Café Critique, Jahr 2008
Februar
2008

Rettung der Natur und Verdrängung des Souveräns: Umweltschutz als antikapitalistischer Wahn

Die Natur ist Teile ohne Ganzes.

(Alberto Caeiro / Fernando Pessoa)

Solange es ein göttliches Subjekt der Geschichte gibt, fungiert Natur lediglich als eine Art Futteral für den Menschen. Das galt auch noch für die letzte Erscheinungsform dieses Subjekts: die vergöttlichte Arbeiterklasse. Marx bewährte sich als Atheist und rettete die Kritik, als er gegen die Verdrängung der Natur im Gothaer Programm polemisierte: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft.“ [1] Für die Ideologen der Arbeiterklasse war das die schwerste narzißtische Kränkung, für die Ideologen aller Klassen nur noch von Freuds Trieblehre übertroffen, wonach das Ich daran krankt, daß seine Moral nicht die Quelle allen Glücks ist.

So mußte Horkheimer und Adorno die Natur in einem viel weiteren Sinn zum Problem werden. Der Einklang mit ihr, der bei Marx noch durch den vernünftigen, planvollen Umgang mit dieser Quelle des Reichtums mit Händen greifbar schien, [2] stößt nun auch im Innern des Individuums, in seinem Bedürfnis, sich selbst zu erhalten, auf größten Widerstand: Trieb und Vernunft schließen einander desto fühlbarer aus, je weiter sich die Zivilisation entwickelt.

Revolution heißt damit auch „Eingedenken der Natur im Subjekt“ [3]. So wenig Adorno und Horkheimer sagen können, wie dieses Eingedenken konkret zu realisieren wäre, sie lassen keinen Zweifel daran, worin seine Negation im allgemeinen resultieren muß: der Naturzustand verewigt sich inmitten der Gesellschaft; in deren eigensten Gesetzen lebt fort, was als endgültig besiegt und bezwungen gilt. Gesellschaft bleibt selber im Bann der Naturgeschichte: als „zweite Natur“ fällt sie mit der ersten zusammen. „Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen.“ [4] Diese Bahn verfolgten Adorno und Horkheimer zurück bis zu Homer: ihr Naturbegriff nötigte sie förmlich dazu, zwischen kapitalistischer Produktion und deren Vorformen nicht mehr scharf zu unterscheiden. Das schien der Preis zu sein, um Natur in solcher Ambiguität überhaupt zur Sprache zu bringen und damit über den Marxismus hinauszugehen – wie umgekehrt die vollständige Abwicklung der Kritischen Theorie (ob bei Habermas oder im Poststrukturalismus) davon ausgehen konnte, daß die unaufhebbar ambigue Frage der Natur wieder aus der Gesellschaftstheorie verbannt und zur Beute der Grünen geworden war.

Doch die fundamentale Zweideutigkeit des Naturbegriffs läßt sich durch Mülltrennung nicht entsorgen: Wenn die blinde Gesetzmäßigkeit von Herrschaft denselben Namen trägt wie das, was ihr zugleich zum Opfer fällt, dann bleibt nicht nur offen, was Natur eigentlich ist, sondern auch, was für sie getan werden kann.

Der „krude, auch allzu enge Name“

Die suggerierte Unmittelbarkeit ist Schein. Natur wäre zunächst als metaphysischer Begriff zu sehen, der eigentlich den Naturwissenschaften das fürchten lehren sollte: er verdankt sich dem Transzendentalsubjekt, das „in uns denkt“ – kommt also in der Natur selber nicht vor; ist Name für ein Verhältnis, nicht für die Dinge selbst, die darunter subsumiert werden. Unter der Fragestellung „Wie ist Natur selbst möglich?“ heißt es bei Kant: „Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“ [5] Kant aber meinte mit Natur auch ganz selbstverständlich noch die Gesellschaft, sodaß die Aktivitäten eines Raubtiers nicht anders als die eines Kapitalisten dem Verstand immer nur in Naturgesetzen faßbar werden, die dem Verstand selber, der doch Raubtier und Kapitalist bloß beobachtet, entsprungen seien. Natur und Gesellschaft gelten ihm darin als eins, eine einzige Natur, der jedoch die intelligible Welt gegenübersteht, worin es allein die Freiheit des Individuums gibt.

Adorno und Horkheimer kehren zwar zur Kritik von Kant zurück, wonach der Verstand seine Gesetze der Natur vorschreibe. Aber sie sind hindurchgegangen durch eine Kritik der politischen Ökonomie, die nur noch doppeldeutig von den Naturgesetzen kapitalistischer Produktion spricht: wenn Marx „die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt“ [6], dann bedeutet das entweder, diese Entwicklung führt mit naturgeschichtlicher Notwendigkeit zum Sozialismus; oder es heißt: der naturgeschichtliche Prozeß wäre zu unterbrechen. Indem Adorno und Horkheimer gegen jene sozialdemokratische und stalinistische Auslegung Position beziehen und Revolution als Stillstellung des naturgeschichtlichen Prozesses verstehen, damit Freiheit überhaupt möglich werde, müssen sie auch Gesellschaft und Natur in neuer Weise aufeinander beziehen. Die Reflexion von Kant, daß der Verstand seine Gesetze der Natur vorschreibe, formulieren sie als Kritik der Naturbeherrschung: „Die disqualifizierte Natur wird zum chaotischen Stoff bloßer Einteilung und das allgegenwärtige Selbst zum bloßen Haben, zur abstrakten Identität.“ [7] Der Verstand wird als Gesellschaftliches begriffen, die Gesellschaft selber aber als etwas, das nach Maßgabe der intelligiblen Welt, im Sinn der Freiheit des einzelnen Individuums, eben erst zu verändern wäre, um nicht mehr mit Natur zusammenzufallen. Natur jedoch würde dann ihrerseits in ein anderes Verhältnis zu den Gesetzen des Verstandes rücken. Durch diese revolutionäre Theorie, die allerdings die konservative Freuds [8] (und die Sprachkritik von Karl Kraus) voraussetzt, taugt Natur nun nicht mehr, wozu sie einmal gestempelt wurde. Vom Totalitätsbegriff, den man ihr zugemutet hat, bleibt nur noch ein „kruder, auch allzu enger Name“ fürs Nichtidentische. [9]

Natur ist alles, was nicht Gesellschaft ist – und zugleich zu erkennen gibt, ohne deren Zwang zur Identität bestehen zu können. Das ist der springende Punkt, den Kritik ins Auge fassen muß: Als Begriff für ein falsches Verhältnis, bedeutet Natur immer auch die Möglichkeit eines richtigen, worin ihr Qualitatives endlich zur Geltung kommen könnte – eine Möglichkeit, die jedoch nirgendwo, weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft als realisierte vorgestellt und beschrieben zu werden vermag. Allein im Ästhetischen hat sie sich bewahrheitet: durch diesen einzig wahren Naturschutzpark führen die Kantsche Kritik der Urteilskraft und die Ästhetische Theorie Adornos. Auf die Gesellschaft selbst angewandt, bleibt es notwendig bei vagen Formulierungen: Unter veränderten Produktionsverhältnissen wäre Technik etwa fähig, der Natur „beizustehen und auf der armen Erde ihr zu dem zu helfen, wohin sie vielleicht möchte.“ [10] Aber beistehen kann man nur einzelnen Wesen.

Unreflektiert gebraucht jedoch ist Natur die Formel, die alles gleichmacht, was nicht zur Gesellschaft gerechnet werden kann. Deren eigener Identitätszwang – die Gewalt, die dem Einzelnen vom Allgemeinen angetan wird – kehrt in ihr wieder und gaukelt Versöhnung vor: das schlechthin Nichtidentische, Heterogene, soll zur Identität des Natürlichen, schlechthin Versöhnten gebracht werden und nicht selten werden dabei noch die einfachsten Einsichten der ohnehin der Selbstreflexion abgeneigten Naturwissenschaften verleugnet, um nur ja nicht die Identität, d. h. den Verstand, zu verlieren. Darin ist eine Gesellschaft am Werk, die sich ihrer selbst nicht bewußt werden darf.

Natur ist so gesehen und im Gegensatz zum alten griechischen oder lateinischen Begriff, der nur die Herkunft meinte, die Vorstellung der Gesellschaft von ihrer eigenen Totalität, die das Bewußtsein abspaltet und auf das ihr Fremde projiziert. Dabei entsteht immer eine Idylle, auch wenn Natur den unerbittlichen Kampf ums Dasein verkörpern muß: sie dient der Gesellschaft zur gefälligen Illustration des Immergleichen, ohne die es in ihm kaum einer aushält. Demgegenüber nimmt Transzendenz eine andere Bedeutung an: das Moment, in dem „Natur und Geschichte einander kommensurabel werden“, ohne ineinander aufzugehen, wäre „das von Vergängnis“ [11].

Das „automatische Subjekt“ – wie Marx den sich selbst verwertenden Wert des Kapitals bezeichnet – ist aber Transzendenz, die solche Selbstreflexion auslöscht. Sie tritt an die Stelle des alten göttlichen Subjekts der Religionen. Alles Physische vermittelnd in der Totalität des Zwangs, wird es durch die vergänglichen Erscheinungen hindurch (in Gestalt der Waren) zum Ewigen, das unmittelbar nicht erscheinen kann und darum der Natur bedarf, sich darin zu spiegeln. Gegenteil von Versöhnung mit dem, was als Natur subsumiert wird.

Es gibt nur eine Wahrnehmungsform, die dieser Spiegelung ganz gerecht wird: das ist das Fernsehen, denn es gibt gleichfalls vor, alles Physische zu vermitteln, und projiziert die Idylle ins Wohnzimmer. Fallen dann auf dem Bildschirm die Tiere übereinander her, ist die ewige Natur perfekt: So ist nun einmal die Welt, sagen sich die Bestien vor dem Bildschirm.

In der Natur verschwindet der Souverän

So deutlich Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung akzentuieren konnten, daß der Naturzustand in der Gesellschaft fortdauert, da sie dessen Zwänge in neuen Formen reproduziert, so undeutlich blieb ihr Begriff von diesen Formen – und damit vom Souverän, der bei Hobbes den Naturzustand im Inneren suspendiert. Sie enthalten sich der Stimme, wenn der jeweilige Waffenstillstand beurteilt werden soll, den der Staat im Krieg aller gegen alle auf seinem Territorium herstellt. [12] Ihr Vertrauen in den Souverän, der ihnen gerade Schutz bot, als sie das Buch schrieben, war zu diesem Zeitpunkt ziemlich gering, und das kann ihnen niemand vorwerfen. Darum nicht zuletzt zögerten sie später, es neu herauszugeben. In diesem Zögern liegt die Einsicht, daß die Dialektik der Aufklärung die politische Urteilskraft vernachlässigt hatte – eine Urteilskraft, die zwischen den Staaten angesichts des Schlimmsten zu unterscheiden vermag und dennoch, allein schon weil es die Möglichkeit dieses Schlimmsten überhaupt gibt, am „Existentialurteil“ über den Staat selbst als den Inbegriff des Falschen festhalten muß.

Jene Schwäche der Kritischen Theorie hinterließ auch in Horkheimers politisch so bedeutsamen Texten über „Autoritären Staat“ und „Racket“ ihre Spuren, und sie ist selbst in den späteren Arbeiten Adornos, die der deutschen Ideologie auf den Grund gehen, nicht ganz überwunden. Während die Dialektik der Aufklärung die „Disqualifizierung“ der Natur im Denken bewußt machte, entging ihr im Politischen etwas von den je spezifischen Qualitäten des Souveräns, das zur selben Zeit aber Franz Neumann und Otto Kirchheimer in der Analyse des Nationalsozialismus gewinnen und in der Arbeit für den amerikanischen Geheimdienst z. T. sogar umsetzen konnten. Vor der disqualifizierten Natur sind alle Staaten gleich, könnte der Schluß aus den Philosophischen Fragmenten Adornos und Horkheimers lauten, [13] während Neumann schon durch die Wahl des Titels seiner Analyse den Gegensatz zwischen den Staaten exponiert, indem er auf Hobbes anspielt: Behemoth ist nicht gleich Leviathan: jeder Staat ist ein „politisches Zwangssystems“, aber einer, „in dem Reste der Herrschaft des Gesetzes und von individuellen Rechten noch gewahrt sind“, ist zugleich etwas anderes als der „Unstaat“ des Nationalsozialismus, in dem der „Zustand der Gesetzlosigkeit“ total wird.

Die Disqualifizierung des Politischen in der Kritischen Theorie fiel nicht weiter ins Gewicht – solange es keine grüne Bewegung gab. Und darum blieb es Herbert Marcuse vorbehalten, durch den Anschluß an die „neuen sozialen Bewegungen“ die Schwäche der Dialektik der Aufklärung zum Programm zu machen. In seiner Schrift Konterrevolution und Revolte griff er nicht nur auf die Einsichten von Adorno und Horkheimer zurück: Natur werde „in aggressiv wissenschaftlicher Weise behandelt; sie ist wertfreie Materie, bloßes Material. Diese Einstellung zur Natur ist ein historisches Apriori, das einer spezifischen Gesellschaftsform angehört.“ Er vermeinte vielmehr jetzt in den „ökologischen Vorstößen der radikalen Bewegung“ auch „das konkrete Bindeglied zwischen der Befreiung des Menschen und der der Natur“ zu sehen: „Damit der Umweltschutz sich so weit entwickelt, daß er im kapitalistischen Rahmen nicht mehr eingedämmt werden kann, muß er zunächst innerhalb desselben vorangetrieben werden.“ [14] Offenkundig wollte er das Wahnhafte in den „ökologischen Vorstößen“ der vermeintlich „radikalen Bewegung“ nicht sehen, das damals jemanden wie Jean Améry sofort an die irrationalistischen Strömungen der zwanziger und dreißiger Jahre erinnerte, denen er selber mit positivistischer Vernunft beizukommen suchte: „Die schiere Wahrheit ist, daß sowohl ideologischer Ökologismus wie ideologischer Regionalismus luftige Denkgespinste sind, die dort, wo hart im Raume sich die Sachen stoßen, alsbald unweigerlich reaktionäre Züge annehmen würden.“ [15] Das aber ist der Raum des Politischen. Die Verdrängung seiner Kategorien verwandelt die wirkliche Kritik in irrationalen Aktivismus: Marcuse kann nicht mehr erkennen, was es politisch bedeutet, innerhalb des „kapitalistischen Rahmens“, der eben kein bloßer Rahmen ist, „Umweltschutz“ voranzutreiben: Als gäbe es in jenem Rahmen keine staatliche Herrschaft und kein nationales Bewußtsein; als würde nicht jede Bestrebung, „Umweltverschmutzung“ zu vermindern, zwangsläufig politische Bedeutung annehmen und ideologische Konsequenzen nach sich ziehen, fällt Marcuse, indem er auch auf diesem Gebiet politisch aktiv werden möchte, hinter die Selbstreflexion eines kritischen Naturbegriffs zurück, die der Dialektik der Aufklärung noch möglich war. Innerhalb des „kapitalistischen Rahmens“ läßt sich nur vorantreiben, was dem Begriff der Natur zu Diensten ist, den eben dieser „Rahmen“ determiniert. Sollte es je möglich sein, ihn aufzusprengen und die Gesellschaft von ihrem eigenen Zwang zu befreien, könnte erst Klarheit darüber gewonnen werden, was Natur ist, welche Befunde davon existieren und wodurch ihr „beizustehen“ wäre. Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße gegen den Restbestand politischer Vernunft.

Als die Alliierten des Zweiten Weltkriegs noch in wechselseitiger Feindschaft und Abschreckung über die Nachkriegsordnung wachten, gab es allerdings keine Schwierigkeiten mit dem Souveränitätsbegriff und darum konnte jene „radikale Bewegung“, die nicht radikal war, in aller Unschuld agieren. Die Siegermächte erschienen in spontaner Ideologisierung als der Weltsouverän, der zwar in sich gespalten war in West und Ost, aber in seinem eigenen Machtbereich alles Politische, d. h. alle Freund-Feind-Verhältnisse zu regeln vermochte. Mit dem Ende dieser Ordnung hat die Ökologiebewegung ihre Unschuld jedoch verloren, es droht nun eine andere Erscheinung des Weltsouveräns, die allein darin gespenstisch ist, sich nicht auf Waffen und Abschreckung zu stützen, sondern auf Umweltbewußtsein und Schadstoffarmut.

An die Stelle der Schreckbilder von „kommunistischer Revolution“ und „imperialistischer Aggression“ treten offenbar die von „Klimakatastrophe“ und „ökologischem Raubbau“. Auf den ersten Blick scheint sich nicht viel zu ändern: es geht darum, Bündnisse zwischen Staaten zu schmieden und die Gewaltverhältnisse (Naturzustand nennt sie Hegel!) zwischen ihnen zu regulieren. Aber die Mittel, die Natur vorschützen, geben undeutlich einen anderen Zweck zu erkennen. Die Universalität, die sie so selbstverständlich beanspruchen, als doch alle Menschen vom Klima abhängig sind und gute Luft atmen wollen, ist weit durchtriebener, als die Feindbilder des Kalten Kriegs es je waren. Niemand, der das Überleben der Menschheit will, kann ernsthaft in Frage stellen, daß die Natur – Voraussetzung der Reproduktion der Gesellschaft – zu bewahren ist. Und zugleich beinhaltet bereits der Begriff der Natur das falsche Bewußtsein von der Gesellschaft. So ist es kein Zufall, daß die Kräfte, die der Hegemonie der USA ein Ende machen wollen, mitunter sich nicht nur aufs Völkerrecht, sondern auch auf den Klimaschutz berufen: das eine läßt den Staat als Natur der Völker erscheinen, das andere macht die Natur zum Staatsgebiet des phantasierten Weltsouveräns; einerseits soll das Prinzip des westlichen Staats unterminiert werden, wonach das Recht und nicht die Herkunft die politische Einheit bestimmen, andererseits soll dessen Garant, die Hegemonie der USA, gebrochen werden. Und wie es derzeit aussieht, könnte die antiamerikanische Ideologie Amerika selber am besten als Kampf gegen den Klimawandel erobern.

Der Naturschutz als globalisierte Bewegung gegen die sogenannte Globalisierung könnte geradezu als naturgetreue Kopie oder romantischer Doppelgänger einer ganz bestimmten Auffassung vom internationalen Recht betrachtet werden – einer Auffassung, die über die Gewaltverhältnisse zwischen den Staaten hinwegzutäuschen sucht; die vorgibt, es handle sich beim sogenannten Völkerrecht um wirkliches Recht wie zwischen den Bürgern eines Staats, wo es sich doch in Wahrheit zwischen den Staaten immer nur um ein „gelten sollendes“ (Hegel), nicht wirklich geltendes Recht handeln kann, weil kein Souverän über ihnen regiert – und auch niemals zu regieren vermag, da sie keine Bürger sind, sondern Gewaltmonopole auf ihren je eigenen Territorien bilden. Der phantastische Weltsouverän, der dagegen herbeibeschworen wird, bedarf auch eines imaginären Territoriums: und das ist eben die Natur als gefährdete Idylle, die von allen seinen halluzinierten Untertanen, also den Staaten, geschützt werden müsse. Wer für dieses heilige Reich zu keinem Opfer bereit ist, wird aus der internationalen Gemeinschaft ausgestoßen.

Solche aberwitzigen Phantasien berufen sich auf Umweltbefunde nur, um die USA ins Visier zu nehmen. Und sie nehmen die USA ins Visier, um vom Kapitalverhältnis zu schweigen. Das ist nicht nur schlecht für die letzten Reste politischer Vernunft, die auf diesem Erdball noch existieren. Es ist auch schlecht für das, was der krude Name Natur zu bezeichnen sucht. Suggeriert wird nämlich, daß ihre Rettung oder wenigstens, das Ärgste zu verhindern, möglich sei, und zwar, ohne Staat und Kapital abzuschaffen. Dabei kann es sich doch bei all dem, was unter dem Label „Umweltschutz“ unternommen wird, immer nur um kosmetische Eingriffe handeln. Natur selber bleibt lediglich Vorwand für ein politisches Kräftemessen – und je weiter die Maßnahmen über bloß regionale Zusammenhänge hinausgehen, desto oberflächlicher die Eingriffe. Solange die Selbstverwertung des Werts der gemeinsame Nenner ist, auf den alles Gesellschaftliche und Natürliche gebracht werden muß, der letztlich bestimmende Zweck, dem jedes Mittel recht ist; solange also das automatische Subjekt des Kapitals existiert, das jede bewußte Zwecksetzung des Individuums einem blinden Prozeß der Akkumulation um ihrer selbst willen unterwirft und vom Individuum selber nur eine Charaktermaske übrigläßt, solange erweist sich die vernünftige, gesellschaftliche Regelung des „Stoffwechsels mit der Natur“ (Marx) als reines Hirngespinst.

Genau davon abzulenken, wurde die grüne Charaktermaske erfunden. Sie sucht in der Natur Entspannung vom Politischen. Was dieses Freund-Feind-Verhältnis den Menschen aufnötigt, will sie eben hier vergessen machen: welche Freiheit es allein gibt im Stande der Unfreiheit. Den kategorischen Imperativ, alles Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, kann sie nur als Gleichnis für die drohenden Umweltkatastrophen deuten, und so ist sie wild entschlossen, alles Umweltverträgliche zu tun, im Stande der Unfreiheit sich häuslich einzurichten.

zuerst erschienen in Phase 2, Nr. 27, 2008

[1Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW). Bd. 19. Berlin/DDR 1978, S. 15.

[2Im dritten Band des Kapital sagt Marx in diesem Sinn, „daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“ MEW Bd. 25. Berlin/DDR 1979, S. 828.

[3„Durch solches Eingedenken der Natur im Subjekt, in dessen Vollzug die verkannte Wahrheit aller Kultur beschlossen liegt, ist Aufklärung der Herrschaft überhaupt entgegengesetzt (…).“ Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1997, Bd. 3, S. 58.

[4Ebd. S. 29.

[5Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Werkausgabe. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main 1977, Bd. V., S. 189 (A 113).

[6Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. MEW Bd. 23, S. 16.

[7Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, S. 26.

[8Der Begriff des Es bleibt bei Freud unscharf wie der des Triebs: Was also am Menschen Natur ist, läßt sich letztendlich nicht isolieren und für sich bestimmen. Begreifen läßt sich allerdings, in welche Form es durch die Gesellschaft gebracht wird: begreifen läßt sich, was das Über-Ich (oder Ichideal) ist und woher es kommt.

[9Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Gesammelte Schriften, Bd. 6, S. 179.

[10Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften, Bd. 7, S. 107.

[11Adorno, Negative Dialektik, S. 353.

[12Hier heißt es etwa nur ganz pauschal: „Die Verschwörung der Machthaber gegen die Völker mittels ihrer unentwegten Organisation liegt dem aufgeklärten Geist seit Machiavelli und Hobbes so nahe wie die bürgerliche Republik.“ Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, S. 106.

[13„Als der echte Leviathan fordert das Racket den rückhaltlosen Gesellschaftsvertrag“, schrieb Horkheimer in den Aufzeichnungen zur Dialektik der Aufklärung (Gesammelte Schriften. Hg. v. Alfred Schmidt u. Gunzelin Schmid Noerr. Bd. 12. Frankfurt am Main 1985, S. 288) – und ignorierte damit die Unterscheidung, die Hobbes zwischen Leviathan und Behemoth gemacht hatte. Vgl. hierzu: Gerhard Scheit: Jargon der Demokratie. Freiburg 2007, S. 27-54.

[14Herbert Marcuse: Konterrevolution und Revolte. Schriften Bd. 9. Frankfurt am Main 1987, S. 65

[15Jean Améry: Regionalismus: Notwendigkeit, Ideologie – oder Ersatzrevolution?, in: Jean Améry: Aufsätze zur Politik und Zeitgeschichte. Werke Bd. 7. Hg. v. Stephan Steiner. Stuttgart 2005, S. 371. Vgl. hierzu auch den Brief von Améry an Günther Anders vom 9. 12. 1977, in: Jean Améry: Ausgewählte Briefe 1945-1978. Werke Bd. 8. Hg. v. Gerhard Scheit. Stuttgart 2007, S. 572ff.