verderben gelaufen sei und eigentlich sein Schicksal verdient hätte.

Die Zarenfamilie 1913

II. Abdankung, Verhaftung und Tod

1. Zwischen der Abdankung und Tobolsk

Die Februarrevolution fegte ihn vom Thron, aber nicht aus seiner Residenz. Dort war er zwar unter Hausarrest, was sich nicht wesentlich von seinem Vorkriegsleben unterschied, und gab sich mit seiner Familie dem süßen Nichtstun hin.
In dieser Zeit suchte er in Großbritannien um eine Art Asyl an. Nach anderen Quellen war es gar nicht er selbst, sondern Mitglieder der Provisorischen Regierung, die aus Imagezwecken den Zaren loswerden wollten. Der Bürger Nikolaus Romanow begann zu stören.
Aber sowohl die königliche Familie als auch die britische Regierung lehnten ab.

Ein abgesetzter, noch dazu abgedankter Monarch ist nämlich ein Paradox für andere Monarchien. Was ist mit dem Gottesgnadentum des Königs? Seiner Legitimation? Man könnte anfangen nachzufragen, welche Legitimation der eigene König, die eigene Regierung eigentlich haben?
Im Vereinigten Königreich fürchtete man also eine Art Ansteckung mit dem Revolutionsbazillus.

Aus dem britischen Königshaus kam nach der Wende einiges an Geld, um die sterblichen Überreste der Zarenfamilie aufzufinden und angemessen zu bestatten. Der Eindruck entsteht, man hätte dort ein etwas schlechtes Gewissen.

Schließlich wurden die Ex-Zars im August 1917 im Auftrag der Provisorischen Regierung nach Tobolsk in Sibirien transportiert.

Wie weit das mit der Zarenfamilie abgesprochen war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Mindestens genauso wie linke Missetäter, die sich an den Zaren vergreifen könnten, fürchteten Kerenski & Co. nämlich die Deutsche Armee, gegen die gerade im Juli eine Offensive gescheitert war. Die Gefahr einer deutschen Besatzung Petrograds, die dann eine neue zaristische Regierung von deutschen Gnaden einsetzen und die Provisorische Regierung zum Teufel jagen würde, stand im Raum.
Es ist anzunehmen, daß diese Entscheidung in Einverständnis mit der Zarenfamilie erfolgte. Dem Ex-Zaren behagte der Gedanke, den Deutschen in die Hände zu fallen, zu diesem Zeitpunkt sicher nicht – obwohl und vielleicht gerade weil der Deutsche Kaiser ein Verwandter von ihm war. Von seinem Cousin als Schlappschwanz verhöhnt zu werden, der nicht einmal seine eigenen Untertanen im Griff hatte, wäre ihm vermutlich auch nicht recht gewesen.

In Tobolsk wohnten die Zars zwar nicht mehr besonders luxuriös, aber man richtete sich ein.

Das Ipatiev-Haus

2. Finale

Die Bolschewiki erbten nach der Oktoberrevolution das Problem „Wohin mit dem Ex-Zaren + Anhang?“ Langsam verwandelten sich diese Menschen in eine Art Sondermüll, den man loswerden mußte.

Warum sie dann im April und Mai 1918 von Tobolsk nach Jekaterinburg kamen, ist ebenfalls umstritten. Sicher ist nur so viel, daß man sie ursprünglich nicht nach Jekaterinburg, sondern über den Ural bringen wollte, ins europäische Rußland. Nach Moskau oder anderswohin? Zwecks Prozesses, Inhaftierung oder Auslieferung an Deutschland?
In Jekaterinburg erwartete den Ex-Zaren eine aufgeregte Menge am Bahnhof, die ihn lynchen wollte. Man darf nicht vergessen, daß er eben aufgrund der vorher beschriebenen Ereignisse höchst unpopulär war.
Es waren die Roten und Parteifunktionäre, die ihn und seine Familienmitglieder in Sicherheit brachten. Und schließlich das Ipatjew-Haus als Residenz auswählten.
Das geschah deswegen, weil es sich unter den gegebenen Umständen als unmöglich erwies, ihn und seine Familie heil über den Ural nach Westen zu transportieren.
Im Ipatjew-Haus wurden sie bewacht – nicht so sehr, um eine Flucht zu verhindern: Dazu fehlte der Zarenfamilie jede Initiative und auch Möglichkeit –, sondern um sie vor rachsüchtigen Bürgern zu schützen.

Man muß sich auch die Situation vor Augen halten, die im Frühjahr und Frühsommer 1918 in Rußland herrschte.
Die Tschechoslowakische Legion begann zu meutern, sie nahm auch in den Tagen rund um die Erschießung des Ex-Zaren – Ende Juni, Anfang Juli 1918 – Jekaterinburg, und später auch andere Städte des Urals ein.
Japanische und britische Truppen marschierten im April in Wladiwostok ein.
Die Briten nahmen im Juni Murmansk, später Archangelsk ein.
In der Ukraine wurde im April 1918 der Hetman Skoropadski eingesetzt, die Armeen Österreichs und Deutschlands requirierten, was das Zeug hielt, um ihre leeren Speicher zu füllen – und damit den Weltkrieg weiterführen zu können.

Der Hunger der damaligen Großmächte, die immer gierig auf die Weiten Rußlands geschaut hatten, rührte sich und sie sahen die Gelegenheit gekommen, sich hier ein ordentliches Stück abzubeißen.
Alle diese Interventionen gingen übrigens mit einer ähnlichen Verachtung gegenüber der lokalen Bevölkerung einher wie die der Wehrmacht im II. Weltkrieg. Beim geringsten Widerstand wurden die örtlichen Bewohner von den Besatzern niedergemetzelt. Da unterschieden sich die Briten nicht von den Deutschen, Österreichern oder Japanern.

Niemand, weder die Bolschewiki und ihre Anhänger noch sonst jemand wußte, wie die Sache weitergehen wurde.

In dieser Situation war die Zarenfamilie nur noch lästig. Und man vergesse nicht, das Prinzip, sich durch Liquidation lästige Leute vom Hals zu schaffen („Ist der Mensch weg, so ist das Problem weg“, Leitspruch der Tscheka) beginnt und endet in der Sowjetunion nicht bei der Zarenfamilie.

3. Die Erschießung und Bestattung

Der Vormarsch der Truppen Koltschaks besiegelte schließlich das Schicksal der Zarenfamilie: Sie mußten weg, um nicht dem Feind in die Hände zu fallen und für eine Restauration verwendet zu werden.

Die Ermordung der Mitglieder der Zarenfamilie wurde vermutlich nicht von den Personen entschieden, die sie durchführten. In Anbetracht der ungewöhnlichen Situation und der unklaren Folgen dieser Handlung wurden jedoch die Weisungen, die sie erhielten, nicht schriftlich niedergelegt, sodaß sich die Befehlskette nicht dokumentieren läßt.

Verschiedene Mitglieder des Erschießungskommandos unter der Leitung von Jakov Jurowski hinterließen, ebenso wie er selbst, Gedächtnisprotokolle. Denen ist zu entnehmen, daß die Teilnahme freiwillig war. Wer keine Frauen und Unbewaffneten erschießen wollte, wurde davon befreit.
Die Exekutoren gingen mit bemerkenswerter Gefühlskälte und Professionalität vor. Es ist wichtig, auf diesen Umstand hinzuweisen, weil in der antisowjetischen Literatur oft behauptet wird, es seien Sadisten gewesen, die die Exekutierten vor ihrer Erschießung gequält und gefoltert hätten. Nichts davon ist wahr.

Ihre Aufgabe war, die Zarenfamilie so zu beseitigen, daß ihre Überreste nicht auffindbar wären, sobald die Weißgardisten die Stadt einnehmen und nach ihnen forschen würden.

Dieser Aufgabe stellten sie sich und vollendeten sie.

Die Erschießung und der Abtransport fanden nachts statt, um keinen Verdacht zu erregen. Sie führen die Toten zu stillgelegten Bergwerksschächten außerhalb der Stadt. Als der LKW im Schlamm steckenblieb, wurden die Leichen auf Karren weitertransportiert. Sie wurden entkleidet, teilweise zerhackt, mit Säure übergossen, die Kleidung verbrannt.
Das Gelände rund um den Ort, wo solches geschah, wurde großräumig abgesperrt. Schließlich wurde der Schacht, in dem die Leichenteile landeten, mit Baumaterialen zugeschüttet. Da nicht alle in einem Schacht Platz hatten, wurden zwei Leichen etwas abseits in ähnlicher Weise verscharrt und verschüttet.

Die Aktion war insofern erfolgreich, als es dem weißgardistischen Offizier Sokolow während der Besetzung Jekaterinburgs durch die Koltschak-Armee nicht gelang, die sterblichen Überreste zu finden. Um diesen Mißerfolg schönzureden, behauptete er in seinen Memoiren, sie seien von den Mördern vollständig vernichtet worden.

Diese Behauptung hat sich inzwischen unter Monarchisten zu einer festen Überzeugung etabliert.

Eine Gedenkstätte im Wald nordwestlich von Jekaterinburg (bei Koptjaki),
wo die Zarenfamilie weder vergraben war, noch ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. (Sie wurden 1998 in der „Zarengruft“ in der Peter-Pauls-Festung in Petersburg bestattet)

III. Die Nachwelt

Die Debatte, von wem die Erschießung der Zarenfamilie beschlossen und von wem sie nur durchgeführt wurde, ist rein scholastischer Natur, d.h., wichtige Fragen werden von ihr nicht berührt. Sie läßt die die äußeren Umstände völlig außer Acht und möchte der sowjetischen Führung – und deren vermeintlichen Handlangern – Schuld zuschreiben, mit der relativ durchsichtigen Absicht, alle anderen Faktoren wegzuretuschieren.
Die Interventionen der anderen Beteiligten aus Europa und den USA werden dabei entweder überhaupt ausgeblendet, oder auf diese Weise nachträglich gerechtfertigt.

Letztlich soll dabei nachgewiesen werden, daß die Sowjetmacht ein „Unrechtsregime“ war, was man unter anderem an der Beseitigung der „rechtmäßigen“ Regierenden erkennt.

1. Die Untersuchungen und die Exhumierung

Zunächst nahmen die Truppen Koltschaks Jekaterinburg einige Tage nach der Erschießung der Zarenfamilie am 25. Juli 1918 ein und versuchten, ihre sterblichen Überreste aufzufinden. Vorher waren aber Souvenirjäger im Ipatjew-Haus aus- und eingegangen und hatten alles mögliche mitgehen lassen. Die Spurensicherung war also nicht gut.
Außerdem wurden die republikanisch orientierten Beamten (zum Teil Sozialrevolutionäre) von Koltschak nach einer Art Putsch innerhalb seiner Truppe durch monarchistische ersetzt. So kam der Akt an den Offizier der Weißen Armee Nikolai Sokolow. Die von ihm gesammelten und in die Emigration nach Frankreich mitgenommenen Daten erschienen nach seinem etwas rätselhaften Tod posthum 1925 in Frankreich unter dem Titel „Die Ermordung der Zarenfamilie“. Da seine Suche erfolglos blieb, meinte er, alle Spuren seien restlos beseitigt worden.

Die damalige Suche nach dem Verbleib der Zarenfamilie wurde zusätzlich durch eine eigenartige Figur des weißen Militärgeheimdienstes vernebelt, der die Version in die Welt setzte, nur der Zar selbst oder am Ende gar niemand sei ermordet worden.
Möglicherweise wollte er damit den weißen Truppen Legitimität verschaffen, sie sozusagen als Stellvertreter des Zaren erscheinen lassen, die dann später von ihm in ihrem Amt bestätigt werden würden.
Dazu kam auch noch, daß ein Mitglied des Erschießungskommandos zwar von den weißen Truppen verhaftet worden war, aber bevor er genau befragt werden konnte, im Gefängnis verstorben war.

1928 wurde Vladimir Majakowski nach Jekaterinburg, damals bereits Swerdlowsk, geschickt, um darüber zu berichten, „wo das Volk einen Punkt hinter die Monarchie gesetzt“ habe. Er schrieb das Gedicht „Imperator“, wo er eine Straße und eine Zirbe als Ort der Bestattung angibt.

Das Ipatjew-Haus wurde 1977 abgerissen. Es hatte sich zu einer für die sowjetischen Behörden unangenehmen Erinnerungsstätte verwandelt, an der stets zum Todestag der Zarenfamilie Blumen in nicht geringer Menge niedergelegt wurden.
Jelzin war damals Gouverneur der Region Swerdlowsk, aber die regionalen Behörden führten nur einen Beschluß des Politbüros aus.
Das Haus wurde zunächst von innen ausgehöhlt, sodaß die Passanten bis zum Schluß nichts wahrnahmen – niemand wollte Aufläufe entrüsteter Bürger – und dann über Nacht vollständig abgetragen, sodaß am nächsten Tag nichts mehr da war.

Zwischen 1976 und 1979 suchten und fanden ein Regisseur, ein Archäologe aus Swerdlowsk und deren Mitarbeiter auf eigene Initiative aufgrund von Sokolows und Majakowskis Angaben das Grab, einen Schacht in einem Wald bei Swerdlowsk.
Die Aktion war allerdings geheim, öffentlich konnten diese Funde damals nicht gemacht werden. Sie vergruben alles wieder und markierten den Ort.

Aufgrund der Angaben dieser privaten Nachforschungen wurden die sterblichen Überreste der Zarenfamilie im Sommer 1991, noch vor der Auflösung der SU, exhumiert.
Wer gab die Anordnung dazu?
Jelzin selbst – der natürlich um die Funde der 70-er Jahre wußte – um sich damit in Ost und West beliebt zu machen? Die örtlichen Behörden?

Die Knochen zweier der Kinder der Zarenfamilie wurden erst 2007 in einiger Entfernung gefunden.

Um die sterblichen Überreste der Zarenfamilie gibt es eine ziemliche Verwirrung, weshalb die Russisch-Orthodoxe Kirche bis heute diese nicht als authentische anerkennt.
Mit Berufung auf Sokolows Untersuchungen behaupten kirchliche Kreise, es handle sich um eine großangelegte Fälschung: Es ginge um die Knochen irgendwelcher gewöhnlichen Erdenbürger, die hier sozusagen der Menschheit untergejubelt werden sollen, um womöglich einen auf falschen Voraussetzungen beruhenden Reliquienkult loszutreten. 

Roma-Kinder in Jekaterinburg betteln japanische Touristen an,
die sich gerade die „Kirche über dem Blut“ (Hintergrund) angeschaut haben.

2. Die Russisch-Orthodoxe Kirche

Nach der Oktoberrevolution spaltete sich der russisch-orthodoxe Klerus in mehrere Fraktionen.

Die einen kollaborierten mit den Bolschewiken, unter der spirituellen Leitung des Patriarchen Sergius.
Die Gegner dieser Zusammenarbeit bildeten die sogenannte „Katakombenkirche“, im Geheimen tätige, antisowjetisch eingestellte Gläubige, die sich durch ihre lokale Isolation, Untergrund-Tätigkeit und weitgehendem Verzicht auf schriftliche Verlautbarungen sowohl der Verfolgung durch die Behörden als auch der Erforschung der Nachwelt entzogen bzw. entziehen.
Dazu kam die Emigration, und die Zersplitterung in verschiedene Vertreter der Orthodoxie im Ausland, die einander nicht sehr grün waren und den jeweils anderen Kirchenhäuptling als Rivalen betrachteten.

Es ging hier bei allem religiösem Eifer um einiges an Geld, weil die russischen Emigranten wollten betreut sein, und nicht alle waren arm. Andere orthodoxe Kirchen boten Asyl und Schützenhilfe. In New York, in Finnland, in Kanada, in Serbien, in Österreich organisierten sich russisch-orthodoxe Grüppchen, die sich im 2. Weltkrieg weiter auseinanderdividierten an der Frage, wen man denn gegen den sowjetischen Antichristen unterstützen solle.

Nach 1991 begannen Wiedervereinigungsversuche. Es ist bis heute undurchschaubar, wer jetzt welchem Zweig der russisch-orthodoxen Kirche angehört, und mit welchen Extrawürschten. Dazu kommen die Streitereien der neueren Zeit mit Kiew.

Auch hier geht es wieder um Geld. Die Auslandskirche hat viel Vermögen darüber angesammelt, daß reiche Emigranten ihr Vermögen hinterließen, um dann sicher in den Himmel zu kommen. In Rußland selbst wurde viel Kirchenvermögen restitutiert, und seit Jelzin wird die orthodoxe Kirche vom Staat, aber auch von Teilen der neuen Unternehmerklasse finanziell unterstützt.
Bei all diesen Verhandlungen wurde die Frage der Zarenfamilie und ihrer Ermordung und Exhumierung zu einem Art Dauerthema. Weil schließlich ist der verstorbene Zar ein wichtiger Legitimierungs-Trumpf. Wer seine Gebeine hat, wer sich auf ihn berufen kann, steht über den anderen. Die einen und die anderen sagen: Wir waren immer zarentreu – deswegen sind wir emigriert/geblieben, haben dies oder jenes gemacht …

Diese Debatten und Rivalitäten mündeten im Jahr 1998 in einen Eiertanz um die Echtheit der Gebeine und die Bestattung derselben in der Zarengruft, und 2000 in die Heiligsprechung des Zaren durch die russisch-orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat).

Sie hinkte damit eigentlich nur hinterher, weil die russisch-orthodoxe Auslandskirche (New Yorker Patriarchat) diesen Schritt bereits 1981 vollzogen hatte.

Mit der Heiligsprechung erklären die Oberhirten nämlich sich als zuständig und legitimieren ihre eigene Stellung.

Während also verschiedene Fraktionen der russischen Orthodoxie darüber wetteifern, Nikolaus zum Märtyrer des Glaubens zu erklären – inhaltlich ein Unfug, weil er wurde ja umgebracht, weil er Zar war und nicht wegen seines Glaubens – hat auch die Geschichtsschreibung im In- und Ausland nachgezogen und verklärt die Person des letzten Zaren zu einem gütigen Landesvater, der nur aufgrund unglücklicher Umstände an all den Wohltaten gehindert worden ist, die er eigentlich vorgehabt hätte.

Eine der vielen Ikonen,
die seit der Heiligsprechung über die Zarenfamilie gemalt worden sind
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