Schengen und Europol
Der Schwerpunkt dieser Abhandlung über die dritte Säule der EU, die von Justiz und Inneres gebildet wird, ist das Thema Europol, dem sich unsere Zeitschrift schon des öfteren gewidmet hat.
Schon auf Seite 12 findet sich Bemerkenswertes zum K.4-Ausschuß, benannt nach dem Artikel K.4, nämlich daß die ihn unterstützenden Lenkungsgruppen die intergouvernementalen Gruppen, insbesondere die TREVI-Gruppen, ersetzt haben. Genau diese Kontinuität ist immer wieder geleugnet worden, auch bei einer Tagung im Renner-Institut von einem Vertreter Brüssels. Sowohl die Arbeiten als auch die Angehörigen dieser früher geheimen Strukturen sind daher mit dem Aufbau der europäischen Inneren Sicherheitsarchitektur aufs engste verbunden. Dabei muß berücksichtigt werden, daß innerhalb des TREVI-Verbundes nicht nur Polizeien, sondern auch Geheimdienste zusammengearbeitet haben. Diese Zusammenarbeit entstand auf Grund der politischen Entwicklungen in den Siebzigern, als vor allem linksextreme Terrorgruppen die medialen Schlagzeilen beherrschten. Von daher leitet sich unsere jahrelange Kritik an den Bemühungen der ohne demokratischen Diskussionen vor sich hinarbeitenden Gruppen aus Polizisten, Juristen und Geheimdienstleuten um einen europäischen Sicherheitsstaat ab.
Auch auf Seite 93 wird bestätigt, daß Schengen, TREVI und andere Einrichtungen unter dem Namen „Europol“ vereinigt werden sollen. Der Übergang wird im Kapitel über die geschichtliche Entwicklung von Europol nachgezeichnet, von der TREVI-ad-hoc-Gruppe Europol über den Aufbaustab im Jahre 1992 bis hin zur TREVI-Minister-Tagung am 29. Juni 1993, bei der der Aufbaustab seine ersten konkreten Aufgaben zugeteilt bekam. Von dem Moment an wurde das Mandat der Europol ständig erweitert, ihr Aufgabenbereich immer weiter ausgedehnt, bis hin zur Europol-Konvention. Deren Auslegung obliegt dem Europäischen Gerichtshof, wobei es den Mitgliedstaaten freisteht, diese Zuständigkeit anzuerkennen oder nicht. Die Europol ist durch die Konvention als Völkerrechtssubject mit Privatrechtsfähigkeit eingerichtet. Daher wurde sie bereits in die Lexika für Internationale Organisationen aufgenommen. Trotzdem hält der Autor daran fest, daß sie ein „Instrumentarium der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der einzelnen Mitgliedstaaten der Union“ (S.120) bleibe.
Arbeitsfelder der Europol sind z.B. die Organisierte Kriminalität und politischer Extremismus und Terrorismus. Eine fixierte Definition dieser Felder gibt es noch nicht. Daher kann man annehmen, daß eine breitestmögliche Interpretation, die allen Staaten zusagt, angestrebt wird.
Die erstaunlichen Freiheiten der Europol bestehen nicht nur in der anvisierten Immunität (d.h. Straffreiheit trotz begangener Straftaten, die sonst nur für verdeckte Ermittler und Geheimdienste gilt), sondern auch in der präventiven Datenspeicherung und in der Analyse sogenannter „weicher Daten“. Europol-Beamte sind dazu ermächtigt, bei begründetem Verdacht tätig zu werden. Nun ist aber der „begründete Verdacht“ nicht näher spezifiziert und obliegt daher der subjectiven Interpretation des Beamten. Dabei hat er sich wiederum an sein nationales Recht zu halten. Somit etabliert sich ein Freispiel für die Europol-Beamten, die sich, je nach Einschätzung, nach nationalem Recht oder EU-Recht verhalten können. Rechtsbrüche sind damit so gut wie ausgeschlossen. Folgende Bemerkungen zum Datenschutz (S.145) sind es wert ausführlich, zitiert zu werden: „Es wird sehr von der Bereitschaft der einzelnen Mitgliedstaaten wie auch von der Europol abhängen, sich an die datenschutzrechtlichen Vorgaben zu halten, und somit einen gewissen Datenschutzstandard, der zwar nicht jenem der EU-Datenschutzrichtlinie entspricht, aber immerhin eine Anhebung des europäischen Datenschutzniveaus in diesem Bereich darstellt und somit sicherlich nicht als unzureichend zu werten ist, zu gewährleisten.“
Der Autor läßt sich ansonsten eher auf die nationalen Schwierigkeiten auf dem Weg zu europäischen Institutionen und deren formalen Konsequenzen bei den Statuten und bei der Zusammenarbeit ein und formuliert, wenn überhaupt, an den Mängeln und Begrenzungen einer europäischen Effizienz in Sachen Polizei und Justiz Kritik. Einschränkungen der Bürgerrechte werden als mehr oder minder sinnvoll erachtet. Die OK als allmächtiges Schreckgespenst spielt auch bei diesem Buch seine Rolle zur Legitimierung von Zugriffsrechten auf den einzelnen. Den politischen Implikationen von Europol für die Verfassungsfreiheiten wird ausgewichen, eine Behandlung des Feldes politischer Extremismus und Terrorismus kommt nicht vor. Sehr gescheit. Denn sonst wäre die überarbeitete Dissertation wohl kaum in der Schriftenreihe zum gesamten Europarecht erschienen.
Beschwerden beim Salzamt, oder genauer: beim EuGH.
Rainer Oberleitner: Schengen und Europol. Kriminalitätsbekämpfung in einem Europa der inneren Sicherheit. SREU Band 2, Manz Verlag, Wien 1998, 188 S, öS 572,—