Weg und Ziel, Heft 1/1997
März
1997

Kuponschneider als Rentenklaus?

Über die Automobilwirtschaft und andere Aspekte der wirtschaftlichen Globalisierung

Es war einmal eine Zeit, in der es nicht darauf ankam, die Welt zu erklä­ren, sondern sie zu verändern. Der er­ste groß angelegte Versuch, eine grundlegende gesellschaftliche Umwälzung zu bewerkstelligen, ist gescheitert. In dieser Lage kann es zu­mindest nicht schaden, ganz von vorn zu beginnen und gründlich zu über­legen, wo sinnvolle Ansätze für grundlegende Veränderungen zu finden sind. Derartigen Versuchen muß allerdings die Anstrengung vor­angehen, die soziale und wirtschaft­liche Realität zu begreifen und sie so darzustellen, wie sie ist.

Es ist unangebracht, sie immer sofort unter Anwendung von traditionellen, mittlerweile falsifizierten dogmati­schen Leisten zu interpretieren. Merke: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als die her­kömmliche marxistische Schulweisheit (oder was dafür gehalten wird) sich träumen läßt.

Ein Moderator des ORF-Hörfunk­programms Ö1 hat vor kurzem für sich das Wort Globalisierung zum Begriff des Jahres 1996 erkoren. Das unter­streicht den inflationären Gebrauch dieses Stempels, der in der Tendenz al­lem und jedem aufgedrückt wird. Es fragt sich daher, ob mit Globalisierung überhaupt noch ein Phänomen bezeich­net wird, das eine relevante Verände­rung oder einen bezeichnenden Tatbe­stand der gesellschaftlichen Wirklich­keit benennt.

Es liegt der Verdacht nahe, daß da­mit nur eine weitere Verschleierung von Herrschaftsinteressen beabsichtigt ist. Konstruiert wird mit dem Begriff ein zusätzlicher „Sachzwang“, der ei­nen bestimmten „Handlungsbedarf“ auslöst. Etablierter Politik bleibt dabei keine andere Wahl, als der jeweils ver­meintlich objektiven Anforderung zu entsprechen. (Ein derartiger Imperativ könnte nach der Implosion des „realen Sozialismus“ etwa darin bestehen, den mangels Systemkonkurrenz entbehrli­chen „revolutionären Schutt“, der als Sozial- oder Wohlfahrtsstaat bezeich­net wird, schleunigst wegzuräumen.)

Keine Frage, daß Politik heutzuta­ge nach dem skizzierten Muster funk­tioniert. Aber damit kommt man nicht unbedingt aus dem Schneider, was die Globalisierung betrifft. Denn es ist ge­nau so einfältig, immer wieder auf den­selben Schmäh hereinzufallen, wie si­gnifikante Veränderungen als ohnehin vertraute Gewohnheiten abzutun. Zieht man die Kfz-Wirtschaft (das Konglo­merat von Industrie, Import, Groß- und Kleinhandel sowie die beteiligten Ge­werbe und alle vor- und nachgelager­ten Industrie- und Dienstleistungsbe­reiche) als Beispiel heran, dann ist die Globalisierung kein leeres Wort. Sie bezeichnet vielmehr die Tatsache, daß sämtliche selbständig agierenden Wirt­schaftssubjekte — und das sind in der Regel ausschließlich sogenannte Glo­bal Players — nun endgültig vor der Notwendigkeit stehen, ihr Geschäft im weltweiten Maßstab zu betreiben. (Was nichts an der weiteren Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den Produzenten ändert. Sie wird — unabhängig von der Globalisierung — mit kürzeren Zyklen bei der Modellinnovation, steigendem Ausstattungsniveau der Fahrzeuge, längerer Lebensdauer und der Preispo­litik ausgetragen. Alle diese Faktoren haben auch Rückwirkungen auf die Quantität und Qualität der Arbeits­plätze.)

Beispiel Automobilwirtschaft

Den steigenden Internationalisie­rungsgrad in der Automobilwirtschaft illustrieren einige Vorgänge, die in jüngster Zeit gemeldet wurden:

  • Nach der Aufstockung der Mazda-­Aktienanteile von 25 auf 33 Prozent durch Ford und der Installierung eines britischen Staatsbürgers an der Konzernspitze mit Sitz in To­kyo schreibt der japanische Kon­zern in der ersten Hälfte des laufen­den Geschäftsjahres wieder Gewin­ne.
  • Der US-amerikanische Lkw-Kon­zern Paccar hat vor kurzem mit Zu­stimmung von Aufsichtsrat und Vorstand der betroffenen Firma das niederländische Unternehmen DAF übernommen und verfügt damit über insgesamt vier selbständige Nutzfahrzeugmarken.
  • Der südkoreanische Daewoo-Konzern plant umfangreiche Investitio­nen in Produktionsniederlassungen in Polen, Rumänien und Usbekistan — unter anderem, um die Märkte in Zentralasien sowie in Ost- und Mit­teleuropa aufzurollen.
  • Der malaysische Konzern Proton hat vor kurzem die Übernahme des traditionellen britischen Unterneh­mens Lotus, das auf Automobilen­gineering und Sportwagenbau spe­zialisiert ist, bekannt gegeben.
  • BMW will rund 1 Milliarde DM in ein neues Motorenwerk in Großbri­tannien investieren. Etwa gleich­zeitig wurde bekannt, daß der Kon­zern gemeinsam mit Chrysler die Errichtung eines Motorenwerks in Brasilien plant.
  • Fiat konzipiert seine neuesten Mo­delle als sogenannte Weltautos, die auf beinahe allen Kontinenten in elf verschiedenen Standorten — von wenigen etwa klimabedingten Vari­anten abgesehen — formgleich her­gestellt werden.
  • Das Prinzip, ein und dasselbe Mo­dell an mehreren zum Teil weit von­einander entfernten Standorten produzieren zu lassen, wird insbe­sondere auch von Ford (Corsa) und VW (Golf) in zunehmend weltum­fassender Weise praktiziert.

Dabei handelt es sich lediglich um eine kleine Auswahl einschlägiger Mel­dungen aus der Automobilwirtschaft. Die Basisdaten besagen, daß dieser Sektor für rund 10 Prozent der wirt­schaftlichen Aktivitäten in der ganzen Welt verantwortlich ist. In den entwickelten Industriestaaten macht der Sek­tor bis zu einem Sechstel der gesamten Wirtschaftstätigkeit aus. Die Hauptak­teure in diesem Business sind die amerikanischen Konzerne General Motors, Ford und Chrysler, die japanischen Hersteller mit Toyota (weltweit bereits Nummer 3 der Branche) an der Spitze sowie die europäischen Traditionsfir­men wie BMW, Mercedes Benz und Volkswagen, Citroën, Peugeot und Ren­ault oder Fiat, Saab und Volvo. Zwi­schen ihnen wird es in Zukunft zu Ko­operationen, Allianzen und Zusam­menschlüssen kommen. An Bedeutung werden diese Konzerne in überschau­barer Zeit vermutlich nicht verlieren, weil es bis auf weiters keine brauchba­re Alternative zum Automobil gibt, um den sich immer stärker auf den Frei­zeitbereich verlagernden Mobilitäts­drang der Individuen und die Trans­porterfordernisse der Wirtschaft zu befriedigen.

Schwellenländer spielen mit

Abgesehen von kleineren selbstän­digen Firmen wie Porsche oder den Tochterunternehmen einzelner Kon­zerne (Seat und Skoda von VW oder Rover von BMW), treten unterdessen auch Anbieter aus Schwellenländern (Südkorea und Malaysia) auf dem nordamerikanischen und westeuropä­ischen Markt in Erscheinung. In die­sem Zusammenhang ist es bemerkens­wert, daß die drei in Österreich präsenten südkoreanischen Pkw-Marken in kurzer Zeit durchwegs jeweils rund ein Prozent Marktanteil erobern konnten. Das ist insofern kein schlechtes Ergeb­nis, als diese Firmen noch über eine eher geringe Vielfalt beim Modellange­bot verfügen. Daewoo verfolgt das Ziel, bis zur Jahrtausendwende weltweit die Nummer 10 unter den Automobilher­stellern zu werden.

Die Bedeutung der Märkte von Nor­damerika und Westeuropa für die Automobilwirtschaft besteht in ihrem ge­waltigen Volumen. Die Nachfrage wird hier allerdings im wesentlichen ledig­lich vom Erneuerungsbedarf stimuliert. Um zusätzliche Kaufanreize zu bieten, setzen die Automobilhersteller auf eine immer differenziertere und auf ver­schiedenste Verwendungszwecke abge­stellte Produktpalette (Sportwagen, Familienkutsche, Geländewagen usw.). Der nächste Schritt im Pkw-Marketing wird vermutlich in der verstärkten Nutzung der Möglichkeiten flexibler Fertigung bestehen — etwa um die ein­zelnen Produkte wesentlich weitgehen­der als bisher auf individuelle Wünsche und Anforderungen der KäuferInnen abzustimmen. Chrysler hat bereits an­gekündigt, eingespartes Forschungs- ­und Entwicklungspotential für diesen Zweck aufwenden zu wollen.

Von der Dynamik bzw. vom Wachs­tum her gewinnen jedoch die Märkte in Südostasien und Lateinamerika zu­nehmend an Bedeutung. Das macht es insbesondere auch für die europäischen Hersteller erforderlich, in diesen Hoffnungsgebieten mit eigenen Produkti­onsanlagen (je nach dem vom Zusam­menbau bis zur Vollproduktion) prä­sent zu sein. Wie hoch die strategische Bedeutung der Marktentwicklung in diesem Bereich eingeschätzt wird, geht etwa daraus hervor, daß der VW-Aufsichtsrat vor kurzem beschlossen hat, den erfolgreichen Audi-Chef von dem Tochterunternehmen abzuziehen und mit der Leitung der Niederlassung in Brasilien zu betrauen, von der aus die gesamten Aktivitäten von VW in La­teinamerika gesteuert werden.

Daß die gewissermaßen physische Anwesenheit einer Produktionsfirma im jeweiligen Land ausschlaggebend für ihre Marktchancen ist, bestätigt BMW in der Praxis. Der Konzern läßt Luxusautos in Vietnam zusammenbau­en und in den USA produzieren, um das jeweilige Absatzpotential optimal ausschöpfen zu können. Unterdessen ist auch Mercedes Benz diesem Beispiel mit einer Produktionsstätte für die A-Klassen-Fertigung in Brasilien und ei­nem Assemblingwerk in Vietnam ge­folgt. Mit derartigen Produktionen werden zwangsläufig auch die dazuge­hörigen Produktionsprinzipien expor­tiert, wenn sie nicht ohnehin automa­tisch weltweit entsprechende Folgen nach sich ziehen. Das trifft etwa auf die Tendenz der Automobilhersteller zu, die Fertigungstiefe der Produktion systematisch zu reduzieren und immer mehr Aktivitäten (auch der Forschung und Entwicklung) auf die Zulieferfir­men zu übertragen.

Breit gestreutes Risiko

Musterbeispiele dafür sind das von der Swatch-Herstellerfirma SHB und Mercedes Benz gemeinsam ausgeheck­te Stadtautoprojekt Smart Car (die Markteinführung ist im Frühjahr 1998 vorgesehen) und eine von VW in Brasi­lien aufgezogene Lkw-Fertigung. In beiden Fällen beschränkt sich die Pro­duktion im engeren Sinn auf den Zu­sammenbau der von den Zulieferfirmen (zumeist sogenannte Systemzulieferer, die ihrerseits wieder jede Menge Liefe­ranten benötigen bzw. beschäftigen) „just in time“ bereitgestellten Kompo­nenten, bei denen es sich nicht bloß um einzelne Bestandteile, sondern um gan­ze Bauteile der Fahrzeuge handelt. Der Vorteil für die Projektbetreiber besteht dabei darin, daß sie Forschung, Inve­stitionen und Risiko für auf diese Weise konzipierte neue Produkte nur zu ei­nem geringen Teil selbst tragen müssen und zum größten Teil auf Kosten der Zulieferer auslagern können. Um eine gewissermaßen globale Methode han­delt es sich dabei aus zwei Gründen: Einerseits besteht die Tendenz, diese Systematik weltweit anzuwenden. An­derseits haben einzelne Systemzuliefe­rer die Chance, weltweit zum Zug zu kommen.

Es liegt auf der Hand, daß die Inter­nationalisierung der Automobilherstel­lung durch die verschärfte Konkurrenz auf dem in den Hauptabsatzgebieten (Nordamerika, Westeuropa und USA) stagnierenden Markt weiter beschleu­nigt wird. Bisher sind die europäischen Produzenten, was die Präsenz auf an­deren Kontinenten betrifft, im Rück­stand. Speziell in Europa sind General Motors (unter der Markenbezeichnung Opel) und Ford (mit gewissermaßen „rein“ europäischen Modellen wie dem Escort) sowie die japanischen Konzer­ne (mit eigenen Produktionsanlagen vor allem in Großbritannien, aber auch in den Niederlanden und Portugal) ver­treten. Im Vergleich dazu ist die Anwe­senheit der europäischen Marken in Nordamerika oder Ostasien bisher un­bedeutend, obwohl vor allem die deut­schen Konzerne erhöhte Anstrengungen unternehmen, um ihre Präsenz in diesen Regionen auszubauen. Im Rah­men dieses Aufholprozesses sind Pro­jekte vorgesehen, die von bloßen Montagewerken über Joint Ventures (etwa eine gemeinsame Motorenfabrik von Chrysler und BMW in Brasilien) bis zu eigenen Produktionsstätten reichen.

Auf dem Gebiet der Automobilwirt­schaft tut sich übrigens auch in Öster­reich mehr, als man auf den ersten Blick für möglich halten würde. Das trifft nicht nur auf die vor kurzem durchgesetzte Redimensionierung der Semperit Reifen AG zu, die 1986 von der damals staatseigenen CA für einen Spottpreis und mittlerweile realisierte Subventionszusagen von mehr als einer Milliarde Schilling an die Continental AG abgestoßen und damit zur verlän­gerten Werkbank des deutschen Kon­zerns degradiert wurde. Trotz dieses Husarenstücks als „Qualitätssiegel“ der CA bei der Veräußerung von Indu­striebeteiligungen im Übernehmerinteresse ist es der Bank bisher nicht ge­lungen, der Steyr Daimler Puch AG als einstigem nicht vollverstaatlichten hei­mischen Paradekonzern ebenfalls das Licht auszublasen.

Streichers Kunststück

Allerdings hat Generaldirektor Ru­dolf Streicher — AMAG-Sanierer der achtziger Jahre, Verkehrs- und Ver­staatlichtenminister sowie Präsident­schaftskandidat der SPÖ — die Kon­zernzentrale weitgehend in eine Ver­waltung von Minderheitsbeteiligungen umgekrempelt. Die einzelnen Teile des Unternehmens wurden bis auf wenige Ausnahmen nach und nach an diverse ausländische Konzerne der Automo­bilbranche abgestoßen. Allerdings ha­ben sich die dabei gebildeten Joint Ventures zumindest bisher weitgehend als Kerne positiver industrieller Wei­terentwicklungen erwiesen. Beispiels­weise hat der deutsche MAN-Konzern, der sich schon vorher die Wiener ÖAF unter den Nagel gerissen hatte, die Lkw-Fertigung von SDP im ehemali­gen Hauptwerk in Steyr übernommen. Die Bus-Fertigung von Steyr in Wien ging an den schwedischen Konzern Volvo, die Landmaschinenherstellung in St. Valentin an den US-Konzern Case, die Kugel- und Wälzlagerpro­duktion in Steyr an den schwedischen Weltkonzern SKF und das einstige Joint Venture zur Pkw-Motorenferti­gung in Steyr ist längst zu 100 Prozent im Besitz von BMW.

Obwohl das Zweirad-Know-how von Puch an Piaggo verscherbelt und die Zweirad-Fertigung in Graz ausge­rechnet kurz vor dem Zeitpunkt einge­stellt wurde, als der jüngste Fahrrad- und Motorradboom ausgebrochen ist, konnte sich der Konzernstandort in der steirischen Landeshauptstadt beson­ders gut behaupten. Ausschlaggebend dafür war die Kombination von techni­schem Kompetenzzentrum (z.B. für Allradtechnik und Kfz-Ingenieurleistungen aller Art) und verlängerter Werkbank im Zusammenbau von Fahr­zeugen. Die Grazer haben sich unter anderem durch die Montage von VW- Bussen mit Vierradantrieb, Mercedes-­Geländewagen (in Österreich unter der Bezeichnung Puch G auf dem Markt) oder neuerdings des Jeep Cherokee so­wie das Joint Venture Eurostar, das ge­meinsam mit Chrysler zur Produktion der Großraumlimousine Voyager auf die Beine gestellt wurde, einen Namen gemacht.

Die ersehnte „österreichische Lösung“ in der Lkw-Fertigung — zum Bei­spiel in Form der Konzentration von Steyr Daimler Puch, ÖAF und Gräf & Stift hat es zwar nie gegeben. Dafür hat aber der deutsche Nutzfahrzeug­konzern MAN ziezerlweise die Herr­schaft über sämtliche drei Marken übernommen. Auch zur Wiederbele­bung einer eigenständigen Pkw-Pro­duktion, die unmittelbar nach der Be­freiung vom Faschismus von den USA hintertrieben wurde, ist es trotz der Propagierung des „Austro-Porsche“ in den späten siebziger, frühen achtziger Jahren durch die SPÖ-Alleinregierung nicht gekommen. Dennoch verfügt Österreich, wenn man die Zulieferin­dustrie mitrechnet — mittlerweile über eine beachtliche Produktionsbasis im Kfz-Bereich.

Neben der Nutzfahrzeugherstellung durch die MAN in Steyr und Wien-Lie­sing sind zu nennen die Steyr Antriebs­technik und die Steyr Spezialfahzeug- produktion (Panzer), die Entwicklungs- und Engineering-Dienstleistun­gen von Steyr Daimler Puch und der AVL List, die Busfertigung von Volvo/Steyr und ÖAF, das Opel Motoren- und Getriebewerk in Wien-Aspern und das BMW-Motorenwerk in Steyr, die Pro­duktion von KTM-Motorrädern und von Rotax-Zweiradmotoren. Dazu kommen die verstärkten Aktivitäten von Magna (weltweit einer der größten Zulieferkonzerne der Automobilindu­strie und im Besitz des gebürtigen Österreichers Frank Stronach) und das Engagement einer ganzen Reihe von Betrieben, die ebenfalls erfolgreich im Bereich der Zulieferung für die Auto­mobilherstellung (angefangen von Tep­pichen bis zu Spezialmetallen) tätig sind. Insgesamt übersteigt der Produk­tionswert der österreichischen Firmen, die im Kfz-Bereich arbeiten, im Durch­schnitt (Rekordjahre beim Pkw-Ver­kauf wie 1996 bilden möglicherweise eine Ausnahme) deutlich den Wert der Automobilimporte. Dabei ist bemer­kenswert, daß zu den Kunden der heimischen Zulieferer nicht nur europä­ische sondern auch nordamerikanische und japanische Konzerne gehören.

Kleine zum Handkuß

Man kann davon ausgehen, daß die Automobilwirtschaft zu den Branchen gehört, die von der Globalisierung am stärksten berührt sind. Am Beispiel Österreich scheint sich zu zeigen, daß dieser Prozeß selbst aus der Perspekti­ve eines Landes, in dem keine Global Players der Branche zu Hause sind, nicht von vornherein und in jeder Hin­sicht lediglich negative Aspekte auf­weist. Unterscheidet man zwischen der Tendenz der meisten Industriebran­chen, stärker zu rationalisieren als zu wachsen, und dem Beschäftigungsef­fekt, den die Aufnahme neuer Produk­tionen und/oder die Ansiedlung neuer Betriebe hat, so dürfte insgesamt sogar die Arbeitsplatzbilanz der heimischen Automobilwirtschaft positiv aussehen. Dazu kommt, daß etwa das BMW-Motorenwerk in Steyr sich zum Kompe­tenzzentrum des Konzerns im Bereich der Dieselmotorentechnologie entwickelt hat und Graz der Europastütz­punkt von Chrysler werden könnte.

Auch in dieser Branche kommen freilich die „Kleinen“ zum Handkuß. Dem Kfz-Einzelhandel und den im Kfz-Bereich tätigen Gewerben wird ein beschleunigter Schrumpfungsprozeß vorausgesagt. In der Wirtschaftskam­mer Österreich rechnet man bis zum Jahre 2001 mit dem Aus für ein Viertel oder gar ein Drittel der Unternehmen. Diese negative Prognose für Einzel­handel und Gewerbe der Kfz-Branche wird jedoch wenn überhaupt, dann nur höchst indirekt von der Globalisierung verursacht. Vielmehr tragen vor allem höhere Lebensdauer der Fahrzeuge und geringerer Wartungsbedarf einer­seits und weniger rasch steigende bis sinkende Realeinkommen andererseits dazu bei, daß die Frequenz sinkt, mit der Autohäuser und Reparaturwerk­stätten aufgesucht und gebraucht wer­den.

Bei vorurteilsloser Analyse konkre­ter wirtschaftlicher Entwicklungen — wie hier der Automobilbranche — däm­mert der Verdacht, daß die vermeintli­che „Globalisierungsfalle“ vor allem die Funktion hat, von den eigentlichen Ursachen nachhaltiger ökonomischer Veränderungen abzulenken. Tatsäch­lich ist es äußerst absurd, den in den entwickelten Industriestaaten ange­sagten Sozialabbau ausgerechnet auf die wachsende geographische Ausdeh­nung des Verwertungszusammenhangs von Schlüsselbranchen und Schlüssel­unternehmen der Weltwirtschaft zu­rückzuführen. Aufgabe marxistischer Analyse kann es nicht sein, ins allge­meine Geheul über die Globalisierung einzustimmen. Vielmehr geht es um die Entschleierung dessen, was sich hinter dem Getue verbirgt.

Dr. Franz Hahn und Dr. Peter Moslechner vom Wirtschaftsforschungsin­stitut haben im Auftrag der Bundesar­beitskammer eine Literaturstudie zu den „Globalisierungstendenzen in der österreichischen Wirtschaft“ verfaßt. Zum Gegenstand der Untersuchung heißt es in einer Kurzfassung: „Die sprunghaft zunehmende internationale Wirtschaftsverflechtung und der damit einhergehende zunehmende Wettbe­werb der Standorte — Stichwort Globa­lisierung — hat zu einer Erosion der tra­ditionellen wirtschaftspolitischen In­strumentarien im Bereich der nachfra­geseitigen gesamtwirtschaftlichen Steuerung auf nationalstaatlicher Ebe­ne geführt. Die Globalisierung be­schränkt sich nicht nur auf die Produk­tion und den Handel mit Waren und Dienstleistungen, sondern umfaßt auch die Internationalisierung von Eigen­tums- und Verfügungsrechten an Un­ternehmen. Die Auswirkungen dieser zunehmenden Multinationalisierung der Eigentümerstrukturen auf die Wirtschaftsstruktur, die Wettbewerbs­fähigkeit, Beschäftigung und die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten eines Landes sind eine der wesentli­chen heutigen Fragestellungen.“

Die Nase vorn

Das Resultat der Analyse ist nicht gerade weltbewegend: „Internationale, ,globalisierte‘ Unternehmen neigen dazu, die wertschöpfungsintensiven Kernbereiche des Unternehmens im Stammland zu halten. Außerdem schei­nen jene Unternehmen produktiver zu sein, in denen Großaktionäre strategi­sches Eigentum mit langfristigem In­teresse am Unternehmensbestand hal­ten.“ Weitere Auffälligkeiten, die von den beiden Studienautoren aufgespürt wurden, lassen sich in folgende Punkte zusammenfassen:

  • Verflechtungen der österreichischen Wirtschaft sind geringer als in ver­gleichbaren OECD-Ländern.
  • Internationalisierte Unternehmen sind wettbewerbsfähiger.
  • Strategische Wertschöpfung bleibt im Stammland.
  • Strategische Eigentümer haben langfristige Interessen.

Interessant ist im Zusammenhang mit der Suche nach den Ursachen für die Verschärfung der sozialpolitischen Gangart insbesondere in Europa der Verweis auf die Eigentümerstrukturen. Über sie heißt es in der Kurzfassung der Studie konkret:

Die kritische Wirtschaftstheorie steht insbesondere den behaupteten positiven Wohlfahrtseffekten von mo­dernen Kapitalmärkten, vor allem der Aktienmärkte, kritisch gegenüber. Dies wegen der unzureichenden und ungleichgewichtigen Information der Marktteilnehmer. Insbesondere wird die Effizienz der Unternehmenssteue­rung über Kapitalmärkte mit vielen Kleinaktionären — also die Kontrolle über Außenseiter — zunehmend in Fra­ge gestellt, da eine Mehrzahl von — nicht durch einen gemeinsamen Willen ver­bundenen — Minderheitseigentümern schon bei sich kurzfristig verschlech­ternder Ertragslage mit Anteilsverkauf reagieren (shareholder value Prinzip). Dies führt üblicherweise zu einer Ver­langsamung notwendiger Anpassungs­maßnahmen und/oder im Extremfall zur Vermögensliquidation. Aus diesem Grund ist in den USA und in Großbri­tannien seit einiger Zeit eine intensive Diskussion über die Vorzüge des kontinentaleuropäischen bzw. japanischen Systems, also über die Vorteile der Unternehmenskontrolle durch informierte Eigentümer wie Großaktionäre und andere stakeholder, im Gange.

Das jeweils andere besticht

Dazu heißt es in der von der Bundes­arbeitskammer vermutlich nicht zufäl­lig kurz vor dem Bekanntwerden des Bank Austria-Interesses an einer Über­nahme der Creditanstalt veröffentlich­ten Studie weiter: „In Kontinentaleuro­pa überwiegt aus diesen Gründen das large shareholder Prinzip — im Sinne von strategischem Eigentum mit lang­fristigem Interesse am Unternehmens­bestand. In Frankreich, Deutschland und Österreich sind mehr als 85 Prozent der großen börsennotierten Unterneh­men im Besitz von Aktionären, die mehr als 25 Prozent des Aktienkapitals hal­ten. In Japan sind etwa 25 Prozent des Aktienkapitals von großen Finanz- und Industrieunternehmen im Besitz ande­rer japanischer Unternehmen. Im Ge­gensatz dazu sind die large shareholders (in den USA und Großbritannien) über­wiegend institutionelle Investoren (Ver­sicherungen, Pensionsfonds), die jedoch nicht nur einen geringeren Anteil am aushaftenden Eigenkapital halten als die Großaktionäre in Kontinentaleuro­pa und Japan, sondern auch ihre Eigen­tümerfunktion in einem geringen Aus­maß ausüben (kurzfristige Ertragsori­entierung).“

Zur Unterstützung von Großanle­gern insbesondere auch aus dem Be­reich der öffentlichen Hand, deren Rol­le gerade in Österreich (siehe etwa die Energieversorger) äußerst problema­tisch ist, heißt es wörtlich: „Große An­teilseigner (strategische Eigentümer) sind in der Regel nicht nur besser in­formiert als Kleinaktionäre. Sie haben üblicherweise auch ein langfristiges Interesse am Unternehmensbestand. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht be­deutet dies eine verstärkte Verpflich­tung — im Sinne von langfristig stabilen Beziehungen — von strategischen Ei­gentümern für den Unternehmensbe­stand und damit gegenüber den wich­tigsten „stakeholdern“ (Beschäftigten, Lieferanten, Kunden, Banken). Die kritiklose Übernahme des shareholder value Prinzips als Maxime der Unternehmenssteuerung ist mehr als proble­matisch, da es vom Grundsatz her ein sehr kurzfristig angelegtes Gewinnmaximierunsgprinzip zum Schutz von uninformierten Kleinaktionären ist, das mittel- bis langfristige Perspektiven der Unternehmensentwicklung außer acht läßt.“

Die Ergebnisse der WIFO-Studie wurden hier ausführlich dargestellt, um auf eine Auffälligkeit zu verweisen, die wesentlich zur Erhellung der spezi­fischen Verwertungsbedingungen für das Kapital in der gegenwärtigen Ent­wicklungsetappe beitragen kann. Ge­wissermaßen unter der Hand signali­sieren die beiden Autoren, daß es zu einer Wiedergeburt der Kuponschnei- der gekommen ist. In anderen Worten: Der Verlauf des Wirtschaftsprozesses und seine Ergebnisse werden auf betrieblicher Ebene wiederum wesentlich von der Tatsache beeinflußt, daß die rasch steigenden Ansprüche von Akti­enbesitzern verschiedenster Größen­ordnung bedient werden müssen. Ihr einziges Interesse besteht in möglich hohen Revenuen aus dem Kapital, das sie in Aktien (also Besitztiteln von In­dustrie- und Dienstleistungsunternehmen) gesteckt haben. Diese Charakter­maske stellt sich unabhängig davon ein, ob es sich bei dem angelegten Geld um Kapital von Unternehmern oder um Abfertigungen und andere Rückla­gen von Werktätigen handelt.

Was im Rahmen der ökonomischen Entwicklung gegenwärtig wirklich ge­spielt wird, hat vor kurzem Wirtschafts­wissenschaftler Erich W. Streissler von der WU-Wien in wünschenswerter Of­fenheit in einem Artikel mit dem Titel „Im Sturmschritt zurück ins 19. Jahr­hundert!“ vermutlich nicht zufällig in der »Presse« (14. Dezember 1996) enthüllt. In bezug auf Keynes schreibt der Universitätsprofessor: „Und sein gro­ßer gesellschaftspolitischer Fehler war es, an die ,Euthanasie des Rentiers‘, des Zinseinkommensempfängers zu glau­ben. Heute werden die Zinssätze wieder auf den Weltkapitalmärkten bestimmt. Und die Empfänger von Zinseinkom­men sind bedeutender denn je, auch wenn sie eher als große Pensionsfonds auftreten.“

Wiedergeburt des Rentiers

So korrekt Streisslers Analyse sein mag, so fragwürdig erscheint die be­sondere Hervorhebung der Pensions­fonds als dominanter „Zinseinkom­mensempfänger“. Tatsächlich verkör­pern sie zwar eine neue Qualität in diesem Bereich. Er wird aber weiterhin nicht nur von institutionellen Anle­gern, sondern auch vom fungierenden (an sich in der Industrie veranlagten) Kapital dominiert. Die Trennung zwi­schen produktivem und unprodukti­vem Kapital (bzw. Investitionen und Geldrücklagen) ergibt in diesem Zu­sammenhang keinen Sinn, weil im Zuge seines Reproduktionsprozesses ohnehin beide Stadien durchlaufen werden müssen. Es liegt überdies auf der Hand, daß die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals (der zunehmende Anteil des Kapitalvor­schusses, der für Produktionsanlagen aufgewendet werden muß) dazu führt, daß ein immer höherer Prozentsatz des vorgeschossenen Kapitals vorüberge­hend Geldform annimmt und bis zur Reinvestition in neue Maschinerie usw. zwangsläufig zur Veranlagung auf dem Kapitalmarkt zur Verfügung steht.

In Österreich schien der Spezies des Zinseinkommensempfängers mit dem Untergang der Monarchie das letzte Stündlein geschlagen zu haben. Die Totalentwertung der Kriegsanleihen und das Einfrieren der Mietzinse hat den Rentiers für lange Zeit den Garaus gemacht. Erst Jahrzehnte kontinuierli­cher wirtschaftlicher Aufwärtsent­wicklung seit der Befreiung vom Fa­schismus haben in Österreich die Vor­aussetzungen für die Wiedergeburt der sogenannten Kuponschneider geschaf­fen. Konkret waren dafür mehrere Mo­mente verantwortlich:

Erstens die Akkumulation von Ka­pital in der Hand von Privatunterneh­mern, die diesen Überschuß in der Ten­denz immer weniger in ihrem eigenen Aktivitätsbereich veranlagen konnten und können.

Zweitens die Rückführung des un­ter Mieterschutz gestellten Wohnungs­bestandes in Altbauten (speziell in Wien) in die Sphäre der Kapitalver­wertung und das damit verbundene zum Teil explosive Anwachsen der Hauptmieteinnahmen in der Hand von Hausbesitzern, deren Realitäten sich in der Vergangenheit bereits vielfach ren­tiert hatten.

Drittens die durch das kontinuierli­che Wirtschaftswachstum in der Zwei­ten Republik begünstigte Bildung von Vermögen (durch Bau- und Versiche­rungssparen, Abfertigungen und Erb­schaften usw.) auch in der Hand von Lohnabhängigen.

Reichtum, der arm macht

Es gehört zu den Absurditäten der kapitalistischen Entwicklung, daß ausgerechnet dieser steigende gesellschaft­liche Reichtum die sozialpolitischen Errungenschaften zu zerstören droht, die etwa in Europa im Laufe des 20. Jahrhunderts durchgesetzt wurden. Denn Streissler irrt, wenn er in dem bereits zitierten Gastkommentar in der »Presse« folgende Feststellung macht: „Der Wohlfahrtsstaat aber zerschellt an einem großen humanitären und wis­senschaftlichen Fortschritt, den die letzten 150 Jahre brachten, nämlich an der dank der modernen Medizin errun­genen Vergreisung der Bevölkerung. Eine staatliche Pension während 30 Jahren inaktiven Alters ist unfinanzierbar und reißt alle anderen sozialen Fürsorgen des Wohlfahrtsstaats mit in den Abgrund.“

Derartige Ammenmärchen glauben vielleicht die LeserInnen der »Presse«. Was den Sozialstaat in Frage stellt, ist nicht der finanzielle Aufwand für die Sozialversicherung. Vielmehr machen seinen Verwaltern die bis vor kurzem kaum ins Gewicht fallenden, nun aber ständig steigenden Ansprüche der Kuponschneider zu schaffen. Freilich ge­hört dazu die absurde Tatsache, daß die von Streissler zitierten Pensionsfonds, die in Österreich allerdings nur zöger­lich ins Kraut zu schießen beginnen, zum Druck auf die bestehenden Sozial­systeme beitragen. Bei ihnen handelt es sich im wesentlichen um Investment­fonds, in die Werktätige vor allem der USA einzahlen, um sich gegen massive Einkommensverluste im Alter zu wapp­nen, weil sie über keinen ausreichen­den Pensionsversicherungsschutz ver­fügen. Daß die Orientierung dieser Pensionsfonds auf maximale Renditen dazu beiträgt, die soziale Sicherheit in Europa und Japan zu untergraben, ist ein zwar nicht beabsichtigter, aber dennoch damit zusammenhängender Nebeneffekt. Diese Entwicklung wird dazu beitragen, daß auch europäische Lohnabhängige, die es sich leisten kön­nen, verstärkt in Pensionsfonds oder entsprechende Äquivalente einzahlen. Womit die negative Wirkung weiter ge­steigert und ein Teufelskreis in Gang gesetzt wird.

Um jedoch die Kirche im Dorf zu lassen, muß unterstrichen werden, daß die Erosion des dualen Systems der Verteilung zwischen Kapital und Lohn­arbeit nicht von der Erfindung der Pensionsfonds, sondern von der Wie­dergeburt des Rentiers als Faktor des Verwertungsprozesses sowohl von Ka­pital als auch von Grund und Boden verursacht wurde und wird. Sind es in den USA eher die Aktionäre, mit deren Hilfe Unternehmen sich finanzieren und die daher auch Erträge oder Divi­denden sehen wollen, so agieren in Eu­ropa an ihrer Stelle die Banken, die allerdings kein höheres Interesse ver­folgen oder einen besseren Durchblick haben (wie die Rekorde bei Firmen­pleiten in Europa und Österreich be­weisen), aber ebenfalls auf ihre Rech­nung (Kreditzinsen) kommen wollen. Wobei in Europa im allgemeinen und in Österreich im besonderen ein verstärk­ter Trend zur Unternehmensfinanzie­rung über Aktienausgabe zu beobach­ten ist.

Am anschaulichsten lassen sich die Folgen des Auftretens einer dritten Partei bei der Verteilung des Volksein­kommens an der Mietpreisentwicklung in Wien darstellen. Bis zur Mietrechts­änderung durch die ÖVP-Alleinregierung im Jahr 1968 waren Wohnungen in Wien knapp. Man mußte Ablösen zahlen, um an sie heranzukommen. Die Hauptmiete in Altbauten belief sich je­doch lediglich auf einen minimalen Anteil des Einkommens von Lohnab­hängigen. Nach zahllosen „Reformen“ des Mietrechts sind Wohnungen wei­terhin knapp. Mittlerweile müssen selbst für Gemeindewohnungen geschmalzene Baukostenzuschüsse ge­zahlt wirden. Und die Kosten für die Hauptmiete sind explodiert (in Altbau­ten in 30 Jahren von 1 Schilling pro Quadratmeter auf 100 Schilling pro Quadratmeter) und betragen bereits ein Drittel und mehr durchschnittli­cher Einkommen. Das früher für Wien typische „soziale Wohnen“ ist längst ein Fremdwort. Im Gegenzug ist zwar das früher im internationalen Vergleich relativ niedrige Lohnniveau in Öster­reich deutlich gestiegen, aber ein nicht unbedeutender Anteil mußte von den Arbeitern und Angestellten für die ex­plodierenden Wohnungskosten aufge­wendet werden, von denen sie aller­dings nicht alle in gleicher Weise be­troffen sind.

Unprogrammatisch

Auch die Privatisierung der Ver­staatlichten kann als Maßnahme gele­sen werden, die in Zusammenhang mit der Überakkumulation von privatem Reichtum steht. Um den Abfluß von namhaften Geldbeträgen ins Ausland zu verhindern und die Stabilität der Währung aufrechtzuerhalten, schien es den politisch Verantwortlichen gebo­ten, potentiellen Anlegern im Inland attraktive Alternativen zu bieten. Mit der Privatisierung der gesamten ver­staatlichten Industrie und zunehmend auch der öffentlichen Wirtschaft wurde und wird diesem Gesichtspunkt Rech­nung getragen.

Es liegt auf der Hand, daß die Ero­sion des Sozialstaates damit zusam­menhängt, daß ein wachsender Anteil des Volkseinkommens für Zinseinkom­men aufgeht — gleichgültig ob er bei Privaten, institutionellen Anlegern oder Banken landet. Deshalb bleibt für die Aufteilung zwischen Kapital und Lohnarbeit weniger übrig. Allerdings handelt es sich auch bei den Zinsein­kommensbeziehern in letzter Konse­quenz nicht um anonyme Mächte, son­dern um lebendige Menschen. Obwohl die Reichen und Superreichen domi­nieren und am meisten profitieren, gibt es immer mehr Lohnabhängige, die gleichzeitig auf Grund von Erbschaf­ten und anderen Faktoren in mehr oder weniger großem Umfang über Aktien- und/oder Realitätenbesitz verfügen. Daraus erhellt, daß die Grenzen zwi­schen den Klassen heutzutage in der Praxis längst nicht mehr linear verlau­fen, sondern sich äußerst verwickelt erweisen.

Dieser Text ist der Versuch, einen schmalen Ausschnitt der ökonomischen Wirklichkeit und ihrer Entwicklungs­tendenzen nachzuzeichnen, ohne dar­aus sofort Bewertungen, Einordnungen und Konsequenzen abzuleiten. Dahin­ter steht die Überzeugung, daß theore­tische Arbeit, die sich auf Marx beruft, bis auf weiteres in erster Linie der An­eignung wirtschaftlicher und gesell­schaftlicher Realitäten sowie der Be­schreibung ihrer Wirkung dienen sollte. Es geht bis auf weiteres darum, nicht immer sofort Bescheid zu wissen, son­dern Material als Grundlage für die systematische Erfassung der Funktions­weise des heutigen Kapitalismus zu sammeln. Ihm kann man zwar mit In­strumenten von Marx, aber nicht mit den in seinem Namen von anderen ab­geleiteten Theorien auf die Spur kom­men. Dabei helfen weder neue noch alte Zusammenbruchstheorien und auch nicht die Erwartung, daß die Arbeiterklasse die Menschheit von allen Übeln erlösen wird. Es ist überfällig, Marx in diesem Punkt aus der Tran­szendenz zurück auf den Boden der Tatsachen zu führen.

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