Café Critique, Jahr 1999
Juli
1999

Ressentiments in Aktion

Psychologische Kriegführung in Deutschland und Österreich

In den 90er Jahren findet eine erstaunliche Auslagerung, ein Outsourcing von Propaganda statt: Kroatien, Bosnien-Herzegowina und zuletzt die Albaner engagierten eine amerikanische Public Relation-Firma, um die politische Öffentlichkeit in den USA, die ursprünglich proserbisch und gegen die Aufteilung Jugoslawiens eingestellt war, gegen die Serben und Milosevic einzustimmen. Ab August 1991 begann die Firma Ruder Finn Global Public Affairs im Auftrag der kroatischen Regierung zu arbeiten, im April 1992 wurde der unabhängige Staat Kroatien von den Vereinigten Staaten anerkannt. Die Public relation Firma verpflichtete sich in dem Vertrag mit Kroatien, sie werde für diesen Staat lobbyistisch tätig sein, in bezug auf „Anerkennung, Sanktionen und Embargos ... Briefings für Beamte ... und Vorbereitung von speziellem Hintergrundmaterial ... Bereitstellung von Presseerklärungen, Beratungsstellen für Medien und Pressekonverenzen, Leserbriefen und reaktiven sowie proaktiven Artikeln, Briefings für Journalisten, Kolumnisten und Kommentatoren ...“ Darüberhinaus arrangierte die Firma etwa auch Reisen für Kongreßabgeordntete nach Kroatien und ähnliches mehr. Die Kosten der TV-Werbekampagnen in verschiedenen kanadischen und US-amerikanischen Fernsehanstalten haben zeitweilig jene von Coca Cola und Pepsi zusammengenommen übertroffen. Dies und weitere Details hat Mira Beham in ihrem Buch Kriegstrommeln — Medien, Krieg und Politik (3. Aufl. München 1996) festgehalten.

Coca Cola und Pepsi

Der Unterschied aber zu Coca Cola ist vor allem der, daß hier die Serben – also nach dieser Logik etwa Pepsi – nicht imstande waren, rechtzeitig eine Werbeagentur zu engagieren: sie wollten es dann, als es bereits zu spät war und die allgemeinen Boykottmaßnahmen eine solche Geschäftsverbindung unmöglich machten. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Der Chef von Ruder Finn, James Harff, drückt das so aus: „Die Schnelligkeit ist entscheidend. Sobald irgendeine Information für uns vorteilhaft ist, sehen wir uns verpflichtet, sie sofort in die öffentliche Meinung einzupflanzen. Denn wir wissen genau, daß die erste Nachricht von Bedeutung ist. Ein Dementi hat keine Wirkung mehr ... Die Aufgabe war komplex, niemand hat verstanden, was eigentlich in Jugoslawien passierte und, um offen zu sein, die Mehrheit der Amerikaner fragte sich, in welchem afrikanischen Land sich Bosnien befindet; aber mit einem Schachzug konnten wir die Sache vereinfachen und sie darstellen als Geschichte von den guten und den bösen Jungs.“ Dieser Schachzug – auf den der Werbefachmann besonders stolz ist – bestand darin, jüdische Kreise in Amerika gleichsam als Werbeträger und Multiplikatoren zu gewinnen: „Das war eine wirklich schwere Partie, und von daher war die Aufgabe auch außerordentlich gefährlich.“ Und James Harff verweist dabei auf die bekannten antisemitischen Äußerungen Tudjmans – der sich schon als Historiker mit einer „kroatischen Auschwitzlüge“ einen Namen gemacht hatte — und im Hinblick auf Bosnien auf den islamischen Fundamentalismus von Izetbegovic: „Da haben wir im Flug zugegriffen und drei jüdische Organisationen überlistet ... Wir haben ihnen vorgeschlagen, einen Beitrag in der New York Times zu veröffentlichen und eine Protestkundgebung vor dem Sitz der Vereinten Nationen zu organisieren. Das hat hervorragend funktioniert ... In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen. ... Sofort stellte sich eine bemerkbare Veränderung des Sprachgebrauchs in den Medien ein, begleitet von der Verwendung solcher Begriffe, die eine starke emotionale Aufladung hatten, wie etwa ethnische Säuberung, Konzentrationslager usw., und all das evozierte einen Vergleich mit Nazi-Deutschland, Gaskammern und Auschwitz. Die emotionale Aufladung war so mächtig, daß es niemand wagte, dem zu widersprechen, um nicht eines Revisionismus bezichtigt zu werden.“ (Jaques Merlino: Les vérités yougoslaves ne sont pas touts bonnes à dire. Paris 1993, zit.n. Beham, Kriegstrommeln)

Die Gleichsetzung mit dem Holocaust, die Anspielungen auf Völkermord und Konzentrationslager riefen sofort mächtige Bilder und Gefühle hervor. Und gewiß nur auf diese Weise konnte es gelingen, die historischen Fronten des Zweiten Weltkriegs endgültig zu verwischen, die Serben und Juden einmal gegen Deutschland einte.

Deutsches Bier nach dem Reinheitsgebot

Noch bevor die Marketingstrategien jener Public relation Firma Erfolg zeitigten und Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten von den Vereinigten Staaten anerkannt wurden, hatte bekanntlich bereits das wiedervereinigte und neuerwachte Deutschland diese Anerkennung erklärt (23. Dezember 1991) – als erstes Land überhaupt, und nicht nur das: Gegen den Rat der Briten und Franzosen und gegen den damals noch vorhandenen Druck der USA nötigte es förmlich die Europäische Gemeinschaft und die UNO zur Anerkennungspolitik gegenüber den abgesprungenen Teilrepubliken. Genau besehen aber war Deutschland nicht ganz allein: Als erster und am lautesten schrie der Wiener Ballhausplatz nach sofortiger Anerkennung, unterstützt vom österreichischen Fernsehen und den österreichischen Presseorganen, sowie vor allem den österreichischen Grünen. Die Anerkennungspolitik am Beginn der neunziger Jahre war unter anderem auch die erste große gemeinsame deutsch-österreichische Aktion seit 1945. Mit ihr wurde die internationale Anerkennung der beiden Staaten initiiert und der Bürger- und Bandenkrieg in einen internationalen Konflikt verwandelt, der es letztlich Deutschland erlaubte, wieder am Balkan zu operieren und seine Machtbasis zu verbreitern.

Von wem ging diese deutsch-österreichische Anerkennungspolitik aus? Von den Medien? Oder von den beiden Außenministern? Von der „Wirtschaft“? Jedenfalls hat es kaum irgendwo in der Öffentlichkeit Deutschlands und Österreichs eine wirkliche Kontroverse darüber gegeben. Mira Beham schreibt zurecht: „Das so umfassende Schweigen, das sich über Deutschland gesenkt hat, wirkt gespenstisch ...“ Die Autorin führt das Gespenstische dieser Vorgänge vor allem auf Geheimdienstaktivitäten zurück, denen natürlich per se etwas Gespenstisches anhaftet: So weiß man, daß der BND seit den achtziger Jahren in Zusammenarbeit mit dem kroatischen Geheimdienst systematisch auf die Verschärfung der Konflikte mit Belgrad hingearbeitet hat. Das Gespenstische, das in der deutschen Politik der neunziger Jahre immer deutlicher hervortritt, beruht aber nicht zuletzt auf einer anderen Art von Geheimdienst, einer Art, bei der jeder Staatsbürger unbewußt als sein eigener privater Staatspolizist agiert, und die Zentrale dieses Geheimdienstes liegt in der Vergangenheit.

Die Vorgänge zur Vorbereitung des Kosovo-Kriegs zeigen ähnliche Verlaufsformen, wenngleich hier alles bereits etwas verschwommener erscheint und zur Rekonstruktion Spekulationen unabdingbar sind: Jürgen Elsässer (konkret 5/1999) hat den ehemaligen israelischen Außenminister Scharon zitiert, der darüber klagte, daß die USA sich von den europäischen Staaten in eine „entsetzliche Operation hineinziehen“ haben lassen. Und in diesem Sinn läßt sich die Politik von Rühe gegenüber Holbrooke und von Fischer gegenüber Albright auf durchaus schlüssige Weise interpretieren; die Deutschen haben den Krieg vorbereitet und die Kosovo-Krise durch Unterstützung der UCK scharf gemacht. Die Amerikaner zogen spätestens in der Endphase der Rambouillet-Verhandlungen die Initiative wieder an sich. Die ganze Entwicklung seit Anfang der neunziger Jahre kann mit gutem Recht als eine Reihe von diplomatischen Coups und geheimdienstlichen Schurkenstücken betrachtet werden, aber sie läßt sich darauf nicht reduzieren.

Noch erstaunlicher und gespenstischer als die schweigende Zustimmung zur deutsch-österreichischen Anerkennungpolitik vom Anfang der 90er Jahre ist das Schweigen über den Einsatz im Kosovo-Krieg. Während die deutsche Friedensbewegung in den 80er Jahren, als Deutschland ohnehin an keinem Krieg sich beteiligen konnte, Hunderttausende mobiliserte, bleiben nun, wenn Deutschland Krieg führt und in anderen Ländern seine Soldaten einmarschieren läßt, größere Protestkundgebungen aus.

Der Unterschied zwischen der Politik der Nachfolgestaaten des Dritten Reichs und der der USA liegt eben nicht nur darin, daß die einen den anderen zuvorgekommen sind oder die einen die anderen mithineingezogen haben. Das schnellere Tempo und die aktivere Rolle sind vor allem Ausdruck einer anderen ideologischen Konstellation, oder vielleicht genauer ausgedrückt: eines anderer Verhältnisses von Bewußtsein und Unbewußtem: In Deutschland und Österreich bedurfte es offenkundig kaum einer Public relation Firma, die Briefings für Beamte, Journalisten, Kolumnisten und Kommentatoren und Vorbereitung von speziellem Hintergrundmaterial organisierte, um die Herrn Genscher und Mock, die Sozialdemokraten, Liberalen, Konservativen und Grünen, die Journalisten der Presse und des Fernsehens auf die antiserbische Politik einzustimmen; hier brauchte es keine TV-Werbekampagne, um die Bevölkerung für diese Politik zu gewinnen. Hier schaltete man sich selbst gleich; hier fanden fast alle mit traumwandlerischer Sicherheit ihre Bestimmung, so als müßten sie nicht Selbstzensur betreiben, da Selbstzensur hier als eigentliche Selbstverwirklichung betrieben wird. Hier genügen offenbar gemeinnützige Vereine wie die „Gesellschaft für bedrohte Völker“, Parteien wie die Grünen und Zeitungen wie die taz, um zu fördern, zu bündeln und zu organisieren, was ohnehin vorhanden ist. Und darin liegt das Gespenstische.

So unterscheiden sich die Formen der psychologischen Kriegführung etwa zwischen jenem gemeinnützigen Verein, der 1970 gegründet worden ist, und der kapitalistischen Public relation Firma: statt Werbespots Mahnwachen; statt der offenen Aussagen über Marktstrategien, wie sie von James Harff zitiert wurden, völkische Weltanschauung von Tilman Zülch, dem Gründer der „Gesellschaft für bedrohte Völker“; die Aktionen werden nicht vollständig den Gesetzen des Warenverkehrs überlassen, sondern mittels nationaler Selbstaufopferung gesponsert: ihre Kosten werden neben dem Spendenaufgebot vor allem von den tausenden Mitgliedern getragen; bei der immer größere Dimensionen annehmenden Arbeit überwiegen ehrenamtliche Mitarbeiter, die sich aus Studenten und Politologen rekrutieren. Man opfert sich auf für die gute, gemeinschaftliche Sache und hofft zugleich über das Opfer, einen höheren Wert in der nationalen Gemeinschaft zu erringen. „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun“, sagte Richard Wagner, der erste große Opferdarsteller, die erste große verfolgende Unschuld unter den Deutschen.

Es handelt sich also offenkundig um ein anderes Outsourcing von Propaganda als in den Vereinigten Staaten, oder auch in England und Frankreich: völkisches Outsourcing auf gemeinnütziger Basis. Dies setzt tieferliegende Kontinuitäten, Stimmungen, Ressentiments voraus, die in Amerika nicht existieren, in Deutschland und Österreich aber eine Art inneren Referenzpunkt bilden.

Von der Nibelungentreue zur Natopartnerschaft und zurück

Auf diese Kontinuitäten, die Deutschland und Österreich seit der Nibelungentreue des Ersten Weltkriegs — unter dem Motto „Serbien muß sterbien“ – verbinden, ist bereits hingewiesen worden. Vieles in der psychologischen Kriegführung im Kosovo-Krieg, aber auch schon im Bosnien-Konflikt, erinnert tatsächlich an den Beginn des Ersten Weltkriegs: vor allem eben jene automatische Bereitschaft der liberalen und linken Öffentlichkeit, sich gleichzuschalten. Aus seinem Staunen über diesen nationalen Automatismus hat Karl Kraus bekanntlich ein Drama gemacht, „dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen würde“, und das eigentlich „einem Marstheater zugedacht“ ist. Was für ein Staunen. Die erstaunlichsten Szenen dieses Weltkriegsdramas sind allerdings nicht die, worin die Presse und die Journalisten als Drahtzieher einer Verschwörung imaginiert werden, die das Volk verführen und in den Krieg hetzen, sondern jene, die schlaglichtartig zeigen, wie die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung ganz von allein bereit sind, sich freiwillig mit dem Staat identisch zu machen. Wie sagt doch der Wiener, der von einer Parkbank seine Rede hält: „Mir führn einen heilinger Verteilungskrieg führn mir ... Und darum sage ich auch – es ist die Pflicht eines jedermann, der ein Mitbürger sein will, stantape Schulter an Schulter sein Scherflein beizutragen. Dementsprechend! Da heißt es sich ein Beispiel nehmen, jawohl! Und darum sage ich auch – ein jeder von euch soll zusammenstehn wie ein Mann. Daß sie’s nur hören die Feind, es is ein heilinger Verteilungskrieg, was mir führn. Wiar ein Phönix stehma da, den s’nicht durchbrechn wern, dementsprechend, mir san mir ...“ Die schwere Zunge des Wieners, der nicht nur vom Patriotismus berauscht ist, enthüllt unfreiwillig, daß es sich bei dem beschworenen Verteidigungskrieg um einen Verteilungskrieg handelt. Tatsächlich war dieser Krieg vor allem von der Linken und der Arbeiterbewegung als Verteidigung imaginiert worden: Verteidigung der eigenen deutschen Kultur, der selbst erkämpften, sozialen Errungenschaften. Mit der Berufung auf den eigenen sozialen und kulturellen Standard und den sozialen Fortschritt — heute wird das alles unter dem Begriff Menschenrechte zusammengefaßt und damit noch stärker von den realen Machtverhältnissen abstrahiert — ließ sich im Ersten Weltkrieg der Burgfrieden herstellen und der Angriff auf den Osten legitimieren, der als Hort von Reaktion und Barbarei identifiziert wurde.

Aber der Schluß vom Ersten Weltkrieg auf die heutigen Kriege in Jugoslawien ist dennoch ein Kurzschluß: Zwischen beiden liegt der Nationalsozialismus, und er ist der eigentliche Referenzpunkt für das, was vor sich geht. Die Gesellschaft in den Nachfolgestaaten des Dritten Reichs bewegt sich – wie Joachim Bruhn (Was deutsch ist, Freiburg 1994) sagt — auf dem Boden der Resultate, die der Nationalsozialismus geschaffen hat. Zu diesen Resultaten gehört eine besonders innige Beziehung zum Staat, gestiftet durch das kollektiv beschwiegene Fundament von Massenmord und Vernichtungskrieg, die eben nach 1945 nirgendwo revolutionär geahndet wurden — auch im Osten Deutschlands nicht und schon gar nicht in Österreich. In diesem Verbrechen hat sich die Bevölkerung mit dem Staat in einer Weise vereinigt, die eine Satire selbst im Stil von Karl Kraus unmöglich macht. Diese lücken- und gnadenlose Vereinigung, die jede Totalitarismustheorie Lügen straft, lebt öffentlich und privat im Beschweigen ebenso wie im Gedenken fort und konstituiert das Bewußtsein der Staatsbürger.

Während die amerikanische Public relation Firma ihre Hunderten von Werbespots gegen Serbien im Fernsehen ausstrahlen läßt, organisiert darum die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker ihre Hunderten Mahnwachen mit besonderer Vorliebe in den KZ-Gedenkstätten. Die stillgelegten Massenvernichtungsanlagen werden hierzulande zunehmend als das nationale Massenmedium genutzt. Auch heute ist es also etwas Eigenes, Selbstgeschaffenes, auf das sich die nationale Einheit im Krieg bezieht – aber es ist etwas Negatives: Auschwitz dient zur Legitimation dafür, daß Deutschland sich wieder an einem Krieg beteiligt, seine Machtstellung innerhalb Europas und damit auch gegenüber den Vereinigten Staaten ausbaut.

Doch der Begriff der Legitimation trifft die Sache nicht, oder nicht ganz. Er trifft wieder nur den bewußten Anteil, die Seite der Intrige, der geplanten Aktion, der bewußt eingesetzten Propaganda. Es handelt sich aber im selben Maß um einen inneren Zwang. Wenn Außenminister Fischer, Kriegsminister Scharping und die deutschen und österreichischen Journalisten ununterbrochen davon gesprochen haben, daß die Serbische Sonderpolizei die SS und Milosevic Hitler sei und im Kosovo der Holocaust stattfinde, so ist dies zum einen Teil eine bewußte Argumentationsstrategie — also reine Propagandamaßnahme und psychologische Kriegführung, wie sie ebenso in den Vereinigten Staaten oder in England und Frankreich stattfinden: Auschwitz als Metapher, beliebig gewordenes Argument für einen Kriegseinsatz, der einer augenblicklichen Staatsräson entsprechen mag.

Wenn zwei dasselbe tun, ist es aber nicht dasselbe. Sprechen Fischer, Scharping, die deutsche Bild-Zeitung wie die österreichische Kronen-Zeitung von Hitler und Auschwitz, SS und Holocaust, ist es etwas anderes als wenn Clinton, Blair und Le Monde dies tun: Die deutschen und österreichischen Politiker und Journalisten spekulieren nicht nur — psychologisch kriegführend — auf Ressentiments der Deutschen und Österreicher, sie sind selber besessen davon, gehorchen einer Projektion, der sie nicht Herr sind. Die seit den siebziger und achtziger Jahren von K-Gruppen und Friedensbewegung gleichermaßen eingeübte Gleichsetzung der Nato-Partner unter dem Begriff des Imperialismus oder schlimmer noch ihre Subsumtion unter den US-Imperialismus, verfehlt gerade diesen zwanghaften Charakter, wie er der Kriegführung bei den Erben des Dritten Reichs zukommt und zum unbewußten nationalen Surplus der deutschen Aggression gehört. Darin liegt nicht zuletzt die besondere Gefahr, die von den Nachfolgestaaten des Dritten Reichs ausgeht. Kennzeichnend für diese politisch funktionale Zwangsneurose ist übrigens auch, daß Fischer, sobald der Krieg beendet ist, sofort mit der Verdrängung beginnt, und ernsthaft behauptet — in der Zeit vom 17.6.1999 -, jene Gleichsetzung nie gemacht zu haben. Mit dieser dynamischen Innerlichkeit mußte er rasch zum beliebtesten Politiker Deutschlands avancieren.

Der Antiamerikanismus des Kalten Kriegs und der Friedensbewegung der achtziger Jahre, der auf der Seite vieler Kriegsgegner einfach fortgesetzt wird, verdeckt zunehmend die spezifisch deutschen Interessen innerhalb des Westens — Handkes Imagination einer Weltverschwörung der „Internationalen“, die „nie ein Land im Sinn gehabt“, gegen die „kleinen Völker“ ist dafür paradigmatisch — und nähert sich im schlimmsten Fall der extremen Rechten an, die eben auch „kein Blut deutscher Soldaten“ im Kosovo vergießen möchte. Ist es Dummheit, Bequemlichkeit oder ein heimlicher nationaler Konsens, ein stilles Hoffen auf eine rein europäische Kriegsunion, wodurch die linken Nato-Gegner nicht wahrhaben wollen, wie sehr die Nato sich verändert? Warum wird ignoriert oder nur am Rande registriert, daß die Nato es den Deutschen erlaubt, politische und militärische Macht zu akkumulieren; daß sie ihrem ursprünglichen Auftrag, der da lautete: „Germans down“, mehr und mehr untreu wird?

Ressentiment ist nicht Ressentiment

In seinem Buch Jenseits von Schuld und Sühne (2.Aufl. Stuttgart 1980) hat Jean Améry sich und seinem deutschen Publikum seine Ressentiments auf bemerkenswerte Weise bewußt gemacht: er versteht sie als die „subjektive Verfassung des Opfers“: „Hartnäckig trug ich Deutschland seine zwölf Jahre Hitler nach, trug sie hinein in das industrielle Idyll des neuen Europas und die majestätischen Hallen des Abendlandes ... Ich hegte meine Ressentiments. und da ich sie nicht loswerden kann, noch mag, muß ich mit ihnen leben und bin gehalten, sie jenen zu erhellen, gegen die sie sich richten.“ Genau das können die Deutschen und Österreicher nicht – sie hegen ihre Ressentiments, aber sie können sie niemandem – am wenigstens sich selbst – erhellen, solange sie sich positiv auf ihr Deutsch- und Österreichischsein beziehen. Denn ihr Ressentiment ist ein reaktiver Groll, der daher rührt, als Täter entlarvt worden zu sein. Ihre subjektive Verfassung als Opfer ist Schuldumkehr. Damit ist das Ressentiment von jeher der Stachel für ihre wirtschaftlichen Leistungen nach 1945 gewesen — und neuerdings eben auch für die Leistungen der Außenpolitik.

Es ist also kein Zufall, daß Kroatien, Bosnien-Herzegowina und zuletzt die Albaner eine amerikanische Public Relation-Firma engagieren mußten, um die politische Öffentlichkeit in den USA gegen die Serben und Milosevic einzustimmen, während in Deutschland und Österreich die Einstimmung auf die Kriegsziele kaum notwendig war. Immer mehr bewährt sich die vergangene nationalsozialistische Volks- und Verbrechensgemeinschaft unbewußt als Referenzpunkt aktueller Politik. Die immer stärker schwankende Politik der USA jedoch hinterläßt zunehmend den Eindruck von Orientierungslosigkeit. Das verheißt nichts Gutes.

Der Projektionsmechanismus, mit dem Deutschland in aller verfolgenden Unschuld als kriegführende Macht in Aktion tritt, ist es, der die ganze Situation so gespenstisch erscheinen läßt. Das Phänomen ähnelt tatsächlich dem des Philosemitismus: im Dunkeln bleibt, was sich hinter dem guten Willen, hinter der zur Schau getragenen Moral der Menschenrechte verbirgt, wie groß die Gefahr eigentlich ist, von wem konkret sie ausgeht. Systematisch all das mit Auschwitz zu identifizieren, durch dessen Bekämpfung sich Machtzuwachs erringen läßt, ist zur neuen deutschen Ideologie geworden. Und hier kann auch das Erbe der Kritischen Theorie ohne Schwierigkeit vereinnahmt werden: immerzu während des Kosovo-Kriegs ist Adornos Diktum paraphrasiert worden, „alles einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole.“

Im Jahre 1945 schrieb Adorno aber auch folgendes – und damit ist eigentlich alles auf den Punkt gebracht, was ich sagen wollte: „Ein Deutscher“ – und hier ist der Österreicher zu subsummieren — „ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.“

Gekürzte und bearbeitete Fassung eines Vortrags bei der Veranstaltung „Frieden mit Auschwitz – Krieg im Kosovo, Deutschland wiedergutgemacht“, die am 2./3. Juli in Berlin stattfand.