MOZ, Nummer 56
Oktober
1990

Der Behandlungsbedürftige

Wer hätte vor zehn Jahren darauf getippt, daß der Bundeskanzler wie der SP-Parteivorsitzende Franz Vranitzky heißen würde. Heute ist es hingegen unvorstellbar, daß dies früher unvorstellbar war. So selbstverständlich ist es, so konkurrenzlos thront Franz am Ballhausplatz und in der Löwelstraße.

Die SPÖ ist arm. Vranitzky ist heute ihre einzige Attraktion. Daher fürchten sich die Funktionäre. Nicht vor ihm, aber ohne ihn. Vranz ist der neue Superstar, nur mit ihm kann die SPÖ Wahlen gewinnen. Er ist für seine Partei unbezahlbar, daher hat der Unterbezahlte sich auch seinen Pensionsvertrag mit der Länderbank ausgemacht. Ganz privat, denn das verträgt er besser und das verträgt sich besser.

Bruno Kreisky stand für die Niederösterreichisierung der SPÖ (was viele Linke heute vergessen), Fred Sinowatz betrieb die Burgenlandisierung. Da war Modernisierung anbefohlen. Da mußte ein Retter her. Der Androsch in Reserve war in der Länderbank zu finden.

Allen, die früher Androsch verhindern wollten, zeigt der neue SPÖ-Vorsitzende, daß dies nicht gelingen konnte. Androsch ist inzwischen Parteivorsitzender geworden, wenn auch nicht als Person, so doch als Figur. Er heißt nur anders, sieht aber genauso gut aus. Nach der kalten, wenn auch sehr mühsamen Beseitigung des feschen Hannes zückte die Geschichte eben den Vranz. Und alle sind zufrieden, sieht man von wenigen SP-Granden ab. Individueller Terror trägt nicht, das sei den Androsch-Gegnern von gestern (vielfach zu Vranitzky-Fans mutiert) ins Stammbuch geschrieben.

Vranitzky ist der erste mediale Retortenkanzler der Republik. Bei ihm weiß man, daß herauskommt, was man hineinsteckt. Vranitzky erfüllt Erwartungen, ist frei von Überraschungen. Er ist formatiert, eine mediale Diskette des redaktionellen Politikverständnisses. Er ist artig, der Vranz. Anders als etwa Kreisky, der oft grantig die Journalisten belehrte und sie Dummköpfe nannte.

Vranz ist deshalb so beliebt, weil er so pflegeleicht ist. Ein Vranitzky setzt keine Akzente, weil er eben ein von außen gesetzter Akzent ist. Zwischen Regieren und Reagieren gibt es bei ihm keinen Unterschied. Er ist der erste SPÖ-Vorsitzende, der nicht mehr der SPÖ angehört.

Er verkörpert so auf seine Art den modernen Politiker, smart und ideologielos, ohne Ziele und Visionen. Auch wenn er nicht, wie Kreisky meinte, ein „in Pubs herumsitzender Playboy“ ist, hat diese Typisierung des Erscheinungsbildes doch etwas auf sich.

Vranz verwaltet das Jetzt. Er könnte überall dabei sein. Wie sagte doch einmal Alfred Maletta, der noch marxistelnde Pittermänner erlebte: „Sein größter Fehler, er ist net ÖVP-Chef. Er ist blitz-g’scheit, ja überhaupt kein Marxist.“

Es ist alles eins. Der medial genormte und gestylte Politiker vertritt nicht mehr Parteien, sondern Firmen. SPÖ oder ÖVP, das ist wie Vita oder Rama, Pepsi oder Cola, Länderbank oder CA. Es ist daher nur logisch, daß das linksliberale Kleinformat uns erst unlängst mitteilte, als was wir den Kanzler zu sehen haben, nämlich als „den idealen Vorstandsvorsitzenden der Firma Österreich“. Er sei eben der stahlhart-fröhliche Volksfreundmanager, lesen die Arbeiter in der Zeitung, die ihren Namen trägt.

Schon das Wort Handlungsbedarf sagt doch einiges. Handlungsbedarf bedeutet soviel wie Aktionsverlust. Handlungsbedarf meint, daß die Politik eigentlich nicht gestaltend, sondern bloß korrigierend eingreift. Maßnahmen werden immer im nachhinein gesetzt. Vranitzky ist ein von den Medien Getriebener. Nicht Analysen und Prinzipien zeitigen Handlungen, sondern irgendwelche Ereignisse, die in den letzten Jahren meistens als Skandale auftreten. Immer, wenn etwas (angeblich) schiefläuft, greift der Kanzler zu dieser Formulierung. Die Medien und ihre Hintermänner wissen nun, daß geschieht, was zu geschehen hat.

Kein Kanzler war bisher so vom guten Willen der medialen Öffentlichkeit abhängig wie Franz Vranitzky, keiner war bisher so arm an Inhalten, so dürftig an programmatischen Überlegungen wie er. Von einer Qualität des Handelns und des Denkens, wie es die Plakate unterstellen, wissen nur die Werbemanager. Und die wissen, daß sie es nicht wissen, doch darauf kommt es ja nicht an.

Es war daher nicht nur witzig, als in nächtlichen Aktionen aus der Qualität die Qual wurde, sondern von einer geradezu brillanten Richtigstellung. Da quält sich nämlich wirklich einer beim Handeln und beim Denken. Doch zu dem ist er ja gar nicht auf der Welt, das nehmen ihm schon andere ab. Vranz, der ist da zum Herzeigen, zum Parieren wie Parlieren.

Vranzens Gehorsam bedarf der Belohnung. Er ist beinahe sakrosankt. Außer „Schneller bitte!“ ist jede mediale Kritik verstummt. Doch Vranz weiß, man darf die Genossen nicht überfahren, sondern man muß sie verführen. Ideologische Versatzstücke zur Beruhigung der Basis waren schnell angelernt. Vranitzky verstand das ganz ausgezeichnet.

Selbst gegenüber den domestizierten Linken tritt Vranitzky schon wie Kreisky auf. Für die SP-Jungen gab es im letzten Parteirat Beton vom Ex-Linken Cap und Streicheleinheiten vom Kanzler. Die beste Voraussetzung, daß aus Cap wurde, was er ist, war seine gestrige Abweichung. Dieser Weg von links unten nach rechts oben steht — und das unterscheidet Vranitzky von verkorksten Funktionären — auch der nächsten Generation zu.

Das alles wird der SPÖ jedoch kaum schaden. Gar nicht so wenige Linke werden wieder Franz Vranitzky und seine Partei wählen. Vor allem wegen dem kleineren Übel und wegen größerer Subventionen, versteht sich. Und trotz grüner Alternativen.
Vranitzky ist einer der wenigen, an dem Affären immer wieder abrutschen, sei es der importierte Teppich oder die bescheidene Pension, sei es der Noricum-Skandal, wo die angeklagten Manager wie aufgezogen behaupten, daß von Blecha bis Lacina alle wußten, was Vranitzky nie wußte. Das stinkt zum Himmel, doch der Vranz ist immun, er übersteht alles mit geringfügigen Schrammen. Er ist eben ein folgsamer Junge. Er wird noch lange Kanzler sein.

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