MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Parlamentarismus und Grüne:

Man läßt sich nicht ungestraft wählen

Von links nach rechts: Thomas Ebermann, Christof Parnreiter, Günther Nenning, Sonja Puntscher Riekmann

Am 7. Oktober hat die Grüne Alternative gute Chance, Stimmen und Mandate zu vermehren. Was Grüne im Parlament sollen und können, darüber denkt hierzulande jedoch kaum jemand nach. Die MONATSZEITUNG lud deshalb zum Streit:

Thomas Ebermann war Abgeordneter der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft und im Bonner Bundestag, wo er auch Fraktionssprecher war. Im Frühling ist er aus der Partei der Grünen ausgetreten.
Günther Nenning, Journalist und Grüner.
Sonja Puntscher-Riekmann war hauptverantwortlich für die Programmarbeit der österreichischen Grünen und ist Kandidatin für den Nationalrat.
Christof Parnreiter leitete das Gespräch.

Parnreiter: Ich beginne mit zwei Zitaten. Sonja Puntscher Riekmann schreibt im Wahlkampfflugblatt der Grünen, daß sie ins Parlament wolle, um „unsere Vorstellungen einer lebendigeren und direkteren Demokratie glaubwürdig weiterzuentwickeln und durchzusetzen“, Thomas Ebermann hingegen meint in seiner Austrittserklärung aus der Partei der Grünen, diese seien eine „normale deutsche Wahlpartei“ geworden und hätten sich an „das gestattete deutsche Politikmodell“ angepaßt. Er wirft sich selbst „eine Überschätzung parlamentarischer Möglichkeiten“ vor. Ist das Parlament nun ein möglicher Ort für grüne, alternative Politik?

Nenning: Das ist doch eigentlich eine fade Frage, denn daß das Parlament ein möglicher Ort ist. versteht sich von selber. Die Frage ist: was noch?

Puntscher Riekmann: Wenn man das Parlament beläßt, wie es ist, ist es zumindest ein schwieriger Ort, um grünalternative Politik durchzusetzen. Aber: Wie sehr ist es reformierbar, für eine grünalternative Politik funktionalisierbar? Und ist nicht der Kampf um ein funktionierendes Parlament, das repräsentative Demokratie wirklich realisieren ließe, ein notwendiger Kampf, der natürlich auch von außerhalb des Parlaments geführt werden müßte? Die Grüne Alternative hat in den letzten vier Jahren zur Veränderung des Parlaments beigetragen. Etwa ist die Öffnung der Ausschüsse eine Errungenschaft, ohne die sehr vieles nicht möglich gewesen wäre.

Nenning: Das ist kein Diskussionsgegenstand, weil es sich eh von selbst versteht, daß die Öffnung der Ausschüsse gut ist und zweitens ist nicht genug ist. Da hupfen im ganzen Land die Bürgerinitiativen herum — wieviel Energie und wieviel Geld geht in die Unterstützung dieser Bewegungen, die das Demokratischste, das Direkteste sind, was wir an Demokratie aufzuweisen haben, und wieviel verzettelt sich in der parlamentarischen Arbeit? Wenn man sagt, die grüne Bewegung ist eine Jahrhundertbewegung, die unser Überleben sichern soll, dann ist das Parlament entsetzlich unzureichend.

Ebermann: Für einen Staatsfeind oder Staatsgegner oder Staatskritiker ist das Parlament zunächst einmal ein feindlicher Ort. Es ist ein Herrschaftsort fremder Interessen, und die zentrale Frage ist, ob man in diesem feindlichen Ort destruktiv agieren kann. Das war jedenfalls unser Ansatz, den ich durch meinen und meiner Freunde Austritt als gescheitert angesehen habe. Das Parlament ist ein Ort. das immer wieder versucht, seine Mitglieder in eine konstruktiv-gestalterische Pose und Arbeit zu zwingen, und stellt dafür bestimmte Voraussetzungen bereit. Die erste Dressur ist, daß einem beigebracht wird, was alles wo fehl am Platze ist. Man kann zum Beispiel nicht einfach sagen: „Ich will, daß die Mindestrente auf 1.600 DM angehoben wird, nehmt das doch vom Rüstungsetat.“ Sofort schallt einem entgegen, daß man diese Forderung nicht stellen könne. Richtig am Platz ist aber, daß die Sozialpolitiker sich überlegen, ob es eher zu verantworten ist, den Blinden das kostenlose Telefonieren zu beschneiden oder die Winterbekleidungsbeihilfe für die Sozialhilfeempfänger zu kürzen. Der destruktive Ansatz will Sand im Getriebe sein, will, daß man keinen Respekt vorm Parlament zeigt.

Nenning: Wie lange habt Ihr diesen wahnwitzigen Ansatz versucht?

Ebermann: Fünf, sechs Jahre ...

Nenning: ... na servas, da habt’s lang gebraucht, bis Ihr draufgekommen seids, daß das ein Blödsinn ist.

Ebermann: Ich halte das nach wie vor für richtig, ich halte es nur für einen Blödsinn, daß man es mit der grünen Partei nicht mehr machen kann.

Nenning: Es gibt so viele Dinge, die man jetzt tun muß: die Demokratie ist im Arsch, die Umwelt ist im Arsch, auf sozialem Gebiet tut sich Schreckliches. Und da sagt ein politisch interessierter Mensch: „Ich bin Sand im Getriebe des Parlaments.“ Das ist doch ein Wahnwitziger! Als ob’s nichts Interessanteres und Wichtigeres gäbe! Ihr seid mit Recht gescheitert. Also: Wenn ich hineingehe, dann mit der Vorstellung, daß das ein wichtiger Nebenkriegsschauplatz ist. Ich kann doch nicht auf einem ganz anderen Schachbrett spielen als die vorhandenen Menschen, gell? Und wenn man sagt: Jetzt sind Wahlen, dann ist es auch vernünftig, zu sagen: Wißt’s was, Leutln, Ihr könnts grün wählen. Das ist bescheiden, aber es ist doch was. Und aller Rest der Energie gehört dorthin, wo man wirklich Dinge verändern kann, auf gut links gesagt: in die Kopfrevolution.

Puntscher Riekmann: Warum ist aus diesem Nebenkriegsschauplatz, wenn wir unbedingt in der militärischen Diktion weiterreden wollen, nicht ein Hauptkriegsschauplatz zu machen? Zu sagen, so funktioniert es halt, und jeder, der mehr will, frönt einem theoretischen und praktischen Luxus, das ist eine Absage, noch bevor man überhaupt in dieser institutionellen Frage Möglichkeiten und Spielräume eröffnet hat, die Auseinandersetzungen auf parlamentarischer Ebene ermöglichen.

Nenning: Ich hab’ auch nichts dagegen, wenn man sagt, man will das Parlament reformieren, aber ich darf doch nicht die Wertigkeiten verlieren, indem ich sage: Über das Parlament mache ich diese gewaltlose, grüne Revolution. Das ist ein Schmarrn — es ist der ungeeignetste Ort dafür, obwohl’s gut ist, wenn es dort lebendig ist, wenn es ein besseres Wahlrecht gibt und was weiß ich noch. Ich geh’ nicht in die Falle zu sagen: Pfui, das tu ich nicht. Aber die Wertigkeit, die muß ich sehen. In fünf, zehn Jahren ist alles noch mehr hin, als es eh schon ist, und da reformier’ ich das Parlament? Daß ich mich abstrample, das zu ändern, ist hoffnunglos. Na, da bin ich ein Depp. Es wird dadurch auch nicht die Luft reiner.

Puntscher Riekmann: Bin ich also ein Depp?

Nenning: Nein, Du könntest ja auch noch sagen, was Du sonst noch alles willst.

Puntscher Riekmann: Ich sagte ja schon, daß es ohne Druck von außen, von Bewegungen, nicht gehen wird. Aber ich habe was gegen das leichtfertige Aufgeben einer Möglichkeit, die doch einst die Grundlage aller Demokratie war.

Nenning: Das ist ein falscher Demokratiebegriff. Es gibt überwältigende empirische Beweise, daß das Parlament sehr leicht kooptierbar ist in Machtstrukturen, während zum Beispiel demokratische Graswurzelbewegungen nicht kooptierbar sind. Sie gehen zwar immer wieder ein, haben immer wieder Fehlschläge, auch Erfolge, aber es ist daraus kein Instrument zu machen, wo die Herrschenden sagen können: „Schauts her, wir sind so demokratisch und haben ein Parlament.“

Puntscher Riekmann: Dem stimme ich vollständig zu. Auch in Österreich ist das Parlament kooptiert in Machtstrukturen, in denen es nicht um eine öffentliche parlamentarische Auseinandersetzung geht, sondern ausschließlich um den Akt des Absegnens von Entscheidungen, die anderswo gefallen sind. Mein demokratischer Ansatz wäre unter anderem auch, diesen Zustand, die Kooptionsmöglichkeiten, zu beseitigen.

Parnreiter: Du gehst davon aus, daß Parlamentarismus nicht per se, sondern lediglich in der konkreten gesellschaftlichen, zum Beispiel österreichischen, Ausformung undemokratisch sei. Andere hingegen meinen, Parlamentarismus sei eine Erfindung des weißen Bürgers, die Demokratie nur für ganz wenige ermöglichen sollte.

Puntscher Riekmann: Tun wir nicht so, als hätten wir nach wie vor ein Wahlrecht wie im 19. Jahrhundert. Wir haben ein Wahlrecht, das etwas umfassender den Bürgern und Bürgerinnen ermöglicht, Vertreter und Vertreterinnen ins Parlament zu schicken.

Nenning: Das glaubt ja nicht einmal mehr ein halbwegs reformfreudiger Mensch in der ÖVP oder der SPÖ, daß das eine Linie ist, aus der sich mehr Demokratie entwickeln wird. Zuerst darf niemand wählen, dann ein paar, dann auch die Frauen — und so schreiten wir vorwärts zur Demokratie.

Puntscher Riekmann: Dann verstehe ich aber auch nicht, daß Du sagst, das ist ein Nebenschauplatz, auf dem man agieren soll.

Nenning: Ich meine nur, daß man nicht sagen kann, wenn ich statt zehn Wahlkreise hundert habe, dann werden alle Probleme gelöst. Es hat sich historisch erwiesen, daß die parlamentarische Demokratie nicht ausreicht, sie ist nicht imstande, die Umweltprobleme, die sozialen Probleme, die Probleme der „3. Welt“ zu lösen.

Ebermann: Es ist doch ein Unterschied, ob man sagt, das Parlament reicht nicht aus, all die guten Zwecke zu realisieren, oder ob man sagt, das Parlament ist ein Instrument, die Realisierung der guten Zwecke zu verhindern.

Nenning: Das ist schon was anderes, aber diese Verschwörungstheorien sind so langweilig.

Ebermann: Demokratie im eigentlichsten Sinn des Wortes fängt dort an, wo die Leute über ihre Geschicke selbst entscheiden können. Das menschliche Leben wird nun einmal erheblich determiniert durch ökonomische Entscheidungen, und diese sind in der Regel dem Parlament entzogen. Das heißt, das Parlament kann und muß sich darauf einlassen, ein Instrument zu sein, die Menschen ideologisch davon abzuhalten, den Anspruch zu erheben, überhaupt über ihre eigentlichen Interessen verfügen zu wollen. Sie sollen in Selbstbescheidung die Form des politischen Überbaus als etwas Positives akzeptieren. Das ist ein Hauptzweck des bürgerlichen Parlamentsbetriebes. Ein weiterer Aspekt ist die frühe Sensibilisierung für das Auftreten neuer Strömungen und Auffassungen in der Bevölkerung zum Zwecke ihrer Kanalisierung. Ich glaube, daß jenseits der Frage, wie destruktiv man im Parlament arbeiten kann oder sollte, man sich die Frage stellen muß, wofür eine parlamentarisch-präsente Kraft Instrument ist: für mehr Zerrüttung der Zustimmung zum staatlichen und ökonomischen Handeln oder zu mehr Bindung ehemals rebellischer Potentiale an diesen Staat? Ich würde sagen, die Revolutionierung der Köpfe hat in der BRD nicht stattgefunden, im Gegenteil. Ein Teil der Bevölkerung, der vor zehn Jahren in relativ schroffer Feindseligkeit zu Einzelmaßnahmen und Globalmaßnahmen des Staates gestanden ist, wurde wieder versöhnt mit diesem Staat. Die Grünen Parlamentarier sind Träger dieser Versöhnung mit dem Staat. Und komme ich zu dieser Auffassung, daß Grüne im Parlament ein Instrument für mehr Bindung an den Staat sind, dann widerspricht das meiner Intention so kraß, daß ich da keinen Platz mehr habe. Das, was wir versucht haben, war ein Irrweg.

Hermann Gremliza hat mal geschrieben, daß man sich nicht ungestraft wählen läßt von Menschen, die mal ein bißchen von der SPD oder der FDP enttäuscht sind. Und in der Tat hat uns das eingeholt, daß wir links von unserer Wählerbasis gestanden sind, daß wir nicht Ausdruck von Wählerwunsch waren. Ich bin ja, seit ich bei den Grünen raus bin, nicht der agile Kämpfer dafür, daß die jetzt Mißerfolg haben, sondern ich meine, es muß ein linksradikaler Pol konstituiert werden, der gerade nicht in Unterordnung unter eine parlamentarische Partei agiert, um eine von Sach- und Kompromißzwängen nicht belastete Politik entfalten zu können. Es ist nämlich wichtig, zu beurteilen, wie es wirkt, wenn man hegemonial im fortschrittlichen Lager der Gesellschaft wird. Und in der BRD haben die Grünen nun einmal dazu beigetragen, Parlament, Staat und Politik insgesamt zu einem höheren Ansehen zu verhelfen. Der Konsens der Demokraten erfaßt wieder einen größeren Teil der Gesellschaft. Das haben die Grünen natürlich nicht allein geschafft, das hängt auch damit zusammen, daß alle Hoffnungen auf Umwälzungen in der „Dritten Welt“ zerstört wurden, das hängt zusammen damit, wie sich der RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) auflöst und daß dort das hohe Lied der Marktwirtschaft gesungen wird. Aber die Grünen haben dazu beigetragen. Und das ist eine negative gesellschaftliche Funktion.

Nenning: Du bist also ein in die grüne Bewegung eingeschleuster Anarchist. Ein Anarchist ist etwas Wunderbares, aber die grüne Bewegung ist nicht dazu da, daß sie den Staat beseitigt, obwohl ich das für ein löbliches Ziel halte, wenn es auf gewaltlose Weise passiert. Sie will die Natur retten. Das ist ein wertkonservatives und für einen echten, radikalen Anarchisten im Grunde reaktionäres Ziel.

Ebermann: Es bringt nichts, rückblickend zu sagen, daß die Grünen eine wertkonservative Plattform wären, denn das waren sie weder von ihrem gesellschaftlichen Wollen noch von den Leuten, die am meisten Zustimmung bekommen haben. Nehmen wir mal mich und meine Strömung raus, ich würde sagen, daß weder Otto Schily noch Joschka Fischer noch Antje Vollmer Träger der Idee der Bewahrung der Natur waren. Das ist in der Tat eine reaktionäre Forderung.

Nenning: Da hast Du’s. Einen Schmarrn bist ein Grüner. Du bist ein ehrenwerter Anarchist. Du störst die Grünen nur.

Ebermann: Ich wußte nicht, daß ich ein Anarchist bin, aber ich fasse das nicht als Beleidigung auf. Wenn man aber so pauschale Begriffe wie „Natur erhalten" oder „Staat abschaffen“ benützt, dann wird es einem unmöglich, überhaupt die Entwicklung der Partei der Grünen zu begreifen. Ich wollte ja nie meine Inhalte pur in den Grünen verwirklichen, die Frage war immer, wieviel solcher kulturrevolutionärer, antistaatlicher Momente würde eine solche Partei mittragen und zulassen. Da kann man einen prozeßhaften Verschleiß staatskritischer Positionen beobachten. Ob das das imperative Mandat ist, das abgeschafft wird, die Diätenbeschneidung oder die Rotation: all diese Mechanismen, die verhindern sollten, daß jemand an diesem eigentlich feindlichen Ort heimisch wird, sind am Absterben. Die Entsprechung dazu gibt es bei den politischen Forderungen, übrigens auch in der Radikalität der ökologischen Forderungen. Die Grünen in der BRD stehen nicht mehr für das sofortige Abschalten aller Atomanlagen, sie verheddern sich in Debatten, ob Hochtemperaturverbrennung nicht eine Alternative zur Deponierung von Müll sein könnte, sie fordern nicht mehr das Verbot stofflich unbeherrschbarer Produktionsvorgänge. Selbst auf diesem Gebiet ordnet die Partei, der ich angehört habe, ihre Forderungen Koalitionsnotwendigkeiten unter.

Nenning: Das ist praktische Politik. Wenn ich eine Partei bin, muß ich mich wie eine Partei aufführen. Wenn ich ein anarchistischer Zirkel bin, brauche ich auf das nicht zu schauen.

Parnreiter: Diese Anpassung ist damit verknüpft, daß die Grünen in Parlamenten gesessen sind und wiedergewählt werden wollten?

Ebermann: Es ist damit verknüpft, aber auch wiederum nicht nur. Es gibt mehr Integrationsmechanismen des Staates, etwa die Tatsache, daß die BRD — und auch Österreich — einer der reichsten Staaten überhaupt ist und so jedem gesellschaftlichen Widerspruch zunächst einmal die Möglichkeit anbietet, ein kleines Plätzchen zu bekommen. Wer fünfmal erfolgreich auf einer Betriebsversammlung spricht, kann Betriebsrat werden, wer zehnmal erfolgreich spricht, kann in den Aufsichtsrat kommen und verdient 40.000 DM mehr und muß nicht mehr an dem konkreten Arbeitsplatz stehen. Im Parlament ist das natürlich besonders ausgeprägt — die, die ihre Diäten nicht ordentlich an die Partei abgeführt hatten, die konnten schon mit einer Versiebenfachung ihres Einkommens rechnen, die konnten Weltreisen machen usw. Das Geldzusammenlegen für die Erstellung eines Flugblattes ist ersetzt worden durch das Kommando über vier Mitarbeiter. Zu den materiellen Aspekten kommt ganz stark die Frage der Reputation: Jeder, der Politik macht, ich ganz toll eingeschlossen, leidet darunter, gesellschaftlich überhört zu werden. Und plötzlich hast Du das Gefühl: Ich werde nicht mehr überhört. Du kommst in Fernseh-Diskussionsrunden, in Talk-Shows, und deine Spritzigkeit wird bewundert, du hast eine originelle Idee und stichst ab von der Eintönigkeit der Politik, man sagt Dir geistige Schärfe nach, nur weil Du ein Stück über Möllemann oder Genscher stehst — das ist eine Verführung. Dann kommt noch der Druck des Konstruktiven, der Druck, Kollege im Parlamentsbetrieb zu sein, der Druck, fachkundig zu sein, nicht gerne Außenseiter zu sein. Die westdeutschen Grünen haben es nicht geschafft, irgendeiner Parlamentsdebatte gegenüber gleichgültig zu sein — sogar zur Frage der versicherungstechnischen Gleichstellung der Schlepplifte mit denen der Sessellifte mußte einer hingehen und das machen, was Lenin parlamentarischen Kretinismus genannt hat, nur in Potenz. Wenn Du im Ausschuß die Kompetenzen des Ausschusses nicht akzeptierst, bist Du totaler Außenseiter.

All das zusammen ergibt einen Druck, sodaß eine Transformation stattfindet, den Wähler als Wähler zu behandeln. Dich zu ärgern, wenn er Deine Vernunft nicht akzeptiert, über das hinausgeht, was Du forderst, wenn er Deinen Fleiß nicht lobt. Und Du machst eine Rechnung: Mit welchen Forderungen schrecke ich Wähler ab. Und in diesem Prozeß verdrängt man, was ursprünglich bei uns tatsächlich Konsens war, daß man sich im Parlament auf feindlichem Gebiet befindet.

Puntscher Riekmann: Die Frage nach der Organisation der Ökonomie wird weder von den deutschen noch von den österreichischen Grünen gestellt. All das, was an Kapitalismuskritik schwelt, ist nicht mehr das Thema. Wo es um Naturerhaltung geht, wird man Werte konservieren müssen, die Frage aber ist, ob man das mit einer grundsätzlichen Kritik an einer bestimmten Form des Wirtschaftens verbindet oder ob man versucht, innerhalb eines nicht mehr angetasteten ökonomischen Systems zu jonglieren, mit Möglichkeiten zu operieren, die hier ein bißchen mehr, dort ein bißchen weniger erlauben. Was wäre denn die Alternative zu diesem Wirtschaftssystem, und wo sind die revolutionären Strömungen, die einen solchen Umbruch auch tragen würden?

Nenning: Das hat mit den Grünen im Parlament nichts zu tun. Die haben die verdammte Pflicht, die in der Wirklichkeit sich befindende Bewegung „Naturzerstörung aufhalten“ zu fördern.

Ebermann: Ich habe auch keine soziale Trägerschaft, keine revolutionäre Arbeiterbewegung, die ökologisch denkt, auf meiner Seite — ich würde auch niemals sagen, daß die Grünen ihre Wähler verraten haben. Die Grünen, so wie sie sind, minus Ebermann und Trampert, vielleicht auch bald minus Ditfurth und andere, verraten ihre Wähler nicht, sondern entsprechen dem Wollen ihrer Wähler. Ob der Wunsch, Naturzerstörung zu verhindern, ohne Überwindung kapitalistischer Ökonomie überhaupt denkbar ist, ist natürlich die relevante Frage, denn sonst begibt man sich in die Rolle des Populisten. Wenn man aber der Auffassung ist, daß die Wirtschaftsweise, in der wir leben, letztendlich dort investiert, wo die höchsten Profite zu erreichen sind, und das immer wieder Rücksichtslosigkeit gegen die äußere Natur des Menschen mit sich bringt, wenn man zweitens annimmt, daß diese Wirtschaftsweise lebensnotwendig auf Wachstumsraten angewiesen ist und deshalb keine Rücksicht nehmen kann auf unbeherrschbare Prozesse, dann kann ich tatsächlich nur einen antikapitalistischen Ökologiebegriff haben. Ich weiß allerdings, daß ich im Moment für diesen antikapitalistischen Ökologiebegrifff nur sehr wenige Menschen gewinnen kann. Trotzdem muß ich sagen, daß diejenigen, die den Kapitalismus oder die Marktwirtschaft ökologisch gestalten wollen, Donquichotterie betreiben.

Puntscher Riekmann: Die Präambel unseres Ökologieprogramms enthält eine unmißverständliche Kapitalismuskritik. Die Frage ist allerdings, ob dieses kapitalistische System, wenn man es unter Druck setzt, in der Lage ist, technische Möglichkeiten anzubieten, die weniger zerstörerisch sind als das bisherige.

Nenning: Wenn ich auch nur das, was innerhalb des Kapitalismus möglich ist, tue, um Leben und Umwelt zu schützen, ist schon viel getan.

Parnreiter: Determinieren diese beiden Ansätze — ökologische Politik im oder gegen den Kapitalismus — nicht auch den Zugang zum Parlamentarismus? Wer ersteres denkt, wird konsequenterweise versuchen, das Müllproblem über Gesetze in den Griff zu bekommen ...

Nenning: ... dafür wird man ja auch gewählt.

Ebermann: Es kann doch gar keinen Diskurs geben darüber, daß gar nichts geht innerhalb der Marktwirtschaft. Jeder, der Politik macht, relativiert ja zum Beispiel das Handeln der eigenen herrschenden Klasse am Handeln anderer. Es gibt technische Maßnahmen, Maßnahmen, die sofort durchzuführen sind und die auch keine großen Brüche im Akkumulationsprozeß hinterlassen, aber sie sind so unzureichend, daß sie das angestrebte Ziel der halbwegs gesunden Umwelt nicht realisieren können. Der — speziell antisozialdemokratische Nachweis — daß das alles letztlich nichts bringt, solange Du nicht in die zentralen Bereiche des stofflich unbeherrschbaren Produzierens reinschneiden kannst, ist die eigentliche Aufgabe einer aufklärerischen-ökologischen Partei.

Nenning: Aber nicht einer parlamentarischen Grünpartei.

Parnreiter: Du sagtest, Günther, daß auf den von Thomas beschriebenen Prozeß der Anpassung — etwa bei ökologischen Forderungen an moderatere Positionen —, wenn ich Partei bin, ich mich auch wie eine Partei aufführen muß. Du akzeptierst also dieses Zurückweichen?

Nenning: Ganz im Gegenteil. Man muß an die Grenze dessen gehen, was im Kapitalismus möglich ist, das ist die Definition einer parlamentarischen Umweltpartei.

Ebermann: Man muß bezüglich des Zurückweichens klar stellen, daß sich die Wirkungen des Parlaments multiplizieren, wenn es keine Bewegung gibt, wie es derzeit in der BRD der Fall ist. Wenn Du mitkriegst, daß trotz „Sandoz“ in der Bevölkerung nach sechs Wochen eine ziemliche Beruhigung eintritt, dann kommt es zu den Umbauprogrammen, wo dann auch Rahmenbedingungen, die eigentlich auf Feindseligkeit stoßen, akzeptiert werden, weil in der Phantasie kein gesellschaftlicher Kampf mehr stattfindet. Und weil der empirisch auch nicht sehr stark vorfindbar ist, wird alles ohne Bewegung gemacht. Es wird ausgerechnet, wie über eine alternative Steuerpolitik der Umbau der chemischen Industrie finanziert werden kann. Es kommt dann ohne gesellschaftliche Kämpfe ein Konzept raus, das die „ökologische Vernunft“ repräsentieren soll. All das bleibt ohne relevante Beschneidung von Profitraten, expansionistischer Gelüste der BRD usw. Das ist dann im eigentlichen Sinn konstruktiv. Ein Beispiel: In Hessen gab es einen grünen Umweltminister, in Schönberg/Lübeck gab es eine Bürgerinitiative, die gegen die Belieferung der dortigen Deponie mit Sondermüll aus Hessen arbeitete. Der Umweltminister, und damit auch die grüne Partei, sagte: Wir brauchen diese Deponiekapazität. Er verfügt also, daß die Umwelt weiter versaut wird. Ist das nicht die Konsequenz des Mitregierens?

Nenning: Nicht notwendigerweise. Es ist vor allem die Konsequenz dessen, daß die grüne Bewegung hauptsächlich Partei geworden ist. So ein Mann, wie Du ihn schilderst, gehört aber in hohem Bogen rausgehaut.

Ebermann: Wenn der in hohem Bogen rausfliegen muß, dann könnte doch die Konsequenz sein, daß es gar keine Möglichkeit gibt, als Umweltminister unter den gegebenen Bedingungen parlamentarisch oder regierungstechnisch konstruktiv zu arbeiten. Denn wenn die Kraft nicht reicht, den Anfall von so viel Sondermüll zu unterbinden, und das ist eine Frage, wie weit Du an die industrielle Produktion rankommst, dann stellt sich die konstruktive Politik die Frage, was der richtigste Umgang mit dem anfallenden hochtoxischen Müll sei? Der destruktive Ansatz wäre, zu sagen, solange man nicht an die Produktion rankommt, ist nichts zu machen.

Nenning: Das ist unbewiesen.

Parnreiter: Du meinst also, man könnte im Parlament Gesetze beschließen, die den Anfall an Sondermüll, sagen wir um 90%, minimieren?

Nenning: Was sind das für abstrakte Fragen? Abschaffen kannst Du im parlamentarischen System gar nichts. Wenn es aber den Druck von Seiten der Wähler gibt, können die Grünen innerhalb des Parlaments und des Kapitalismus viel durchsetzen, das zeigt ja die Transitfrage.

Puntscher Riekmann: Die mittlerweile an allen Ecken und Enden erodiert.

Parnreiter: Wecken die Grünen nicht falsche Hoffnungen, wenn sie etwa versprechen, den ökologischen Umbau im Parlament anzugehen?

Puntscher Riekmann: Ich habe Thomas’ Hoffnungen noch nicht ganz aufgegeben, das kann aber daran liegen, daß ich noch nicht drinnen war. Ich glaube allerdings, daß es Spielräume gibt, die man ausnützen kann.

Parnreiter: Das Parlament ist nun einmal nicht der Hauptschauplatz gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Kämpfe. Wie willst Du die Fragen der Produktion ins Parlament bringen?

Puntscher Riekmann: Warum nicht? Ich bin absolut dagegen, das Parlament als Nebenschauplatz zu belassen, ohne den Versuch zu unternehmen, daraus einen Hauptschauplatz zu machen.

Parnreiter: Sind nicht vor einem Jahrhundert die Sozialdemokraten angetreten, um eben das zu verwirklichen?

Puntscher Riekmann: Daß sie fast alles aufgegeben haben, was sie an programmatischen Grundsätzen hatten, liegt ja auch daran, daß sie seit zwanzig Jahren mit allen Mitteln an der Macht teilhaben wollen. Ist das Eingehen von Kompromissen der einzige Weg, Politik zu machen? Zumindest in Salzburg hat Johannes Voggenhuber als Stadtrat bewiesen, daß auch gegen enorme Widerstände Dinge durchzusetzen sind, von denen er nie dachte, daß das gehen würde.

Ebermann: Die Erfolge, die man nicht geringschätzen sollte, sind Parteien oder Politikern halt leichter zuordenbar als sozialen oder politischen Bewegungen. Die Zeit, in der wir keine Parlamentsvertretung hatten, war auch keine Zeit der absoluten Mißerfolge. Dafür gibt es einige Beispiele. Es scheint sogar so zu sein, daß die Ungebundenheit des sozialen Protests manchen Erfolg eher ermöglicht hat als die Eingebundenheit ins Parlament, insbesondere in eine Regierung.

Parnreiter: Danke fürs Gespräch.

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