Medienecke
Dezember
2000

Land ohne Öffentlichkeit

Man soll nicht so tun, als wäre Österreich erst seit der Bildung der blau-schwarzen Regierung das Letzte in der „westlichen Wertegemeinschaft“: In ganz Europa geht seit vielen Jahren die Rede vom Verfall der Öffentlichkeit um — begonnen hat es mit einem Strukturwandel. Die Habermas’sche Zuversicht, da wäre immer noch etwas zu demokratisieren und zu zivilisieren durch die Durchflutung aller Politikbereiche mit Publizität, teilen heute am wenigsten diejenigen, die sich auch schon seit vielen Jahren daran abmühen. Gewiß also: In ganz Europa frißt der Markt Öffentlichkeiten, erstickt jedes lebendige, kritische, die Gesellschaft angreifende Denken in einem Schwampf von schwachsinnigem Geplauder über garantiert totes und somit garantiert harmloses Denken, verschüttet jeden Eigensinn unter einer weltweit vermarkteten Ästhetisierung des überall gleich armselig werdenden Alltags, erschöpft jedes Sinnen auf eine menschenmöglich bessere Zukunft durch die Fixierung allen Erlebens auf ständige Gegenwart dessen, was schon ist.

In Österreich allerdings ist, wie Gerhard Scheit soeben im konkret feststellte, [1] immer alles noch mieser als anderswo. Österreich hat es nämlich nach Austrofaschismus, Nationalsozialismus und Vernichtungskrieg nicht einmal zu jener Zivilisiertheit gebracht, von deren andernorts erreichtem Niveau 1979 im selben konkret schlicht gemeldet wurde: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein unzivilisiertes Land“. [2] Das konnte in Österreich nicht einmal öffentlich bemerkt und festgestellt werden. Darum ist es hier noch mieser.

Zum landläufigen Thema des Verschwindens von Öffentlichkeit können wir hier Lebende und trotz Österreich Tätige kaum etwas beitragen, weil da nicht allzu viel verschwindet, dessen Verschwinden allzu vielen auffallen würde. Mit den hiesigen Verhältnissen nicht Vertrauten ist kaum begreiflich zu machen, wie wenig an Freiheit des Denkens und der Information in diesem Land, das Europa eines Tages vielleicht doch noch angemessen fürchten lernen wird, schon in den letzten Jahrzehnten gefragt und möglich war. Die Zahl derer, die überhaupt begreifen, was mit „Öffentlichkeit“, mit „Kritik“ oder mit „Eigensinn“ gemeint ist und was da gerade endgültig zu verschwinden im Begriff ist, hält sich in familiären Grenzen.

„Die Medien“ sind hierzulande seit jeher kaum daran zu kritisieren, was sie enthalten, sondern hauptsächlich daran, was sie nicht enthalten. Wer sich etwa zur Zeit der Affaire Waldheim über österreichische Innenpolitik informieren wollte, war damals wie heute weitgehend auf die internationale Presse angewiesen. Wer halbwegs intelligente Kommentare lesen wollte, sowieso. Wer ein anständiges, informierendes und kritisch raisonnierendes, journalistisches Medium lesen will, intelligente und in Grenzen kritische Wahrnehmungen und Überlegungen zum sogenannten Zeitgeschehen, ist mit wenigen inländischen Ausnahmen etwa im Beilagenbereich auf deutsche und schweizerische Tages- und Wochenzeitungen zu verweisen. Wer sich über das sogenannte Weltgeschehen informieren will oder über den aktuellen Stand des sogenannten Geisteslebens oder auch seines Ablebens, muß sich ebenfalls mit internationalen Presseerzeugnissen, am besten auch mit fremdsprachigen, versorgen.

Selbst der Journalismus also, an sich schon eine bescheidene Veranstaltung, ist in Österreich an Kritiklosigkeit und beinahe vollständiger Abwesenheit von Eigensinn kaum zu unterbieten. Zu Waldheims Zeiten wurden zwei damalige ORF-Journalisten geradezu zu Heldengestalten des alpinen Medienzirkus, weil sie es wagten, dem Bundespräsidenten nicht nur die Fragen zu stellen, die ihm billigerweise zu stellen waren, sondern auch auf deren Beantwortung zu bestehen, auf einem Sachverhalt oder einem Argument zu insistieren, kurzum hartnäckig — und nicht bloß frech — zu sein. So etwas findet im österreichischen Journalismus und gar im ORF alle zehn Jahre einmal statt und fällt demgemäß auf. In den langen Zwischenzeiten der Normalität wundert man sich schon nicht mehr, was Journalistinnen und Journalisten nicht auffällt, welche Fragen sie nicht stellen und welche Argumente ihnen nicht einfallen, welchen haarsträubenden und gemeingefährlichen Schwachsinn Politiker und Politikerinnen unter höflichem Kopfnicken eines journalistischen Assistenten von sich geben können. Dafür gibt es schlechte Gründe, die alles erklären und nichts entschuldigen.

Erstens: Siehe oben — Österreich ist ein unzivilisiertes Land. Die Vorstellung etwa, daß Politik sich gedanklich begründen und artikulieren müßte, ist diesem Land wesensfremd geblieben. Seinesgleichen geschieht, es artikuliert sich aber nicht oder nur so vertrackt, daß man es als Kritiker erst einmal auf Begriffe bringen muß, um die Kritik irgendwo ansetzen zu können. Man muß sich also den Gegenstand seiner Kritik erst einmal in eine kritikfähige Form bringen, damit er als solcher erkennbar und angreifbar wird. Das bindet Ressourcen und wäre es bewußte Taktik, dann müßte man der österreichischen Politik wenigstens dafür Anerkennung zollen. Bei der FPÖ unter ihrem einfachen Parteimitglied ist es vielleicht bewußte Taktik. Die FPÖ hat sich die vorgefundene österreichische, blödelnde Unartikuliertheit zur Methode gewählt und hält seit dem Beginn ihres steilen Aufstiegs Medien und KritikerInnen damit beschäftigt, über ihr „Wesen“, über ihre programmatischen Absichten und über die Gründe ihres Erfolgs Spekulationen anzustellen oder sie irgendwie „dingfest“ zu machen. Die journalistische Methode ist hauptsächlich die des sogenannten „Aufdeckens“. Deren Wirkungslosigkeit hat sich inzwischen erwiesen. Die Österreicher und Österreicherinnen freuen sich wahrscheinlich klammheimlich darüber, daß eine ganze Partei mit der ihnen so vertrauten Methode des Durchwurstelns und Schmähführens nicht nur irgendwie durchkommen, sondern stets und zuverlässig alle Mitbewerber im beileibe nicht willenlosen, aber weitgehend sprachlosen und weitgehend tatsächlich auch konzeptlosen Kampf um die volksgemeinschaftliche Führerschaft übertrumpfen kann. Darin jedenfalls unterscheidet sich das einfache Parteimitglied vom GRÖFAZ und kann den kleinen Unterführern in ganz Europa, die noch zu sehr dem großen Führer nacheifern, Lektionen erteilen. Haider schwingt keine großen, programmatischen Reden, versucht nicht mit einem großen Plan für das „Vierte Reich“ zu überzeugen — mittlerweile nicht einmal mehr für die „Dritte Republik“ —, sondern aktiviert mit verschmitzten Andeutungen und spitzen Nebenbemerkungen die in dieser Gesellschaft potentiell immer schon gegebenen rassistischen, antisemitischen, autoritären, sexistischen und auch sonst in jeder Hinsicht üblen Reflexe, die — weil sie immer erst aufgedeckt werden müßten, es in „den Medien“ aber nicht werden — der öffentlichen Reflexion weitgehend entzogen bleiben. Der volksgemeinschaftliche Fundus an solchen Ressentiments und Reflexen ist in Österreich auch größer als anderswo: das alte, nationalsozialistische Repertoire wurde nie durch nennenswerte Aufklärungsbemühungen ausgedünnt, stattdessen wurde die Vergangenheit bewältigt, jederzeit bereit, uns hinterrücks zu überwältigen. Die Leistungen der Aufdecker sind allerdings auch bescheiden. So hingebungsvoll die Jagd nach Finanz- und Spitzelskandalgeschichten betrieben wird, so selbverständlich war in sämtlichen österreichischen Medien bis vor kurzem kreuzbrav von „Fremdenfeindlichkeit“ oder „der Ausländerproblematik“ die Rede, wo es immer schon um Rassismus gehen hätte müssen. Dabei wären immerhin noch Steigerungen österreichischer Gegenwartsbewältigung denkbar gewesen, zu denen es aus an sich unverständlichen Gründen nicht kam: etwa „Fremdenunfreundlichkeit einiger ewig Gestriger“. Ins journalistische und politische Brauchtum eingegangen ist der an sich richtige Terminus „Rassismus“ erst seit dem Wahlergebnis des Herbst 1999, wobei man aber nicht so sicher sein kann, daß alle, die ihn jetzt verwenden, sich so recht darüber im klaren sind, was sie da schreiben und sagen. Bei einigen kann man sicher sein, daß sie es nicht wissen: Wer mit der Parole „Wir sind Österreich!“, also mit Patriotismus, also mit institutionell gestaltetem und verbrämtem, allenfalls auch zweckmäßig gemäßigtem Rassismus gegen Rassismus anzutreten glaubt, hat etwas gründlich falsch verstanden.

Was müssen wir über die aufklärerische Funktion „der Medien“ in Österreich wissen? Sie haben keine. So weit sie nicht, wie die größte Tageszeitung, programmatisch die Politik der Regierung, die Österreich verdient hat, unterstützen, tun sie es durch die Abwesenheit von Kritik, namentlich durch die vollständige Abwesenheit einer Kritik, die nicht bloß an der gegenwärtigen Regierung herummäkelt, sondern die Gesellschaft angeht, die eine solche Regierung möglich macht. Stattdessen wird die FPÖ weiterhin unverdrossen als isolierter Skandal behandelt, an dem es immer noch etwas aufzudecken gibt, womit sich das Zeitungsangebot immerhin immerfort seine Nachfrage schafft. Das ist gut für die Verlage, keine Frage. Das ist gut für die Journalisten, die sich für wichtig halten dürfen. Und das ist gut für die Zeitungskäufer, die vielleicht unter dem sozialen Druck stehen, sich am Montag morgen schnell eine Meinung für die Mittagspause zulegen zu müssen — und zwar zu den Themen und unter den leicht eingängigen und Gemeinschaft stiftenden Fragestellungen, zu denen und unter denen alle anderen auch eine Meinung haben. Deshalb schreiben praktischerweise auch alle österreichischen Zeitungen das gleiche unter minimen Variationsbildungen für unterschiedliche Bildungs- und Lebensstil-Zielgruppen.

Eine zweite Begründung für die besondere Armseligkeit des österreichischen Journalismus bin ich noch schuldig geblieben. Mit dieser zweiten Begründung sei auch gesagt, daß es mir nicht gegen die Journalistinnen und Journalisten geht, sondern gegen die Medien, in denen Journalismus getrieben wird, im Allgemeinen und Österreich im Besonderen. Wie der LeserInnenmarkt wird auch der journalistische Arbeitsmarkt hierzulande von einer Handvoll Unternehmen gebildet. Dieser arbeitsmarktseitige Aspekt der Medienkonzentration ist der eigentlich verheerende und aus unmittelbar verständlichen Gründen weitgehend unbeachtete. Leichter als im österreichischen, schon nicht mehr ideellen, sondern ganz realen Gesamtredaktionsstadel kann man sich vermutlich nirgendwo durch unliebsame Kritik beruflich unmöglich machen. Journalismus ist — wie gesagt — überall eine bescheidene Veranstaltung, in Österreich ist selbst anständiger Journalismus ein existenzielles Wagnis.

Noch ein Austriacum ist wenigstens zu erwähnen: Selbst wenn in diesem Land einmal etwas Richtiges und Relevantes vollendet artikuliert wird, muß sich niemand beunruhigen, da die gesellschaftliche Folgenlosigkeit allen Denkens und — wenn es schon einmal dazu kommt — öffentlichen Auftretens eines Gedankens nahezu perfekt gewährleistet ist. Neben einem gewissen aufklärerischen Streben nach vernünftiger Verallgemeinerung der Argumente, neben Kritisierbarkeit und Kritik gehört auch Verbindlichkeit, also die Möglichkeit der Änderung irgendwelchen gesellschaftlichen Verhaltens, zur Öffentlichkeit. Zum Ausschluß solcher Verbindlichkeit, also auch unter diesem Aspekt zur Ausschaltung von Öffentlichkeit, hat das österreichische Idiom dem deutschen Sprachschatz ein kleines, harmlos daherkommendes, aber verheerendes Wort geschenkt: das Wort „eh“. Der Satz „Du hast eh recht“ bedeutet die vollständige theoretische Anerkennung des Gesagten bei gleichzeitiger, ebenso vollständiger, praktischer Nichtigerklärung. Auf der politischen Ebene ist die Liste der Nicht-Konsequenzen allgemein bekannter Tatsachen und deren Beurteilungen endlos. In der österreichischen Politik wie überhaupt im österreichischen Leben ist es stets aussichtsreicher so zu tun, als täte man etwas, als wirklich etwas zu tun. Demgemäß können auch Politiker in diesem Land für umso verantwortungsloser gehalten werden, je bereitwilliger sie erklären, „die volle Verantwortung“ zu übernehmen.

Aber auch im Kreise der Kritikerinnen und Kritiker ist die Vorstellung, daß Kritik auch Folgen haben müßte, daß es in Auseinandersetzungen nicht nur um die Lustigkeit von Spielzügen, sondern um die Richtigkeit von Argumenten, um Überzeugung und Verständigung zum Behufe der Änderung gesellschaftlicher Verhältnisse gehen könnte, durchaus nicht selbverständlich. Diese Unverbindlichkeit, die auch der Gesellschafts- oder im mindesten Fall regierungskritischen Befassung in diesem Land einen simulatorischen Charakter verleiht, den sich anderswo kaum jemand träumen ließe, ist auf psychologischem Weg mit so etwas wie „Konfliktscheue“ sicher nur unzureichend erfaßt, mit einem in Österreich offenbar tief verwurzelten Hang zur Ästhetisierung, zum bloßen Spiel mit Symbolen, also mit einer Art diesem Land immer schon innewohnenden Postmodernismus avant la lettre, kommt man der österreichischen Gemütlichkeit vermutlich schon näher. Musil war schon ziemlich früh ziemlich nahe dran.

Es ist unter solchen Umständen wunderlich, daß von Öffentlichkeit als von etwas doch noch Verschwindendem überhaupt die Rede sein kann. Diese Rede kann schon längst nur noch sein dank der Existenz solcher Medien, die wir Freie Medien nennen — das sind alternative Zeitschriften, Freie Radios und nichtkommerzielle Internet-Projekte. Gemeinsam ist diesen Freien Medien, daß sie Vermaktungserfordernissen mit absichtlicher Ignoranz gegenüberstehen, daß sie sich die Kritik, die Ausführlichkeit und Hartnäckigkeit der Auseinandersetzung und die Bereitstellung der dafür nötigen Informationen erlauben, selbst um den Preis des Untergangs, die von „den“ — wenn man so will: etablierten — „Medien“ nicht erwartet werden können, die aber notwendig sind, zumal in Zeiten offensichtlich wachsender Not.

Als unverkennbares Charakteristikum Freier Medien kann angeführt werden: Daß ihre Aufgabe und ihre Bedeutung erst dann so richtig auffallen, wenn es sie nicht mehr gibt. Erst dann wird der Verlust von Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeiten schmerzlich bemerkt und festgestellt, daß die Freiheit des Denkens wertlos ist, wenn es sich nicht in Gesellschaft begeben kann.

  • Wenn sich Akademiker und Akademikerinnen ein Stück weit über ihr Tagesgeschäft hinaus begeben wollen; und ihren Überschuß an Denken, der in ihrem Beruf beinahe zwangsläufig anfällt und der beinahe zwangsläufig kritisch ist und daher dort nicht verwertbar, publizieren und zur Diskussion stellen wollen — das ist, was man zu anderen Zeiten und an anderen Orten als die Funktion „der Intellektuellen“ bezeichnet hat; und wenn sie dann feststellen, daß es dafür kein Medium mehr gibt; dann wird es unterhalb einer gewissen Wahrnehmbarkeitsschwelle auch sinnlos, so zu tun, als könne es in diesem Land überhaupt noch Intellektuelle geben. Die welche sein wollen, müssen auswandern, aufgeben oder sich mit der Dorfverschönerung auf der einen oder anderen Kommentarseite bescheiden.
  • Wenn Künstlerinnen und Künstler feststellen, daß sie in der massenmedialen sogenannten Kunstkritik nur noch gut davonkommen, wenn ihre Arbeit irgendwie dem zuträglich ist, was man als verallgemeinerte österreichische Tourismuspolitik bezeichnen könnte; und daß sie mit Diffamierung und Verhöhnung zu rechnen haben, wenn sie für die Standort-Nation als zu kritisch, schwierig, nestbeschmutzend oder schlicht überflüssig betrachtet werden; daß sie jedenfalls mit ernsthaftem Interesse und ernstzunehmender Kritik kaum noch zu rechnen haben; dann ist das für sie ein Grund mehr auszuwandern, den Beruf zu wechseln oder schlimmstenfalls zu versuchen, sich irgendwie für den Markt fit zu machen.
  • Wenn schließlich Personen und Gruppen, die mit dieser Gesellschaft uneins sind, sie und ihre Institutionen an ihren Grundlagen und in ihrem Bestand kritisieren, gar ablehnen, keine Möglichkeit mehr finden, diese Kritik und Ablehnung zu veröffentlichen und somit unweigerlich und immerhin zur Diskussion zu stellen; dann wird das Gerede von der angeblichen „Gewaltbereitschaft“ der Zeitschriften, die dies ermöglichen, von den endgültig aus aller Öffentlichkeit Ausgeschlossenen vielleicht irgendwann tatsächlich kurzerhand mit Substanz, also mit Gewalt gefüllt werden.
  • Selbst den Kritisierten, den Funktionierenden der Politik, den akademischen Verwaltern des Wissens, den Hütern der hohen Kunst, könnte auffallen, daß Kritik, sei sie auch fundamental, sei sie auch lästig gewesen, immer noch besser war als der Abbruch der Beziehungen.

Freie Medien erfüllen, wie die Dinge in diesem unmöglichen Land liegen, heute als einzige, weil als letzte, die Aufgaben, deren Erfüllung gewissen republikanischen Traditionen zufolge „den Medien“ zugedacht ist. Während die Totalvermarktung im Allgemeinen und Österreich im Besonderen Öffentlichkeiten vernichten, bleiben als tatsächliche Hersteller von Öffentlichkeiten nur solche Medien, die sich sowohl der Totalvermarktung als auch Österreich verweigern.

Die jüngere Geschichte alternativer Zeitschriften ist allerdings — trotz mancher beherzter Neugründung — eine Geschichte des Verschwindens (ich erinnere an dieser Stelle an zentrale, für die Organisierung kritischer Öffentlichkeiten eigentlich unverzichtbare, in den letzten zehn Jahren eingestellte, Titel wie die AUFRISSE, das Wiener Tagebuch, die MONATSZEITUNG und das FORVM). Die aktuelle Entwicklung aller Freien Medien ist ebenso eine Entwicklung des tendenziellen Verschwindens, jedenfalls einer kaum wiedergutzumachenden Schwächung. Schuld ist die neue, blau-schwarze Regierung, auch an dieser Misere nur nach ihren Möglichkeiten und im Rahmen ihrer kurzen Amtszeit, also nur zum Teil.

Historische Schuld bemißt sich an den Eingriffsmöglichkeiten, die man gehabt hätte. Seit Mitte der siebziger Jahre gibt es gesetzlich geregelte, staatliche Förderungen für periodische, gedruckte Medien. Und seit es sie gibt, gibt es auch die Kritik daran, die eigentlich überflüssig ist, weil der vollkommene Unsinn von Presse- und Publizistikförderung sich ganz von selbst offenbart: Während in der Presseförderung 250 bis 350 Millionen Schilling jährlich an einige Tages- und Wochenzeitungen verschenkt wurden und werden, und zwar nach dem hauptsächlichen Kriterium des leserseitigen Umsatzes, standen und stehen für die Förderung sämtlicher Zeitschriften 5 bis 8 Millionen per anno zur Verfügung — ergibt im Einzelfall ein Trinkgeld (ob ein besseres oder schlechteres, mag man unterschiedlich beurteilen). Nicht einmal zur Rettung der eigenen Parteizeitungen (von SPÖ und ÖVP) reichte dieser recht kostspielige Nichtförderungs-Schwachsinn.

Entgegen allen Schön- und Sonntagsreden von der angeblich allerorts ausbrechenden und alles erdenkliche ermöglichenden „Zivilgesellschaft“ leben wir alternative ZeitschriftenproduzentInnen schon seit langem in der „Bürgergesellschaft“, ganz nach Khols Kopf: Was wir produzieren, leisten sich ziemlich ausschließlich unsere LeserInnen; was sich unsere LeserInnen nicht leisten (weil sie erstens zu wenig zahlreich sind, zweitens und auch deshalb die tatsächlichen Produktionskosten zu hoch, um sie in Abo-Preisen auszudrücken), leisten wir uns, so weit und so lange wir können — wenn sich das auf viel unbezahlte Arbeit beschränken läßt, haben wir noch Glück gehabt.

Freilich: Hätte in den letzten dreißig Jahren eine Medienpolitik stattgefunden, die etwas anderes ermöglicht hätte, als das am Markt ohnehin Stattfindende, wären also unter anderem (ja, ja: auch die „Mediaprint“ hätte man zerschlagen sollen) geeignete, gesetzlich geregelte Förderungsstrukturen geschaffen worden, dann wären die heute — wie manch anderes — auch flugs zerschlagen. Es hätten aber in dieser Zeit strategische Entwicklungen in Gang gesetzt, bessere Eigenfinanzierungsstrukturen entwickelt, größere LeserInnenkreise erschlossen, kurzum nicht so einfach umzubringende Öffentlichkeiten aufgebaut werden können - sagen wir also, weil das in dieser Façon gerade gut ankommt, die „zivilgesellschaftlichen“ Strukturen, die jetzt von einigen ebenso heftig entweder phantasiert werden oder herbeigeredet werden wollen, wie ihr Fehlen offensichtlich wird.

Eines kann man uns alternativen ZeitschriftenherausgeberInnen nicht nachsagen: daß wir nicht zäh wären. So lange es noch gute, kritische AutorInnen gibt (und erstaunlicherweise gibt es immer noch gute AutorInnen und wichtige Texte — zu viele sogar für die vorhandenen Publikationsmöglichkeiten), werden sich wohl auch welche finden, die noch einmal versuchen, etwas auf die Beine zu stellen. Man sollte sich aber nicht darauf verlassen, daß jeder neue, wahnsinnige Anlauf schon irgendwie zu einem haltbaren Produkt führen wird. Wie die Dinge heute stehen, sind unsere LeserInnen unsere einzige Hoffnung. Ob „Bürger-“ oder „Zivilgesellschaft“: Es gibt keine Öffentlichkeiten — es sei denn, wir bilden sie und leisten sie uns! Wir ProduzentInnen können mangels Mitteln nicht allzu viel zur LeserInnenfindung beitragen, wir müssen uns finden lassen. Finden Sie uns!


[1] Gerhard Scheit: Kreiskys Erben? Hitlers Erben, in: konkret 12/2000, S 23

[2] Hartmut Schulze: Notizen aus dem Neanderthal, in: konkret 1/1979, zitiert nach dem Reprint in: 30 Jahre konkret, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1987, S 250

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