Amelie Lanier, Sonstiges
März
2018

Nationale Identität

Über Staat, Gewalt und „Selbstbestimmung“ am Beispiel Kataloniens

Teil I. Die Wirklichkeit. Über Interessen und Gegensätze

Worum geht es eigentlich bei Separatismus bzw. Unabhängigkeitsbestrebungen? Welche Vorstellungen sind da zugegen und welche Interessen kommen ins Spiel?

Eine kurze Vorstellung der Ereignisse:

Nach einer „unverbindlichen Volksbefragung 2014, die dem damaligen Präsidenten Kataloniens, einen Prozeß wegen Ungehorsams und Amtsverbot für 2 Jahre einbrachte, setzte sein Nachfolger Puigdemont im Oktober 2017 ein verbindliches Referendum an und erklärte die Unabhängigkeit Kataloniens.

Die Urnen für das trotz Verbots durchgeführte Referendum
wurden in China bestellt und in eine Ortschaft im Roussillon (französisches Katalonien) geliefert. Von dort wurden sie mit Privatautos nach Katalonien gebracht, versteckt und am 30. September in viele der 2300 Wahllokale gebracht. Eine gewisse logistische Leistung.

Seither wurden verschiedene führende Politiker der katalanischen Nationalregierung verhaftet, andere flohen ins Ausland und bezeichnen sich als politische Flüchtlinge.

Die spanische Regierung hat den Ausnahmezustand über Katalonien verhängt, eine Direktregierung eingesetzt und Neuwahlen für Dezember ausgeschrieben. Dabei kam es zu einer geringen Mehrheit für diejenigen Parteien, die für ein unabhängiges Katalonien eintreten. Die können sich jedoch untereinander auf keinen Kandidaten einigen, der auch von der Madrider Regierung anerkannt würde, also weder im Ausland noch im Gefängnis sitzt.

Die Lage präsentiert sich also wie folgt: eine Zentralregierung in Madrid, die als Minderheitenregierung fungiert und von allen Seiten unter Beschuß genommen wird: von der Opposition und anderen Flügeln der eigenen Partei. Die mit Korruptions- und Plagiats-Skandalen kämpft und sich vermutlich nicht mehr lange halten wird.

In Katalonien: eine Direktregierung von Madrid nach dem Notstandsparagraphen 155, ein Parlament in dem sich Gegner und Anhänger der Unabhängigkeit die Waage halten, Unabhängigkeitspolitiker im Exil und im Gefängnis, Strafverfolgung durch die spanische Justiz wegen Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Keine Lösung in absehbarer Zeit in Sicht.

1. Der Wille zu einem eigenen Staat

Ich meine, man muß da zwei Arten von Unabhängigkeits-Anhängern unterscheiden.
Zunächst gibt es da einen Haufen Politiker und deren Klientel, die meinen, sie würden gerne selber regieren, und nicht als Unterabteilung des Gesamtstaates.
Dann gibt es Leute, die meinen, ein eigener Staat wäre das höchste der Gefühle und alles schlechte würde durch die Fremdherrschaft verursacht.

„Unabhängig“ bedeutet in beiden Fällen: Nicht von Madrid, sondern nur von Brüssel würde man sich dreinreden lassen. Aus der EU wollten sie ja nicht heraus. „Unabhängigkeit“ heißt nämlich gar nicht, sich von irgendwelchen oder allen ökonomischen oder politischen Abhängigkeiten losmachen zu wollen, sondern nur von einer bestimmten.

Die „Nation“ bewährt sich hier – wie auch sonst – als ein Band, das Arme und Reiche, Unternehmer und Arbeiter, Kaufleute und Konsumenten miteinander verbindet und ihre Gegensätze vergessen läßt. Sie schafft Einigkeit und Einheit in einer Frage: Wer regiert uns? – vor dem werden alle anderen Sorgen, materieller wie ideeller Natur, für nichtig erklärt.
Wer sich also auf die Nation beruft, überall und immer, verbindet damit auch die Aufforderung, alle Gegensätze beseite zu stellen, und sich dem einen Ziel zu verschreiben, die Sache der Nation voranzubringen.
Es ist kein Rätsel, warum Politiker an die Nation appellieren, wenn sie von ihren Bürgern Anstrengungen und Opfer verlangen. Für sie ist das ein probates Mittel, um zu regieren.
Das größere Rätsel ist eher, warum sich so viele Menschen für dergleichen hergeben, also schnöde materielle Interessen beiseite stellen, um der Nation zu dienen.

Auf eine weitere Frage, die in der Öffentlichkeit gar nicht thematisiert wurde, möchte ich auch noch hinweisen: Ein neuer Staat definiert nicht nur seine Bevölkerung neu – wer gehört zu uns und wer nicht? – sondern auch sein Territorium: Ein unabhängiges Katalonien erhebt Anspruch auf weitaus mehr als das, was heute die Autonome Provinz Katalonien ausmacht, nämlich auf einen Teil Aragons, auf die ganze Provinz Valencia, auf die Balearen und auf den französischen Teil Kataloniens, das Roussillion. (Es gibt da noch ein oder 2 Dörfer in Sardinien, die auch noch dazugehören, da scheiden sich die Geister, ob man die auch haben will.) Das sind die „katalanischen Länder“, deren Vereinigung im Falle einer Unabhängigkeit anstehen würden.

Ich erinnere an die Balkankriege in den 90-er Jahren: da gab es auch Vorstellungen eines Groß-Serbiens, Groß-Kroatiens, und bis heute Grenzstreitigkeiten unter den Nachfolgestaaten Jugoslawiens.

Dort, am Balkan konnte man auch sehen, was für eine gewalttätige Angelegenheit die Gründung neuer Staaten ist. Bei Katalonien gab es zum Glück keine Waffenlager und Partisanentraditionen, und wie aus dem inzwischen strafrechtlich relevanten Briefwechsel der Betreiber der Unabhängigkeit hervorgeht, sahen sie auch keine Möglichkeit, Wehrpflicht und Bewaffnung einzuführen, sondern hofften auf Schutz von anderen, befreundeten Staaten.

Auch das mit der Bevölkerung ist nicht so harmlos, wie zunächst – z.B. in Parteiennamen – getan wird. Würde Katalonien unabhängig, so würde, ähnlich wie in manchen Nachfolgestaaten Jugoslawiens, durchaus die Frage gestellt, wer echter Katalane ist und wer nicht. Ein wenig kann man darüber erahnen, wenn man sieht, was die Firmen gemacht haben, und die Reaktion darauf. Dazu weiter unten.

Die „katalanischen Länder“ bzw. „Gebiete“, auf die die katalanischen Separatisten Ansprüche erheben.
Strittig ist lediglich, ob Alghero auf Sardinien (rechts unten) auch anzuschließen wäre. Aus administrativen Gründen würde darauf vermutlich verzichtet.

2. Steuern und Schulden

Eine der gängigen Begründungen dafür, warum es in Spanien nicht mehr auszuhalten ist, lautet seit Jahren: Spanien raubt uns aus!
Als Bebilderung dafür dient, daß ein Teil der in Katalonien erbrachten Steuern an die Zentralregierung abgeführt werden muß.
Es ist einerseits ganz normal und auch woanders üblich, daß im Rahmen des Finanzlastenausgleichs die ökonomisch eher prosperierenden Landesteile, in welcher Form immer sie auch organisiert sind, zur allgemeinen Kostenbegleichung für die gesamte Gesellschaft beitragen, als Teil des Budgets.
Innerhalb der EU-Staaten gibt es das auch, wenn es z.B. heißt, ein Land sei „Nettozahler“. Es ist also erstens üblich und zweitens begreiflich, wenn sich innerhalb eines Staates über Steuerleistungen Einnahmen ergeben, die dann über das Budget auf das ganze Land aufgeteilt werden.
In der Sichtweise der katalanischen Separatisten stellt sich das jedoch als eine Unrechtmäßigkeit dar, die nur durch die Abspaltung abgestellt werden kann.

Man sieht daran, daß der Gedanke der eigenen Nation, die unbedingt ins Leben gerufen werden will, nicht aus wirklichen Benachteilungen entsteht, sondern unabhängig davon zustandekommt und sich dann seine Bebilderungen sucht.

Noch deutlicher sieht man das an der Frage der Schulden Kataloniens.

In Spanien haben die Autonomen Provinzen das Recht, Anleihen herauszugeben. Diesbezüglich ist der Föderalismus sehr fortgeschritten in Spanien. Also von wegen, der spanische Staat hätte nicht genug Zugeständnisse gemacht! Freie Verschuldungsfähigkeit auf dem Weltmarkt! Mit 77,5 Milliarden Euro ist Katalonien die mit Abstand höchstverschuldete Provinz, die ihre Schuld nur aufgrund eines von der Zentralregierung eingerichteten Liquiditätsfonds bedienen kann.
Zu der Anhäufung dieses Schuldenberges haben auch die zwei großen katalanischen Banken Sabadell und Caixabank beigetragen, die einen schwungvollen Handel mit diesen Anleihen getrieben und sie international plaziert haben.

Der spanischen Regierung war diese Verschuldungsfreiheit jahrelang recht, weil diese sogenannten autonomen Schulden nicht in die spanische Staatsschuld eingingen und sich Spanien deshalb als Musterschüler bezüglich Staatsverschuldung präsentieren konnte. Das war Spaniens – natürlich in Bankierskreisen gewußte und geduldete – Schummelei.
Nach 2008 war es aus damit und die Madrider Regierung richtete diesen Liquiditätsfonds ein, um die öffentliche Schuld Spaniens zu betreuen und zu verhindern, daß die autonomen Provinzen als säumige Schuldner die spanische Staatsschuld nach unten ziehen, die sich inzwischen dank des Aufkaufsprogramms der EZB bei den Ratings erholt hat, aber lange Zeit eine Stufe vor dem Ramsch-Status gestanden ist.

Diese Verschuldung und die Stützung durch den spanischen Staat mittels Bürgschaften und Liquidität sind kein Thema bei dem Geschrei über die Abflüsse katalanischen Reichtums nach Madrid. Sie passen nicht ins Bild.
Es gibt inzwischen die Vermutung, daß Mittel aus diesem Liquiditätsfonds abgezweigt wurden, um den Prozeß der Unabhängigkeit zu finanzieren.

Solidaritätsdemo für inhaftierte Unabhängigkeitspolitiker am 15.4.2018
Die Fahne, die bei den Unabhängigkeitsanhängern populär ist, ist die „mit dem Stern“, die Estelada, die im 19. Jahrhundert von katalanischen Nationalisten erfunden wurde und für die Vereinigung der gesamten katalanischen Gebiete steht.

3. EU und Euro

Ein interessanter Aspekt bei dieser ganzen Angelegenheit ist die Haltung der EU bzw. ihrer Spitze. Man könnte meinen, die EU-Politiker und und -Parlamentarier sowie die EZB-Banker müßten die Hände zusammenschlagen und sagen „bloß nicht!“, wenn man an die Konsequenzen einer solchen Abspaltung für EU und Euro denkt.
Dennoch haben die EU-Gremien in der Frage lange eine sehr vornehme Zurückhaltung gepflegt und höchstens gebetsmühlenartig wiederholt, daß ein unabhängiges Katalonien automatisch aus der EU ausscheiden und erst wieder einen Aufnahmeantrag stellen müßte. Während das vielleicht von Juncker und anderen als Abschreckung gemeint war, wurde es von den katalanischen Separatisten als Aufmunterung verstanden. Aha, wir würden also sofort anerkannt werden! (Das ist ja die Vorausbedingung für einen Beitrittsantrag.)
Und dann hat Puigdemont auch noch verkündet, das könne ja wohl kein Problem sein: Eine EU, die den Beitritt der Türkei erwägt, wird natürlich Katalonien mit offenen Armen aufnehmen!

Der spanische Regierungschef Rajoy ist im Vorfeld des verfassungswidrigen Referendums vom 1. Oktober zu verschiedenen gewichtigen EU-Regierungschefs gegangen oder hat sie angerufen und hat gebeten: sagts was, tuts was! – alle haben gesagt, das sei eine innere Angelegenheit Spaniens, da wollen wir uns nicht einmischen!

Als dann das Referendum stattgefunden hatte, und die Anhänger der Unabhängigkeit die Bilder von Polizisten, die auf angeblich friedliche Demonstranten einprügelten, um die ganze Welt geschickt hatten, gab es auf einmal sowohl bei den EU-Politikern – wie auch beim nationalen und internationalen Kapital – eine Art Hoppla-Effekt. Und zwar genau das Gegenteil dessen trat ein, was sich die Betreiber des Referendums und die Verbreiter der Fotos erwartet hatten: die EU-Politiker traten auf einmal vors Mikrofon und sagten: Spanien muß ganz bleiben, und ein unabhängiges Katalonien – nein danke!
Als dann die spanische Regierung den Notstand verhängte und die führenden Köpfe der Unabhängigkeitsbewegung entweder eingesperrt wurden oder sich ins Ausland absetzten, atmeten alle maßgeblichen EU-Politiker erleichtert auf, daß wieder geordnete Verhältnisse eingekehrt waren. Die katalanischen Separatisten fanden keine Parteigänger und Paten bei den wichtigen Regierungen der EU.

Was war passiert?

Auf einmal hatten die ganzen Häuptlinge und Geschäftsleute gemerkt, daß es doch keine innerspanische Angelegenheit war, was da abgelaufen ist. Die wirtschaftliche Tätigkeit auf dem spanischen Staatsgebiet, und auch die spanischen und katalanischen Schulden wurden auf einmal in Frage gestellt. Und damit der Euro.
Wenn Katalonien aus Spanien ausscheiden würde, mit welchem Geld würde dort gezahlt? Womit hätte Katalonien seine Anleihen-Schulden bezahlt? Die spanischen Anleihen hätten sich auf einmal auf ein geschrumpftes Territorium bezogen. Womöglich wären sie dadurch zu Ramsch-Papieren geworden, die jeder auf den Markt geworfen hätte. Damit wären Spaniens Garantien für die Schulden der Pleitestaaten in der Eurozone hinfällig geworden, usw. usf.

Auf allen Börsen sackten die Titel spanischer öffentlicher Schuld ab, die Aktien spanischer Banken und anderer Firmen verloren rapide an Wert und die Firmen in Katalonien zogen ebenfalls Konsequenzen.

4. Das Abwandern der Firmen

Angefangen von den großen Banken Sabadell und Caixabank haben seit Anfang Oktober bis zum Jahresende 2017 mehr als 3000 Firmen ihren Firmensitz aus Katalonien in andere Teile Spaniens verlegt.
Das zeigt, daß ein unabhängiges Katalonien für Unternehmen unattraktiv wäre, und nicht nur mit Kapitalflucht der bereits ansässigen rechnen müßte. Auch die Ansiedlung neuer Firmen wäre unwahrscheinlich.
Die Banken haben es vor allem deshalb gemacht, weil sie erstens befürchten mussten, von der Refinanzierung und überhaupt Geschäften mit der EZB abgeschnitten zu werden. Zweitens gab es einen Run auf die Einlagen in ihren Filialen außerhalb Kataloniens – die Kunden befürchteten offenbar, ihr Geld würde eingezogen. (So etwas gab es schon einmal, im ehemaligen Jugoslawien, also ganz unberechtigt ist dieses Bedenken nicht.)
Außerdem befürchteten alle Unternehmen nicht nur Komplikationen mit dem Geldumlauf und Prestigeverlust im Ausland, sondern auch Doppelbesteuerung. Das einzige, was von den Betreibern der Unabhängigkeit nämlich „für den Tag danach“ bereits fertig ausgearbeitet worden war, war ein übers Internet funktionierendes Besteuerungssystem, – übrigens mit Hilfe Estlands.

Ein katalanischer Europapolitiker, der gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen ist, hat die Unternehmer erzürnt gefragt, warum sie denn vorher nichts gesagt hätten? Daraufhin wurde ihm erwidert, erstens hätten sie Boykott und Sabotage befürchtet, wenn sie sich offen gegen die Unabhängigkeits-Anhänger stellen. Zweitens wurde ihnen von katalanischen Politikern versprochen, Katalonien würde nie aus dem Euro ausscheiden, und sofort wieder in die EU eintreten – dafür hätten sie schon vorgesorgt, das sei eine gelaufene Sache.

Ob das jetzt reine Erfindungen der Separatisten-Politiker waren oder ob sie wirklich Unterstützer hatten, und welchen Kalibers, ist nicht genau heraußen. Aber man denke wieder an die Vorgeschichte der Balkankriege in den 90-er Jahren: Kroatien hatte jahrelang auch keinen anderen Unterstützer als Mock.

Teil II. Die Rechtstitel, unter denen dieses Anliegen verhandelt wird

Obwohl eigentlich dieses ganze Programm der Unabhängigkeit viel Ungemach verspricht und Aufruhr verursacht, hat es international viel Sympathien in Kultur- und Intellektuellenkreisen gefunden.

1. Demokratie und Verfassung

Erstens wurde von vielen Leuten bekrittelt, daß Abstimmen doch etwas ganz Demokratisches sei und es daher ganz unstatthaft sei, die Leute daran zu hindern. Die ganze Leier von den friedlichen Demonstranten und der brutalen Vorgangsweise der Polizei, die man seit einiger Zeit stets von Nordafrika bis zur Ukraine und zurück regelmäßig ins Haus geliefert erhält, ist wieder einmal ertönt.
Auch die Anhänger der Unabhängigkeit selbst, die die Wahllokale am Vorabend des 1. Oktobers besetzt und dort teilweise Pijama-Partys gefeiert haben, waren ganz empört, daß ihr vermeintlich so demokratisches Verhalten weder in Spanien noch international gebührend gewürdigt worden ist.

Dagegen muß man sagen, daß Demokratie nicht darin besteht, daß man über alles abstimmen darf. Schon gar nicht über Territorialfragen. Volksabstimmungen und Volksbefragungen sind in den jeweiligen Verfassungen plus Zusatzgesetzen genau geregelt. Also erstens, wie sie zustandekommen, und zweitens, was sie zum Thema haben dürfen.
Bayern hat kürzlich z.B. einen Antrag auf Austritt gestellt, der im Dezember 2016 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurde. Der Gedanke, fortan als unabhängiger Staat vor sich hin zu wirtschaften und diverse Armenhäuser der Nation sich selbst zu überlassen, ist also auch der bayrischen Landesregierung nicht fremd. Sie hat allerdings das verfassungsmäßige Verbot zur Kenntnis genommen.
Die spanische Verfassung von 1978 ist dem deutschen Grundgesetz nachempfunden. Auch der spanische Notstandsparagraph, der § 155, orientiert sich am deutschen. Das von den Anhängern der Unabhängigkeit immer vorgebrachte Argument, die Verfassung und der Notstandsparagraph seien Überbleibslel aus der Franco-Zeit, ist also unrichtig.
Es ist also keine Besonderheit Spaniens, und auch kein faschistisches Überbleibsel, wenn die Zentralregierung Separatismus mit Gewalt und Justiz bekämpft – das wäre auch die gewöhnliche Vorgangsweise in Österreich oder anderswo. Verfassung und Notstandsparagraphen gehören zur Demokratie, das Austrittsrecht nicht.

In sozialistischen Staaten war das anders.
Jugoslawien und die Sowjetunion sahen in ihren Verfassungen ein Austrittsrecht vor. In der Tschechoslowakei wurde nach der Niederschlagung des Prager Frühlings eine Dezentralisierung eingeleitet, die nach 1989 in einer neuen Verfassung mündete, die die Trennung von 1992 ermöglichte. In Polen verhängte Jaruzelski 1981 das Kriegsrecht, weil die polnische Verfassung keinen Notstandsparagraphen hatte.

Es ist also die Demokratie diejenige Staatsform, die in Sachen territoriale Einheit kein Pardon kennt, und dieser Umstand ist zur Kenntnis zu nehmen.

Ein weiterer Punkt der Anhänger der Unabhängigkeit war die Forderung nach

2. „Selbstbestimmung“

Zu diesem Begriff ist zunächst einmal zu bemerken, daß er sehr inhaltsleer ist. Es ist nur etwas über das Subjekt gesagt, das bestimmt, aber nichts darüber, was es denn jetzt bestimmt. Dieser Titel verträgt daher jeden Inhalt – man kann jede Handlung, die jemand setzt, unter die Kategorien selbst- und fremdbestimmt einreihen.
Meistens wird dieser Begriff für individuelle Handlungsweisen verwendet. Für Frauen, die sich für für oder gegen Kind und Berufstätigkeit entscheiden wollen, oder für alternative Erziehungsmethoden, wo der Willen des Kindes das Entscheidende sein soll.
Aber was heißt es, wenn für ein Kollektiv, und noch dazu auf nationaler bzw. völkischer Grundlage, auf Selbstbestimmung beharrt oder sie einfordert? Wer ist hier das „Selbst“? Es handelt sich ja um verschiedene Individuen, die hier irgendetwas bestimmen wollen.
Das heißt natürlich, daß die einen, die bisher schon etwas mehr bestimmt haben, über die anderen bestimmen und das als einen Akt der nationalen Befreiung feiern. Und die anderen sagen, wir haben uns diese Politikermannschaft selbst gewählt und deswegen machen wir gerne alles, was sie von uns wollen!
Und auch in diese Art von Selbstbestimmung kann man jeden Inhalt einfügen. Da sei außer der Sortierung der Bevölkerung nach innen und der Neudefinition der Grenzen auch noch erwähnt, daß in Katalonien die katholische Kirche geschlossen hinter dem Separatismus steht und das Versteckspiel um die Abstimmungs-Urnen unter anderem deswegen so unergiebig für die spanischen Polizeiabteilungen ausgegangen ist, weil viele davon in klerikalen Institutionen, Kirchen und Pfarren gelagert waren, wo die Guardia Civil nicht so ohne weiteres auf Verdacht hin hineinstürmen konnte ...
Der begeisterte Einsatz für die Unabhängigkeit hat dem katalanischen Klerus sogar eine Rüge aus dem Vatikan eingetragen. Der Pontifex hat gemeint, man solle sich nicht so vehement in die Niederungen der Tagespolitik einmischen.

Das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ war der Titel, unter dem erst das Osmanische Reich und dann die österreichisch-ungarische Monarchie zerlegt worden sind, und es ist immer ein probater Rechtstitel für Großmächte, wenn sie eine Konkurrenzmacht kleiner machen wollen. Aber dann bestimmen eben diese imperialistischen Mächte, wer ein „Volk“ bzw. eine „Nation“ ist und wem daher dieses Recht zukommt.

Die katalanischen Separatisten haben bislang keine nennenswerten Paten gefunden, so wie es aussieht.

III. Kasperltheater und Scherzkekse

Aus diesem Szenario der Abspaltung der Heimat mit dem Segen Gottes ist inzwischen eher ein Kasperltheater geworden, wo der eine der Unabhängigkeits-Betreiber im Gefängnis sitzt und täglich betend den Märtyrer und Gewissensgefangenen gibt. Der andere versucht, mit Videokonferenzen eine Art Exilregierung in Belgien darzustellen, was sowohl belgischen als auch anderen EU-Politikern inzwischen lästig ist. In Belgien selbst rüttelt es am fragilen Gleichgewicht zwischen den sehr föderalistisch eingerichteten Landesteilen. Die ganze EU kann zwischen Schuldenbergen, Brexit-Problemen und unbotmäßigen osteuropäischen Regierungen mit diesem neuen Hampelmann recht wenig anfangen.

Dazu haben sich dann neue Separatisten gesellt. Unter dem Namen „Tabarnia“ hat sich jetzt eine Bewegung von Schauspielern und anderen Personen des öffentlichen Lebens gebildet, die die Städte von Barcelona und Tarragona samt Umland als neue Region von Katalonien abspalten wollen. Diese Bewegung für ein unabhängiges Tabarnien hat mit dem 75-jährigen Regisseur Albert Boadella einen Präsidenten gekürt, der bereits seine Antrittsansprache gehalten hat – aus dem „Exil“ in Madrid.

Leicht modifizierter Text eines Vortrags auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Wien Anfang März 2018, wo sich unter den Diskussionsteilnehmern Marktschreier und Bildungsbürger ein Stelldichein gaben, um auf dem „Existenzrecht“ der „katalanischen Nation“ zu bestehen.

Updates zur Katalonien-Frage finden sich hier.

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