Wurzelwerk, Wurzelwerk 26
Dezember
1983

Of(f)ner Brief

Rechtsweg

Herrn Dr. Harald Ofner,
dtz. Justizminister
der Republik Österreich

Dieses Schreiben kommt nicht von ungefähr. Ich darf voraussetzen, daß Ihnen mein Fall fragmentarisch, protokollarisch bekannt ist. Ich muß annehmen, daß Sie sich, wenn überhaupt, nur sehr einseitig damit befaßt haben.

Gewiß ein Fall von vielen ...

Und doch sucht er seinesgleichen. Fünf Monate unbedingt, weil einer angeblich ca. (!) fünfmal Canabis geraucht hat. Die Aussage wurde in erster und zweiter Instanz abgeändert. Eine Haus- und Redaktionsdurchsuchung war ohne „Erfolg“. Eine zweifach durchgeführte Harnanalyse war negativ, der Leumund der örtlichen Gemeinde und Gendarmerie ist ohne Tadel. Die vernehmenden Beamten wurden vorgeladen. Ihre „Aussagen“ waren teilweise widersprüchlich (siehe Verhandlungsprotokoll, auch zu den eingangs angeführten Fakten).

Freilich hatte der Mensch, demgegenüber der Staatsanwaltschaft in erster Instanz wie auch das Hohe Gericht zweiter Instanz (OLG Wien) agierten, als hätten sie Michael Kolhaas persönlich vor sich, etwas Unverzeihliches begangen. Er hatte sich, einschlägig vorbestraft, an den eigenen Haaren gepackt, um das dumme Wort „Resozialisierung“ zu vermeiden. Er hatte eine Familie gegründet, hatte auf opportunistische Karriere verzichtet, die Stadtflucht ergriffen — und war in die Mitterndorfer Senke hineingetappt.

Der Sumpf ließ ihn nicht mehr los. Und seine publizistische Ausbildung und Neigung brachten es mit sich, daß er unbequem wurde. Daß daraus mittlerweile mindestens zwei (weniger) Kräftige geworden sind, ist ein anderes Problem.

Jedenfalls, aus dem ursprünglichen (damals war das Wort noch etwas wert) „Grünen“ wurde für etliche Politiker und Medienschaltstellen ein rotes Tuch.

Das zeitliche Zusammentreffen von Aktiv- und Initiativsein auf der einen Seite und von Verfahrensaufnahme, Vertagung und letztendlicher Verteufelung mag zufällig sein. Ich glaube es nicht.

Aus all dem ist mittlerweile ein kleiner Niederösterreichischer Gewerbebetrieb geworden. Wir leben mehr schlecht als recht davon, aber unsere Umsätze sichern bereits Arbeitsplätze. Sie sind im Steigen begriffen.

Ein Antrag auf zumindest einmal Haftaufschub wurde von der StA Wr. Neustadt prompt negativ beurteilt. Allerdings durften wir näher dazu Stellung nehmen, was inzwischen und auf der Ebene des Vorhergesagten geschehen ist. Die endgültige Stellungnahme erster Instanz stand bei Redaktionsschluß noch aus.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, daß all dies mit nunmehr vier Kleinkindern um die Beine geschieht. Nachdruck verdient auch die Tatsache, daß einige Personen und Institutionen vergeblich für meine Person moniert haben. Wobei zu bedenken ist, daß eine Inhaftierung meiner Person Frau und Kinder vermutlich vor größere Probleme als mich selbst stellen würde.

Befreundete Journalisten von großen Tageszeitungen versuchten das, was auch mir bis dato nicht gelang: einen Termin bei Ihnen für mich zu erwirken. Ehe noch die Nationalratswahlen überhaupt stattgefunden hatten, wurde mein Wunsch um einen Gesprächstermin beim Justizminister (welchem auch immer) deponiert. Seitdem sind mehr als sechs Monate vergangen. Eine Demokratie, die keinerlei Gesprächsbasis zuläßt, ist keine. Ich bin mir nicht bewußt, etwas getan zu haben, wofür ich eingesperrt werden müßte.

Ein Kurier-Redakteur hat mehrmals in großen Balken und ganzseitigen Reportagen Ihre Bürgernähe und Ihre Bereitschaft zum Dialog zum Ausdruck gebracht. Sie selbst haben in Ihrer Profession als Rechtsanwalt u.a. einen Nigerianischen Staatsbürger verteidigt, und zwar wegen ein paar Kilo Marihuana.

Die neue Rechtspolitik in Österreich („Weissenbacher Programm“) kann doch nicht so aussehen, daß über einen Kamm geschoren wird, was als „differenzierte strafrechtliche Vorgangsweise“ festgeschrieben wurde. In jenem freiheitlichen Suchtgift-Arbeitskreis, dem auch Sie angehörten, kam man zu anderen Konsequenzen. Aus Broschüren des Gesundheitsministeriums liest sich, daß Hilfe im Vordergrund steht.

Uns wurde in den letzten Jahren von staatlicher Seite nicht sonderlich geholfen im Bemühen, für die Volksgesundheit nützlich zu sein. Daß wir es damit langfrsitig auch für die Volkswirtschaft sind, ist beinahe ein kategorischer Imperativ.

Man könnte sagen, wir sind phasenweise ausgehundert worden. Auch heute werden wir lieber totgeschwiegen als akzeptiert. Damit wissen wir uns in guter Gesellschaft mit dem Trinkwasser, um das wir uns bemühen.

Therapie: Häfen, wie es etwa Prof. Heinz Prokop propagiert? Leichtfertig werden „die neuen Juden“ installiert.

Sie, Herr Justizminister, sprachen in letzter Zeit von Wurzeln. Von liberalen und nationalen Wurzeln, die nur gemeinsam das Pflänzchen FPÖ am Leben erhalten könnten. Mit Verlaub sei festgehalten: es gibt immer eine Haupt (od.: Pfahl-)wurzel. Aus ihr entstehen viele Verästelungen. Welcher ideologische Schwerpunkt der FPÖ besser steht, ist Sache der Parteigremien, wenn es die Organisationsstruktur so will. Daß aber in beiden Fällen Toleranz dazugehört, liegt auf der Hand. Alles andere wäre asozial. Angesichts eines sozialdemokratischen Koalitionspartners unvorstellbar.

Ich weiß, ich bin ein Fall von vielen. Trotzdem beharre ich auf meinem legitimen Ansinnen, mit Ihnen zu reden. Erstens als Mensch, zweitens als Medium. Es geht nicht um Gnade vor Recht, es geht einzig und allein ums Recht.

Denn die paar Facetten, die hier angeführt werden, machen den Fall nicht aus. Soll ich wirklich hinnehmen, daß das Urteil zweiter Instanz (wo bedingt zu unbedingt wurde) in schriftlicher Ausfertigung für mich einfach nicht verfügbar ist. Gibt es überhaupt eine schriftliche Ausfertigung? Wie kann ein hoher Beamter des Oberlandesgerichtes am Telefon erklären: „schauns halt, wie’s dazu kommen“.

Nun gut, ich schau dazu. Daß derartige Methoden ein Klima im Land schaffen, wie es destruktiver nicht sein könnte, mag eine unbewiesene Behauptung sein. Die Prügel für Betrunkene (siehe „Polizei, es geht weiter“ in diesem Heft) wie für „Suchtgift“-Kosumenten sind Tatsache, fallen immer häufiger. Alles für die Volksgesundheit, ich weiß. Steigender Drogenkonsum in immer jüngeren Kreisen rührt wohl auch daher, daß manche mit der Sicherheit und der Gesundheit des Volkes allzu achtlos umgehen. Die Angst wird noch dazu fleißig geschürt. Grund genug dazu ist aus der Situation allein reichlich vorhanden. Alles weitere würde ich gerne auf der Basis eines Dialoges erörtern. Ich verbleibe im aufrechten Gang mit der Bitte um Nachricht, im Sinne des Gespräches mit Prof. Ringel, wie es in unserer November-Ausgabe zu lesen war. Ökologisch, sozial, demokratisch und gewaltfrei.

Robert Weninger, Hrsg.

P.S.: Spät, aber gerade noch rechtzeitig erreicht uns ein es KG Wr. Neustadt. Haftaufschub bis 2.4.1984. Und was dann? Die Arbeit wird immer mehr, die Kinder wachsen das Klima (zu Hause) ist gut. „Saniert“ haben wir uns bis dahin sicher nicht. Das hält der Verlag vielleicht doch nicht aus. Ich auch nicht. Bitte nehmen Sie das Verfahren wieder auf, sie können das veranlassen, Herr Justizminister. Das fällt nicht unter „Eingriff“, das hieße lediglich die versprochene Verantwortung, „dem Bürger zu seinem Recht verhelfen“ wahr machen. Ich wage die Hoffnung darauf zu beanspruchen. Und es geht längst nicht mehr nur um mich.

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