MOZ, Nummer 58
Dezember
1990
ÖVP-Neu:

Schwarz vor den Augen

Die Krise der Volkspartei und wie sie behoben wird

Alle schreiben von der ÖVP. Da möchten wir uns nicht ausschließen, auch wenn wir uns nicht anschließen können. Tips, wie sie weitermachen sollte, sucht man im Text jedenfalls vergeblich. Dafür findet sich anderes.

„Die Krise der ÖVP ist eine Frage der Kosmetik“
Bild: Votava

Die ÖVP ist nicht am Ende. Sie steht vielmehr am Anfang einer Entwicklung, die auch den anderen Parteien nicht erspart geblieben ist. Bloß haben die das schon frühzeitiger erkannt oder besser: erkennen müssen und waren weniger widerspenstig als die Volkspartei. Die Schwarzen wollten sich ganz einfach nichts sagen lassen, derweil stand es doch geschrieben, schwarz auf weiß, wohin der Weg zu gehen hat.

Das Grunddilemma

Grundsätzlich ist es wichtig, festzuhalten, daß die Krise der ÖVP, die da unisono ausgerufen wird, nicht überschätzt werden soll. Die ÖVP steht keineswegs vor dem Untergang, sie ist auch bundesweit nicht bedroht, auf den dritten Platz abzurutschen. Dafür ist einfach zu viel Substanz in dieser Partei. Substanz, die unter heutigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und Wertvorstellungen nicht zerbröseln kann.

Der liberale Rechtspopulismus ist keine Alternative zum liberalen Konservatismus der ÖVP. Außer einem großen Maul hat er nichts zu bieten. Die FPÖ-Wahlerfolge stehen auf tönernen Füßen, Wechsel-, Protest- und Denkzettelwähler geben hier den Ausschlag. Die ÖVP-Wähler sind echt, die Haider-Wähler eher zufällig, d.h. auch in jede Richtung anfällig. Letztere mögen im Wahlverhalten mobil sein, mobilisierungsfähig sind sie kaum, wie die mißglückten freiheitlichen Volksbegehren zeigen. Die ÖVP-Niederlage hingegen speckt die Partei nur auf ihren gesunden Kern ab. Der kann und wird wieder flügge werden.

Wir würden vorschlagen, die Krise der ÖVP relativ banal zu sehen. Sie ist eine Frage der Kosmetik. Die ÖVP braucht nur ihren ‚Vranz‘ zu finden — den SPÖ-Vorsitzenden selbst wird sie zwar kaum abwerben können — und einen guten Partei- und Kandidatenpräparator einkaufen.

Die Krise der ÖVP ist eine Krise der Form, nicht des Inhalts. Die Schwächen liegen in den antiquierten Parteistrukturen und dem unzeitgemäßen Outfit. Inhaltlich ist die ÖVP ‚moderner‘ denn je. Das weiß sie auch. Ihre Werte haben sich in den letzten Jahren eindeutig durchgesetzt.

Bild: Votava

Damit ist aber nicht die katholische Soziallehre gemeint (die wird auch zunehmend vernachlässigt, wie wir erst unlängst in der Abtreibungsfrage gesehen haben), sondern die wirtschafts- und demokratiepolitischen Vorstellungen. Diese sind gesellschaftlicher Konsens geworden.

Privatisierung und Steuerreform tragen eindeutig den Stempel der Volkspartei. Die SPÖ zog nur widerwillig mit, auch wenn sie nachträglich versucht, ‚Vorzüge‘ der gesetzten Maßnahmen für sich zu reklamieren. Dem ÖVP-Minister Lichal, ÖAAB-Obmann und Niederösterreicher, d.h. also doppelt mächtig, etwa ist es jährlich gelungen, aus dem Budget zusätzliche Milliarden für sein Heer herauszureißen, Abfangjäger anzuschaffen und Raketen zu bestellen. Mock hält Österreichs Außenpolitik fest auf amerikanischem Kurs. Ja, und die ökosoziale Marktwirtschaft, ein System, in dem neben den Menschen auch Umweltsünden und die letzten natürlichen Refugien kaufbar werden sollen, wird zusehends Realität. Auch wenn es kein Konzept sein sollte, das die ÖVP da unter diesem Titel führt, die Entwicklung der Wirtschaft beschreibt es allemal richtig.

Die ÖVP war in vielen Punkten erfolgreich. Sie hat jedenfalls dem kreiskyschen Charakter der österreichischen Innen- und Außenpolitik den Garaus gemacht. Die SPÖ sah dem vorerst hilflos zu, entwickelte sich aber schließlich vom zaghaften zum tatkräftigen Helfer. Die Übernahme originären konservativen Gedankenguts durch den Koalitionspartner machte schwer zu schaffen. Nicht wie zu vermuten der SPÖ, sondern der ÖVP.

Die ÖVP hat also inhaltlich gesiegt und doch die Nationalratswahlen verloren. Was sie wollte, ging. Nur ging ihr dabei die Luft aus. Dieser Widerspruch ist vor allem dadurch erklärbar, daß es der ÖVP nicht und nicht gelingen mag, diese Erfolge auch glaubwürdig zu verkaufen, diese als der ÖVP gehörig darzustellen, diese für die Partei zu veranschlagen. Die ÖVP ist (mit einer erstarkenden Wirtschaft im Rücken) die treibende Kraft in Österreich und erscheint doch eher als ein getriebener und zunehmend aufgeriebener Haufen.

Nicht im Wirken und Handeln hat die ÖVP versagt, sondern in ihrem Auftreten, in ihrer veröffentlichten Erscheinung. Die ÖVP ist die traditionalistische Kraft in der österreichischen Politik. Das mag intern gut gehen, für die Ausstrahlung der Bundespartei ist es eine Katastrophe. Der Irrglaube, der zwischenzeitliche Sieg der Marktwirtschaft und ihrer Prinzipien würden auch automatisch die Partei dieser Werte stärken, führte schnurstracks in das Verderben.

Bund und Bünde

Im Gegensatz zu anderen Parteien besteht die ÖVP eigentlich aus deren drei: ÖAAB, Wirtschaftsbund und Bauernbund. Außerdem aus diversen Nebenparteien (Frauenbewegung, Junge ÖVP, Seniorenbund).

Die ÖVP ist eher ein Parteienbündnis denn eine Bundespartei. ÖVP, das ist eine Aneinanderkettung von mehr oder weniger potenten Organisationen, die gezwungen sind, miteinander auszukommen. Diese Struktur bedingt, daß es sehr schwierig und zeitaufwendig ist, zu Entscheidungen zu gelangen, die von allen maßgeblichen Teilorganisationen auch mitgetragen werden können. Die Interessenkoalition birgt so die Interessenkollision in sich.

In der ÖVP gibt es keine entwickelte und starke Zentralmacht. Somit auch keine geordnete Hierarchie. Bundesparteiobmann und Generalsektreär erscheinen in dieser hündischen wie föderalistischen Struktur als Verwaltungsbeamte eines Dachverbandes.

Mit den vielen Mächten in Bünden und Ländern und den vielen verzweigten Hierarchien macht sich die Volkspartei das Leben zwar selbst schwer, ist aber andererseits von außen weniger angreifbar, somit auch weniger handhabbar. Was vor allem die bürgerlichen Journalisten stört und deren Antipathien erklärt.

Das formalisierte Nebeneinander einzelner Kräfte verunmöglicht nicht bloß innerorganisatorische Demokratie, sondern verhindert auch jene leistungsfähige Zentrale, die jede Partei heute vonnöten hat, nicht bloß als Befehlsverkünder, sondern auch als Befehlsempfänger. Selbst die Grünen, die mit ähnlichen Problemen (Landesfürsten, Basisdemokraten etc.) zu kämpfen haben, sind in ihren wenigen Jahren schon weiter gekommen als die ÖVP.

Es gelte daher, so der Landesparteisekretär der stärksten ÖVP-Landesorganisation, der Niederösterreicher Gustav Vetter, das Primat der Partei durchzusetzen. Eine starke Zentrale in allen Gliederungen (Bund, Land, Gemeinde) sei notwendig. Womit vor allem der Stärkung des jeweiligen Obmanns das Wort geredet wird, einer Effektivierung durch Führerpersönlichkeiten.

Auch Josef Riegler strebt ähnliche Strukturen wie in der CDU an, d.h. Entscheidungen der Zentrale sollen für alle verbindlich, die Bünde zu Serviceorganisationen degradiert werden.

Denn heute ist die ÖVP durch ihre Bünde zwar nicht handlungsunfähig — dazu ist dieses System viel zu eingespielt —, sie muß jedoch andauernd mit überproportionalen Reibungsverlusten, die einer soliden Entscheidung vorangehen, bezahlen. Nicht die Teilorganisationen an sich sind das Problem (diese hat die SPÖ auch), sondern deren Übergewichtung in oder besser: gegenüber der Bundesorganisation.

Heute reden also manche ÖVP-Mächtige wieder davon, die Bünde als institutionelle Gruppierungen in der Partei aufzuheben (z.B. die steirische Landesorganisation unter Hirschmann), ihren Einfluß deutlich zu schmälern. Der VP soll nun gelingen, was ihr nach innerorganisatorischen Kräfteverhältnissen gar nicht gelingen könnte.

Es ist noch nicht ausgemacht, wann das geschieht, eines jedoch ist klar: Aus eigener Kraft kann die ÖVP das gar nicht schaffen. Da werden die Medien wohl kräftig mit anpacken müssen. Nur mit ihrer Hilfe kann eine ÖVP-Identität auf Bundesebene Wirklichkeit werden. Denn bisher gibt es höchstens eine indirekte.

Land und Bund

Eine direkte Identifizierung gibt es hingegen in den Ländern. Die schwarzen Landeshauptmannparteien müssen der Bundespartei als übergeordnet gelten. Jedenfalls sind diese vorrangig. Länder wie Bünde sind aus rein subjektiven Überlegungen an einer schwachen und nicht übermäßig attraktiven Bundespartei interessiert.

„Der Sepp kann net Theater spielen“
Bild: Votava

Die mächtigen ÖVP-Landesleute (in 6 von 9 österreichischen Bundesländern regiert die ÖVP, meist mit absoluter Mehrheit) sind in der Volkspartei von entscheidender Bedeutung, nicht nur im Land, sondern auch auf Bundesebene. Wichtiger, als daß die ÖVP wieder einmal den Bundeskanzler stellt, ist diesen Landesfürsten, daß sie Landesfürsten bleiben. Der Erhalt der eigenen Hausmacht geht vor. Mit einer Großen Koalition, geführt von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler, ja selbst mit einer SPÖ-Alleinregierung läßt es sich für sie besser leben als mit oder gar unter einem schwarzen Regierungschef. Der würde nämlich ihre Macht durch seine Macht innerorganisatorisch schmälern.

Man denke nur etwas zurück: Gerade die Regierung Klaus brachte die schwarzen Landesorganisationen oft an den Rand des Mehrheitsverlustes. So wie jetzt ist es für Ludwig, Ratzenböck & Co. sicher bequemer. Verantwortung kann auf Bundesebene abgewälzt werden. Daher ist es auch nur allzu verständlich, daß einige Landeshauptleute ihrer Partei gar den Gang in die Opposition raten. Dem Spiel ‚Schwarze Landesfürsten gegen rote Zentralmacht‘ könnten manche Landesparteiobmänner dann noch hemmungsloser frönen.

Was der ÖVP auf Landesebene noch immer gelingt, nämlich Wahlen zu gewinnen, wäre aber selbst mit einer analogen Übernahme dieser Politikkonzepte auf Bundesebene nicht machbar. Ein Purtscher, ein Krainer oder gar ein Ludwig hätten selbstredend gegen Vranitzky keine Chance. In den Ländern dagegen ist das möglich, weil die Verhältnisse noch nicht ausreichend ‚modernisiert‘ worden sind. Wer z.B. Niederösterreich und den niederösterreichischen Zeitungsmarkt kennt, der weiß, daß es noch Leibblätter gibt. ÖVP-Leibblätter und Gemeinderatswahlen gehorchen so noch Gesetzen, die auf Bundesebene schon längst überholt sind. Doch auch in der nahen Provinz finden die letzten Wahlschlachten unter solchen Vorzeichen statt.

Bunt oder zu bunt

Seit Busek wissen wir, daß die ÖVP bunt sein will. Bunt trieb es auch Buseks Nachfolger Wolfgang Petrik. Unaufgefordert mischte er sich in den Wahlkampf. Und was er nicht alles einbrachte: ein Gewinnspiel für die Wiener, ein Verlustspiel für die Wiener ÖVP-Kassa, einen naziunterstützungserklärenden Landesparteisekretär, einen bonzenquälenden exmaturierten Schulsprecher. Nicht zu vergessen die drei Wiener Minister, die Petrik da für sich veranschlagte. Schlimmeres konnte denen kaum passieren.

Das bunte Treiben wurde schließlich den Wählern zu bunt. Petrik und mit ihm Riegler erhielten in Wien eine noch deutlichere Abfuhr als in den meisten anderen Bundesländern. Im Wiener Wahlkampf merkte man mehr als deutlich, daß bei der ÖVP eigentlich nichts mehr stimmte.

Wenn der Niederösterreicher Vetter heute sinngemäß meint, Riegler hätte Petrik stoppen müssen, „es geht ja nicht an, daß in einem Unternehmen Leute gegen ihren Chef arbeiten“, mag das schon richtig sein. Die Frage bleibt nur, ob dieser das auch wirklich gekonnt hätte, ob das in dieser ÖVP überhaupt möglich wäre.

Doch auch Riegler selbst war schlecht beraten, als er sich auf die Linie „Sepp, Sepp, sei kein Depp, die Zukunft ist der Alpenrap; Sepp, Sepp, mach sie heiß mit deinem Edelweiß“ festlegen ließ. Nun, das Edelweiß machte auf dem Wiener Parkett niemanden heiß, und Waldbauernbuben gibt es schon genug. So einen Typen wie Riegler kennen die Österreicher zur Genüge — nicht zu Unrecht wünschen viele sich ihn als Nachbarn, aber eben nur als Nachbarn —, so etwas wie Vranitzky hingegen kennen die meisten nicht, eben darum kann diese Person, weil unnahbar, zum Vorbild, zum Mann von Welt, zum Superstar aufsteigen. In Riegler würde sich der Wähler ja nur selbst wählen. (Das tut er auch eigentlich, jedoch nur dann, wenn er sich durch die Angriffe auf einen bestimmten Politiker selbst vehement in Frage gestellt sieht, z.B. im Fall Waldheim.)

Riegler zeigte sich den Österreichern, während Vranitzky es den Österreichern zeigte. Als der ÖVP-Chef dann ausgerechnet via Plakat drohend den Finger auf die Bürger richtete, war es sogar mit seiner Glaubwürdigkeit vorbei. Nicht, weil das aggressiv wirkte, sondern weil Person und Demonstration nicht zusammenpaßten. Derweil hätte er nur auf seine Antonia hören müssen: „Der Sepp“, sagte sie „kann net Theater spielen.“ Das sieht jeder. Doch gerade darauf kommt es in der Politik heute an.

Hans Rauscher, einer der profiliertesten Uniformierer der österreichischen Zeitungsleserschaft, meinte wohl nicht zu Unrecht, daß Vranitzky und Haider in Business-Intrigen à la „Dallas“ oder „Falcon Crest“ passen, während man bei der vorderen Garnitur der Volkspartei nur an die „Almdudler“-Werbung erinnert wird. Dem ist so. Solche Kriterien bestimmen heute das liberalisierte Wahlverhalten.

Das Durcheinander von Assoziationen, die Riegler, Petrik, Busek und Himmer aufkommen ließen, konnte kein stimmiges Gesamtbild mehr ergeben. Am stimmigsten (aber auch am primitivsten) war zweifelsohne der Nationaratswahlkampf der SPÖ. Sie ordnete dem Ziel der Stimmenmaximierung alles unter.

Anders die ÖVP. Sie wollte zuviel: ein Konzept anpreisen (Ökosoziale Marktwirtschaft), mit Skandalen der SPÖ auf den Leib rücken; einerseits setzte sie mit Ultimaten den Koalitionspartner unter Druck, andererseits drohte sie mit einer schwarz-blauen Koalition. Ja, und auch das Äffchen in der Television mochte nett gewesen sein, es paßte nur nicht zur Riegler-Partei. Der ÖVP- Wahlkampf war so ein einzigartiges Ensemble von Unstimmigkeiten.

Die Befehlsausgabe

Die Kuriere sind ausgesandt. Sie schreiben nicht nur in der gleichnamigen Zeitung das gleiche, sondern überall, von der WAZ bis zur AZ.

Franz Ferdinand Wolf erklärt der ÖVP ihre allerletzte Chance: „Werden jetzt persönliche, hündische und regionale Rücksichten genommen, ist alles zu vergessen. Gleichzeitig muß Riegler eine Totalreform der geschlagenen Volkspartei — nein: nicht angehen, sondern exekutieren. Dabei darf es keine Tabus geben: weder in Fragen der Struktur und Organisation, noch in Bünden und Interessensvertretungen. Und schon gar nicht kann es falsche Rücksichten auf Landesfürsten geben.“

Josef Riegler darf, so Wolf weiter, in diesem Szenario „bis auf weiteres“ Parteiobmann bleiben, er soll „vorläufig“, so Wolfs Kollege Rauscher, noch nicht zurücktreten, sondern vor seiner Erledigung noch die Dreckarbeit erledigen. — Denn „ihm bleibt nichts erspart“ (Bildunterschrift unter einem Foto Rieglers in der „Wochenpresse“). Noch hat der steirische Mohr seine Schuldigkeit nicht getan. Eins aber ist sicher: „Dieser Mann gewinnt keine Wahl mehr“, schlußfolgert Peter Pelinka in der AZ.

Josef Riegler wird in die Parteigeschichte der ÖVP als die steirische Nagelprobe eingehen. Die Steirer, mit ihren Überlegungen in der Bundespartei an Einfluß gewinnend, drängten die Nummer 3 oder 4 ihrer Landespartei in die Rolle des Bundesparteiobmannes. Zur Sondierung. Er wird dort noch einige Zeit verweilen, um dann, wir wagen eine Prognose, einem Bundesparteiobmann Hirschmann Platz zu machen.

Die Wahlniederlage der ÖVP wurde sicherlich von den Medien mitbetrieben. Jetzt geht man trotz des forschen Tons an das Knüpfen eines Auffangnetzes. Titel wie „Wie die ÖVP wieder ihren Lebenssinn erhalten kann“ über „Wie ist die ÖVP zu retten?“ bis „Die letzte Chance der Volkspartei“ hatten in den letzten Wochen Konjunktur.

Bevor die selbsternannten Retter nahen, verdüstern sie noch die Szene. Sie entwerfen das Zerrbild einer Krankheit, das beim Patienten nur noch das Gefühl des Ausgeliefertsein hinterläßt. So unterstellt man der ÖVP, seit 1970 nur Wahlniederlagen eingefahren zu haben. Sie wird beschrieben als die Verliererpartei par excellence, als hätte es nicht auch in den letzten zwanzig Jahren beachtliche Wahlerfolge gegeben: man denke etwa an die Bundespräsidentschaftswahl, verschiedene Landtagswahlen, aber auch die Aufholjagd des Alois Mock 1983 und 1986 sollte nicht unterschätzt werden. Diese spezifische mediale Sicht soll die ÖVP wohl schneller gefügig machen. Sie ist zweckbedingt, nicht richtig. Es geht um eine neue Modellierung der ÖVP. Sie ist medial beschlossen und bedarf nur noch der Ausführung. Die Volkspartei wird dazu an der Hand genommen, „denn sie wissen nicht, was sie tun“, schlagzeilte das Wochenmagazin „profil“ eine Woche nach dem Wahldebakel der ÖVP. „Gefolgschaft oder Untergang“ lautete der mediale Appell. Und diese Botschaft ist ein Befehl. Er ist täglich und wöchentlich und monatlich nachzulesen und bedarf kaum einer Nacherzählung. Schwarz vor den Augen darf die ÖVP nachschlagen, wo es lang geht. Druckerschwärze und Farbbild befehlen eine neue ÖVP. „ÖVP neu“ nennt sich daher folgerichtig das Konzept der Angesprochenen.

Denn die Befehlsausgabe ist eine Befehlseingabe. Wenn die ÖVP sich weiterhin wehrt, d.h. spezifische Eigeninteressen von Bünden und Ländern über das allgemeine Interesse der links- und rechtsliberalen Medien an einer uniformierten und handhabbaren Volkspartei stellt, dann schlägt der Befehl in eine Kampfansage um. Und die Volkspartei ist nicht unabhängiger von den sogenannten unabhängigen Medien als andere nicht unabhängige Parteien. Mit Hineinregieren ist da nichts mehr. Gerade die ÖVP-Funktionäre haben noch nicht erkannt, daß sich die Abhängigkeitsverhältnisse in den letzten Jahren umgekehrt haben. Nicht mehr der Journalist hat zu kuschen und zu folgen, sondern der politische Repräsentant. Wer nicht folgt, wird verfolgt.

Eine eigenständige Strategie, die nicht von den Gazetten vorgegeben und abgesegnet wurde, ist völlig unmöglich, weil sie unmöglich gemacht würde. Das wissen heute alle Parteisekretariate (und wer partout nicht parieren will, der wird es in seinem Stimmkörbchen spüren), nur in der ÖVP scheinen sie eine etwas lange Leitung zu haben.

Inzwischen hat sich schon einiges getan. Die ersten Vorleistungen sind bereits erbracht. Lichal, König und Petrik wurden ihrer Funktionen enthoben. Die Ablöse des mittleren begründete Riegler ausdrücklich mit dessen mangelnder Außenwirkung.

Die anbefohlene Strategie verlangt ihre ersten Opfer. Die bundesweiten Niederösterreicher sind in die Defensive geraten. Doch ist das Opfern von Repräsentanten der sogenannten Stahlhelm-Fraktion allemal leichter als die Neustrukturierung der ÖVP.

Volkspartei oder Folgspartei?

Erhard Busek schrieb 1979: „Ein gut ausgebildetes Parteimanagement kommt daher der Führung eines Wirtschaftsunternehmens gleich, da es nur mit den entsprechenden Werbemethoden und modernen Suggestivtechniken zu garantieren hat, daß sich der gewünschte Erfolg, nämlich ein entsprechendes Wahlergebnis, einstellt. Dieser Weg ist am besten dann erreicht, wenn man die beherrschenden Wünsche der Wähler, am besten gleich nur jene der Wechselwähler, erkundet und sich danach richtet. Damit kommt die Verwirklichung von Programmen Wahlkapitulationen gleich, in denen bestimmten Gruppen der Preis für ihre Zustimmung zu einer Machtübergabe auf Zeit bezahlt wird. Die Folge davon ist die Gesichtlosigkeit der Politik (...), man kommt vor lauter gefälliger Verpackung nicht mehr dazu, den Inhalt zu überprüfen, ja hat geradezu Angst davor, den Inhalt überhaupt zu erkunden. Man ist mit der Präsentation von Personen zufrieden, zählt Lachfältchen und Schweißperlen und unterstreicht den Unterhaltungscharakter der Politik mit würzigen Bonmots.“

Was Busek hier zu Recht kritisiert, ist aber in der Zwischenzeit Wirklichkeit geworden. Wer von den traditionellen wie von den neuen Parteien sich diesen Gegebenheiten nicht fügt, hat aktuell keine Chance. Parteien sind nun zu Firmen geworden, auch in dieser Hinsicht ist Günther Nennings Stehsatz „Eine Partei ist eine Partei ist eine Partei“ falsch. Parteien sind Unternehmen mit dem Ziel der Wählerstimmenmaximierung.

Es ist daher auch nur folgerichtig, daß die ÖVP ein Hauptinstrument ihrer Krisenbewältigung darin sieht, sich vom Management-Zentrum St. Gallen untersuchen zu lassen. Um wieder erfolgreich sein zu können, so sagen wir, daß das Management-Zentrum sagen wird, daß es notwendig sein wird, daß die ÖVP ihre Verweigerungshaltung aufgibt und sich entschließt, „der modernen Welt beizutreten“ (Rauscher). Um zur Erfolgspartei zu werden, muß die Volkspartei zu einer Folgspartei werden.

Vor einer häufig gebrauchten Interpretation der VP-Niederlage möchten wir abschließend noch warnen: Die ureigenste ÖVP-Klientel (Bauern, Gewerbetreibende etc.) mag weniger werden. Trotzdem sollte man gerade mit dieser klassen- und schichtenspezifischen Erklärung für ÖVP-Wahlniederlagen vorsichtig sein.

Sowohl international als auch in vielen österreichischen Ländern und Gemeinden hat dieser Umbau in der Klassengesellschaft den konservativen Parteien wenig geschadet. Zumindest war es möglich, sich darauf einzustellen. Rund um Österreich sind jedenfalls konservative Parteien weiterhin als stärkste politische Kraft auszunehmen.

Es wäre auch verfehlt, in der ÖVP bloß eine Bürger- und Bauernpartei zu sehen. Das ist sie schon lange nicht mehr. Vielmehr ist es ihr in der 2. Republik eindeutig gelungen, unter Arbeitern und Angestellten (man nenne sie nicht Arbeitnehmer!) Fuß zu fassen. Für alle, die es noch nicht wissen — die ÖVP ist die zweitstärkste Partei der österreichischen Arbeiterklasse.

Die Amerikanisierung der Politik bedingt nun auch die Modernisierung der ÖVP. Spät, aber doch. Widerstand scheint aussichtslos. Der Weg ist vorgezeichnet. Er ist noch umstritten, doch bald wird er beschritten.