radiX, Texte
 
2000
Wissenschaft und Hochschulen im Nationalsozialismus:

Konrad Lorenz und die Ethologie

I. Vorwort

Über die Zeit des Nationalsozialismus gibt es zu verschiedensten Themenbereichen massenhaft Literatur. Nicht wirklich fündig werden die Suchenden unter dem Schlagwort „Wissenschaftsgeschichte des 3. Reiches“ sowie deren Randbereiche, etwa „Hochschulen im NS“ oder „Wissenschaftspolitik im NS“.

Mehrtens und Richter (1980:8) begründen diese Lücke mit der Scheu, an solchen Themen die traditionellen Genzen wissenschaftsgeschichtlicher Forschung zu sprengen.

Denn es ergibt sich das Problem, wie die ForscherInnen in ihren jeweiligen Fächern dem hergebrachten Anspruch auf Objektivität und die scharfe Abgrenzung gegen alles „Außerwissenschaftliche“ in der Aufarbeitung und Rekonstruktion der eigenen Vergangenheit wahren sollen. Die Rede einer „Lauterkeit wissenschaflichen Erkennens“, die an sich schon kritisch zu hinterfragen ist, gerät in der Folge in noch gröbere Widersprüche:

  • Sind WissenschaftlerInnen keine politisch handelnden Menschen?
  • Gab/gibt es die „reine Wissenschaft“, die „gute“ versus die „böse Wissenschaft“?
  • Gab es im NS eine „neue Wissenschaft“? Wo liegen die Kontinuitäten davor und danach?
  • Sind wissenschaftliche Texte auch Taten?

Während der Lektüre zum und des Schreibens am gewählten Thema, wurde mir die auch von Mehrtens und Richter (1980:14) konstatierte Penetranz der Sprache nationalsozialistischer Ideologie teilweise unerträglich. Das alleinige Unter-Anführungszeichen-Setzen dieser Sprache der Vernichtung genügt jedoch nicht. Es gilt auch in der heutigen Sprache Anleihen an damals, die sich hinter der Maske sogenannter „neu-rechter“ Terminologie zu verstecken suchen und so ihre weiters vorhandenen AdressatInnen erreichen, zu enttarnen und zu bekämpfen.

Was wollten politische und wissenschaftlich Machthaber voneinander?

Die alte totalitaristische Auffassung, die versucht, das NS-Regime mit dem System der DDR zu vergleichen und damit zu verharmlosen, kommt heute wieder in Diskussion. Verglichen wird etwa mit der Behauptung, es handle sich bei beiden um monokratische [1] Regime, und nicht etwa um polykratische [2] Formen der Herrschaft.

In diesem Sinne und um die vielen Zentren der Herrschaft sichtbar zu machen, gilt es im Rahmen der NS-Wissenschaftsgeschichte u.a. zu erforschen, welche Teile welcher Wissenschafter [3] welche Unterstützung welches Regimes bekamen.

Anhand der Vergleichenden Verhaltensforschung sowie eines ihrer prominentesten Vertretern, Konrad Lorenz, soll eine Annäherung an die Beantwortung dieser Fragen vorgenommen werden, sowie neue Aspekte, z.B. jenem der Popularisierung der Ethologie [4] und deren Intention andiskutiert werden.

II. NS-Hochschulpolitik

Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933, eines der ersten und wichtigsten Gesetze des neuen Regimes, schuf die Voraussetzungen für die schon begonnenen Diskriminierungen und Entlassungen an Hochschulen und Universitäten und war neben der Einführung des „Führerprinzips“ Teil des Prozesses der Gleichschaltung der Universitäten.

Beamte [5] „nichtarischer Abstammung“, „jüdisch versippte“, sollten, soweit sie nicht „Frontkämpfer“ [6] im ersten Weltkrieg waren, pensioniert werden, und: „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden“. [7]

Nach § 3 des BBG wurden Jüdinnen und Juden und sogenannante jüdische Mischlinge als „Nichtarier“ entlassen, dazu gehörten Personen mit wenigstens einem jüdischen Großelternteil. Das Reichsbürgergesetz, eines der Nürnberger Gesetze vom September 1935, hob nicht nur die Vergünstigungen für jüdische Frontkämpfer auf, sondern stellte auch Nichtjuden, die nach dem 1.7.1933 einen Juden bzw. eine Jüdin geheiratet hatten „Nichtariern“ gleich. [8]

In Österreich wurden die deutschen Gesetze unmittelbar nach dem „Anschluß“ am 13. März 1938 in Kraft gesetzt. „Nichtarier“ wurden gemeinsam mit den politisch unerwünschten Personen bereits im April entlassen. Noch im März legten alle „arischen“ Hochschullehrer einen Eid auf Hitler ab. [9]

Lundgreen [10] beleuchtet vier Aspekte der NS-Hochschulpolitik:

  1. Die Umgestaltung der Hochschulverfassung nach dem „Führerprinzip“, also die Übertragung von früheren Entscheidungsbefugnissen der Fakultäten bei Habliotation, Beförderung und Berufung auf den Rektor. Dieser wurde nun nicht mehr gewählt sondern vom Reichserziehungsminister ernannt und zum „Führer“ der Universität bestellt. Das „Führerprinzip“ wurde an Deutschlands Universitäten im Herbst 1933, in Österreich im März 1938 eingeführt. [11]
  2. Umgestaltung des Lehrkörpers durch „Säuberungen“ und politische Rekrutierungspraxis.
  3. Politisierung der wissenschaftlichen Disziplinen durch Orientierung an „völkischen“ Gesichtspunkten.
  4. Instrumentalisierung von Forschung und Entwicklung für den „Endsieg“.

Durch das „Führerprinzip“, welches von einzelnen Länderregierungen schon vor Erlaß der „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung“ seitens des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (RMWEV) vom 1.4.1935 anstelle der akademischen Selbstverwaltung eingeführt wurde, war die Autonomie der Hochschulen aufgehoben worden. [12]

Direkt unter dem Reichswissenschaftsminister standen die „Dozentenschaft“ und die „Studentenschaft“, ebenfalls vom Reichswissenschaftsminister ernannt.

Diese zentralisierte Umstrukturierung der deutschen Hochschule bedeutete eine Entmachtung der Ordinarien.

Die Personalpolitik war nicht nur vom vom „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ und dessen tragischen Konsequenzen für die betroffenen WissenschaftlerInnen [13] bestimmt. Ab nun galten die Kriterien zur Berufung von Professoren, Dozenten und Assistenten nach Kriterien ihrer politischen Zuverlässigkeit oder ihrer Verdienste in der Parteiarbeit. Man setzte auf die Rekrutierung politisch zuverlässige Hochschullehrer. [14] Weiter Aspekte der NS-Personalpolitik an Hochschulen war die neue Reichshabilitationsordnung, die die Lehrberechtigung künftig an antisemitische und politisch motivierte Grundregeln koppelte. Ähnliches galt für die Besetzung von Dozenten- und Assistentenstellen.

Erst vor kurzem wurde in der Geschichtsschreibung der Wissenschaften damit begonnen, die Darstellungen eines Niedergangs der Wissenschaften im Nationalsozialismus im Sinne einer Dominanz von pseudowissenschaftlichen Ansätzen zu bezweifeln.

Anhand verschiedener Biographien zeigt die vorhandene Literatur die aktive Teilnahme von WissenschaftlerInnen aller Bereiche am nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug gegen Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Geisteskranke und Homosexuelle. Der Mythos von Rasseeigenschaften und Erblichkeit, mit dem sie diese Verbrechen wissenschaftlich zu begründen suchten, mußte ihnen nicht vom Regime aufgezwungen werden. Sie selbst drängten sich im Namen wissenschaftlicher Objektivität in die obersten Ränge der Universitäten und der Forschungseinrichtungen. Es kam zu keinem „Mißbrauch“ der Wissenschaft durch den Nazionalsozialismus, vielmehr suchten die meisten WissenschaftlerInnen aktiv nach verschiedensten Formen von Kollaboration und Verflechtungen mit dem System. [15] Die Konstruktion des „Mißbrauchs“ ist analog zur Schuldabweisformel „Hitler benutzte das deutsche Volk“ zu sehen. Wissenschaft und Technik sind keine in ihrem Wesen apolitische, wertneutrale Instrumente oder Werkzeuge.

Die Nationalsozialisten gaben selbst die „völkische Wissenschaft“ (z.B. die „Deutsche Physik“) auf, sobald diese den instrumentellen Nutzen nicht stiften konnte. [16]

Die Auswirkungen der 1933 eingeführten restriktiven Hochschulzulassungspolitik [17] führte zu Engpässen, die sich nicht mehr beseitigen ließen.

Die verschiedenen Zentren der Macht, die untereinander konkurierenden Personen und Organisationen, können am Beispiel der Hochschulen und der wissenschaftlichen Einrichtungen beobachtet werden. „Bei Machtkämpfen konnte einerseits die etablierte Wissenschaft ihre professionelle Autonomie weitgehend wahren, z.T. in Koalition mit der Großindustrie.“ [18] Andererseits habe die vordergründige Orientierung an der Produktionsausweitung im Rüstungsbereich eine schwerwiegende Vernachlässigung der technisch-wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung zur Folge gehabt.

Der 1937 gegründete Reichsforschungsrat (RFR) stellt im Rahmen des Vierjahresplanes von 1936 einen eigenen Versuch der Forschungslenkung von Grundlagenforschung des Reichswissenschaftsministeriums dar und sollte im Bereich der Rüstung, industrieller Produktion und Autarkie in den Rohstoffen greifen. [19] Die Deutsche Forschungs Gemeinschaft (DFG) war faktisch auf die Geisteswissenschaften beschränkt.

Es kam zu permanenten Machtkämpfen und auch Görings Versuch, den RFR 1942 neu zu beleben, die Wissenschaft als Mittel im Kampf um den „Endsieg“ einzusetzen, scheiterte. [20]

III. Naturwissenschaften im Nationalsozialismus

Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 [21] begannen auch in den Naturwissenschaften die Verfolgung und Vertreibungen. Bereits 1935 war fast jeder fünfter Naturwissenschaftler aus seiner Stellung vertrieben. [22] Unter ihnen Albert Einstein und Fritz Haber. [23] Den fehlenden Widerstand, den nicht vorhandenden Protest gegen den antisemitischen Terror auf den Universitäten und wissenschaftlichen Instituten auch unten den Naturwissenschaftlern beschreibt Mehrtens zwar, fährt jedoch mit der Feststellung fort, nur wenige Naturwissenschaftler seien Anhänger der Nationalsozialisten gewesen. Den Beweis für seine These bleibt er jedoch schuldig. Verharmlosend fügt er hinzu:

Die meisten hofften wohl, daß Hitler Deutschland aus der politischen Misere der Weimarer Republik und aus der Krise der Wirtschaft herausführen könnte und daß der „braune Sturm“, die Auswüchse des Regimes, sich bald legen würde. Sie schwiegen aus Unbeweglichkeit, aus Pflichtgefühl, aus Patriotismus oder aus politischer Blindheit und sahen hilflos der Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen zu. [24]

Wieso „hilflos“? Tatsächlich kam es auf den Universitäten zu keinem lauten Protestschrei. Die wenigen mutigen Ausnahmen, die Mehrtens anführt, zeigen jedoch um so deutlicher, daß es 1933 möglich war, gegen das neue Gesetz zu protestieren ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Den Menschen in dieser Situation „Hilflosigkeit“ zu attestieren, heißt die Augen vor den Hintergründen zu schließen, eine Entschuldigung zu suchen, die selbst „hilflos“ wirkt.

Eine weitere Szene des wissenschaftlichen Umfeldes aus dem Jahr 1933, die mehr über die Stellung der Wissenschaft um 1947 aussagt, dokumentiert „Geheimrat“ Prof. Max Planck in dem 1947 publizierten Bericht über seine Vorsprache bei Hitler. [25] Planck, damals President der Kaiser Willhelm Gesellschaft, inszeniert sich dabei sich als geheimer Widerstandskämpfer, [26] als mutiger Verteidiger „wertvolle(r)“ Juden — die er von den „wertlose(n)“ Juden unterschied — „ (...) unter ersteren alte Familien mit bester deutscher Kultur, und daß man doch Unterschiede machen müße.“ Das von ihm beschriebene Eintreten für seinen jüdischen Kollegen Fritz Haber begründet er auch nach ’45 nicht etwa mit einem Protest oder mit moralischer Empörung gegen die antisemitische Hetze und Repression an den Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen, sondern mit der „Verwertbarkeit“ Habers, „ohne dessen Verfahren zur Gewinnung des Ammoniaks aus dem Stickstoff der Luft der vorige Krieg von Anfang an verloren gewesen wäre.“ Die Rede von geistigem Kapital, von deutscher Kultur, vom Kampf für das Vaterland sowie sein elitäres Selbstverständnis zeichnen als Beispiel für die Kontinuität der Wissenschaft nach 1933.

„Im historisch-politischen Bewußtsein der meisten deutschen Hochschullehrer stellte zweifellos `1918/20´ jene Zäsur der Entzweiung dar, nicht `1933´.“ [27]

Die heutige Max-Planck-Gesellschaft (MPG) wurde unter dem Namen Kaiser Wilhelm-Gesellschaft (KWG) 1911 in Berlin, motiviert von Vertretern der Wissenschaft, des Staates und der Industrie, gegründet und sollte überwiegend privat, v.a. durch die Industrie, finanziert werden.

Mit dem Argument, die Einführung des „Führerprinzips“ sowie die Entlassung aller jüdischen Senatsmitglieder würde starke Kritik des Auslands provozieren, kam es nicht gleich 1933 zur offiziellen „Gleichschaltung“ — im Unterschied zu den meisten privaten und wirtschaftlichen Verbänden — diese folgte 1937. Einstweilen kam zu einer vorauseilenden „Selbsgleichschaltung“, indem nur ein Teil der Senatsmitglieder ausgewechselt wurde und Generaldirektor Glum glaubte, den neutralen und wissenschaftlichen Charakter der KWG gerettet zu haben.

Ute Deichmann beschreibt, wie die offiziellen Kommentare des Präsidenten der KWG, Max Planck, die aktive Rolle der KWG bei den Vertreibungen verschleiern und die Bereitschaft vieler Wissenschaftler der KWG, sich problem- und widerspruchslos der nationalsozialistischen Politik unterzuordnen, verdeutlichen. [28]

IV. Konrad Lorenz und die Vergleichende Verhaltensforschung [29]

Niko Tinbergen, Konrad Lorenz und Erich v. Holst gelten als die Pioniere in der Entwicklung der Ethologie, d.h. der Vergleichenden Verhaltensforschung, als naturwissenschaftliche Disziplin. Sie faßten Vorläuferkonzepte und eine Vielzahl einzelnder Hypothesen über das tierische Verhalten zu einer Theorie zusammen.

Andere zeitgenössische Strömungen in der Verhaltensforschung, wie z.B. der Behaviorismus, unterschieden sich grundlegend von der ethologischen Lehre. Der Behaviorismus versuchte, alle Verhaltensweisen auf unbedingte und erlente Reflexe zurückzuführen und somit als umweltbdingt anzusehen. Lorenz wollte hingegen beweisen, daß Instinktbewegungen nicht durch Lernen zu beeinflussen seien. [30]

Die Ethologie grenzte sich weiters vom Vitalismus [31] ab, welcher den Instinkt als ein richtungsgebender Faktor angesehen wurde, der dem angeborenen Verhalten des Tieres ein Ziel setzte. Die Ethologie lehnte jedoch die Möglichkeit einer Veränderung angeboreren Verhaltensweisen ab und beharrte auf der absoluten Starrheit der Instinktbewegungen.

Lorenz lehnte auch die damals bei einigen Tierpsychologen verbreitete psycholamarckistische [32] Auffassunge ab, nach der die Fähigkeit höherer Tiere zu freien Entscheidungen einen wichtigen Faktor beim Artenwandel in der Evolution darstellte.

Seine Arbeit „Über den Begriff der Instinkthandlung“ von 1937 gilt als Beginn der vergleichenden Verhaltensforschung als eigenständiger Disziplin. Seine These von der „arterhaltendenden Zweckmäßigkeit“ der Instinkthandlungen, die sich nach neueren Erkenntnissen der Verhaltensbiologie nicht aufrechterhalten lässt, findet sich noch in vielen Schul- und Lehrbüchern der Biologie. Die von der natürlichen Selektion positiv bewerteten Verhaltensweisen sind nach neueren Erkenntnissen der Evolutionsbiologie nicht auf die Erhaltung der Art oder das Gemeinwohl des Volkes gerichtet. Sowohl kooperative Verhaltensweisen als auch solche, die die Art oder die Population schädigen, können adaptiv sein. Durch naturwissenschaftliche Analysen lassen sich keine sittlichen Normen des menschlichen Zusammenlebens aufstellen.

V. Zur Biographie von Konrad Lorenz

In Österreich, wo der Katholizismus einen großen Einfluß auf die Wissenschaftspolitik ausübte, hatte Lorenz (1903 – 1989) anfangs Schwierigkeiten, anerkannt und finanziell unterstützt zu werden, da seine Forschung in wesentlichen Teilen eine evolutionsbiologische Ausrichtung einnahm. „Eine besondere Förderung ist in Österreich bei ihm schwer möglich, da hier aus Gründen der Weltanschuung der herrschenden Kreise die Biologie eher unerwünscht als erwünscht ist, und ganz besonders die Richtung, in der Lorenz so trefflich arbeitet.“ [33] schreibt Fritz Knoll, o. Professor für Botanik in Wien, am 17.10.1937 an den Genetiker Fritz von Wettstein.

Auch im nationalsozialistischen Deutschland begann seine Karriere nicht plötzlich und steil, sondern allmählich.

Er pomovierte im Anschluß an sein Medizinstudium in Zoologie und Psychologie zum Dr.phil. und wurde 1933 Assistent am Anatomischen Institut der Universität Wien bei Ferdinand Hochstetter, wo er sich 1935 habilitierte.

Taschwer (2000) beschreibt wie sich der Zulauf bei den Studierenden am Beginn seiner Vorlesungstätigkeit in engen Grenzen hielt: „Im gesamten Studienjahr 1939/40 blieb seine Hörerzahl unter fünf.“

Sein erster Antrag auf Finanzierung seiner Forschung 1937 bei der DFG wurde abgelehnt, da seine „Abstammung“ sowie seine politische Gesinnung in Frage gestellt wurde. Vermutlich spielte diese in Zeiten der Regierung Schuschnigg eine Rolle. Bereits ein Jahr später, nachdem etliche Fachkollegen für ihn intervenierten und ihm trotz seines fehlenden politischen Engagements sehr wohl Nähe und Sympathie zum Nationalsozialismus, auch was seine Forschungsinhalte betraf, attestierten, erhielt er Stipendien und Beihilfen des DFG.

1940 wurde er zum o. Professor und Direktor des Instituts für vergleichende Psychologie an der Uni Königsberg berufen. Es half ihm dabei sein Freund Otto Köhler (Ordinarius für Zoologie in Königsberg), der wie Lorenz zu den Biologen zählte, die sich in vielen Veröffentlichungen für rassenpolitische Ziele des Nationalsozialismus einsetzten. „Adolf Hitler glaubt daran, daß das deutsche Volk leben will. Wir Biologen wissen: wenn ein Volk nur so ernst will, daß es aus dem Wollen zum richtigen und erfolgreichen Handeln übergeht, so wird es leben.“ [34]

Lorenz behauptete nach 1945 wiederholt, sich immer von der Politik der Nationalsozialisten ferngehalten zu haben, er sei naiv und gutgläubig gewesen. „Und ich habe mich ja auch vor aller Politik gedrückt, weil ich mit meinen Problemen beschäftigt war. Auch vor einer Auseinandersetzung mit den Nazis habe ich mich in sehr verächtlicher Weise gedrückt, ich hatte einfach keine Zeit dazu (...) Andererseits: Wenn ich mich frühzeitig meiner politischen Pflichten erinnert hätte, hätte ich viele Dinge, für die ich den Nobelpreis bekommen habe, nie geschaffen.“ [35]

Lorenz trat der NSDAP bereits 1938 bei und wurde darüber hinaus Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP mit Redeerlaubnis.

Der Wissenschaftsjournalist und Biologe Benedikt Föger hat vor kurzem im Österreichisen Staatsarchiv Lorenz’s Ansuchen um Migliedschaft bei der NSDAP gefunden:

Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist und aus weltanschaulichen Gründen erbitterter Feind des schwarzen Regimes (nie gespendet oder geflaggt) und hatte wegen dieser auch aus meinen Arbeiten hervorgehenden Einstellung Schwierigkeiten mit der Erlangung der Dozentur. Ich habe unter Wissenschaftlern und vor allem Studenten eine wirklich erfolgreiche Werbetätigkeit entfaltet, schon lange vor dem Umbruch war es mir gelungen, sozialistischen Studenten die biologische Unmöglichkeit des Marxismus zu beweisen und sie zum Nationalsozialismus zu bekehren. Auf meinen vielen Kongress- und Vortragsreisen habe ich immer und überall mit aller Macht getrachtet, den Lügen der jüdisch-internationalen Presse über die angebliche Beliebtheit Schuschniggs und über die angebliche Vergewaltigung Österreichs durch den Nationalsozialismus mit zwingenden Beweisen entgegenzutreten. Dasselbe habe ich allen ausländischen Arbeitsgästen auf meiner Forschungsstelle in Altenberg gegenüber getan. Schließlich darf ich wohl sagen, daß meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht. [36]

Taschwer, der einen Artikel dazu in der Wochenzeitschrift Der Falter publizierte und auch den Antrag veröffentlichte, schrieb: „(...) selten zuvor konnte dessen Nazi-Anhängerschaft so explizit belegt werden wie durch diese am 28. Juni 1938 eigenhändig gemachten ‚Angaben über sonstige Tätigkeiten für die NSDAP‘“. [37]

Ein weiteres Zitat aus einem Brief von Lorenz an den Ornithologen [38] Erwin Stresemann vom 26. März 1938 untermauert diese Tatsache um ein weiteres:

Sie können sich keine blasse Vorstellung davon machen, in welcher Ausnahme- und Feststimmung selbst so unpolitische Burschen wie wir sind. Wie ich in Berlin so oft sagte: Man muß 5 Jahre unter der Regierung der schwarzen Schweinehunde gestanden haben, um ein ,Deuschland erwache’ mit der vollen Intensität zu erleben. Ich glaube, wir Östereicher sind die aufrichtigsten und überzeugtesten Nationalsozialisten überhaupt! Man muß im Grunde genommen den Herrn Schuschnigg und Konsorten dankbar sein, denn ohne ihre unbeabsichtigte Hilfe wären die faulen und ihrem Nationalcharakter nach besonders meckerbereiten Österreicher lange nicht so schnell, gründlich und nachhaltig zu Hitler bekehrt worden. Und das sind sie jetzt wirklich und zweifellos! [39]

1941 wurde er zum Kriegsdienst als Heerespsychologe einberufen. 1942 kam er als Neurologe und Psychiater ins Posener Reservelazarett.

In Posen wirkte er als Psychologe an psychologischen Untersuchungen im Rahmen des Arbeitskreises „Eignungsforschung“ mit, die die „Reichsstiftung für deutsche Ostforschung“ auf Anregung amtlicher Stellen an Posener „deutsch-polnischen Mischlingen“ und Polen durchführte. Ihr Auftrag war es „eignungspsychologische und charakterologische Wertigkeitsuntersuchungen an deutsch-polnischen Mischlingen und Polen, Gliedern der Gruppe III und IV der Deutschen Volksliste Posen sowie an der polnischen Stadtbevölkerung von Posen“ durchzuführen. Die Untersuchungen umfaßten 877 Personen und fanden von Mai bis September 1942 statt.

Ergebnisse der Untersuchungen waren u.a., daß sich die deutsche und polnische Grundstruktur weitgehend ausschließe. Deutsche Erbsubstanz unterscheide sich von polnischer durch „Durchsetzigkeit, Abhängigkeit, energetische Dynamik und erschwerte Dynamik“. Polen seien charakterisiert durch: „Erschlossenheit für die Fülle des Lebens, Lebensangst, triebhafte Dynamik, vitale Wurzelarmut“. Bei der Analyse der Leistungsfähigkeit „deutsch-polnischer Mischlinge“ wurde als Ergebnis formuliert, daß die „deutsche Anlage zur Werkfähigkeit bei der Mischung weitgehend verloren geht“.

Weiters: „... substanzielle Schäden einer Mischung bedeuten nicht nur eine unbequeme und schwer zu lenkende Bevölkerung, sondern eine weitgehende Störung auch des praktischen und zivilisatorischen Lebens.“ [40]

Neben seiner Tätigkeit am Forschungsprojekt schrieb er sein Buch „Die angeborenen Formen möglicher Erfahrungen“ fertig, indem er u.a. Degenerationserscheinungen auf „die Veränderung, die Ausschaltung, ja in manchen Fällen die radikale Umkehrung auslesender und ausmerzender Umwelteinflüsse“ zurückführte und eine „bewußte, wissenschaftlich unterbaute Rassenpolitik“ forderte. [41]

Lorenz nahm an diesen Untersuchungen sogar ehrenamtlich teil. Weder er noch andere erwähnten später diesen Abschnitt seiner Biographie.

Lorenz kehrte 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Altenberg zurück.

Seine nationalsozialistische Vergangenheit war zu keinem Zeitpunkt Hindernis für seine Karriere. Daß er den gewünschten Lehrstuhl für Zoologie in Graz 1950 nicht erhielt, bürgte eher für eine Kontinuität österreichischer Wissenschaftspolitiker zu früheren Jahren (zu darwinistisch, ...) Bereits 1951 bekam er mit Hilfe seiner Kollegen eine Forschungsstelle im Rahmen des MPI, 1961 wurde er Direktor des neuen MPI für Verhaltensforschung

1973 erhielt er den Nobelpreis für Medizin für seine wissenschaftlichen Leistungen.

Lorenz, der seine nationalsozialistische Vergangenheit immer leugnete, änderte jedoch auch in nachfolgenden Schriften seine Inhalte nicht, sondern nur die Sprache, mittels derer er in sogennanter neu-rechter Manier die Shoa verharmlost, den Nationalsozialismus verherrlicht und faschistisches Gedankengut verbreitet — mit Erfolg, seine populärwissenschaftilichen Bücher waren berühmter als seine wissenschaftlichen Arbeiten. In „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ (1973) ist bereits im Vorwort der antisemitische Unterton nicht zu überhören, als er sich mit dem wohlbekannten und rabiaten Antisemiten Abraham a Sancta Clara [42] vergleicht.

1981 behauptet KL in einem Interview, daß er nicht gewußt habe, daß mit „ausmerzen“ oder „Selektion“ Mord gemeint war. Er sei naiv, blöd, gutgläubig gewesen.

Seit 1933 war das Ausmerzungskonzept grundlegender Bestandteil nationalsozialistischer Politik gewesen. Mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sollte „biologisch minderwertiges Erbgut“ durch Zwangssterilisation ausgeschaltet werden. Das Ausmerzungskonzept gipfelte in der 1939 offiziell begonnenen Euthanansie und der 1941 begonnen „Endlösung der Judenfrage“, der geplanten, bis ins letzte Detail organsisierten, industriellen Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden.

VI. Ideologie in den Schriften von Lorenz

Theodora Kalikow (1980) beschreibt die ideologischen Aspekte in Lorenz´ Schriften von 1938 bis 1943 und kommt zu folgen drei Hauptpunkten:

  • Erstens sah Lorenz Veränderungen in den instinktiven Verhaltensmustern von domestizierten Tieren als Symptome des Verfalls.
  • Zweitens nahm er eine Homologie, also eine Entsprechung, zwischen domestizierten Tieren und zivilisierten Menschen an, und glaubte, daß die Zivilisation sich in einem Prozeß des Verfalls und Untergangs befinde.
  • Drittens verband er die genannten Ansichten mit der Rassenpolitik und anderen Zügen des Naziprogramms. Der dritte Punkt ist der einzige, der in dieser offenen Art in den Schriften vor ’33 und nach ’45 nicht zu finden ist.

Bei Lorenz ergab sich die Verbindung von Ethologie mit Naziideologie und Rassenpolitik im Zusammenhang mit der Frage nach Körper- und Verhaltensveränderungen im Prozeß der Domestikation von Tieren.

Ernst Haeckels [43] Theorien waren von Lorenz seit seiner Kindheit aufgenommen worden, also bereits lang bevor auch die Nationalsozialisten Haeckls Sicht der Biologie und der Gesellschaft übernahmen.

  • Er vertat die anti-aufklärerische, biologistische Ansicht, daß die Gesezte der Natur auch die Gesetze der Gesellschaft seien. Insbesondere das „deutsche Volk“ sei vor dem Verfall aufgrund zivilisatorischer Übertretungen zu schützen und führe auf die Notwendigkeit der Eugenik. Er bekennt sich sozialdarwinistisch zur Herrschaft er „Besten“ im Kampf um die Existenz.
  • Er postulierte einen versteckten Determinismus, mit dem er auf die Frage „Warum verfällt das Volk?“ in Übereinstimmung mit der völkischen Ideologie antworten könnte: Die Ursache sei der genetische Verfall.
  • Die äußere menschliche Form wiederspiegele den inneren Zustand und die klassischen Griechen seien Urahnen der arischen Rasse.
  • Die Vorstellung der Evolution als schöpferische Weltkraft, die die traditionellen Gottsbegriffe ersetzte. Diesen Punkt teilte Hackel mit Lorenz, nicht jedoch mit den Nazis, die die Evolutionstheorie zwar nicht ächteten, sie jedoch gelegentlich angriffen, da sie nicht akzeptieren konnten, daß die Menschen sich aus „niederen“ Organismen entwickelt hätten, was dem Glauben an die ewige Überlegenheit der arischen Rasse widersprochen hätte. Sehr wohl teilten die Nazis Haeckls Feindseligkeit gegen organisierte Religion. [44]

Die Übernahme eines Großteils der Haeckelschen Weltanschauung in die NS-Ideologie stellt einen Prozeß wechselseitiger Legitimation dar.

Auf die Frage, warum sich Lorenz ab 1938 in einer Reihe von Arbeiten mit dem Thema menschlicher und tierischer Entartung befaßte, antwortet Kalikowa (1980:194f), daß dies ursprünglich vom Einfluß Haeckels herrührte und nicht von irgendeiner neuen Anschauung, die er der NS-Ideologie entnahm. Auch in den Schriften nach ’45 bleibt er der Haeckelschen Überzeugungen treu, wie in dem bereits erwähnten „Die acht Todsünden der zivilisierten Menscheit“. „Meines Erachtens war es das nach dem Anschluß Österreichs 1938 herrschende soziale, politische und kulturelle Klim,a das es Lorenz ermöglichte, seine Tierbeobachtungen und -versuche auszuarbeiten und Parallelen zur menschlichen Gesellschaft zu ziehen – Parallelen, die weit über die Ergebnisse seiner Beobachtungen hinausgingen.“ [45]

Lorenz glaubte, es sei eine nützliche Strategie zur Förderung seiner Wissenschaft, wenn er diejenigen Aspekte der Ethologie betonte, die der Naziideologie verwandt waren. Mit dieser Strategie bei den Nazi-Autoritäten Anerkennung zu gewinnen, hatte er einen gewissen Erfolg. Die Ethologie exsistierte Anfang der 30er Jahre nicht als ein getrennt definierter, organisierter Zweig der biologischen Wissenschaften. Erst 1936 wurde zum erstenmal eine Gruppe ins Leben gerufen, die als erste Schritt in diese Richtung gewertet werden kann: Die Deutsche Gesellschaft für Tierpsychologie. Lorenz war Mitherausgeber der Zeitschrift der Gesellschaft: Zeitschrift für Tierpsychologie.

Sein Vortrag „Über Ausfallserscheinungen im Instinktverhalten von Haustieren und ihre sozialpsychologische Bedeutung“ im Juli 1938, kurz nach dem „Anschluß“ weist sämtliche ideologisch beeinflußten Themen auf. Dieser Vortrag am 16. Kongreß der Deutschen Psychologische Gesellschaft in Bayreuth ist aber gleichzeitig ein gutes Beispiel für Lorenz’ Opportunismus, indem er sich an die Nazis anbiedert bzw. seinen Vortrag an das Publikum und die Organisatoren ideologisch perfekt „anpaßte“. So beginnt sein Vortrag mit einem Seitenhieb auf Pawlows Ketten-Reflex-Verhaltenstheorie, denn die Nazis hätten aus dieser möglicherweise den ideologischen Schluß einer Gleichheit aller Menschen ziehen können, und das wollte Lorenz vermeiden. Er ließ auch keine Gelegenheit aus, die Verwendbarkeit seiner ethologischen Theorien für die Ziele der Nationalsozialisten aufzuzeigen. Einige Zitate aus seinem Vortrag sollen das veranschaulichen:

(...) ich hier einige höchst unmittelbar Rückschlüsse vom Tiere auf den Menschen vorführe, (...) geeignet erscheinen, die Augen des zur Auslese Berufenen für Werte zu öffnen, deren Pflege schon deshalb der Auslese vorbehalten sein muß, weil sie durch Erziehung so gut wie nicht beeinflußbar sind.

Daher dürfen wir hoffen, duch eine nähere Untersuchung des Verhaltens von Haustieren in unserem Verständnisse der biologischen Ursachen mancher bedrohlicher Verfallserscheinungen im Verhalten zivilisierter Menschen gefördert zu werden.

Es sei Berufeneren überlassen, die offensichtlichen Parallelen zwischen den hier beschriebenen Ausfallserscheinungen im Instinktverhalten von Haustieren und moralischen Verfallserscheinungen bei überzivilisierten Menschen zu ziehen.

Erst bei einer Verdünnung des Haustiererbes auf 1/32 war das normales Verhalten wilder Stockenten wiederhergestellt.

Eine Tatsache sei wegen ihrer hohen rassenpolitischen Wichtigkeit nochmals hervorgehoben: (...)

In der Großstadt, wo ganz wie oben beschrieben, der Wettbewerb des Artgenossen der wichtigste feindliche Faktor ist, muß die „Schmutzkonkurrenz“ von Volksgenossen mit einer auch nur ganz wenig verringerten Selektivität im Ansprechen sozialer Reaktionen eine denkbar ungünstige Richtung natürlicher Zuchtwahl zur Folge haben.

(...) nichts ist für die Gesundheit eines Volksganzen so wichtig, wie die Ausschaltung invirenter Typen, die in gefährlichster Vermehrungsvirulenz, wie Zellen eines malignen Tumors den Volkskörper zu durchdringen drohen.

(...) forschend auch zu unseren einfacheren und leichter durchschaubaren Mitgeschöpfen herabzusteigen um Tatsachen zu erfahren, die den Unterbau für die Pflege unserer heiligsten rassischen, völkischen und menschlichen Erbgüter befestigen.

In diesem Vortrag kommen eine ganze Reihe nationalsozialistische ideologische Versatzsücke zu tage:

  • die Homologie zwischen Tiere und Menschen.
  • die völkische Idee, das einzig wahre Leben für den Menschen sei die bäuerliche Exsistenz.
  • die Idee des „degenerierten Großstadtmenschen“ als Inbegriff des entarteten Typus im Gegensatz zum edelen rassenreinen Bauern.
  • die Vorstellung von angeborenen emotionalen Reaktionen auf Phänomene des Verhaltensveralls bei den Menschen, das „instinktive Seelenerkennen von wertvollen Menschen und wahrer Kunst.
  • die Annahme von der Vererbung nicht nur des Verhaltens, sondern auch der emotionalen Disposition eines Menschen, und unserer „instinktiven Bewertung“ derselben.
  • der Schluß, „nichtdegenerierte“ Menschen könnten instinktiv die „Seele“, die Gefühle und Motive eines anderen erfassen.
  • der Hinweis, wie diese von ihren angeborenen Fähigkeiten Gebrauch machen müßten, um dem Spenglerischen „Untergang des Abendlandes“ [46] entgegenzuwirken, den „degenerierten Typos“ zu eliminieren.

Kalikow (1980: 220f) beschreibt den Vortrag: „Weder hier noch anderso finde ich irgendwelche anderen „biologischen Grundlagen“, die Lorenz im Sinne gehabt haben könnte. Damit ist schon die Grundvoraussetzung der gesamten Arbeit von Lorenz zu Domestikation und Zivilisation von seinen haeckelschen, aber im wesentlichen außerwissenschaftlichen Vorstellungen geprägt.“

Aus seinem Aufsatz „Systematik und Entwicklungsgedanke im Unterricht“, den er 1940 für die Monatszeitschrift des Deutschen Biologen-Verbandes, Der Biologe, schrieb, sollen in der folge einige Zitate gebracht werden, die Lorenz’ Versuch verbildlichen, die an Haeckl angelehnten Auffassung der Evolution mit der nationalsozialistischen Ideologie zu verbinden, um damit Unterstützung für „seine“ Ethologie zu erreichen:

Die Wertung hoher Ziele, das Streben nach Idealen ist dem hochwertigen Jugendlichen angeboren und muß (im Original kursiv) eine Zielsetzung, ein lebenserfüllendes Ideal finden. Der eigentliche Sinn dieser Empfindungen ist sozial (im Original kursiv), sein natürlicher biologischer Sinn ist die Aufartung und Verbesserung von Volk und Rasse.

Ob wir das Schicksal der Dinosaurier teilen, oder ob wir uns zu einer ungeahnten, unserer heutigen Gehirn-Organisation vielleicht gar nicht erfaßbaren Höherentwickling emporschwingen, ist ausschließlich eine frage der biologischen Durchschlagskraft und des Lebenseillens unseres Volkes. I Besonderen hängt gegenwärtig die große Entscheidung wohl von der frage ab, ob wir bestimmte, durch den Mangel einer natürlichen Auslese entstehende Verfallserscheinungen an Volk und Menschheit rechtzeitig bekämpfen lernen oder nicht. Gerade in diesem Rennen um Sein oder Nichtsein sind wir Deutschen allen anderen Kulturvölkern um tausende Schritte voraus.

Kein ernst zu nehmender Biologe leugnet heute die Wirklichkeit der Möglichkeiten einer Höherentwicklung und die Gefahren eines Absinkens der Menschheit. Aber de Mann derschlichten Alltagsarbeit der Naturforschung hat erfahrungsgemäß eine gewisse Hemmung, von ihren letzten großen Folgerungen zu reden (kursiv im Original).

(…) verlangt aktivste Stellungnahme, verlangt Taten (kursiv im Original) von uns, (…). Wer davon überzeugt ist, nie genotypisch bessere Nachkommen haben zu können, als er selbst es ist, hat keinen Grund, nach einer besseren Zukunft zu streben.

Ich möchte hier nur ganz schlicht meine eigenen Erfahrungen über die Beziehungen zwischen Entwicklungsgedanken und nationalsozialistischer Weltanschauung wiedergeben.

In der Mehrzahl der Fälle sind unter Studierenden und Biologen gerade diejenigen die überzeugtesten und weltanschaulich bestgefestigsten Nationalsozialisten, die von der Abstammungslehre und ihrer Bedeutung am stärksten durchdrungen sind.

Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst“ deutet Lorenz in diesem Text folgend: „Da uns Rasse und Volk alles, der Einzelmensch so gut wie nichts ist ist dieses Gebot für uns eine ganz selbstverständliche Frage.

Jedem vollwertigen Menschen und insbesondere jedem Deutschen ist ein blutmäßig ererbtes und tief im Instinktmäßigen wurzelndes Bedürfnis (kursiv im Original) nach religiösen Idealen angeboren.

Kalikow (1980:204-209) analysiert in der folge Lorenz’ weitere Schriften, wie z.B. „Durch Domestikation verursachte Störung arteigenen Verhaltens“ (Lorenz 1940), welche voller Naziideologie ist, in der die ideologische Sicht der Großstadt als Ort der Dekadenz ein Rolle spielt und in der Lorenz die Hypothese einführte, daß etwas in den Bedingungen des zivilisiert-domestizierten Lebens das Auftreten von Mutationen verursache. Seine Arbeit über „Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung“ (Lorenz 1943) „zeigt die vielleicht interessantesten Beispiele für die Kongruenz von Lorenz´ Theorien mit der herrschenden Ideologie“: [47]

  • die ewige Einheit wahrer Kunst
  • die Idealisierung des nordischen Typus
  • dessen Vergleich mit dem griechischen Ideal
  • der instinktive, antirationale Gebrauch der ethisch-ästhetischen Reaktionen und der Nutzen dieser Emotionen als Abwehr von Domestikationserscheinungen.

VII. Popularisierte und „reine“ Wissenschaft anhand der Vergleichenden Verhaltensforschung

Das Verschwinden des expliziten Nazi-Jargons nach dem 2. Weltkrieg sollte nicht zu dem Glauben verleiten, daß es sich danach um „reine Wissenschaft“ handelte und daß die NS-Zeit keine Auswirkung auf Lorenz´ Arbeit gegabt habe. [48]

Auch in seinem Schriften nach ’45 gab er seinen Glauben, daß die Zivilsation der Menschen mit der Domestikation der Tiere verglichen werden könne, nicht auf.

Im ganzen gesehen, ist das Haustier in der Tat eine böse Karikatur seines Herrn. In einer früheren Arbeit (1954) habe ich darauf hingewiesen, daß unser ästhetisches Wertempfinden deutliche Beziehungen zu jenen körperlichen Veränderungen zeigt, die im zuge der Haustierwerdung regelmäßig aufreten. (...) [49]

Grundlegende ideologische Elemente sind in seinen Arbeiten nach ’45 nach wie vor vorhanden.

Taschwer (2000) verdeutlicht die fließenden Grenzen zwischen der „reinen“ wissenschaftlichen Forschung und der „unreinen“ Popularisierung, die der frühen ethologischen Forschung oftmals vorausgegangen war.

Die Popularisierung der Wissenschaft, die Vereinfachung wissenschaftlicher Erkenntnis, wurde oft falsch verstanden als hehere Aufgabe, da unter einem aufklärerischen Gesichtspunkt es doch legitim sei, der breiten Masse Erkenntnisse vereinfacht zu übermitteln.

Jedoch weißt Taschwer auf die Rückkoppelung popularisierten Wissens hin, das nicht selten wieder in den Forschungsprozeß Eingang findet. Die Verbreitung unsicherer wissenschaftlicher Erkenntnisse, sowie deren Unwidersprochenheit, kann auch zur Etablierung jener Wissenschaft führen. Die Vergleichende Verhaltensforschung bietet ein besonders offensichtliches Beispiel für diese These.

Im Gegensatz zur traditionellen dichotomisierten Sicht von „reiner“ und „unreiner“ Wissenschaft, und der falschen Annahme, die WissenschaftlerInnen besitzen ein Monopol auf die Wahrheit, auf Entscheidungen, etc, steht das Bild eines fließenden Kontinuums. Die erfolgreiche Popularisierung kann auch vor der wissenschaftlichen Anerkennung einer Disziplin erfolgen, ja diese erst bewirken.

Lorenz lernte bereits früh, seine Erkenntnisse zu popularisieren. Sein „Führer“, wie er ihn nannte, Oskar Heinroth, riet ihm bereits 1930 in einem Brief, seine Arbeiten zwar „wissenschaftlich ein einer Fachzeitschrift (zu) veröffentlichen und sie außerdem nachher in volkstümlicher Art (kundzutun).“

Die Tierbeobachtung war neben wenigen anderen Disziplinen noch lange Zeit vom „Laientum“ geprägt und konnte „kommerzialisiert“ werden. In den zwanziger Jahren war im populärwissenchaftlichen Zeitschriftenwesen ein signifikanter Rückgang zu verzeichnen, die Zoologie jedoch blieb mit ihren verwandten Bereichen davon relativ unberührt: es kam zu einem Zuwachs sowohl der Fachzeitschriften als auch der populären Magazine.

Die Ethologie war in den dreißiger Jahren wie bereits erwähnt alles ander als ein etabliertes Fach an den Universitäten. Lorenz’ Popularisierungsbemühungen sind auch Teil seines Kampfes für die akademische Anerkennung seiner Forschung.

Er hielt in den frühen 30er Jahren „volkstümliche Hochschulkurse“ als populärwissenschaftlicher Vortragender ab, noch Jahre vor dem Einzug der Ethologie in die Akademie.

Das Thema eines Vortrags: „Die instinktmässigen Grundlagen tierischen und menschlichen Gesellschaftslebens“, jedoch — wie aus einem von Taschwer veröffentlichtem Briefwechsel hervorgeht — „eventuell unter Weglassung des ‚menschlichen‘, wenn das ‚moralisch‘ anstösssig sein sollte!“ Lorenz war schon Jahre vor dem „Anschluß“ bewußt, daß einige seiner Thesesn moralisch bzw. politisch anstössig sein könnten, also schon lange vorher an jenen Thesen gearbeitet haben, die nach 1938 „opportun“ wurden.

Otto König saß als Zuhörer in jenen Urania-Kursen. Er erhielt nach eigenen Angaben dort die ersten Anregungen zur Gründung der Forschungsgemeinschaft Wilhelminenberg, jener bahnbrechenden Einrichtung für die Ethologie in Österreich.

Es gab also, wie im vorigen Kapitel beschrieben, nicht nur ein Kontinuum auf der Ebene von Ideologie und Wissenschaft, sondern auch auf der Ebene von Popularisierung und Forschung.

Für die Auseinandersetzung mit den Aufsätzen von Lorenz zwischen 1938 und 1943 gilt mutatis mutandum, was Bourdieu über Heideggers Schriften aus der NS-Zeit formuliert hat: Tatsächlich basiert auch im Fall von Lorenz eine angemessene Analyse “auf einer doppelten Weigerung”, die sowohl den Anspruch des biologischen Textes auf seine wissenschaftliche Autonomie und die damit einher gehende Ablehnung jedes Außenbezugs zurückweist als auch die unmittelbare Reduktion des Textes bloß auf die politischen Bedingungen seiner Produktion. [50] Die Trennung von politischer und biologischer Lektüre ist folglich aufzugeben, zumal sich die Arbeiten gerade durch ihre Ambiguität auszeichnen sowie durch die gut versteckten Übergänge zwischen ethologischen Erkenntnissen und ideologischen Behauptungen. [51]

VIII. Schlußbemerkung

Der rechtskonservative Historiker Lothar Höbelt macht sich in seiner wöchentlichen Kolumne in der rechtsextremen und regierungsnahen Zeitschrift Zur Zeit vom 9.–15. März 2001 über einen Artikel lustig, der in bezug auf das jüngst erschienene Ansuchen Konrad Lorenz’ in die NSDAP aus dem Jahre 1938, publiziert wurde. Er bedauere zwar den „brain-drain“ (...) welchen Österreich „durch die Vertreibung der Juden 1938“ erlitten hätte (sic!), jedoch sei dieser „Schaden“ durch „Engstirnigkeit und neuerliche Verfolgungen mit umgekehrten Vorzeichenkeineswegs gutzumachen (...)“ Es sei kontraproduktiv gewesen, „auch noch die verbleibenden Forscher hinauszuwerfen, weil sie unter dem ‚falschen‘ Regime geforscht“ hätten. Daß Konrad Lorenz’ Karriere durch seine Nazi-Vergangenheit in keiner Weise getrübt wurde, nennt Höbelt, wie auch seinen Artikel, einen „Sieg der Vernunft“. Schließlich dürften seinen Graugänsen die eine wie die andere Partei ziemlich gleichgültig gewesen sein, beschließt der Hochschulprofessor der Universtät Wien seine Kolumne.

Lorenz genießt heute neben dem rechtsextremen Spektrum auch durchaus Sympathien in der grünen Umweltschützerszene sowie unter diversen Shoa-verharmlosender TierRechtsschützer-Gruppen. Auch diese Kontinuitäten sollten noch beleuchtet werden, würden jedoch den Rahmen dieser Seminar-Arbeit sprengen.

Bibliographie

  • DEICHMANN, Ute: Biologen unter Hitler. Portrait einer Wissenschaft im NS-Staat. Frankfurt am Main, überarbeitete und erweiterte Ausgabe, 1995
  • FISCHER, Gero und WÖFLINGSEDER; Maria: Biologismus, Rassismus , Nationalismus. Rechte Ideologien im Vormarsch. Wien 1995
  • HENTSCHEL, Klaus(Hrsg.): Physics and National Socialism. Basel 1996
  • KALIKOW J., Theodora: Die ethologische Theorie von Konrad Lorenz: Erklärung und Ideologie, 1938 bis 1943. In: MEHRTENS Herbert und RICHTER Steffen (Hrsg.) Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie. Frankfurt 1980, S. 189 - 214
  • KOROTIN, Ilse(Hg.): Die besten Geister der Nation: Philosophie und Nation. Philosophie und Nationalsozialismus. Wien 1994
  • LEWONTIN, Rose, Kamin: Die Gene sind es nicht. Biologie, Ideologie und menschliche Natur (Kritik), 1984
  • LORENZ, Konrad: Über den Begriff der Instinkthandlung. In: Folia biotheoretica, 1937: 17 - 50
  • Ders.: Über Ausfallserscheinungen im Instinktverhalten von Haustieren und ihre sozialpsychologische Bedeutung. In: „Charakter und Erziehung. Bericht über den XVI. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Bayreuth vom 2. – 4. Juli 1938.“ KLEMM; Otto (Hrsg.) Verlag Leipzig 1939:139 - 147
  • Ders.: Systematik und Entwicklungsgedanke im Unterricht. In: „Der Biologe: Monatszeitschrift des Deutschen Biologen-Verbandes.“ München (u.a.) 1940, 1-2: 24-36
  • Ders.: Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung, Juli 1942. In: „Zeitschrift für Tierpsychologie“, 1943, Heft 2
  • Ders.: Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, München 1973
  • Ders.: Das sogenannte Böse, München 1974
  • LUNDGREEN, Peter (Hg.): Wissenschaft im Dritten Reich. Frankfurt am Main 1985
  • LUNDGREEN, Peter: Hochschulpolitik und Wissenschaft im Dritten Reich. In: Lundgreen, Peter (Hrsg.) 1985:9-30
  • MEHRTENS Herbert und RICHTER Steffen (Hrsg.): Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie. Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des Dritten Reiches. Frankfurt 1980
  • OBERKOFLER, Gerhard, Eduard RABOFSKY: Studie zur Geschichte der österreichischen Wissenschaft (1945 – 1960) Beiträge zu ihren Problemen. Frankfurt am Main 1989
  • PELINKA; Anton: Austria: Out of the Shadow of the Past. Westview Press 1999
  • SCHMID; Ulrich: Biologen im NS-Staat. In: Das Argument, Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Seite 611 – 621, 35. Jahrgang, Heft 4, Juli/August 1993, Berlin
  • STUHLHOFER; Franz: Lohn und Strafe in der Wissenschaft: Naturforscher im Urteil der Geschichte. Wien, Graz [u.a.] 1987
  • TASCHWER; Klaus: Rendezvous mit Tier und Mensch. Wissenschaftssoziologische Anmerkungen zur vergleichenden Verhaltensforschung unter besonderer Berücksichtigung ihrer Popularisierungstätigkeit. In: Christian Fleck (Hg.): Soziologische und historische Analysen der Sozialwissenschaften. Österreichische Zeitschrift für Soziologie Sonderband 5, S. 309-341, 2000
  • ders.: Die unendiche Geschichte. Politik und Biologie. In: „Der Falter“ 9/01 Seite 14-15
  • ders.: Von Gänsen und Menschen. Über die Geschichte der Ethologie in Österreich und über ihren Protagonisten, den Forscher, Popularisator und Öko-Politiker Konrad Lorenz. In: Mitchell Ash und Christian Stifter (Hg.), 2001a

[1Monokratisch: Monokratie: „[zu grch. kratein »herrschen«] die, Herrschaft eines Einzelnen, sowohl die Monarchie als auch andere Formen (Tyrannis, Diktatur). (Aristokratie).“
monokratisches Prinzip: „Im Ggs. zum Kollegialprinzip ein Organisationsprinzip bes. von Behörden, dem zufolge die institutionellen Befugnisse nur dem jeweiligen Leiter zustehen, dieser aber delegationsbefugt ist.“ Siehe Meyers Taschenlexikon, 1999.

[2Polykratisch: Unter dem Schlagwort Nationalsozialismus findet sich im Meyers Taschenlexikon, 1999, Polykratie beschrieben: „Neben zahlreichen wiss. Instituten und Einzelforschern im In- und Ausland wird die NS-Forschung in Dtl. v.ÿa. vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ; Sitz: München) betrieben. Schwerpunkte der Forschungen waren zunächst die Weltanschauung und die Kriegspolitik des N., die Formen und Bedingungen der Entstehung und des Aufstiegs der NSDAP zur Macht sowie die Rolle Hitlers im N. (»Hitlerzentrik« versus »Strukturgeschichte«, Phänomen der Polykratie), dazu Studien zum Verhältnis zu den alten Machteliten in Dtl. und zu Fragen der Kontinuität oder des Bruches des N. mit den Traditionen dt. Außen- und Gesellschaftspolitik, ferner Untersuchungen zum Widerstand gegen den N. sowie Arbeiten zu nat.-soz. Judenpolitik und Holocaust, speziell zur Genese der »Endlösung«, neuerdings zu den versch. Tätergruppen.“

[3Ich verbleibe hier bewußt im Maskulin, da ich die Rolle der Frauen im NS-Regime nicht beschönigen und verfälschen will, indem ich andeute, es hätte in irgendeiner Form gleichberechtigte Forschung oder Lehre von Frauen gegeben. Siehe Gratzer 1998:40, und 100.

[4Taschwer 2000

[5Durch einen Erlaß fielen kurze Zeit später auch nicht verbeamtete Hochschullehrer und Pofessoren unter dieses Gesetz.

[6Durch die Nürnberger Gesetze wurde die Sonderregelung für Kriegsteilnehmer dann endgültig gestrichen. Die einsetzende völkische Definition des Judentums, die Fremdbestimmung in jeder Hinsicht, begann und es war für die patriotischen und assimilierten Jüdinnen und Juden ein Schock, daß ihnen das Recht abgesprochen wurde, Deutsche zu sein.

[7Vgl. Lundreen 1985:12.

[8Vgl. Deichmann 1995:31ff.

[9Ebenda.

[10Lundgreen, Peter 1985: Hochschulpolitik und Wissenschaft im Dritten Reich. In: Lundgreen, Peter (Hrsg.) 1985:9-30.

[11An der Deutschen Universität in Prag fanden die Entlassungen in vielen Fällen schon Monate vor der deutschen Besetzung im März 1939 statt. In Straßburg und Posen wurden die geschlossenen französischen bsw. polnischen Universitäten 1940 bzw. 1941 mit deutschem Personal wiedereröffnet. Deichmann 1995:32f

[12Kritischer als Deichmann (1995) setzt sich Schmid (1993) mit dem „Autonomie-Verlust“ auseinander. Er beschreibt u.a., wie Autonomieansprüche im Tausch gegen mehr oder minder diskrete Formen der Kollaboration erhalten oder gewonnen werden konnten.

[13„313 ordentliche und 109 außerordentliche Professoren, 75 Honorarprofessoren, 322 Privatdozenten, 42 Lektoren, 232 Assistenten, 133 Mitarbeiter an wissenschaftlichen Instituten“. Lundgreen 1985: 12. Zit. nach Maier, Hans: Nationalsozialistische Hochschulpolitik. In: Die deutsche Universität im Dritten Reich, München 1966:81ff.

[14allerdings nicht in der Biologie, vgl Schmid 1993:614.

[15Vgl.: Mehrtens, Herbert: „Mißbrauch“ Die historische Konstruktion der Technik in Deutschland nach 1945, TU Braunschweig 1995

[16Vgl. Hentschel 1996

[17Entkoppelung von Abitur und Hochschulreife, die Kontingentiertung von weiblichen (10 %) und jüdischen (1,5 %) Studierenden, dazu kam das Nachrücken geburtenschwacher Jahrgänge in die Hochschulen und die Attraktvität von militärischer Ausbildung.
Vergl. Lundgreen, Peter 1985: Hochschulpolitik und Wissenschaft im Dritten Reich. In: Lundgreen, Peter (Hrsg.) 1985:15.

[18Ebenda.

[19Ebenda.

[20Das von Hentschel, Klaus herausgegebene Sammelwerk: Physics and National Socialism. (Basel 1996), in dem sämtliche Originaldokumente, Briefverkehr der Physiker, usw., dokumentiert wurden, beleuchtet u.a. gerade diesen Aspekt der Wissenschaft.

[21Siehe Kapitel “NS-Hochschulpolitik”.

[22Vergl.Mehrtens, Herbert in: Mehrtens/Richter 1980:17.

[23Vergl. Hetschel 1996.

[24Mehrtens in: Mehrtens/Richter 1980:19.

[25Plank, Max: Mein Besuch bei Adolf Hitler. In: Physikalische Blätter, Karlsruhe 1947. Anhang 1.
Die Physikalischen Blätter, 1944 als Propagandablatt moderner Physik ins Leben gerufen, fanden seit 1946 ihre Funktion als Diskussionsforum der Physiker. Sogar Johannes Stark, nationalsozialistischer Physiker und erster President der DFG publizierte darin 1947 einen Beitrag, in dem er sich als als Kämpfer für die Freiheit der Wissenschaft präsentierte.

[26Siehe auch Anhang 2. In diesem Standard-Artikel „Max Planck: ‚Revolutionär wider Willen‘“ wird im letzten Absatz verkürzt dargegestellt, Planck habe 1933 bei Hitler „zugunsten seiner jüdischer Kollegen (...) interveniert(e) (...)“. Weiters wird angedeutet, auch sein Sohn sei widerständisch dem Regime gegenübergestanden und dafür von Hitler hingerichtet worden. Nicht erwähnt wird, daß der „Widerstand des 20. Julis“ ein innernationalsozialistischer Widerstand war.

[27Lundgreen, Peter 1985: Hochschulpolitik und Wissenschaft im Dritten Reich. In: Lundgreen, Peter (Hrsg.) 1985:17.

[28Planck schreibt 1934 in den Naturwissenschaften (Nr. 22:344): „Dr. Stern nahm einen Ruf an die Univerität Rochester an. Professor Jollos folgte einem Ruf an das Genetische Institut der Universität von Wisconsin in Madison. Dr. Gross ging als Assistent zu Huxley und Fisher nach London.“
In einer weitere Ausgabe des Magazins schreibt er 1937 über den Biologen Goldschmidt, der durch die Nürnberger Gesetze Ende 1935 entlassen wurde: „Prof. Dr. R. Goldschmidt folgte einem Ruf an die Univerity of California, Berkeley.“ Deichmann 1995:34f.

[29Verhaltensforschung: (Meyers Großes Taschenlexikon 1999): „(vergleichende V., Ethologie), Teilgebiet der Biologie, das sich mit der objektiven Erforschung des Verhaltens der Tiere (Tierethologie, früher als Tierpsychologie bezeichnet) und des Menschen (Humanethologie) befasst. Die deskriptive V. beobachtet und registriert Verhaltensabläufe in möglichst natürl. Umgebung. Demgegenüber arbeitet die analyt. (experimentelle) V. mit veränderten Untersuchungsbedingungen, um Einblick in die Kausalzusammenhänge zu gewinnen. Von der allg. V. werden v.a. die neuro- und sinnesphysiolog. Grundlagen des Verhaltens untersucht. Die spezielle V. befasst sich u.a. mit den Formen der Orientierung, des stoffwechselbedingten Verhaltens, des Fortpflanzungsverhaltens und des sozialen Verhaltens. Die vergleichende V. unterscheidet sich von anderen Verhaltenswissenschaften dadurch, dass sie die Funktion eines Verhaltens für die ontogenet. oder phylogenet. Anpassung eines Lebewesens in den Mittelpunkt ihrer Forschungen stellt. Als Begründer der modernen V. gilt K. Lorenz.
Literatur:
Tembrock, G.: Verhaltensbiologie. Jena 21992.
Zippelius, H.-M.: Die vermessene Theorie. Eine krit. Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz u. verhaltenskundl. Forschungspraxis. Braunschweig u.a. 1992.
Immelmann, K. u.a.: Einführung in die V. Berlin u.a. 41996.“

[30Vergl. Deichmann 1995:279f.

[31Vitalismus: (Meyers Großes Taschenlexikon 1999) „[v-; zu lat. vita »Leben«] der, die philosoph. Lehre, dass die Lebensvorgänge anderen Gesetzmäßigkeiten folgen als die kausalmechanisch ablaufenden leblosen Naturvorgänge und dass für sie ein eigenes, immaterielles, zweckursächl. Prinzip angenommen werden müsse (vis vitalis, »Lebenskraft«), das sich dem wiss. Nachweis entzieht; Ggs.: Mechanismus. Der V. wurde schon in der Antike vertreten (Aristoteles) und lebte im 17. und 18.ÿJh. in Gegnerschaft zum kartesian. Rationalismus wieder auf (J.B. van Helmont, C.Wolff). Der Neo-V. (19./20. Jh.; E. von Hartmann, H. Driesch, J. Reinke, J. von Uexküll) hob die Zweckhaftigkeit des Organischen gegenüber dem Anorganischen hervor und ging dabei von der Wirkung einer Entelechie aus, der Psycho-V. (E. Becher) von einem überindividuellen, psych. Prinzip.“

[32Lamarckismus: (Meyers Großes Taschenlexikon 1999): „der, von Lamarck 1809 begründete Evolutionstheorie. Seine entscheidende Annahme, dass sich bestimmte Merkmale von Lebewesen durch die Wirkung von Umwelteinflüssen u.a. verändern und vererbt werden, hat sich bei genet. Untersuchungen nicht bestätigt. Der L. muss jedoch als wichtiger Vorläufer des Darwinismus angesehen werden, der der Abstammungslehre einen wesentl. Anstoß vermittelt hat.“

[33Deichmann 1995:284.

[34schreibt Köhler in: Der Biologe 3, 1934:193-202. Zitiert nach Deichmann 1995: 253.

[35Deichmann 1995:279f.

[36Taschwer 2001.

[37ebenda

[38Ornithologie: (Meyers Großes Taschenlexikon 1999): [grch.] die, Wiss. von den Vögeln, Vogelkunde

[39zitiert nach: Jürgen Haffer, Erich Rutschke, Klaus Wunderlich (2000): Erwin Stresemann (1889-1972), Leben und Werk eines Pioniers der wissenschaftlichen Ornithologie. Acta Historica Leopoldina. Nummer 34. Halle (Saale), S. 123, Fußnote

[40Hippius, Rudolf, I.G. Fekdmann, K. Jellinek und K. Leider: Volkstum, Gesinnung und Charakter. Bericht über psychologische Untersuchungen an Posener deutsch-polnischen Mischlingen und Polen, Sommer 1942. Stuttgart 1943, S.112. In: Deichmann 1995: 295ff.

[41Deichmann 1995:299.

[42Abraham a Sancta Clara (Meyers Großes Taschenlexikon 1999): „eigtl. Johann Ulrich Megerle, *Kreenheinstetten (heute zu Leibertingen, Kr. Sigmaringen) 2.7.1644, +Wien 1.12.1709; Augustiner-Barfüßer, hielt in Augsburg, Graz, Wien (1677 Kaiserl. Prediger) volkstüml., drastische, durch Witze und Wortspiele belebte Predigten: »Mercks Wienn« (1680), »Auf, auf ihr Christen« (1683; Schillers Vorlage zur Kapuzinerpredigt in »Wallensteins Lager«), ferner »Judas, der Erzschelm« (1686-95).“
„Anti-Semitism was seen not only as an aspect of religious faith that divided Christians and Jews but also as a general explanation of the world that defined Jews as a “race” and as such responsible for all of modern society´s woes.” schreibt Pelinka (1999:175ff) und erklärt weiters, daß diese Idee tief in der “christlichen” Version des österreichischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts verwurzelt war. „It was specially the lower clergy who preached a violent anti-Jewish creed to the Catholic masses. In the tradition of Abraham a Sancta Clara, a popular and crude anti-Semitic preacher in Vienna around 1700 these priests two hundred years later made “the Jew” the personification of evil.”

[43Haeckel, Ernst, Zoologe und Naturphilosoph, *Potsdam 16.2.1834, +Jena 9.8.1919; führender Vertreter der Evolutionstheorie, dt. Verfechter der Abstammungslehre C. Darwins. Mit seiner Urzeugungstheorie und der biogenetischenGrundregel suchte er die Deszendenztheorie weiter zu untermauern (»Natürl. Schöpfungsgeschichte«, 1868). Den Entwicklungsgedanken zu einer auch geistige und gesellschaftl. Prozesse einschließenden Weltanschauung erweiternd (»Die Welträtsel«, 1899), begründete H. seinen mechanist. Monismus.

[44Vergl. Kalikow 1988:192ff.

[45ebenda: 195.

[46Spengler, Oswald, wurde u.a. mit seinem »Der Untergang des Abendlandes« zu einem der ideologischen Vorbereiter des Nationalsozialismus.
im Meyers Lexikon wird er folgendermaßen beschrieben:
Geschichtsphilosoph, *Blankenburg (Harz) 29.5.1880, +München 8.5.1936; schuf mit seinem Werk »Der Untergang des Abendlandes« (2 Bde., 1918-22) eine von Goethe und Nietzsche beeinflusste Kultur- und Geschichtsphilosophie. Er unterschied acht unabhängige Kulturen, deren »Lebensstil« jeweils alle Äußerungen wie Wirtschaft, Recht, Kunst, Religion bestimme. Entstehung, Blüte und Verfall der Kulturen hätten eine vergleichbare Gesetzlichkeit; die gegenwärtige westl. (»faustische«) Kultur habe ihren Höhepunkt überschritten.
Weitere Werke: Preußentum und Sozialismus (1920); Neubau des dt. Reiches (1924); Der Mensch und die Technik (1931).

[47Kalikow 1980: 207.

[48ebenda:209.

[49Lorenz 1973

[50Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, S. 10f.

[51Taschwer 2001a.

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