FORVM, No. 233
Mai
1973

Bemerkungen zur neuesten Neuen-Forum-Krise

1. Eigentumsübergabe, sonstiges Materielles

Ich war Alleineigentümer des „Neuen Forums“. Ende 1970 übergab ich es dem Verein der Redakteure. In den rund zweieinhalb Jahren seither erhielt ich von den 200.000 S Stammkapital 69.080 S zurückbezahlt auf Beschluß der Redaktionskonferenz, in monatlichen Raten, zu einer Zeit, wo ich aus politischen Gründen kaum als Journalist Beschäftigung fand, z.B. als zu weit links aus dem Fernsehen flog. Außer monatlich 6.250 S Spesenersatz gegen Beleg bekomme ich vom NF nichts. Ich verdiene daneben als Journalist und zwar — von politisch bedingten Pausen abgesehen — ganz gut. Vom NF habe ich den weiteren Vorteil, daß ich Räume und Sekretariat mitbenütze.

Die 200.000 S Stammkapital habe ich seinerzeit bar einbezahlt, aus Ersparnissen von 20 Jahren journalistischer Tätigkeit. Etwa ebensoviel habe ich noch auf der Bank; mit diesem Rest bin ich Bürge für einen NF-Kredit. Für sonstige NF-Kredite bin ich persönlich mitverpflichtet in Höhe von über 700.000 S (siehe Bilanz in diesem Heft).

2. Selbstverwaltung, sonstiges Ideelles

Ich habe seinerzeit das NF der Redaktion übergeben aus demokratischer Abenteuerlust. Das Abenteuer hat sich gelohnt, siehe z.B. die Austritts- und Verbleibserklärungen in diesem Heft.

Nach rund zweieinhalb Jahren Eigentümerschaft der Redakteure ist, meine ich, folgendes erreicht und folgendes nicht erreicht.

Erreichtes:

  1. Fast kompletter redaktioneller Freiheitsraum für die Eigentümer-Redakteure (siehe hier das diesbezügliche Zeugnis unseres linksten Flügelmannes Dr. Burian). Jeder kann alles schreiben, außer wilde persönliche Angriffe auf Leute, denen wir unsere Kreditmöglichkeiten verdanken (dann würde ich als Geschäftsführer sagen: Bitte nicht, wir wollen weiterleben, damit wir — davon abgesehen — alles sonstige schreiben können). Es kann nicht nur jeder Eigentümer-Redakteur fast völlig frei schreiben, es können auch alle zusammen — als Redaktionskonferenz — darüber beschließen, wiederum fast völlig frei (mit der einen, oben genannten Einschränkung), was sonst in jedem Heft des NF stehen soll oder nicht. Über beinahe 1000 Seiten im Jahr derart Verfügung zu haben, das macht einen Unterschied zum sonstigen Redakteurs- oder Journalistendasein: dienstliche Bindung an den Willen des Blatteigentümers oder freies Hintragen eines Artikels und warten auf die Entscheidung des Redakteurs, nimmt er ihn oder nicht. Das ist der Grund, warum die verbleibenden Eigentümer-Redakteure bleiben. Nachteil so freien Verbleibens: Niemand ist fix angestellt, weil das Geld nicht reicht. Jahresauszahlung für Artikel und sonstige Arbeit der Redakteureigentümer: 1971: S 136.645; 1972: S 190.965.
  2. Teilnahme aller Angestellten an der Selbstverwaltung. Redaktionssekretärinnen, Buchhalterinnen, Vertriebsleiter (insgesamt 5 Personen) sitzen in jeder Redaktionskonferenz. Sie haben gleiches Eigentum und gleiche Stimme wie die Redakteure. Sie nützen dies auch. Der Entscheidungsprozeß über die Zeitung ist nicht mehr auf eine (wirkliche oder angebliche) Geisteselite beschränkt.
  3. Für alle Eigentümer, Redakteure wie Angestellte, komplette Transparenz. Jeder kann jederzeit jedes Schriftstück, jeden Verwaltungs- oder Finanzvorgang sich herausholen lassen oder selber herausholen, unter Mitwirkung der zuständigen Angestellten, ohne irgendwelche Einschaltung oder auch nur Verständigung des Geschäftsführers. Wer das Gegenteil behauptet, sagt die Unwahrheit, sei’s bewußt (was ich ausschließe) oder unbewußt (Vaterkomplex mir gegenüber oder weiß Gott oder Freud was sonst).

Nicht Erreichtes:

  1. Keine völlige redaktionelle Freiheit. Es gibt die vorerwähnte Bindung (nicht äußere, sondern Selbstbindung) durch Hinblick auf Kreditmöglichkeiten. Diese Bindung wegzukriegen, war bisher unmöglich. Ein so linkes Blatt hat für finanziell selbständiges Florieren nicht genug Inserate und auch nicht genug, unter seiner ohnehin verblüffend hohen Leserzahl, vollzahlende Abonnenten. Um damit fertig zu werden, wurde neben anderen, noch direkter politischen Gründen als zweites Verlagsobjekt die „Neue Freie Presse“ gegründet: konkret-kritisch, aber nicht theoretisch-politisch soll dieses bunte Bilderblatt weite junge Kreise erreichen. Vom Start her heißt dies natürlich: Ausweitung der Kreditnotwendigkeiten, vom Ziel her: Besetzen einer von allen Fachleuten gesehenen Marktlücke; von daher Chance kommerziellen Erfolges für den notleidenden Verlag; von daher Herstellung voller redaktioneller Handlungsfreiheit.
  2. Keine ökonomische Selbstverwaltung im Ausmaß der redaktionellen Selbstverwaltung. Wir können fast frei sagen: Das schreiben wir, das nicht, das kommt ins Blatt, das nicht. Wir können nicht ebenso frei sagen: So viel Geld nehmen wir ein, so viel Geld geben wir aus. Geld machen durch demokratisches Pfötchenheben in der Redaktionskonferenz ist politökonomischer Kindergarten. Zu sagen: Jetzt haben wir eine dreißigprozentige Honorarerhöhung für uns beschlossen, und der Geschäftsführer ist dagegen, pfui der Kapitalist, wo bleibt da die Demokratie — das ist in Wahrheit wiederum der vorerwähnte Vaterkomplex (der Papa wird’s schon richten, der Nenning wird schon genug Geld herbeischaffen, er ganz allein, da brauchen wir keine Mitbestimmung).

3. Chancen, Gefahren, sonstiges Zukünftiges

Die Austritts- und Verbleibenserklärungen vom April/Mai dieses Jahres spiegeln eine neue schöpferische Wachstumskrise hinter den schon bisher zahlreichen NF-Wachstumskrisen. Leute, die dieses Blatt inhaltlich maßgeblich mitbestimmt haben, verlassen uns. Sie haben, um zu wenig materiellen Lohn, geistig sehr Wesentliches geleistet. Danke. Der linke NF-Flügel ist geschwächt, die kritisch-realistische Nähe zur Sozialdemokratie deutlicher. Mir paßt das. Aber es ist nicht ohne Gefahren. Daß die Ausscheidenden mit der Erklärung gehen: Hier schafft nur der Nenning an — das paßt mir auch (in Hinblick auf Enten à la Profil, ich sei entmachtet oder was). Aber auch das ist nicht ohne Gefahren.

Und so weiter, und so weiter.

In der Tat: Es muß weitergehen, wenn der Verlag sein Ziel erreichen soll: die Statur einer hochleistungsfähigen Servicestation für alle Kräfte links von der Mitte, mit einem Standbein auf höchstem theoretischem Niveau („Neues Forum“) und einem Spielbein auf massenhaftem, konkret-kritischem kommerziell-erfolgsträchtigem Niveau („Neue Freie Presse“).

Das Abenteuer geht weiter. Uns ist Gott sei Dank nie fad.

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