radiX, Flugblätter
Februar
2000

Mythos von den Gewaltbereiten

Gewaltlosigkeit oder Legalismus???

Die mediale und Polizeihetze gegen den sog. „schwarzen Block“, die „Gewaltbereiten“, „bösen“, „Terroristen“, „Randalierer vom Ausland“ „Gewalt von der Straße“ etc, nimmt kein Ende – im Gegenteil: nach den unglaublichen Polizeiübergriffen am 19.2. setzte eine neue Lügen- und Diffamierungswelle ein, auf der auch weiterhin einige GegenerInnen des neuen Regimes mitschwimmen, die wohl noch immer nichts kapiert haben.

Der Wettkampf zwischen SOS-Mitmensch Max Koch, Falter, Wiener Festspielwochen-Organisator Luc Bondy, und weiteren Menschen, Organisationen und Medien, sich als erste von den „gewalttätigen DemonstrantInnen“ zu distanzieren, grenzt tatsächlich an Dummheit, Naivität, oder sonst was und erlangte nach den Vorfällen am 19.2. einen weiteren Höhepunkt.

Tatsache ist, daß an diesem Tag rund 250.000 Menschen gegen die österreichische Regierung demonstrierten und es dabei zu unzähligen brutalen Übergriffen der Polizei kam. Es reisten auch ein paar hundert autonome AntifaschistInnen aus verschiedenene europäischen Ländern an, um ihre Solidarität mit dem Wiederstand in Österreich zum Ausdruck zu bringen. Doch von Anfang an wurden sie einer massiver Repression ausgesetzt. Vielen wurde die Einreise verweigert, die meisten wurden bei Vorkontrollen durchsucht, anderen wurden sogar Fahnenstangen und Filzstifte abgenommen. Diejenigen, die im EKH übernachteten, wurden gegen Mittag von einer Spezialeinheit der Wiener Polizei kontrolliert, durchsucht und teilweise sogar fotografiert. Illegalerweise verweigerte die Polizei die Angabe der Begründung.

In Frankreich und Deutschland wurden einige hundert Leute bereits an den Bahnhöfen mit roher Polizeigewalt abgefangen, verprügelt, verhaftet. Und das, obwohl SOS-Mitmensch zu einer internationalen Kundgebung in Wien am 19.2. aufgerufen hatte. Kommen duften dann nur SozialdemokratInnen, KommunistInnen und andere Personen aus dem bürgerlichen Spektrum. Es wurde also bereits im Vorfeld die willkürliche Trennung in „gewaltfreie“ DemonstrantInnen und „gewalttätige Chaoten“ konstruiert und das Grundrecht für ALLE zu demonstrieren, unterbunden. Wir verwehren uns gegen derartige Vorgangsweisen, die mit der Rechtsstaatlichkeit in keiner Weise vereinbar sind.

In der Falter-Ausgabe von letzter Woche wurde der Generalinspektor der Wiener Polizei, Franz Schnabl, für den „reibungslosen“ Verlauf der Demo als Hero der Woche gekürt, den Dolm erhielt, wie kann es anders sein, der sog. gewalttätige „schwarze Block“. Wurde Herr Schnabl etwa dafür geehrt, daß seine Beamten bereits im Vorfeld der Demo 4 Mitglieder der PDS Baden-Württemberg in einen Innenhof zerrten, schwer mißhandelten, ihre Handys samt SIM-Karten zerstörten, ihnen Schuhe und Socken abnahmen und sie unter massiven Drohungen, auf keinen Fall auf der Demo zu erscheinen und sofort zurück nach Deutschland zu fahren, verprügelten? (www.austria2.org/titus.htlm)

Oder erhielt er die Auszeichnung für die Aktion am Westbahnhof, wo die Polizei einen unmittelbaren und völlig unprovozierten Angriff auf einen Teil der DemontrantInnen sowie umstehende Personen startete und dabei unzählige Personen verletzte? Die Einsatzleitung begründete den Angriff vermummter Einheiten mit dem Hinweis, Autonome hätten sich der Demo anschließen wollen. Daß es in Österreich wohl nicht mehr für alle erlaubt ist, sich in einer Demonstration frei zu bewegen, bestätigte der Hero der Woche dann ungewollt in einer Nachrichtensendung, wo er meinte, daß eine „gefährliche Situation“ entstanden wäre, da „Autonome sich mit normalen Demonstranten vermischen wollten“. In Österreich werden jetzt also Leute zunächst aufgrund äußerer Merkmale beurteilt und diensteifrig „isoliert“. Gruppen wie SOS-Mitmensch und Demokratische Offensive, die die Großdemo mitorganisierten, beteiligen sich übereifrig an dieser Ausgrenzungspolitik. Sie hatten bereits im Vorfeld erklärt, daß sie mit der Polizei zusammenarbeiten würden, um „gewaltbereite Gruppen“ zu „isolieren“. Frau/Mann einigte sich auf eine passenderweise minoritäre Menschenmenge, die als kleinster gemeinsamer Nenner das verkörpert, was die „guten Kräfte“ auf allen Seiten ablehnen.

Auch die Treibjagden und Prügelexzesse, die die Polizei dann am späteren Abend noch veranstaltete, waren offensichtlich darauf ausgerichtet, die Situation eskalieren zu lassen, um eine Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstandes jenseits der bürgerlichen Parteien zu betreiben. Es geht der Polizei dabei nicht um das Eier oder Steinewerfen oder um die SprayerInnen, sondern um die Bespitzelung und Sabotage des ganz und gar nicht kriminellen politischen Widerstands, der für das System viel gefährlicher ist.

Wie weit die Zensur bereits geht, ist erschreckend. So erhielt der ORF-Sender FM4 eine offizielle Weisung der Sendeleitung, nicht mehr live über die Demonstrationen zu berichten, was wohl in Zusammenarbeit mit der Exekutive entstanden sein dürfte. Weitere Beispiele sind die Entlassung des OÖN-Redakteurs Marschall, die Sperrung des e-mail-accounts des Koordinators einer Widerstandshomepage ohne Angabe von Gründen, die mailbombings, die Sachverhaltsdarstellung der Sprachwissnschaftlerin Ruth Wodak über ihr Interview in „Kunststücke“, indem sie u.a. Haider- und Partik-Pable-Reden ananlysieren wollte und vom ORF in einer Art und Weise zensiert wurde, die ihr noch nie widerfahren sei, und weitere unzählige Beispiele.

Die Propaganda gegen „gewaltbereite Chaoten“, welche es der Polizei dann ermöglicht, exzessiv auf DemonstrantInnen einzuprügeln, wird auch von einigen GegnerInnen unterstützt, die plötzlich auf Demos mit Transparenten wie „Frieden und Menschenrechte kann man mit Gewalt nicht erkämpfen“ oder „Widerstand ja, Gewalt nein“ auftauchen und gegen DemonstrantInnen, die Eier werfen wollen oder mit Sprays Sprüche an die Mauern des Parlaments oder des Bundeskanzleramts malen, verbal und handgreiflich vorgehen.

Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Gewalt“ scheinen solche Gruppierungen nie geführt zu haben, da sie strukturelle Gewalt und Staatsgewalt nicht hinterfragen. Wenn etwa DemonstrantInnen PolizistInnen ihre Knüppel entwenden oder entreissen, so ist dies zwar illegal, aber trotzdem wohl weit eher eine Entwaffnung eines (staatlichen) Gewalttäters.

Wenn diese Sorte von „Gewaltfreien“ dann auch noch gegen AktivistInnen vorgehen, die Parolen gegen die FPÖVP-Regierung an Wände sprühen, zeigt sich endgültig, daß es ihnen in ihrer „Gewaltdebatte“ eigentlich gar nicht um „Gewalt“ geht, sondern um Legalismus. Was für solche Personen und Organisationen legal ist, ist für sie „gewaltfrei“, was illegal ist, ist „Gewalt“.

Mit einer solchen Gleichsetzung wird — bewußt oder unbewußt — eine Vermischung von Begrifflichkeiten herbeigeführt, die unhinterfragt Kriterien der bürgerlichen Medien übernimmt. Wer dafür ist, nur legale Methoden im Kampf gegen den Rechtsextremismus an der Macht anzuwenden, sollte hingegen dies auch genau so deklarieren, und sich nicht hinter dem moralisierenden Begriff der „Gewaltlosigkeit“ verstecken.

Wer nämlich wirklich gegen „Gewalt“ ist, muß auch strukturelle Gewalt und muß schließlich auch die Staatsgewalt bekämpfen – genau jene Staatsgewalt, die seit Tagen jene Menschen verprügelt, die ihren Widerstand gegen das neue Regime auf die Straße tragen.

  • Wir lassen den Widerstand nicht spalten!
  • Gegen die Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands!
  • Laßt Euch nicht verarschen!
Ökologische Linke (ÖKOLI)
Rosa Antifa Wien (RAW)
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