MOZ, Nummer 42
Juni
1989
Verzweifelte Gefechte auf dem Wiener Votivplatz

Räterepublik am Ende

Bild: Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek

Sonntag 15. Juni 1919: Ein riesiges Aufgebot an Wachmannschaften, beritten wie zu Fuß, hatte an neuralgischen Punkten Stellung bezogen. Volkswehrbataillone, mit Sturmhauben ausgerüstet, marschierten durch die Straßen und besetzten Staatsämter und Hauptzollamt, Urania und Burgtheater. Bankinstitute standen unter besonderem polizeilichem Schutz. Vor dem Polizeipräsidium am Schottenring waren Maschinengewehre postiert. Die Wiener Innenstadt glich einer Festung.

Um ½ 10 Uhr waren die Züge der Wiener Kommunisten am Rathausplatz eingelangt. 6.000—8.000 Menschen waren dem Demonstrationsaufruf der KP gefolgt. Die Losung: „Für die Errichtung der Rätediktatur, gegen Hunger und Ausbeutung, für die soziale Revolution!“

Die Zerschlagung der Volkswehr verhindern

Ende Mai hatte der Staatssekretär für Heereswesen, der Sozialdemokrat Julius Deutsch, den Abbau der Volkswehr bekanntgegeben. Sozialisten und Kommunisten galt die Volkswehr — obwohl von Deutsch im November 1918 als sozialdemokratisches Gegenstück zur revolutionären „Roten Garde“ selbst ins Leben gerufen — als Symbol bewaffneter Arbeitermacht. Sie stellte ein Auffangbecken für entwurzelte Soldaten dar. Auch die ehemalige „Rote Garde“ hatte als Volkswehrbataillon 41 ein legales Betätigungsfeld gefunden. Eine Auflösung der bewaffneten Truppe bedeutete somit zweierlei: Kriegsheimkehrern entzog sie sozialen und materiellen Rückhalt und war gleichzeitig mit der Preisgabe der Idee der Volksbewaffnung verbunden. Bis zum 31. Mai, und als dies eine Welle der Entrüstung hervorrief, bis zum 15. Juni, sollte das erste Viertel der Volkswehr demobilisiert sein.

Die Kommunisten, mit 40.000 Mitgliedern damals eine starke politische Kraft neben der Sozialdemokratie, hatten unter dem Eindruck der ungarischen Räterepublik in der Volkswehr an Einfluß gewonnen. Täglich organisierten sie nun Kundgebungen und Versammlungen. Höhepunkt des Protests war eine Massendemonstration am 5. Juni, zu der das „Revolutionäre Soldatenkomitee“, das Volkswehrbataillon 41 und die KPDÖ aufgerufen hatten. Am Morgen besetzten Männer des Volkswehrbataillons 41 mit Maschinengewehren den Platz vor der Votivkirche, die Polizei mußte unverrichteter Dinge abziehen. Am Nachmittag zogen 25.000 Arbeiter und Soldaten, keineswegs alles Kommunisten, über den Ring zum Votivplatz und bekundeten ihre Entschlossenheit, den Volkswehrabbau — wenn nötig auch mit Gewalt — zu verhindern. Die KP rief für den 15.6. zu einer bewaffneten Demonstration zur Errichtung der Rätemacht auf.

Den Räten den Boden entziehen

Staatssekretär Deutsch erkannte: eine Zuspitzung der Situation war nur mit einer vorläufigen Rücknahme der Soldatenentlassung zu verhindern. Die KP war, als dies am 13. Juni bekanntgegeben wurde, vor eine Zerreißprobe gestellt. Schon seit fast einem Monat waren in der Partei heftige Kämpfe im Gange. Ein Flügel, der sich mit massiver Hilfe eines Emissärs der ungarischen Räteregierung durchsetzen konnte, glaubte an die Möglichkeit einer sofortigen Errichtung einer österreichischen Räterepublik und sah im Protest gegen den Volkswehrabbau den geeigneten Moment zum losschlagen. Der andere Flügel hielt den Zeitpunkt für eine Revolution noch nicht für gekommen und trat für einen Ausbau kommunistischer Agitation in den mehrheitlich sozialdemokratisch kontrollierten Arbeiterräten ein. Als mit der Rücknahme des Volkswehrabbaus der Demonstration am 15. Juni der unmittelbare Anlaß abhanden gekommen war, brach der Konflikt zwischen den beiden Positionen auf. Während der ungarische Räte-Emissär Bettelheim weiterhin dafür plädierte, im Zuge einer bewaffneten Kundgebung am 15. Juni die Staatsmacht zu übernehmen, traten andere führende Kommunisten in Ermangelung breiter Massenbasis sowie eines revolutionären Anlasses für eine friedliche Demonstration ein.

Alles deutete darauf hin, daß sich in Partei, Volkswehr und Soldatenkomitee unter dem Eindruck der Zuckerbrotpolitik Deutschs die Befürworter eines ruhigen Kundgebungsverlaufs durchsetzen würden. Sozialdemokratie, Polizei und Staatsssekretär für Heereswesen waren von dieser Entwicklung in der KP ebenso unterrichtet wie die Presse, die dennoch in großen Leitern die Gefahr eines kommunistischen Putsches heraufbeschwor. Am Abend des 14. Juni sollte auf einer KP-Vertrauensleutekonferenz die letzte Entscheidung für den folgenden Tag fallen. 130 Funktionäre waren zusammengekommen, als 200 Polizisten, 100 Stadtschutzleute und 50 Polizeiwagen das kommunistische Parteilokal in der Pulverturmgasse umstellten und alle Anwesenden — Bettelheim war in Erwartung seiner Niederlage gar nicht erschienen — festnahmen.

Die Genossen befreien

Als die KundgebungsteilnehmerInnen am 15. Juni am Rathausplatz eintrafen, kollidierten verschiedene Vorstellungen. Der eigentliche Anlaß für die Demonstration war durch die Rücknahme der Volkswehrauflösung ja hinfällig geworden. Manche mögen dennoch in Hoffnung auf einen Umsturz gekommen sein, die meisten jedoch erwarteten einen ruhigen Demonstrationsverlauf. Volkswehrmänner hatten dem Befehl des Heeresministers Folge geleistet und in Kasernen oder auf ihren Kontrollposten Stellung bezogen. Den Ring säumten Schaulustige, die dabei sein wollten, wenn eine Revolution ausbrach.

Als sich die Nachricht über die Verhaftung der kommunistischen Führer verbreitete, war die Verunsicherung über Ziel und Verlauf der Kundgebung wie weggewischt. Die Genossen befreien, hieß nun das einmütige Ziel, das ohne viel taktisches Überlegen in Angriff genommen wurde. Zum Parlament, zum Landesgericht und schließlich zum Polizeigefangenenhaus auf der Elisabethpromenade setzte sich die erregte Menge in Bewegung. Als sie auf dem Votivplatz auf einen bewaffneten Polizeikordon stieß, der den Zugang zur Elisabethpromenade abriegelte, flogen die ersten Steine. Die Wache antwortete mit einer scharfen Salve und hieb mit Säbeln auf vorpreschende wie flüchtende Demonstranten ein. 20 Tote und 80 Schwerverletzte waren die Bilanz des sinnlosen Kräftemessens, in das sich die ihrer Führer und Ziele beraubte Menge voller Empörung Hals über Kopf gestürzt hatte. Eine regelrechte Falle hatten Polizeipräsident Schober und seine Leute den revolutionären Arbeitern und Soldaten da gestellt. Während diese unvorbereitet kamen, ihre bewaffneten Volkswehrmänner sogar zum Schutz der öffentlichen Sicherheit bereit, rüsteten Polizei und Stadtschutzwache zum machtvollen Schlag gegen die kommunistische Rätebewegung. Nach dem Gemetzel vom 15. Juni wollte keine richtige Begeisterung für eine Räterepublik mehr aufkommen. Die 130 KP-Funktionäre, am 14.6. noch wegen Hochverratsverdacht festgenommen, wurden am Abend des 15. wieder auf freien Fuß gesätzt. Es bestand nun keine Gefahr mehr, daß sie das herrschende System aus den Angeln heben könnten.

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