FORVM, No. 233
Mai
1973

Fortschritt für die falschen Leute

Innovationsprozeß und Klassenlage

1 Herrschaft der Maschine über den Menschen

Die industriekapitalistische Produktion und Reproduktion der Gesellschaft steht unter dem Joch des Privatbesitzes an den Produktionsmitteln. Sie basiert aber auf einem Prinzip der Naturbeherrschung, welches über diese Schranke hinausdrängt. Das maschinelle Produktionssystem tendiert immer schon zum weitgehend selbsttätigen Aggregat von Automaten. Damit eröffnen sich der lebendigen Arbeitskraft neue Perspektiven:

Es ist nicht mehr der Arbeiter, der den modifizierten Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich einschiebt; sondern den Naturprozeß, den er in einen industriellen umwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert. Er tritt neben den Produktionsprozeß statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper — in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie geschaffene.

(Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, S. 592)

Indem aber das Kapital das Produkt der Lohnarbeit vereinnahmt, reißt es die vergegenständlichte Arbeit los von der lebendigen: Es beherrscht jene und macht sich diese dienstbar.

Die Schranke des Kapitals ist, daß diese ganze Entwicklung gegensätzlich vor sich geht und das Herausarbeiten der Produktivkräfte, des allgemeinen Reichtums etc., Wissens etc. so erscheint, daß das arbeitende Individuum selbst sich entäußert; zu den aus sich herausgearbeiteten nicht als Bedingungen seines eigenen, sondern fremden Reichtums und seiner eigenen Armut sich verhält.

(Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie)

Das vom Kapital angeeignete Produkt der lebendigen Arbeit tritt dieser in Form von Maschinerie, capital fixe gegenüber. Es wird so ein objektiver Produktionszusammenhang gestiftet, welcher nicht von der Lohnarbeit beherrscht wird; vielmehr unterwirft sich die vergegenständlichte Arbeit, nachdem sie in eine dem Kapital adäquate Form gebracht wurde, das arbeitende Individuum.

Die Tätigkeit des Arbeiters, auf eine bloße Abstraktion beschränkt, ist nach allen Seiten hin bestimmt und geregelt durch die Bewegung der Maschinerie, nicht umgekehrt. Die Wissenschaft, die die unbelebten Glieder der Maschinerie zwingt, durch ihre Konstruktion zweckgemäß als Automat zu wirken, existiert nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschine als fremde Kraft auf ihn, als Macht der Maschine selbst. Die Aneignung der lebendigen Arbeit durch die vergegenständlichte Arbeit — der verwerteten Kraft oder Tätigkeit durch den für sich seienden Wert —, die im Begriff des Kapitals liegt, ist in der auf Maschinerie beruhenden Produktion als Charakter des Produktionsprozesses selbst, auch seinen stofflichen Elementen und seiner stofflichen Bewegung nach gesetzt. Der Produktionsprozeß hat aufgehört Arbeitsprozeß in dem Sinn zu sein, daß die Arbeit als die ihn beherrschende Einheit über ihn übergriffe. Sie erscheint vielmehr nur als bewußtes Organ, an vielen Punkten des mechanischen Systems in einzelnen lebendigen Arbeitern; zerstreut, subsumiert unter den Gesamtprozeß der Maschinerie selbst, selbst nur ein Glied des Systems, dessen Einheit nicht in den lebendigen Arbeitern, sondern in der lebendigen (aktiven) Maschinerie existiert, die seinem einzelnen, unbedeutenden Tun gegenüber als gewaltiger Organismus ihm gegenüber erscheint.

(Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, S. 584 f.)

Der wissenschaftlich-technische „Fortschritt“ bleibt so lange abstrakt, als er auf Kosten und über die Köpfe der Lohnarbeiter hinweggeht. Zu seiner Kehrseite hat er im Kapitalismus die immer rigidere Instrumentierung der lebendigen Arbeitskraft nach den Verwertungsinteressen der privaten Kapitalbesitzer. Fortschritt im wissenschaftlich-technischen Bereich ist eine Begleiterscheinung der industriekapitalistischen Entwicklung. Worauf es aber ankommt, ist nicht dieser abstrakte „Fortschritt“, sondern die Form seiner Nutzbarmachung. Unter den herrschenden Produktionsverhältnissen steht der rapiden Entwicklung der Produktivkräfte eine ungeheure Stagnation im gesellschaftlichen Bereich gegenüber: Der gesamtgesellschaftlich erarbeitete Reichtum kommt nicht der rationalen Entfaltung des Lebenszusammenhanges aller Gesellschaftsglieder zugute. Er ist vielmehr der Willkür weniger Nicht-Arbeiter preisgegeben. Von Fortschritt im gesellschaftlichen Bereich kann man so lange nicht sprechen, als das Kapital die Lohnarbeit durch die Maschinerie regiert. Die Besitzverhältnisse stellen sich dem gesellschaftlichen Fortschritt entgegen. Ihre Veränderung ist die Grundlage dafür, daß die Lohnarbeit die Herrschaft über die Maschinerie antreten kann.

Die Perspektiven gesellschaftlicher Veränderung sind nicht unabhängig von der Entwicklung der Produktivkräfte. Dennoch führt nicht bloß deren Fortschritt die Revolution herbei. Ganz im Gegenteil muß man die Aufhebung des je vorfindlichen Widerspruchs zwischen gesamtgesellschaftlich erarbeitetem Reichtum und seiner Aneignung durch das private Kapital anstreben.

Mit der Aufhebung des privaten Besitzes an den Produktionsmitteln allein wird jedoch die Herrschaft der Maschine über den Menschen nicht abgeschafft. Zur Umkehrung dieses Verhältnisses ist die Eliminierung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit vorausgesetzt. Erst dann kann sich die lebendige Arbeitskraft der Maschinerie bemeistern.

Diese Perspektive ist dann realistisch, wenn das gesamtgesellschaftliche Wissen der gesamten Gesellschaft verfügbar gemacht werden kann. Unter dieser Voraussetzung hat das Kapital die Grundlage verloren, die Kopfarbeit zur Beherrschung der Handarbeit zu gängeln.

2 Produktions- als Informationsprozeß

In der Fertigung herkömmlicher Art ist ein ‚hierarchischer‘ Informationsaustausch vorhanden, bei dem sowohl die Wege wie auch der Inhalt der Information zwischen den verschiedenen Fertigungsebenen völlig unterschiedlich sind. Die Gliederung dieses Informationsaustausches erfolgt aufgrund der einer bestimmten Person zugemessenen Autorität und wird selten von den Notwendigkeiten der Fertigung bestimmt werden. Damit verbunden ist der stufenweise Aufbau der Fertigung, der letzten Endes in kleine, dem planungs- und steuerungsmäßigen Eingriff nicht mehr zugängige Einheiten zerfällt.

Im elektronischen Zeitalter ergeben sich für die Form des Informationsaustausches aufgrund der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Transportgeschwindigkeit und der neuen Selektionsverfahren (EDV) neue Möglichkeiten. Es gibt keine Berechtigung mehr, gewisse Informationen an bestimmten Stellen zu konzentrieren. Damit entwickelt sich eine ahierarchische Anordnung, bei der die Information gleichmäßig zwischen allen Stellen eines Fertigungssystems ausgetauscht wird oder zugänglich ist. Die Bereitstellung des Materials, die Herstellung der Endform der Werkstücke, die Kontrolle derselben und der Zusammenbau können nun tatsächlich als eine Kette aufeinanderfolgender ‚Informations‘-Gänge aufgefaßt werden.

Das bedeutet, daß auch die Bearbeitungsmaschine nicht mehr als ein von der Struktur des Betriebsganzen relativ unabhängiger Arbeitsplatz betrachtet werden kann, sondern als Glied einer Datenverarbeitungskette.

(Hermann Hendrich, Entwicklungen für integrierte Fertigungssysteme; Sonderdruck aus: Maschinenwelt-Elektrotechnik, Wien 1971, Heft 1)

Die Automation erreicht damit eine neue Stufe:

Das automatische System der Maschinerie selbst wird zu einem technischen Prozeß, zu einem Informationsprozeß, der (wenn auch nicht sämtliche) Funktionen des menschlichen Nervensystems übernimmt und vielfach genauer und schneller als der Mensch ausübt. Marx sah voraus, daß der Automat aus unzähligen ‚mechanischen‘ und ‚intellektuellen Organen‘ bestehen wird, daß in der Maschine eine ‚Akkumulation des Wissens und des Geschicks, der allgemeinen Produktivkräfte des gesellschaftlichen Hirns‘ stattfindet und die Maschine ein ‚Virtuose, der eine eigne Seele besitzt‘, werden wird. Nach heutigen Begriffen ist das, was Marx voraussah, das automatische System der Maschinerie, das ‚intellektuelle Organe‘ zur Akkumulation von Informationen besitzt, also ein ‚Informationssystem‘ darstellt, der elektronische Rechner.

(Shingo Shibata, Zur Theorie der Informationsrevolution; in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin (DDR) 1972, 20. Jg., Heft 7, S. 880)

Der Fortschritt der Produktivkräfte, der im elektronischen Rechner Gestalt annimmt, besteht darin, daß die Maschine nicht mehr bloß Vergegenständlichung der körperlichen Arbeit, sondern nun auch der geistigen darstellt.

Shibata hebt hervor, daß damit der Produktionsprozeß als Kommunikationsprozeß betrachtet werden muß. „So durchlaufen z.B. im Produktionsprozeß in einer großen Fabrik mit den Rohstoffen oder Halbfabrikaten auch Anweisungen über Art und Stückzahl des Produktes die einzelnen Arbeitsplätze, so daß der Produktionsprozeß gleichzeitig ein Prozeß der Kommunikation mit fließenden ‚Informationen‘ ist“ (a.a.O., S. 881).

Die neue Stufe der Automation, welche nun erreicht wird, besteht darin, daß Maschinensysteme nicht mehr nur angewandt werden auf klar umrissene Produktionsgänge zur Herstellung eines bestimmten, unverwechselbaren und unveränderbaren Produkts auf massenweiser Stufenleiter, sondern daß es der in Form einer Datenverarbeitungskette automatisierten Produktion auch möglich ist, in ununterbrochener Abfolge verschiedenartige Produkte herzustellen. Im Vergleich zur Produktionsweise nach dem ökonomischen Charakter der Transportmittel ist damit eine ungeheure Flexibilität der Produktion gewonnen. Dadurch wird eine reibungslose Umstellung der gesamtgesellschaftlichen Produktion auf neue Zielvorstellungen (etwa Ersetzung der irrationalen kapitalistischen Motivation, die Produktivkräfte zu nutzen, durch rational sozialistische) in Aussicht gestellt.

In der Maschinerie, die geistige Arbeit vergegenständlicht, nimmt die im Laufe der kapitalistischen Entwicklung verausgabte materielle Arbeitskraft, die sich bisher bloß sedimentierte in verschleißbarer Form in der herkömmlichen Maschinerie, dauerhaften, nicht verschleißbaren Charakter an. Es ist eine Vergesellschaftungsform der Arbeit überhaupt erreicht, die die Aufrechterhaltung der Trennung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit hinfällig macht.

Shibata nennt vier Eigenschaften von Information, die diese These stützen. Er stellt fest, „daß wissenschaftliche Informationen erstens durch ihre Anwendung im unmittelbaren Arbeitsprozeß nicht abgenutzt werden, zweitens bei ihrer Anwendung im unmittelbaren Produktionsprozeß die Menschheit in einem Maße bereichern, das weit über die investierten Forschungskosten hinausgeht, daß drittens einmal gewonnene wissenschaftliche Informationen von jedem anderen Menschen genutzt werden können und ihm unentgeltlich zur Verfügung stehen, und daß sie viertens im allgemeinen überall in der Welt anwendbar sind und es damit möglich machen, das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus und Imperialismus aufzuheben, daß sie also die Möglichkeit bieten, das Wert- und Mehrwertgesetz aufzuheben. (Diese Möglichkeit wird erst beim Übergang zum Sozialismus Wirklichkeit.)“ (a.a.O., S. 883 f.)

Über die wissenschaftliche Information hinaus gewinnt die Kommunikation selbst den Charakter einer allgemeinen Produktivkraft. Diese Bedeutung kommt ihr aber nicht abstrakt und nicht so sehr aufgrund ihres Einsatzes im Interesse des Kapitals zu, sondern aufgrund der Objektivität, welche sie aufgrund der Verkörperungsmöglichkeit verausgabter lebendiger körperlicher und geistiger Arbeitskraft in der Datenverarbeitungsmaschine annimmt, die also sowohl körperliche als auch geistige Arbeit vergegenständlicht. Und zwar vergegenständlicht sie diese in einer Form, daß sie tendentiell gesamtgesellschaftlich nutzbar gemacht werden kann.

Sie weist damit die Schranken zurück, die der Entfaltung der Produktivkräfte vom Kapital errichtet sind, und steuert eine ahierarchische, also demokratische — im Sinne der sozialen, nicht der parlamentarischen Demokratie — Organisation der Produktion an. Der objektive Fortschritt, der in der Entwicklung der Produktivkräfte im allgemeinen und auf der neuen Stufe ihrer Entwicklung im besonderen gegeben ist, wird jedoch nicht dem Fortschritt der Gesellschaft der Produzenten selbst nutzbar gemacht, solange das Kapital die lebendige Arbeitskraft und die ihr geschuldeten allgemeinen Produktivkräfte in seinen Dienst preßt.

Das trifft zu auch auf die Anwendung der Datenverarbeitungsmaschinen, den Einsatz von Information und Kommunikation usf. im entwickelten Monopolkapitalismus: Obwohl er über die Agentur des Staates konzentrierte Anstrengungen der gesamten Gesellschaft zur Finanzierung seines „Fortschrittes“ verlangt, kommt dieser nicht der gesamten Gesellschaft, sondern bloß dem privaten Kapitalbesitz zugute.

Unter den von ihm diktierten Besitzverhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft werden die Möglichkeiten von Information und Kommunikation verkürzt und verstümmelt. Es „nimmt die Trennung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit unter den Bedingungen des Kapitalismus weiter zu. Dabei werden die Informationen dem Arbeitsprozeß entfremdet und vom Kapitalisten oder seinen Vertretern angeeignet, während der Arbeiter uninformiert bleibt. Besonders in der Großindustrie, wo der technische Prozeß der Arbeit in einen wissenschaftlichen Prozeß, in ein hochentwickeltes Informationssystem übergeht, kommt es durch die kapitalistischen Verhältnisse in diesem technischen Prozeß zur Entfremdung des Arbeiters von der Wissenschaft, von der Information und zu seiner geistigen Verarmung. Die Entwicklung des automatischen Systems der Maschinerie und damit die Durchlesung des Produktionsprozesses mit Informationen führen unter der Bedingung des Kapitalismus dazu, daß die Arbeit für die überwiegende Zahl der Arbeiter eintönig und inhaltsleer (ohne Information) wird, daß (...) neue Berufskrankheiten entstehen, daß es schließlich immer mehr Versetzungen und Entlassungen gibt“ (a.a.O., S. 887).

Die Aufrechterhaltung der herrschenden Besitzverhältnisse verlangt also, „daß die Arbeitsorganisation immer mehr bürokratisch-zentralistisch und im Rahmen von ‚small groups‘ entwickelt, daß das Prinzip des demokratischen Zentralismus, das dem organisatorischen Informationsprozeß der Großindustrie immanent ist, verletzt und die Informationsübertragung (Kommunikation) gestört (zur Dekommunikation) wird“ (a.a.O., S. 889).

Die Entwicklung vielseitiger Persönlichkeit und die Nutzung der entwickelten Produktivkräfte für den Menschen und die Ausbildung seiner universellen Fähigkeiten ist unter diesen Bedingungen weiter entfernt denn je. Indessen kommt es zu ganz konkreten Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Lohnarbeiter.

Der Einfluß der Datenverarbeitungsmaschinen auf die Neugestaltung der Büroarbeit ist evident. Wesentlich erscheint jedoch, daß die fortschrittlichsten Bereiche der Produktion, also weitgehend realisierte Organisation der Herstellung nach dem ökonomischen Charakter, welcher die Logik der Kommunikationsmittel widerspiegelt, der materiellen Arbeit den Charakter von Büroarbeit zuweisen.

So besteht die Arbeit beispielsweise in Kraftwerken, Ölraffinerien oder petrochemischen Betrieben nicht mehr darin, Naturprodukte unmittelbar zu verarbeiten, sondern vielmehr im Beobachten von Meßgeräten, also im Registrieren und Analysieren von ‚Information‘, so daß sie der Büroarbeit, deren Objekt ‚Informationen‘, sind, nahekommt bzw. praktisch schon nicht mehr von ihr zu unterscheiden ist. Je höher entwickelt die Großindustrie wird, desto mehr nimmt die Arbeit den Charakter von Büroarbeit an, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Arbeit im Produktionsbetrieb oder im Büro handelt. Insofern erhalten Informationsverarbeitung und -registrierung immer größeres Gewicht im unmittelbaren Produktionsprozeß.

(a.a.O., S. 883)

3 Entwertung der Arbeitskraft

In der Öffentlichkeit ist viel von dem mit der fortschreitenden Automation verbundenen Qualifizierungsprozeß der Arbeitskraft die Rede. Er steht aber in keinem Vergleich zu den Dequalifizierungsprozessen, von denen er begleitet wird. Tjaden-Steinhauer und Tjaden belegen dieses Faktum für die Zeit von 1950 bis 1961 in der Bundesrepublik:

Mit der Zunahme der Konzentration der Arbeiter auf die technisch entwickelten Großbetriebe änderte sich die Qualifikationsstruktur der Industriearbeiterschaft: bei einer Abnahme der ungelernten und einer Zunahme der Facharbeiter in den Mittel- und Großbetrieben nahm dort vor allem der Anteil der angelernten Arbeiter in Folge der weiteren Mechanisierung und der Einführung von Halbautomaten für Teilprozesse zu. Insgesamt verminderte sich in dieser Zeit der Anteil der Facharbeiter, zumal durch Abnahme der traditionellen Lehrberufe.

(Zur Analyse der Sozialstruktur des deutschen Kapitalismus; in: Das Argument 61, 1970, Heft 9/10, S. 658)

Eine weitere Verschärfung der Teilung des Proletariats in eine kleine relativ hochqualifizierte Gruppe konstatieren die beiden Autoren für die Entwicklung der letzten Jahre.

Es ist Ausdruck einer parallelen Entwicklung des gesellschaftlichen Produktivkraftsystems, daß ein wachsender Teil der Arbeiterklasse von der unmittelbaren materiellen Produktion freigestellt wurde, wobei diese zunehmend durch geringer qualifizierte Arbeitskräfte aus der Reservearmee der südeuropäischen Länder in Gang gehalten und vermittelt wurde. Das Vordringen teilautomatisierter Aggregatsysteme verstärkte — unter den herrschenden Produktionsverhältnissen — tendenziell die Polarisierung von Teilen der Industriearbeiterschaft in hochqualifizierte Angelernte einerseits und einfache Hand- und Teilarbeiter andererseits. Die Ausbreitung der Büroautomation führte im Bereich der Unternehmensbürokratie zu einer Polarisierung der Angestellten infolge des Abbaus mittlerer Qualifikationen und durch deren Differenzierung in eine schmale Schicht hochqualifizierter Spezialisten und eine breite Schicht ‚Büroarbeiter‘.

(a.a.O., S. 662)

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Heinz Jung:

Die Qualifikationsanforderungen, die den neuen Typ des Produktionsarbeiters schaffen, entwerten gleichzeitig die Berufsfertigkeiten und damit den Wert der Arbeitskraft von traditionellen Arbeiter- und Angestelltengruppen. Wächst auf der einen Seite der Wert der Arbeitskraft von Gruppen neuer Spezialisten, so erhöht sich die Existenzunsicherheit für andere Gruppen der Arbeiterklasse.

(Zur Diskussion um den Inhalt des Begriffs „Arbeiterklasse“ und zu Strukturveränderungen in der westdeutschen Arbeiterklasse; in: a.a.O., S. 681)

Die zunehmend kürzer werdenden Zyklen der Entwertung der Produktionsmittel aufgrund technischer Innovation, das rasche Wachstum der Automation, welche die Zirkulation für die Produktionsgüterindustrie beschleunigt, haben einen Entwertungsprozeß der Arbeitskraft zur Folge. Es wird eine Mobilität der Arbeiter und Angestellten erzwungen, d.h. von ihrer vergegenständlichten, vom Kapital angeeigneten Arbeitskraft gegen ihre lebendige durchgesetzt.

Dieses Faktum ist keine notwendige Begleiterscheinung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, sondern Resultat seiner Anwendung im kapitalistischen Verwertungsprozeß:

Die Trennung von qualifizierten und unqualifizierten, privilegierten und subalternen, von anleitenden und ausführenden Tätigkeiten ist nicht abstrakt dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt geschuldet; sie reflektiert die Entfaltung der Produktivkräfte unter kapitalistischen Bedingungen, in denen die Arbeiterklasse nicht Subjekt sondern Objekt der gesellschaftlichen Planung ist.

(Frank Deppe und Hellmuth Lange, Zur Soziologie des Arbeiter- und Klassenkampfbewußtseins, 2. Teil; in: Das Argument 62, S. 821.)

Die Unterteilung der Lohnabhängigen in stark differenzierte Schichten hat ihre — politischen — Auswirkungen auf deren Bewußtseinslage. Im ersten Teil ihrer Arbeit untermauern Deppe und Lange diese Einsicht mit einem Zitat aus einer empirischen Untersuchung von A. Willener (Images de la societé et classes sociales, Bern 1957): „... es könne keinen Zweifel darüber geben, daß es (in der Arbeiterklasse — L. H.) fundamentale Unterschiede zwischen dem Gesellschaftsbild derer an der Spitze der sozialen Skala und derer an ihrem Fuß gibt ... Die ‚unteren‘ Kategorien der Befragten antworteten vorwiegend nicht im Sinne von Schichten, sondern von Klassen; umgekehrt haben die Befragten aus den ‚höheren‘ Kategorien die Tendenz, häufiger von Schichten als von Klassen zu Sprechen“ (a.a.O., 1. Teil; in: Das Argument 61, S. 704).

Der politische Effekt ist evident: Arbeitsplatzunsicherheit trotz teilweiser Vollbeschäftigung und Zersplitterung des Klassenbewußtseins des Proletariats. Der zweite Aspekt findet seine ideologische Ausformung auch bei kritischen Autoren, die wie Mallet von einer „neuen Arbeiterklasse“ sprechen, oder bei liberalen, welche einen „neuen“ Mittelstand diagnostizieren. Die Bürokratisierung der Betriebe dient den theoretischen Wasserträgern des Kapitals dazu, überhaupt von einer Herrschaft der „Oberoffiziere“, der Manager zu reden, welche angeblich die Leitungsfunktionen der Kapitalbesitzer übernommen haben.

Dieser Ideologie steht jedoch die Tatsache gegenüber, daß mit der Konzentration und Zentralisation des Kapitals Konzentration und Zentralisation wirtschaftlicher und damit auch politischer Macht in den Händen einer kleinen Gruppe von Kapitalisten einhergeht. Wenn dagegen die Existenz von Aktiengesellschaften und breit gestreutem Aktienbesitz gehalten wird, bringt man gerade jene Gesellschaftsform privatkapitalistischer Betriebe ins Spiel, welche diesen Konzentrations- und Zentralisationsprozeß vorangetrieben hat und weiter vorantreibt.

Oft genügt ein Aktienvolumen von nur 10 Prozent der Stammanteile, um eine Aktiengesellschaft zu beherrschen und zur Verfügung über ihre gesamte wirtschaftlich/politische Macht. Mit dem Kapital dieses Betriebs kann eine Aktienmehrheit in einem weiteren erworben werden usf., so daß der Besitzer von 10 Prozent der Aktien des ersten Unternehmens schließlich über die Macht eines ungleich größeren Kapitals verfügt.

Nominell liegt die Kontrolle innerhalb der Gesellschaft in den Händen der Aktionäre. Doch die Besitzer einer Aktienmajorität haben legal faktisch vollständige Kontrolle über das von allen Aktionären eingebrachte Kapital, und in der Praxis genügt für gewöhnlich weit weniger als die Mehrheit, ... Aufgrund dieser Tatsache kann der Großaktionär, der ein großes Aktienpaket in einer oder mehreren Gesellschaften beherrscht, eine Kapitalmenge unter seine Kontrolle bringen, die um ein Vielfaches seine eigene übersteigt.
[/(Sweezy, Theorie der kapitalistischen Entwicklung, a.a.O., S. 306 f.)

Dies wurde insbesondere für die USA auch in empirischen Untersuchungen nachgewiesen (vgl.: Ferdinand Lundberg, Die Reichen und die Superreichen, Frankfurt/M. 1971).

Sowohl die Polarisierung zwischen Spezialisten und unqualifizierter Arbeit, als auch die Bürokratisierung nicht nur des Produktions-, sondern mehr noch des Zirkulationsbereichs sind darauf zurückzuführen, daß der Fortschritt in der Entwicklung der Produktivkräfte nicht den gesellschaftlichen Individuen, sondern dem privaten Kapitalbesitz dienstbar gemacht wird.

Die Aufrechterhaltung der Herrschaft des Kapitals über die Lohnarbeit ist abhängig von der Trennung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, der Arbeit im materiellen Produktionsbereich und ihrer organisatorischen Vermittlung. Das intensive Wachstum des Kapitalismus, welches auf ungeheurer Produktivkraftsteigerung der menschlichen Arbeitskraft durch Einsatz verbesserter Maschinerie beruht, hat der Anwendung menschlicher Arbeitskraft im industriellen Sektor überhaupt Grenzen gesetzt: In den Produktionsbetrieben selbst stagniert die Zahl der eigentlichen Arbeiter, während ständig neue Angestelltenfunktionen zuwachsen; auf gesamtgesellschaftlicher Ebene dehnt nur mehr der Tertiäre Sektor das Potential der Lohnarbeit aus, das er in Bewegung setzt.

Für die Bestimmung des Produktivitätssteigerung können als Parameter herangezogen werden die Produktion, die Beschäftigtenzahl und die Arbeitszeit je Arbeiter. 1954 waren sämtliche Werte in der BRD gleich 100. 10 Jahre später zeigt sich folgendes Bild: Produktion = 194,8 Beschäftigte = 129 — Arbeitszeit je Arbeiter = 85,4. (Vgl.: Otto Brenner, Automation und technischer Fortschritt in der Bundesrepublik; in: Automation — Risiko und Chance, Bd. I, Frankfurt/M. 1965, Darstellung 3.)

Erhebliche Produktivitätssteigerung bei gleichbleibendem Arbeitskräfteeinsatz und starkes Anschwellen des Dienstleistungssektors kommt noch viel klarer in den USA zum Ausdruck:

Ein Vierteljahrhundert hindurch, von 1914 bis 1939, bewegte sich die Beschäftigtenzahl in den verarbeitenden Industrien um einen Höchstwert von 10,5 Millionen. In der gleichen Zeit stieg hingegen die Produktion je Arbeitsstunde um mehr als das Doppelte ... Zwischen 1947 und 1963 nahm die Gebrauchsgüterproduktion (durable goods), gemessen am Dollarwert von 1954, um über 72 Prozent zu, während die Beschäftigtenzahl sich bloß um 15 Prozent erhöhte. Für den Verbrauchsgütersektor (non-durables) betragen die entsprechenden Zuwachsraten 50 Prozent bei der Produktion und 3 Prozent bei der Beschäftigung.

(Eli Ginzberg, Technischer Fortschritt und Beschäftigung in den USA; in: Automation — Risiko und Chance, a.a.O., S. 157 f.)

Das Anwachsen der unproduktiven Arbeit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene läßt sich folgenden Daten entnehmen: „In den letzten 20 Jahren hat sich das Verhältnis der einzelnen Lohnarbeitergruppen Arbeiter, Angestellte, Beamte wie folgt entwickelt: 1950: 71,8 zu 22,6 zu 5,6; 1969: 58,0 zu 35,4 zu 6,6“ (Jung, a.a.O., S. 681).

Die Zunahme der Erwerbstätigen geht bei Stagnation der Beschäftigtenzahlen in der Industrie auf das Konto des Dienstleistungssektors. „Die gesamte amerikanische Erwerbsbevölkerung nahm — rund gerechnet — seit 1929 um 50 Prozent zu. Dieser Beschäftigungszuwachs entfiel fast ausschließlich auf den Dienstleistungssektor“ (Eli Ginzberg, a.a.O., S. 161).

Die Lohnarbeit hat ihre Bestimmung in der Tatsache, daß die Masse der Menschen ihre Arbeitskraft ans Kapital verkaufen muß, das dann über sie verfügt. Die Aufsplitterung der Arbeiterklasse in produktive und unproduktive, Wert und Mehrwert produzierende und realisierende, in den materiellen Produktionsprozeß unmittelbar eingespannte und ihn mittelbar überwachende und ihn organisierende Arbeiter ist ein Reflex des abstrakten Fortschritts im wissenschaftlich-technischen Bereich.

Diese Arbeitsbedingungen und die aus ihr folgende Aufteilung der Lohnarbeiter in rivalisierende Lager sind ein Resultat der Herrschaft der Maschinerie über den Menschen. Die Lage der arbeitenden Klassen hat sich durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt nicht verbessert. Die fortlaufenden Rationalisierungsmaßnahmen in den Betrieben setzen die Arbeiterklasse einer neuen Form der Unsicherheit aus: Die Arbeiter müssen sich ständig umstellen und sind von Dequalifizierungsprozessen bedroht. Die Arbeitsplatzunsicherheit besteht momentan nicht in erster Linie in der Gefahr, die Arbeitsmöglichkeit überhaupt zu verlieren, sondern beruht auf Verlust des vertrauten Arbeitsplatzes, Entwertung der Facharbeit durch Polarisierung zwischen Spezialisten einerseits und unqualifizierten Arbeitern anderseits, Wahrscheinlichkeit, daß ältere Arbeiter bei einem Arbeitsplatzwechsel das alte Lohnniveau nicht mehr erreichen usf.

Von den integrierten Gewerkschaftern wird diese Erscheinung wohltönend Arbeitsplatzmobilität genannt, während sie tatsächlich den Druck der „klassischen“ Industriellen Reservearmee auf das Selbstbewußtsein des Proletariats ersetzt.

Die Tendenz, daß die unmittelbare Arbeit im materiellen Produktionsprozeß die Form von Büroarbeit annimmt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Lohnarbeit dadurch gesteigerter Ausbeutung ausgesetzt ist. Das ist am rasch ansteigenden physischen und psychischen Verschleiß der Arbeiterklasse ablesbar, wie er in der Volksgesundheitsstatistik seinen — verschleierten — Ausdruck findet. Zur Einwirkung der Datenverarbeitung auf die Lage der Lohnarbeit nochmals Shibata:

Die außerordentliche Zunahme von Computern in Japan und ihre kapitalistische Anwendung beeinflussen auch in starkem Maße die Situation der Arbeiterklasse. Der raschere Verschleiß des Computers bedingt die Verlängerung der Arbeitszeit durch Schicht- und Nachtarbeit, wobei immer häufiger auch Nervenstörungen und neue Berufskrankheiten (z.B. Sehnenscheidenentzündung) zu verzeichnen sind. Beispielsweise ergab eine 1969 in Japan durchgeführte Untersuchung, daß nur 15,8% der mit eigenen Computern arbeitenden Unternehmen auf eine durchschnittliche monatliche Laufzeit der Computer von weniger als 200 Stunden kommen (obwohl das japanische Arbeitsgesetz eine wöchentliche Arbeitszeit von unter 44 Stunden vorschreibt und die monatliche Arbeitszeit demnach unter 180 Stunden liegen müßte). Die durchschnittliche Laufzeit eines Computers pro Monat erhöhte sich von 265,3 Stunden im Jahr 1968 auf 322,6 Stunden im Jahr 1969. Nur 25,2% der befragten Betriebe wiesen für die an Computern beschäftigten Arbeiter weniger als 20 Überstunden pro Monat auf. Ferner nahm die Anzahl der Betriebe zu, die mit der Übernahme von Computern zur Schichtarbeit übergingen und die Arbeitszeit verlängerten.

Immer mehr Arbeiter leiden auf Grund der zunehmenden Arbeitsintensivierung an Sehnenscheidenentzündung sowie Lähmung der Finger und anderer Körperteile. Während 1955 pro Tag 7,2 von 10.000 Einwohnern wegen Sehnenscheidenentzündung in ärztlicher Behandlung waren, erhöhte sich diese Zahl im Jahre 1967 auf 32,3. Vergleicht man den jährlichen Durchschnitt der Jahre 1955-1957 und 1965-1967, so ist eine Zunahme der Kranken pro 100.000 Einwohner um 180% zu verzeichnen, wobei allerdings Sehnenscheidenentzündung mit 395%, Kreislauferkrankungen und Erkrankungen des Nervensystems und der Sinnesorgane mit 257% vertreten sind.

Außerdem hat sich in den mit Computern arbeitenden Unternehmen eine große Veränderung in der Zusammensetzung der Arbeiter ergeben. Es vergrößerte sich vor allem der Anteil der Forschungsarbeiter, Techniker und der an Computern eingesetzten Arbeiter (system ingeneers, programmers, operators, keypunchers).

(a.a.O., S. 878)

Der wissenschaftlich-technische „Fortschritt“, die Automation, dienen der Beherrschung des Menschen durch den Menschen. Der verfügbare gesellschaftliche Reichtum wird vergeudet durch ungeheures Wachstum unproduktiver Tätigkeiten und massenweise Produktion nicht reproduktiver Güter (Kriegs-, Weltraumindustrie). Gesamtgesellschaftlich nutzbar gemacht, sind sie reale Grundlage dafür, daß der Mensch sein Schicksal selbst in die Hand nimmt: die Maschine beherrscht, anstatt von ihr beherrscht zu werden, und seinen gesamten Lebenszusammenhang rational gestaltet.

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